DER MORD AN THEO VAN GOGH

Vergangenheit vergeht nicht, sie holt uns immer nur ein...

Als am 2. November 20004 der Regisseur und Publizist Theo van Gogh in Amsterdam auf offener Straße von dem Fundamentalislamisten Mohammed Bouyeri wortwörtlich hingerichtet, ja, geradezu abgeschlachtet wurde, brach über die Niederlande ein für diese offene, liberale Gesellschaft nicht gekannter Sturm innerer Entrüstung und Abwehr gegen die „fremde“ Religion und ihre Anhänger herein. Gegen „das Fremde“ an sich, wenn man so will. Gerade für die Niederlande, die sowohl was die Religionen betrifft, als auch in anderen Bereichen des Zusammenlebens immer ein hohes Maß an Toleranz hatte walten lassen, deren Bürger diese Toleranz in vielerlei Hinsicht auch gern lebten und stolz auf sie waren, war das Ereignis erschütternd und zeitigte ungeahnte Folgen.

2005, also weniger als ein Jahr nach dem Attentat, veröffentlichte der Publizist und Historiker Geert Mak seinen Essay, der hier auf schmalen 100 Seiten vorliegt. Der Autor spürt der Verunsicherung nach, er gibt eine grobe Chronologie der Ereignisse wieder, wichtiger aber: er greift noch einmal die Debatten jener Wochen und Monate auf und zeigt, wie auch die liberalste Gesellschaft Risse aufzuweisen beginnt und wie sich zusehends Klüfte auftun zwischen denen, die der Gefahr offen, argumentativ, tolerant, aber bestimmt begegnen und jenen, denen die Angst ab nun zum Leitfaden, zur Kategorie der Gemeinschaft wird. Und er zeichnet die Linien nach, entlang derer dieser „Kulturkampf“ ausgefochten wird. Rechtspopulisten und Hetzer nutzen Momente wie diesen für ihre eigenen Programme und Machtbestrebungen aus, springen auf den „Zug der Angst“, die sie schüren und verstärken, da mit Angst eine Menge Stimmen bei Wahlen der von den gleichen Leuten so verachteten Demokratie zu gewinnen sind. Und Angst ist ein perfektes Herrschaftsinstrument. Wer Angst hat, wird die angebotenen Lösungen eher nicht hinterfragen, wenn es erst einmal so scheint, als seien sie wirklich nutzbringend gegen den Grund der Angst.

Mak geht einigen der zentralen Thesen nach – eben jener Angst und wie begründet sie eigentlich ist, Fragen der Toleranz und daß auch die religiöse Toleranz, die vor allem von den westlichen Küstenstädten der Niederlande ausging, wo sie dringend geboten war, um ökonomisch zu überleben, ein Gebot der Vernunft, weniger der Nächstenliebe gewesen ist. Er nimmt einzelne Argumente jener auf, die gern das Wort „Aufklärung“ im Munde führen, meist ohne so recht zu wissen, was das ist. „Meinungsfreiheit“ wird dann gern angeführt, damit ist man immer auf der sicheren Seite. Viele Argumente, die er bringt, kommen dem Leser im Jahr 2015 bekannt, ja geradezu aktuell vor. Der Mord an van Gogh und die dadurch ausgelösten Debatten, die teils mit Haß und heißem Herzen zu Hetze und echten Brüchen im liberalen Gewebe der niederländischen Gesellschaft führten, traf unser Nachbarland genau zehn Jahre, bevor in Deutschland mit Bewegungen wie der sogenannten „Pegida“, die nicht einmal einen Anlaß brauchen, sich zu formieren (und ihn gegebenenfalls „nachgeliefert“ bekommen, wie jetzt, mit den Massen der Flüchtlinge aus islamischen Ländern), ganz ähnliche Diskussionen gesellschaftsfähig werden. Wenn man die Schreierei z.B. in Dresden denn als „Diskutieren“ oder „Debatte“ einordnen mag.

Der damalige Mord an dem Regisseur ist auch deshalb ebenso erschütternd wie interessant, weil hier die Sollbruchstellen einer Gesellschaft so überdeutlich hervortraten: Ein umstrittener Künstler und Intellektueller, der mit dem als Freundschaftsdienst für die Politikerin und Aktivistin Ayaan Hirsi Ali hergestellten Film SUBMISSION NR. 1 (2004) auch einem größeren Publikum über die Grenzen der Niederlande hinaus bekannt wurde, wird von einem ganz offensichtlich religiös verblendeten jungen Mann getötet. Und auf einmal muß sich ein jeder – selbst die- oder derjenige, der van Goghs Treiben zuvor eher skeptisch bis ablehnend gegenüberstand, scheute dieser sich doch nicht, ausgesprochen „kräftige“ Ausdrücke reinster Diskriminierung gegen jene zu führen, die er als Feinde ausgemacht hatte, neben dem radikalen Islam waren das u.a. durchaus auch Juden, van Gogh war ein Antisemit – positionieren, muß Stellung beziehen, eine Haltung einnehmen. Die Stunde der Vereinfacher hatte geschlagen, Zwischentöne, Differenzierungen, Grauzonen waren nicht mehr gefragt, für oder wider hieß die Devise. Auch diese Forderung nach dem „einfachen“ Wort erklingt heute in den deutschen Debatten zum Thema.

Und wie in den deutschen Debatten, die wir momentan erleben dürfen – u.a. auch auf diesen Seiten hier – war es die Sprache, die das erste Opfer der gesellschaftlichen Verschärfung wurde. Die Verrohung der Sprache, der Wille zur verbalen Vernichtung, auch die Vereinfachung dort, wo Sprache uns eigentlich die Mittel und Instrumentarien zur Differenz liefert, sind ein erster Schritt, dem der Übergang zur Tat („Mut zur Tat“ steht auf einigen der Schilder, die in Dresden und anderswo spazieren geführt werden) zumindest folgen kann. Mak nimmt immer wieder Bezug auf Viktor Klemperers LTI – NOTIZBUCH EINES PHILOLOGEN, in dem der Autor einst minutiös die Sprachverrohung unter den Nationalsozialisten festhielt, auch den Übergang zur Tat, nicht zuletzt in der Pogromnacht des 9. November 1938.

Geert Mak liefert dem wirklich aufgeklärten und interessierten Leser von heute kaum neue Argumente oder bahnbrechende Gedanken, aber dieses schmale Bändchen kann jedem, der in der momentan herrschenden Stimmung und den momentan geführten Debatten nicht mehr weiß, wie er sich verhalten soll gegen eine scheinbare Übermacht aus Hassern und Hetzern und elenden Vereinfachern, noch einmal als Rückversicherung dienen. Das ruhige Wort ist angebracht, das Beharren auf dem Glanz der Worte und darauf, daß sie Bedeutung haben. Bedeutung bedeutet aber eben auch, daß sie nicht jederzeit umdeutbar sind. Wer heute alles das Wort „Aufklärung“ führt und meint, damit eine Art Freifahrtschein des Hasses zu besitzen, scheint meist gar nicht zu wissen, mit was für einem komplizierten, in sich auch durchaus widersprüchlichen Gebilde er es da eigentlich zu tun hat.

Maak schreibt: „[…] das Denken der Philosophen der Aufklärung ging in die andere Richtung: Minderheiten sollten respektiert werden, und falls sie eigenartige Ansichten vertraten, sollten sie durch Bildung, Erziehung und das kultivierte Vorbild ihrer Mitbürger auf ein höheres Niveau gehoben werden. Die Aufklärung war eine Zivilisationsoffensive, mit der Grenzen überwunden werden konnten, nicht ein Mittel, um neue Grenzen zu ziehen und Andersdenkende auszuschließen. Die Aufklärung ging von Bildung und Integration aus, nicht von Konfrontation. Wer es in diesem Herbst allerdings noch wagte, solche Gedanken auszusprechen, gehörte zur „fünften Kolonne“ von „Softies“ und „Moslemschmusern“.“ [S. 57/58]

Wer die Diskussionen in Deutschland in den vergangenen 12 Monaten und vermehrt in den Wochen seit dem Sommer und dem immer massiveren Zuzug von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten Syriens und des Nahen und Fernen Ostens beobachtet und verfolgt, dem kommen gerade die letzten Zeilen doch sehr bekannt vor. Vielleicht sollten alle – Befürworter wie Gegner sowohl des Flüchtlingsstroms als auch der Frage nach dem Islam allgemein – sich noch einmal besinnen, zur Ruhe kommen, noch einmal darüber nachdenken ob das eigene Verhalten wirklich zu einer Integration, zu einem friedlichen Miteinander und einer Bürgergesellschaft beiträgt.

Manchmal, in den allerdunkelsten Momenten, beschleicht einen ja das Gefühl, daß die, die angeblich das Abendland schützen wollen, heimlich genau den Untergang herbeisehnen, vor dem sie warnen. Fast wagnerianisch scheinen einige den großen „Clash oft the cultures“ kaum erwarten zu können. Angst scheint ein Gefühl zu sein, daß vielen ganz gut gefällt. Vielleicht, weil es ihnen in einem Alltag, der meist stumpf und immergleich sich darstellt, ein intensives Gefühl ist, ein Gefühl, das den Ängstlichen – wie der Schmerz – spüren läßt, noch am Leben zu sein. Man sollte ob solcher Gefühle vielleicht einen guten Arzt aufsuchen, die Straße wird nicht der Ort sein, wo Ängste wie die Xenophobie zu bekämpfen sind. Wer solchen Ängsten meint, auf der Straße Ausdruck verleihen zu müssen, der will die Konfrontation, keine Debatte. Und damit sind wir am eigentlichen Kern des Problems: Ein Teil dieser Gesellschaft will keine Debatten mehr, sondern eine klare Abgrenzung. Diese Abgrenzung bedeutet aber, daß das Land sich grundlegend verändern wird, die Freiheit des Wortes, des Denkens wird massiv eingeschränkt werden, wenn die die Macht übernehmen, die sich zwar „besorgt“ geben, dabei aber jedes Maß des Ausdrucks und der Mittel verlieren.

Einem liberalen Geist (von „linkem“ mag man gar nicht sprechen) kann und darf das nicht kalt lassen, er sollte aber – und daran gemahnt uns ein Text wie der vorliegende eben auch – vorsichtig sein, nicht selbst in eben jene Fallen zu tappen, die die Wut und eben auch Angst nicht nur den einen stellt, sondern in die auch die andern gern und häufig stolpern. Man muß immer bei sich selbst beginnen, daß vor allem sollte uns Aufgeklärten stets bewußt sein. Eine Lehre, die im aufgeheizten Klima des herrschenden Diskurses leider allen Seiten allzu oft abhanden kommt.

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