12 YEARS A SLAVE
Steve McQueen erzählt ungeheuer wuchtig vom Menschheitsverbrechen der institutionalisierten Sklaverei
Der Staat New York im Jahr 1841. Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein freier Schwarzer, Sohn eines einst befreiten Sklaven, der eine kleine Farm betreibt, handwerklich geschickt ist und vor allem sehr gut Violine spielt. Regelmäßig wird er für Festivitäten und private Feiern angefragt. In der Gemeinde ist er anerkannt, er wird in Läden selbstverständlich bedient und auch gegen rassistische Anfeindungen geschützt.
Als seine Frau für einige Wochen mit den gemeinsamen Kindern wegfährt, weil sie eine vorübergehende Arbeit hat, treten zwei Herren an ihn heran, die ihn bitten, in ihrer Zirkusshow aufzutreten, da sie keine adäquate musikalische Begleitung hätten. Northup sagt zu. Nach einigen Wochen ist er im Besitz von nahezu 40 Dollar, was eine damals große Summe ist. Er feiert mit den Herren und sagt dabei übermäßig dem Alkohol zu. Als er erwacht, liegt er in Ketten in einem Gefängnis. Seine Arbeitgeber haben ihn an einen Sklavenhändler verkauft.
Auf einem Schiff wird Northup mit einigen Leidensgenossen gen Süden verfrachtet. Er selbst hat nie Unfreiheit oder gar Sklaverei kennengelernt, umso entsetzter ist er über die Brutalität, die an Bord des Schiffes herrscht. Eine junge Frau, Mutter zweier Kinder, wird regelmäßig mißbraucht, ein Gefangener, der ihr helfen will, wird kaltblütig ermordet. Northup begreift, daß er vollkommen rechtlos ist, obwohl er daheim Papiere besitzt, die ihm die Freiheit zusichern.
In New Orleans werden er und die junge Frau, die Eliza (Adepero Oduye) heißt, an den Plantagenbesitzer William Ford (Benedict Cumberbatch) verkauft. Der Sklavenhändler Theophilus Freeman (Paul Giamatti) weigert sich jedoch, wenigstens die Tochter bei der Mutter zu lassen. Brutal werden die Kinder von ihrer Mutter getrennt.
Auf der Plantage wird Northup, der nun den Namen Platt trägt, dem Zimmermann John Tibeats (Paul Dano) zugeteilt. Gemeinsam mit dem zynischen jungen Mann baut er Gartenlauben und neue Unterkünfte für Sklaven. In der wenigen Freizeit versucht er, Eliza zu beruhigen, die nicht über den Verlust ihrer Kinder hinwegkommt. Eines Tages zeigt sich Fords Frau während einer der regelmäßigen Bibellesungen ihres Mannes von Elizas Schluchzen gestört, woraufhin die Sklavin weiterverkauft wird.
Northup beweist unter anderem beim Anlegen eines Wasserweges für Schwerlasten, daß er etwas vom Handwerk versteht, weshalb er Fords Anerkennung findet und Tibeats Unmut auf sich zieht. Nachdem der den Sklaven mehrfach gedemütigt hat, kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden, bei denen Northup sich zur Wehr setzt und Tibeats verprügelt. Obwohl Ford und auch sein Aufseher Northup schützen wollen, rächt sich Tibeats auf fürchterliche Weise: Er hängt Northup an einem Baum auf, wo der einen ganzen Tag lang auf den Zehenspitzen tänzelnd sich bemüht, nicht zu ersticken. Erst am Abend kann Ford ihn retten. Doch fürchtet der Plantagenbesitzer selbst Tibeats. So verkauft er Northup an einen Nachbarn, den Sadisten Edwin Epps (Micheal Fassbender).
Auf dessen Plantage geht es weitaus härter zu. Wer nicht mindestens 200 Pfund Baumwolle am Tag pflückt, wird abends ausgepeitscht, Epps mißbraucht regelmäßig die Sklavin Patsey (Lupita Nyong`o), die seine beste Pflückerin ist, was wiederum Epps Frau Mary (Sarah Paulson) auf den Plan ruft, die ihren Mann verachtet, Schwarze hasst, sie nicht als menschliche Wesen betrachtet und sich sowohl an Patsey, als auch an anderen Sklaven rächt. Nachts ruft Epps die Sklaven ins Haupthaus, wo sie tanzen müssen, während Northup auf der Violine aufzuspielen hat und Epps sich systematisch betrinkt.
Northup wird mehrfach Zeuge ungeheuerlicher Gewalttaten auf der Plantage und im Umfeld. Sklaven werden willkürlich getötet, Patsey wiederholt Opfer von Epps´ Frau. Bei einer solchen Gelegenheit zwingt Epps Northup, Patsey auszupeitschen, um den Verhöhnungen seiner Frau zu entgehen.
So vergehen die Jahre. Eine Raupenplage vernichtet eine komplette Baumwollernte, was der tief religiöse Epps der Sündhaftigkeit der Schwarzen ankreidet, weshalb er sie für eine Saison an einen Nachbarn ausleiht, wo sie Zuckerrohr schlagen müssen. Northup bittet zu einem späteren Zeitpunkt einen Weißen, der sich auf Epps Plantage als Tagelöhner verdingt, für ihn einen Brief an seine Frau aufzugeben, wird von dem Mann aber verraten.
Eines Tages kommt der Kanadier Samuel Bass, ein wandernder Zimmermann, auf die Plantage. Er soll für Epps und seine Frau eine neue Gartenlaube bauen, wobei ihm Northup als Gehilfe zugeteilt wird. Die beiden verstehen sich recht gut. Bass sagt Epps offen ins Gesicht, was er von dessen Verhalten und der Sklaverei generell hält – nämlich nichts. Epps zeigt Bass seine ganze Verachtung. Northup wagt es erneut, einen weißen Mann um Hilfe zu bitten. Bass zeigt sich skeptisch, auch weil er weiß, daß eine Tat im Sinne des Sklaven für ihn gefährlich sein kann. Dennoch sagt er Northup zu, dessen Leute zu informieren.
Monate später arbeitet Northup wieder auf dem Baumwollfeld, als eine Kutsche auf die Plantage gefahren kommt. Darin sitzt Mr. Parker (Rob Steinberg), der Kaufmann aus der Gemeinde, in der Northup als freier Mann gelebt hat. Begleitet wird er vom Sheriff. Parker hat eigenhändig die Papiere in den Süden gebracht, die Northups Freiheit garantieren. Gegen Epps entschiedenen Widerstand bringen Parker und der Sheriff Northup von der Plantage.
Wieder zuhause trifft Northup auf seine deutlich gealterte Frau, seine mittlerweile erwachsenen Kinder, seinen ihm unbekannten Schwiegersohn und seinen Enkel. Die Familie ist wieder vereint.
Welch ein schwieriger Film! 12 YEARS A SLAVE (2013) erzählt, basierend auf dessen eigenem Buch, vom Passionsweg des Solomon Northup, eines freien schwarzen Mannes, der im Staat New York lebte, eine Farm betrieb, aber auch als Violinist auf sich aufmerksam machte. 1841 wurde er entführt, verschleppt und in New Orleans als angeblich entflohener Sklave verkauft. Zwölf Jahre musste er auf verschiedenen Plantagen in Louisiana arbeiten, unternahm Fluchtversuche, wurde eingefangen, bestraft, gefoltert und erst durch die Intervention eines Weißen, der zufällig mit Northup in Kontakt geriet, konnte er schließlich befreit werden und in seine Heimat und zu seiner Familie zurückkehren.
Steve McQueen, ein schwarzer britischer Künstler, hat das Buch, das Northup über seine Jahre in der Sklaverei verfasste und im Jahr seiner Befreiung veröffentlichte, verfilmt. Warum die Erwähnung, daß McQueen ein Schwarzer ist? Weil es den Zugriff auf seinen Film noch schwieriger, zugleich aber auch erträglicher macht.
Wo also anfangen? McQueen hat zunächst einen wuchtigen, ergreifenden, stark emotionalisierenden Film gedreht, der mit hervorragenden Schauspielern – allen voran Chiwetel Ejiofor, der Solomon Northup verkörpert – , mit brillanter Kameraarbeit, mit Verfremdungseffekten und teils unerträglichen Darstellungen von Grausamkeit und Ausgeliefertsein den Zuschauer mit Wahrheiten konfrontiert, die gerade die amerikanische Gesellschaft immer noch gern zu verdrängen sucht. Die Sklaverei war ein Menschheitsverbrechen, wie es nur wenige gegeben hat, in der Neuzeit sicherlich nur übertroffen von der seriellen, maschinellen Vernichtung von Menschen in den Todesfabriken der Nazis. Und nicht umsonst stellen immer mehr Künstler, aber auch Wissenschaftler – und keineswegs nur schwarzer Herkunft – beides zunehmend zueinander in Bezug.
McQueen setzt auf extremen Realismus und zugleich auf Effekte, die seine Geschichte universell machen. So verzichtet er auf die Darstellung der Fluchtversuche, die Northup unternommen hat, zudem merkt man der Geschichte – und den Darstellern – das Vergehen der Zeit kaum an. Was im Film erzählt wird, könnte ein Jahr, könnten die angegebenen zwölf Jahre, könnte aber auch eine Lebensspanne oder ein Äon umfassen. Zweimal werden wir Zeugen, wie Schwarze durch Weiße aus der Knechtschaft befreit werden: Einmal ist es ein Mann, den Northup gleich zu Beginn seiner Gefangenschaft kennengelernt hat und der sofort bei Verlassen des Schiffs in New Orleans von einem Förderer abgeholt wird. Das zweite Mal ist es Northup selbst, der am Ende des Films von einem Weißen, der ihn aus New York kennt, befreit und abgeholt wird. Beim ersten Mal bleibt Northup, seinen neu gefundenen und schon wieder verlorenen Freund um Hilfe anflehend, zurück; beim zweiten Mal bleiben alle anderen Sklaven auf der Plantage zurück, auf der Northup zuletzt gearbeitet hat. So gelingt es McQueen auf überzeugende und bittere Art und Weise, die Kontinuität dessen zu verdeutlichen, was in Northups Fall einmal durchbrochen werden konnte: Die „Institution“ der Sklaverei als integralen Bestandteil der „Lebensart“ im Süden der damaligen USA. Northups Geschichte ist einzigartig, weil sein Schicksal sich maximal vom Schicksal Millionen anderer, Namenloser, abhebt. Schon die Ausgangslage ist eine andere – Northup war eben ein freier Schwarzer, Sohn eines befreiten Sklaven – und McQueen lässt den Zuschauer dies nicht vergessen.
Das Drehbuch von John Ridley ist ein geschickt angelegtes und sehr genau durchdachtes Psychogramm einer Gesellschaft, die auf Rassenwahn, auf Unterdrückung und Gewalt gegründet, zugleich aber in gegenseitiger Abhängigkeit von Unterdrückten und Unterdrückern verstrickt ist. Wir werden mit drei Plantagenbesitzern näher bekannt gemacht, die alle als schwache Menschen, schwache Männer gezeichnet sind. Der erste – Benedict Cumberbatch spielt diesen William Ford als ebenso schöngeistige wie ängstliche Persönlichkeit – ist eine Art Gefangener auf seinem eigenen Land. Als Northup sich gegen den Zimmermann Tibeats zur Wehr setzt, weil dieser ihn bewusst falscher Ausführung seiner Anweisungen bezichtigt, kann William Ford Northups Sicherheit nicht garantieren, schickt ihn fort und lobt sich selbst dafür, einem Sklaven geholfen zu haben. Der zweite Plantagenbesitzer – Edwin Epps, von Michael Fassbender als Sadist, Alkoholiker und hoch neurotisch angelegt – , auf dessen Farm Northup die längste Zeit verbringen muß, steht exemplarisch für die oben angeführten Verstrickungen. Er ist mit einer zutiefst rassistisch veranlagten Frau verheiratet, die er nicht liebt und die ihn zu immer neuen Grausamkeiten gegen die Sklaven antreibt, zugleich begehrt er die Sklavin Patsey, was zu nachhaltiger Eifersucht bei seiner Gattin führt. Epps wirkt wie ein König ohne Land. Er ist ein Gefangener seiner Schicht, lebt mit weitaus mehr Schwarzen als Weißen in einer Gemeinschaft, kann nur über Gewalt kommunizieren und doch merkt man ihm immer wieder an, daß er gern die Anerkennung seiner Sklaven hätte – namentlich die von Solomon Northup. Seine Macht lebt er aus, indem er nachts seltsame Tanzspiele in seinem Herrenhaus veranstaltet, bei denen Northup die Geige spielen muß und die schwarzen Mädchen zu tanzen haben. Selbst schaut er zu und betrinkt sich dabei systematisch. Der dritte Plantagenbesitzer ist ein Richter, der im Kontext des Films blass bleibt und lediglich als Symbol gesellschaftlicher Macht und Machtgefüge agiert.
Ridley gelingt es in seinem Buch – und McQueen findet dafür die passenden Bilder und Szenarien – aufzuzeigen, daß das gesamte System der Sklaverei zu Unfreiheit auf allen Seiten führt. Verängstigte Weiße, die ihr Unwohlsein mit etwas, das sie sehr wohl als Unrecht zu identifizieren wissen, dadurch verdrängen, indem sie ihre Macht willkürlich und unverhältnismäßig ausleben, stehen ebenso verängstigten Schwarzen gegenüber, die auf den Plantagen im Grunde in der Überzahl sind und sich dennoch nicht befreien oder auflehnen können. Warum lehnen sie sich nicht auf? Weil das System der „Institution“, wie die allermeisten Unterdrückungssysteme, es so eingerichtet hat, daß durch Begünstigung, Lob und vor allem Willkür permanente Unruhe und Unsicherheit und vor allem Un-Einheit der Unterdrückten erzeugt werden. Ridley zeigt in vielen kleinen Gesten und Nebensätzen auf, wie einzelne hervorgehoben, wie Familien zerrissen, wie potentielle Aufrührer ausgeschaltet werden. So entsteht nach und nach ein vollkommen neurotisches Bewußtsein eigener Schuld, fremder Schuld und eines Wahns, der Zweifel an den eigenen Entscheidungen und Handlungen kaum mehr zulässt.
Es gibt in diesem Film nur einen Weißen, der eine tragende – wenn auch kurze – Rolle spielt und dabei halbwegs gut weg kommt, alle anderen Weißen sind Unterdrücker, sind Sadisten und Gewalttätige, die oftmals selber Armut kennen und ihr Selbstwertgefühl daraus beziehen, daß es mit den Sklaven immer eine Bevölkerungsschicht gibt, auf die man hinabblicken und die man drangsalieren und beherrschen kann. Anhand von William Ford wird auch verdeutlicht, wie sich die Macht auf den Plantagen verteilte: Zwischen einem vielleicht sogar halbwegs menschlichen Besitzer und den Sklaven existiert mit den Verwaltern und Aufpassern eine Art Puffer, der die Grausamkeit und die „unschönen“ Wahrheiten der Sklaverei von jenen fernhält, die sich als gebildet, moralisch einwandfrei und christlich wähnen. Und wird der Schmerz einer Frau, deren Kinder von ihr genommen und anderweitig verkauft wurden, zu offensichtlich, kann man sich auch dieser Frau ganz einfach entledigen. Alles, was an die eigenen Fehler, die eigene Verstrickung in Unrecht erinnert, wird schlicht aus der eigenen Wahrnehmung ausgeschlossen.
Diese Haltung korrespondiert mit den Zahlen, die man kennt, wenn man sich mit der amerikanischen Geschichte und speziell der des Südens schon einmal beschäftigt hat. Denn es waren maximal 15% der Südstaatler, die wirklich über Plantagen verfügten, auf denen viele Sklaven arbeiteten. Die meisten Südstaatler waren sogenannte Yeoman-Farmer, die kärgliches Land bestellten, maximal einen Sklaven besaßen und diesen meist als gleichberechtigten Arbeiter behandeln mussten, weil sie zwingend auf die Hilfe angewiesen waren. So entstand ein Feudalsystem nach europäischem, vor allem britischen Vorbild, in dem die Großgrundbesitzer dem Adel glichen, Sklaven Leibeigene waren und Aufseher und Angestellte weißer Hautfarbe einer pöbelhaften Unterschicht entsprachen, mit der man nach Gutdünken umgehen konnte.
Buch und Regie gelingt es also, all diesen Aspekten gerecht zu werden. Und doch bleibt beim Zuschauer ein seltsam ungutes Gefühl haften, wenn er diesen mit vielen Preisen überhäuften Film betrachtet. Vielleicht – um die Sache sozusagen von hinten aufzurollen – fängt es schon mit all diesen Preisen an. Oscars als „bester Film“, „beste Nebendarstellerin“, „bestes adaptiertes Drehbuch“ – neben etlichen weiteren Nominierungen – , Preise bei den Critics Choice Awards, den British Film Awards und, und, und. Es macht stutzig, wenn ein Film, der so eindeutig Position bezieht, der scheinbar so anklagend ist, so viele von Weißen dominierte Jurys überzeugen kann. Das jedoch ist eine rein subjektive Haltung, die natürlich nicht als Kriterium der Bewertung funktioniert.
Aber was ist es dann? Man könnte anführen, daß Ridley ein zu beschönigendes Bild des Nordens zeichnet. Zwar gibt es eine Szene, in der verdeutlicht werden soll, daß auch im Norden Schwarze nicht immer wohlgelitten waren, doch die Straßenbilder und die Reaktionen vieler Weißer in den Anfangsszenen des Films und jenen, in denen sich Northup an die alte Heimat erinnert, zeigen ein nahezu gleichberechtigtes Nebeneinander von Schwarz und Weiß. Dieses Bild ist schlicht falsch. Es ist genauso falsch, wie die weit verbreitete Annahme, der Norden sei ausschließlich zur Befreiung der Sklaven und Beendigung der Sklaverei in den Bürgerkrieg gezogen. Dies war mitnichten der Fall und auch der heute als so großer Präsident angesehene Abraham Lincoln wollte in erster Linie die Union erhalten und sagte explizit, daß er dies um jeden Preis erreichen würde – ob mit oder ohne Sklaverei. Das Gesetz, das die Sklaverei aufhob, war letztlich ein taktisches Manöver während des Krieges.
Doch dies sind im Kontext des Films eher Petitessen. Wichtiger sind andere Punkte. So kommen bei aller gezeigten Grausamkeit doch Zweifel an der Darstellung des Plantagenlebens der Sklaven auf. Daß sich ein Mann wie Northup wehrt, daß er gar einen Weißen verprügelt, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Daß es eine gewisse Nähe zwischen den Gepeinigten und ihren Peinigern gab, daß die Hütten der Sklaven nah an den Plantagenhäusern gebaut wurden, daß sich Besitzer immer wieder an den Frauen vergingen, ist belegt und der Film gibt diesen Aspekten in einer kurzen Szene auf einer weiteren Plantage, wo eine Schwarze die Funktion der Mistress, also der Dame des Hauses, übernommen hat, auch Raum. Dennoch erscheint Vieles als zu gemäßigt, bedenkt man die unfassbaren Grausamkeiten, die auch heute noch in einschlägigen Museen im Süden, aber auch durch Bücher, Protokolle, Tagebuchaufzeichnungen und in vielerlei Bildmaterial belegt sind. Sie zeugen von der absoluten Willkürherrschaft der Besitzer und dem auf Gedeih und Verderb Ausgeliefertsein an deren Launen und Neigungen. Wahrscheinlich wäre ein Film, der dem gerecht werden wollte, nicht zeigbar. Doch in der Darstellung, die McQueen wählt – und damit kommt man zu einem weiteren wesentlichen Punkt der Kritik – wirkt doch einiges beschönigt. Oder, besser: Zu schön. Ästhetisch zu schön.
Es ist vor allem – und darüber müsste man viel tiefer nachdenken und räsonieren – die Ästhetik des Films, die auf- und erschrecken lässt. McQueen bedient sich einer geradezu erlesenen Ästhetik. Er und Kameramann Sean Bobbitt finden Bilder von solcher Schönheit – sie zeigen den Süden als eine Art Traumland, sie schwelgen geradezu in Bildern von Sonnenuntergängen und Naturschönheiten – , daß diese die Grausamkeit der Geschichte konterkarieren. Natürlich kann man davon ausgehen, daß dies genau der beabsichtigte Effekt ist. Die Erhabenheit der Natur wird der menschlichen Niedertracht entgegengestellt und im Kontrast wird ein durchaus religiöser Aspekt der Geschichte hervorgehoben. Denn diese Gesellschaft, gerade die des Südens, verstand sich explizit als christlich. Epps hält – wie auch Ford – den Sklaven regelmäßige Lesungen aus der Bibel. Während Ford dabei auf Texte des Neuen Testaments zurückgreift, liest Epps aus dem Alten Testament. So nutzt jeder die Bibel, wie er es braucht. Ford entlastet sein Gewissen, Epps droht mit einem strafenden Gott, um die Sklaverei als Naturgesetz zu etablieren. Sie ist in Epps Wahrnehmung ebenso Teil der Schöpfung, wie es die wundervolle Natur der Sümpfe, der Weite des Landes, die Alleen und Reitwege durch die sanften Hügel sind.
Dennoch funktioniert McQueens Ansatz nur teilweise. Denn auch jene Bilder, die die Gefängnisse, die Wunden, die Bretterverschläge, die Arbeit auf den Feldern usw. zeigen, sind von ebensolch erlesener Schönheit. Ein furchtbar gefesselter Sklave, dem der Speichel aus dem Mund läuft, weil die Gesichtsmaske in seine Lippen schneidet, die nackten Körper der Geschundenen, das Blut, die Tränen – all das wird in ebenfalls fesselnden und schönen Bildern gezeigt. Gegenlicht, Schattenspiele auf nackten schwarzen Körpern, das Entsetzen in schwarzen Gesichtern, all das funktioniert ästhetisch genauso wie die Landschaftsaufnahmen.
Und damit ist man bei einem weiteren Punkt, der kritisch zu betrachten ist an McQueens Film. Und am Ausgangspunkt dieser Erwägungen und dem Hinweis, daß McQueen ein Schwarzer ist. Dazu ist ein kleiner Exkurs nötig.
Es gibt ein gängiges Argument hinsichtlich der Wirksamkeit sogenannter Anti-Kriegsfilme. Es besagt, daß es schlicht keinen Anti-Kriegsfilm geben kann, weil die allermeisten Filme, die sich nominell gegen Kriege aussprechen, in der Darstellung ihres Sujets eben das reproduzieren, was der Krieg immer schon ist. Sie rekapitulieren genau das, was sie vorgeblich kritisieren und erliegen dabei allzu häufig einem Eskapismus, der seine Faszination am Kritisierten kaum verhehlen kann.
Ähnliches kann man auch über 12 YEARS A SLAVE behaupten. Denn was auch immer McQueen und Ridley beabsichtigen – tatsächlich schaut man beim Betrachten des Films sehr häufig nackte, geschundene Körper von Schwarzen an. Der Film reproduziert in gewisser Weise, was er ausstellen und anprangern will. Es gibt viele nackte Schwarze in diesem Film. Es gibt hingegen nicht einen nackten Weißen. Wäre der Regisseur ein Weißer, würde dies mindestens zu einer kritischen Anmerkung führen, wenn nicht gar zu der Überlegung, ob dies nicht ein im Kern rassistischer Film ist. Denn auf einer Sub-Ebene wird exakt das hergestellt, was die „Institution der Sklaverei“ eben bedeutete: Schwarze als Verfügungsmasse, als Ware, die ausgestellt werden darf, weil sie ausgestellt werden kann. Sicher kann man dieses Argument entwerten, indem man darauf hinweist, daß es eben genau so gewesen sei. Und damit hätte man ja auch recht. So war es. Aber ein Film funktioniert so oder so anders als die Realität. Und erst recht ein historischer Film. Im Kino sitzen eben nicht nur schwarze Zuschauer, sondern jede Menge Weiße. Und erneut betrachten Weiße schwarze Körper, über die verfügt werden kann. Und über die faktisch verfügt wird. Vom Regisseur – und vom Zuschauer, der einen Herrschaftsblick etabliert, ob gewollt oder nicht. Nackt stehen zwar auch diese schwachen und neurotischen Weißen vor uns – aber eben seelisch nackt. Die Erniedrigung, ausgestellt zu werden, müssen auch in diesem Film Schwarze erfahren und erdulden. Und wenn es auch „nur“ schwarze Schauspieler sind.
Es ist ein schmaler Grat, ein doppelschneidiges Schwert, diese Betrachtung anzustellen, gerade, wenn man selber weißer Hautfarbe ist. Und doch drängt sich die Vermutung, ja, der Verdacht auf, daß die unzähligen Preise, die der Film einheimsen konnte – und die ihm alle gegönnt seien! – eben auch deshalb verliehen wurden, weil er einen weißen Blick, wenn nicht reproduziert, zumindest aber doch begünstigt. Vielleicht führt das zu weit, vielleicht verlangt man von einem Film zu viel, wenn man ihm eine solche Perspektive aufbürdet. Und eben weil es ein schwarzer Künstler ist, der ihn gedreht hat, wird es umso komplizierter. Und doch bleibt ja dieses Unwohlsein, während der Film läuft. Daß das Unrecht, dessen man ansichtig wird, ein furchtbares ist, wissen wir. Jeder aufgeklärte Mensch versteht die Dimension und Unfassbarkeit des Verbrechens, das die Sklaverei bedeutet. So ist es eben kein Unwohlsein aufgrund des Dargestellten als historischem Fakt, sondern aufgrund der Präsentation. Vielleicht ist dies ein nicht aufzulösender Konflikt. Darüber wäre zu streiten.
Was also bleibt? 12 YEARS A SLAVE ist ein extrem aufwühlender Film, voller tieferer Wahrheiten, hervorragend gespielt und fotografiert, korrekt in der historischen Betrachtung, detailgenau in der Ausstattung. Es ist ein großer Film, der zugleich kritikwürdig ist und zu Diskussionen herausfordert. Vielleicht kann man kein größeres Lob aussprechen, als dieses.