8 MILE

Curtis Hanson führt sein Publikum in die Welt des Rap - und in die soziale Wirklichkeit eines Amerikas abseits aller Broschüren

Detroit 1995. Der junge Jimmy „B-Rabbit“ Smith (Eminem) zieht zurück zu seiner Mutter Stephanie (Kim Basinger), nachdem er sich von seiner Freundin getrennt hat. Die Mutter lebt in einem Trailer in einem sonst fast ausschließlich von Schwarzen bewohnten Viertel innerhalb der „8 Mile“, jener Grenze, die die schwarzen von den weißen Stadtvierteln trennt.

Rabbit, der in einer Fabrik für Autoteile arbeitet, möchte Freitags an den von seinem Freund Future (Meki Phifer) ausgerichteten Battle Raps teilnehmen. Dabei geht es darum, einen Kontrahenten in durchaus drastischen Worten zu dissen und die eigene Überlegenheit herauszustellen. Als Rabbit endlich auf der Bühne steht, hat er einen Hänger, kein Wort kommt ihm über die Lippen. Er wird vom größtenteils schwarzen Publikum, das ihn als „white boy“ sowieso nicht ernst nimmt, ausgepfiffen und verlacht. Die kommenden Tage wird er überall – auf der Straße, bei der Arbeit, von Freunden – ob seiens Mißgschicks verspottet.

Daheim gibt es immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Rabbit und seiner Mutter, die trinkt und sich keine Arbeit sucht, obwohl sie dies wieder und wieder verspricht. Sie vernachlässigt zusehends Rabbits kleine Schwester Lily (Chloe Greenfield). Rabbit will keine Verantwortung für die Zustände im Trailer übernehmen, da dort auch Greg (Michael Shannon), der Freund der Mutter, lebt.

Obwohl seine Freunde aus seiner Gang, die sich „3-1-3“ nennt, Rabbits Talent erkennen, zweifelt er an sich. Der einer verfeindeten Gang, den „Leaders of the Free World„, nahestehende Wink (Eugene Byrd) lockt Rabbit mit der Möglichkeit einer professionellen Aufnahme eines Demo-Tapes, macht aber zugleich Future schlecht, der Rabbbit empfiehlt, den schweren Weg über die live ausgetragenen Battle Raps zu gehen.

Rabbit lernt die junge Alex (Brittany Murphy) kennen, in die er sich verliebt, die aber frei und ungebunden sein will. So kommt es auch wegen ihr zu einer Auseinandersetzung mit Wink. Aber auch mit den Anhängern der „Leaders…“ schlagen sich Rabbit und seine Kumpel immer wieder herum. Bei einer dieser Auseinandersetzungen kommt es zu einem Zwischenfall mit einer Pistole, bei der sich sein Kumpel Cheddar Bob (Evan Jones), neben Rabbit der einzige Weiße der Gang, mit einer Pistole verletzt.

Zwischen Rabbit und Future, die Freunde seit langem sind, kommt es zu einem Streit, weil Future Rabbit einmal mehr bittet, sich nicht mit Typen wie Wink einzulassen. Ihre Wege trennen sich zunächst. Auch Alex erklärt Rabbit, daß sie Detroit verlassen und nach New York City gehen werde, aber an seine Talente und daran glaube, daß er den Durchbruch schaffen kann. Sie werde von ihm hören, lässt sie ihn zum Abschied wissen.

In der Fabrik, wo Rabbit einen schweren Stand hat, da er die Arbeit nicht wirklich ernst nimmt, gern mal früher abhaut oder zu spät kommt, fragt ihn der Schichtleiter, der sieht, daß der junge weiße Mann versucht, zusehends mehr Verantwortung zu übernehmen, ob Rabbit Zusatzschichten schieben wolle. Das bedeutet mehr Geld, mit dem Rabbit Mutter und Schwester unterstützen könnte. Da Greg in dem Moment abgehauen ist, in dem er etwas Geld hat, und Stephanie aus dem Trailer zu fliegen droht, nimmt Rabbit das Angebot an.

Doch als der nächste Freitag kommt fragt er einen Kollegen, ob dieser ein paar Stunden seiner Schicht übernehmen könne. Rabbit geht in Futures Club und nimmt die Battle Rap gegen Papa Doc (Anthony Mackie) an, der bisher unangefochtener Champion der Freitagsbattles und zudem einer der Anführer der „Leaders…“ ist.

Rabbit legt schonungslos seinen eigenen Status als Außenseiter und Verlierertyp dar, bezichtigt sich seines Versagens und daß er nicht mal sein Mädchen überzeugen könne und beendet seinen Rap mit der Aufforderung an Doc, den Leuten noch mehr über ihn zu erzählen, ihm sei es egal, weil er die ganze Battleei sowieso satt habe. Daraufhin gibt Papa Doc ohne Widerworte auf. Das Publikum, das bei den Battles als Jury dient, feiert Rabbit.

Die „3-1-3„-Gang will feiern, nachdem es zwischen Future und Rabbit ein klärendes Gespräch gegeben hat, doch Rabbit kehrt wie versprochen auf seine Schicht in die Fabrik zurück.

Hollywood liebt Aufsteigergeschichten. Die müssen nicht einmal bis auf den einsamen Gipfel führen, ein Achtungserfolg tut es oft auch. ROCKY (1976) erzählte exemplarisch davon und brachte seinem Autor und Hauptdarsteller dann allerdings das Ticket auf den Olymp ein. Der Rapper Eminem war bereits ein gutes Stück des Weges hinauf zum Sitz der Götter, als er für Curtis Hanson die Hauptrolle in dessen Film 8 MILE (2002) übernahm. Hanson betonte – und Eminem tat sein Bestes, diesen Eindruck zu verstärken – mit dem Film die Geschichte seines Stars zu erzählen, der in widrigen Umständen in den Outskirts von Detroit aufwuchs und sich als (extrem) weißer Junge in harten Rap Battles gegen viele schwarze Jungs durchsetzte, die Hip Hop und Rap für sich beanspruchten, als originären Ausdrucks eines schwarzen urbanen Lebensgefühls.

Hanson berichtet nur von einer einzigen Woche aus dem Leben von Jimmy „B-Rabbit“ Smith jr., der nach der Trennung von seiner Freundin zu seiner Mutter zurückzieht, in einer Fabrik für Autoteile arbeitet und versucht, einen Plattendeal für seinen Sound zu ergattern. Er lebt innerhalb der titelgebenden „8 Mile“, die die Wohngegenden im Inner Circle Detroits, wo meist Schwarze leben, von jenen Vororten trennt, die die Weißen bewohnen. Die „8 Mile“ ist eine soziale Grenze, die üblicherweise für Schwarze unüberwindbar scheint, hier wird sie zu einer kulturellen Barriere, die einem Weißen den Weg zu versperren droht, weil er sich in den falschen musikalischen Gefilden rumtreibt. Es gibt einen Dialog im Film, der dies auf den Punkt bringt. Rabbit und seine Freunde, eine gemischtrassige Gang, diskutieren über die Beastie Boys, jene Truppe, die Rap und Hip Hop in den 80er Jahren für weiße Mittelschichtskinder attraktiv machte, und dabei wird Rabbit darauf hingewiesen, daß deren Sound wohl ok sei, sie aber ein Beispiel dafür wären, wie Weiße mit schwarzer Kultur meist mehr Erfolg hätten, als schwarze Künstler selbst. Eine Erfahrung, die vor allem Bluesmusiker in den 50er, 60er und 70er Jahre gemacht hatten.

Anders, als man es erwarten würde, wird Rassismus als Thema im Film eher zurückhaltend behandelt. Wenn überhaupt, ist Rabbit Opfer des schwarzen Rassismus, weil er immer und überall sofort auffällt mit seiner sehr hellen Haut. Da seine besten Freunde allerdings größtenteils Schwarze sind, tritt dieser Themenkomplex nahezu vollständig in den Hintergrund. Ähnlich steht es mit der für Ghettofilme sonst üblichen Gewaltdarstellung. Obwohl es Andeutungen gibt, daß der eine oder andere hier auf der Schwelle zum Gangstertum balanciert, wird Gewalt weder explizit gezeigt, noch spielt sie eine sonderliche Rolle. Man prügelt sich um Mädchen oder um Vorrechte, doch nie werden Grenzen überschritten und als einer von Rabbits Freunden bei einer Gelegenheit ernsthaft eine Waffe zieht, geht der Schuß buchstäblich nach hinten los, denn er schießt sich ins Bein und trifft eine Arterie, was ihn fast das Leben kostet. Eher ist es häusliche Gewalt, die in einigen Szenen eindringlich und vor allem für Kinder als extrem verstörend dargestellt wird.

Hanson konzentriert sich vielmehr auf eine charakteristische und möglichst authentische Darstellung der sozialen und urbanen Wirklichkeit, in der die Protagonisten seines Films leben. Da erinnert er gelegentlich an jene Werke des ‚New Hollywood‘ der 70er Jahre (denen man auch ROCKY in weitestem Sinne zurechnen kann) und auch an die Filme des New British Cinema der 80er und frühen 90er Jahre, in dem Künstler wie Ken Loach oder Mike Leigh ein England zwischen tristen Backsteinsiedlungen und dem Glitzer des West Ends zeigten, um möglichst viel von der britischen Realität abzubilden und ihre Widersprüche und Gegensätze auszustellen. In Hansons Version gibt es allerdings keinen Glitzer. Die Episoden seines Films spielen zwischen vor Ort gefilmten Tankstellen, in leerstehenden Fabrik- und Abrissgebäuden, in Montagehallen und den Trailern, die diese Menschen bewohnen. 8 MILE vermittelt ein authentisches Bild eines Detroit, das man aus keiner Broschüre kennt. Die soziale Wirklichkeit wird spürbar, aber auch die psychologische Realität dahinter: Rabbits Mutter, die mit einem weitaus jüngeren Mann zusammen ist und ob der daraus entstehenden Beziehungsprobleme gern Rabbits kleinere Schwester und deren Bedürfnisse vergisst, die bereits erwähnte häusliche Gewalt als nahezu normaler Zustand und sogar Kommunikationsmittel, der Dreck und das Elend der Straßen, auf denen diese Jungs groß werden.

Die freitäglichen Rap Battles, in denen man sich gegenseitig sprachlich versiert und mit einem Beat unterlegt gegenseitig disst, inszeniert Hanson dicht und intensiv. Bleibt sein Stil die meiste Zeit des Films konventionell und gelegentlich distanziert, um ein möglichst weites Bild einzufangen, geht die Handkamera in diesen Szenen manchmal unerträglich nah an das Geschehen heran. Wir stehen auf der Bühne zwischen den Kontrahenten, wir sehen den Schweiß, die Pickel, die schlecht geputzten Zähne und sind so mitten im Geschehen. Die Battle Raps selber sind beeindruckende Auswüchse sprachlicher Vielfalt und enormen Rhythmusgefühls, für das Eminem und die übrigen Darsteller, die größtenteils der Szene entstammen, natürlich zu sorgen verstehen. Allerdings muß man diese Art von Sound mögen, damit sich die ganze Kunstfertigkeit, die darin steckt, erschließt. Hanson scheint davon fasziniert gewesen zu sein und drückt diese Faszination gerade durch die Unmittelbarkeit seiner Kamera aus. Musik ist neben der sozialen Realität der Protagonisten – besser: des (weißen) Protagonisten – das oberflächlich bestimmende Thema des Films. Alle diese Jungs wollen irgendwie Erfolg haben, wollen sich mit dem Erfolg eine soziale Verbesserung erkämpfen, wollen gute Autos fahren und in schöneren Vierteln wohnen.

Unterlegt mit einem dichten, rhythmischen Soundtrack, huldigt 8 MILE natürlich den Stars und Sub-Stars der Szene der 1990er Jahre. Er verdeutlicht allerdings unter der Oberfläche, subkutan sozusagen, daß diese Musik eine andere Funktion hatte, als bspw. Rockmusik in den 60er und 70er Jahren. Galt jene klassisch als Soundtrack des (juvenilen) Widerstands, als Begleitung der Revolution oder als Ausdruck, anders als die Vorgängergenerationen sein zu wollen, drücken Rap und Hip-Hop entweder ein extrem sozialkritisches Bewußtsein aus, oder aber sie stehen für den Versuch, mit etwas Eigenem, substantiell Originärem in einer Welt Erfolg zu haben, die nach extrem harten Regeln des Kapitalismus funktioniert. So gesehen ist diese Musik systemkonform, nicht systemkritisch. Erinnert man sich an die Videos der Rap-Stars jener Dekade, erinnert man sich an die permanente Zurschaustellung von Reichtum: Gold, Geld, dicke Ketten und – es war auch eine extreme Machoszene – meist unbekleidete Frauen galten gerade in der Szene der Gangsterrapper als Statussymbole des eigenen Erfolgs. Interessanterweise war es u.a. Enimen selbst gewesen, der diese Struktur aufbrach und Rap neue Dimensionen hinzufügte. Womit er den Stil natürlich auch wieder dem Zugriff weißer Musiker öffnete. Genau dieser Fakt wird wiederum in 8 MILE thematisiert. Und vielleicht muß man Hanson an dieser Stelle den, wenn auch leisen, Vorwurf machen, daß er es sich mit Rabbits Freundeskreis insofern zu leicht macht, als daß er die Überwindung von Rassengrenzen suggeriert oder deren Bestehen und die Auswirkungen, die das hat, zumindest marginalisiert.

Wie man den Film letztlich aufnimmt, ist sicher eine Frage der Einstellung zur Musik und der Erwartung. Die Stärke des Films kann auch als eine Schwäche wahrgenommen werden. Anders als ROCKY – und da unterscheidet sich Hansons Film im Wesentlichen auch von anderen Aufsteigergeschichten aus Hollywood – läuft die Story nicht auf einem maximalen Höhepunkt hinaus. Zwar stellt sich Rabbit, nachdem der Film damit beginnt, wie er bei einer Battle einen Hänger hat und nicht mehr weiter weiß, am Ende einer entscheidenden Sing- und Redeschlacht, die er dann, dem Gesetz des Genres folgend, auch für sich entscheidet, doch wird dies weder triumphal inszeniert, noch erwächst daraus eine dramatische Konfrontation mit seinen Widersachern einer anderen Gang. Im Gegenteil. Da er sich in seinem Beitrag selbst seines Weiß-Seins bezichtigt und seinen Außenseiterstatus thematisiert und annimmt, gibt sein direkter Gegner quasi auf, da er einsieht, diesen ehrlichen Aussagen nichts entgegensetzen zu können. Hanson lässt daraus auch keine melodramatische Situation erwachsen. Rabbit verabschiedet sich von dem Mädchen, das er während der geschilderten Woche kennengelernt hat und die nun nach New York aufbrechen will, und kehrt dann auf seine Schicht in der Fabrik zurück, die er für den Battle Rap unterbrochen hatte. Hanson zeigt uns keinen kometenhaften Aufstieg eines Stars, sondern den kleinen Sieg eines Jungen in einer widrigen Umwelt. Dramaturgisch gesehen, passiert also nicht wirklich viel in 8 MILE.

Damit bleibt der Film seinem Konzept treu. Denn er folgt eben keiner herkömmlichen Dramaturgie, er baut kaum Höhepunkte auf, er verliert sich nicht in Action oder konstruiert die berühmten Turnarounds, die für modernes Script-Writing angeblich so unerlässlich sind, sondern begleitet seine Protagonisten durch eine scheinbar dem Alltag entnommenen Woche ihres durchschnittlichen Lebens. Da passiert dieses und jenes und mal hat das mehr Gewicht und mal weniger. Erwartet man also die Geschichte des Aufstiegs eines Stars, wird man eher enttäuscht sein. Lässt man sich auf ein Sozialdrama ein, das genau hinschaut und viel Aufmerksamkeit für jene kleine Momente hat, die ein Alltagsleben ausmachen, durchaus auch mit Witz, wenn bspw. Rabbit und sein Kumpel Future beginnen, auf SWEET HOME ALABAMA von Lynyrd Skynyrd – gemeinhin eine der Südstaatenhymnen weißer Jungs schlechthin – ihren eigenen Text zu rappen, dann kann man in Curtis Hansons Film ein Kleinod sehen, denn plötzlich entdeckt man hier etwas, was es im amerikanischen Kino der 90er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends kaum gegeben hat: eine treffend beobachtete Sozialstudie, die ein authentisches Gefühl für die Bedingungen urbanen Lebens und der Menschen, die ihnen ausgeliefert sind, einfängt. Und ein Film, der einen neuen, einer anderen Jugendkultur, einer anderen Sprache Respekt zollt und Ausdruck verleiht. Das ist selten und selten ist es so gelungen, wie hier.

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