AUF MESSERS SCHNEIDE/THE RAZOR`S EDGE
Ein Generationenportrait
1944 erschien THE RAZOR`S EDGE (Originaltitel) erstmals und gehört damit zumindest in das spätere, wenn nicht gar das Spätwerk W. Somerset Maughams. Wie so oft in seinem umfangreichen Werk erzählt er auch hier von Amerikanern und Briten in Europa, von Menschen, die ihr Leben großteils mit Müßiggang und Reisen verbringen. Hier umfasst die Erzählung bald zwei Dekaden, der Autor, der sich in einer geschickten Volte selbst in den Text einschreibt, kann auf diese Weise die Geschicke seiner Protagonisten durch wesentliche Abschnitte ihres Lebens verfolgen.
Im Kern der Geschichte begegnen wir dem Schöngeist Elliot Templeton, ein Amerikaner, der sich fast gänzlich als Europäer versteht, durch Kunsthandel zu einigem Reichtum gekommen ist und das Leben eines „Höflings“ führt, wie es einmal im Roman heißt. Er ist ein Snob, ein Lebemann, dessen ganzes Sein um Einladungen, Gesellschaften, Klatsch und Tratsch und seine Stellung in der höheren Gesellschaft von London, Paris oder an der Riviera kreist. Prinzessinnen, Grafen oder Industriemagnaten sind sein tagtäglicher Umgang. Ihm entgegen gesetzt wird Larry, der frühere Verlobte von Elliots Nichte Isabel. Larry verweigert nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er als blutjunger Flieger teilgenommen hat, jedwede berufliche Betätigung und ergibt sich – nach eigener Aussage – dem Müßiggang. Er scheint auf der Suche nach etwas Größerem, etwas Geistigem zu sein, der Roman-Maugham selbst erklärt es Isabel gegenüber einmal mit der Suche nach einem Gott, der nicht als solcher benannt werden könne. Wir heutigen würden es eine spirituelle Suche nennen. Larry, der die enervierende Angewohnheit hat, immer wider für Jahre zu verschwinden, so, wie er auch aus Verabredungen oftmals mit einem schlichten „Guten Abend“ zu verschwinden pflegt, führt seine Suche nicht nur durch das Europa der Zwischenkriegsjahre, sondern auch bis nach Indien und Fernost, wo er Jahre bei einem Guru verbringt und höhere Weisheit erlangt. Eine Weisheit, die ernst zu nehmen sogar Maugham schwer fällt.
Um diese beiden Charaktere herum gruppiert finden wir etliche Figuren, die eine mal größere, mal kleinere Rolle spielen. Neben Isabel ist dies ihre Mutter, Mrs. Bradley, ihr späterer Gatte Guy, sowie einige Bekannte und Freunde, die im Leben der vier Hauptprotagonisten beizeiten auftauchen. Mit viel Ironie und schriftstellerischer Verve beschreibt Maugham den Werdegang und die Erlebnisse dieser Gruppe, allesamt Amerikaner, durch die Jahrzehnte. Ihre emotionale wie gesellschaftliche Zerrissenheit, ihre Erfolge und Katastrophen – nicht zuletzt der Börsenkrach von 1929 wird das Ehepaar Isabel und Guy für Jahre nach Europa bringen, wo Elliot sie mit seinem Vermögen unterstützt. Elliot selbst profitiert durch seine Verbindungen von dem, was wir heute „Insidergeschäfte“ nennen würden, da es ihm gelingt seine Aktienanteile gerade rechtzeitig in Gold umzumünzen. Maugham berichtet von diesen Schicksalen einerseits so beiläufig, wie es ein Mensch, der nur gelegentlich – in manchmal großen zeitlichen Abschnitten – miterlebt, wie sie sich entwickeln, oft aber auch nur vom Hörensagen weiß, wie sich die Wendungen im Leben der einzelnen ergeben haben. Selten, daß Romanfiguren derart lebendig und echt wirken, wie diese.
In einem geschickt entwickelten Einführungskapitel erklärt uns der Schriftsteller, daß er der Meinung ist, ein Brite solle von Briten, ein Amerikaner von Amerikanern berichten usw., da das Portrait fremden Kulturen entstammender Menschen nie gelingen könne. Erklärt´s – und handelt dann auf nahezu 490 Seiten genau gegenteilig. Da er selbst in seinem Roman zunehmend eine tragende Rolle einnimmt, kann er natürlich glaubwürdig bleiben, muß der Leser doch annehmen, hier würde von real existierenden Menschen berichtet, die eben von einem Könner beschrieben werden. Es ist genau diese hintergründige Ironie, die Maughams Kunst zu großen Teilen ausmacht. Es gelingt ihm, in einem fast plaudernden Ton psychologisch genaue, klar umrissene Beobachtungen und Analysen der menschlichen Seele und ihrer Bedingungen zu liefern, die oft von bestechender Klarheit sind und in einer ebenso klaren Sprache dargeboten werden. Das ist leicht lesbar, erinnert gelegentlich an Kamingespräche – und wird damit vor allem Elliots Charakter und dessen Lebensweise gerecht. Nichts darf schwierig sein, alles muß leicht wirken, wie selbstverständlich.
Es ist dieser Elliot Templeton, mit dem Maugham befreundet ist, und der ihn überhaupt in die Geschichte(n) der anderen Figuren verwickelt. Maugham scheut sich nicht, als Berichterstatter, durchaus sarkastisch, manchmal bösartig gegenüber seinen Figuren zu werden und so stellt er weder Elliot noch Isabel in einem rein positiven Licht dar. Im Gegenteil, gerade die junge Dame wird immer wieder als eine durch Dünkel und Engstirnigkeit geprägte Person geschildert. Larrys Sinnsuche versteht sie nicht, die Beweggründe, die manche seiner Haltungen und Handlungsweisen bestimmen, erst recht nicht. Und so schreckt sie auch vor wirklich niederträchtigem Verhalten nicht zurück. Sich selbst skizziert Maugham als jemanden, der sich nicht davor scheut, dies offen auszusprechen. Einzig Larry, eine Figur, die zu durchschauen Maugham sich nicht anmaßt, gehört sein ungeteilter Respekt. Wie dieser junge Kerl das materialistische Leben zurückweist zugunsten reinen Spiritualität, nötigt dem Autor Hochachtung ab – zumindest, bis Larrys Eigenheit Maughams Lebensweise in Frage zu stellen beginnt. In einem langen und im Kontext des Buches eher schwierig zu lesenden Kapitel, in dem Larry ein einziges Mal bereit ist, nicht nur seine Geschichte zu erzählen, sondern auch seine Motiven offen darzulegen, weist ihn der Autor darauf hin, daß den leichtfertigen Umgang mit Vermögen – Larry hat ein nicht großes, doch ausreichendes geerbt – sich nur leisten könne, wer die Armut nie kennen gelernt habe. Maugham selbst war – auch im realen Leben – wenig begütert gewesen, hatte eine strenge Erziehung durchlaufen und war vor allem durch sein Schreiben zu echtem Wohlstand gekommen. Als einer der meistgelesenen englischen Autoren des 20. Jahrhunderts, konnte er mit Fug und Recht behaupten, sich diesen Wohlstand selbst erarbeitet zu haben.
So, wie sie einst in sein Leben kamen, entschwinden die Figuren dem Fokus des Autoren schließlich auch wieder. Es gelingt, all diese Begegnungen, die großen zeitlichen Abstände zwischen ihnen und das Wissen, das oftmals aus zweiter Hand entstammt, so realistisch zu gestalten, das wir während der Lektüre ernsthaft zu glauben beginnen, hier erzähle uns ein alter Freund, den auch wir nur gelegentlich treffen, von denn Entwicklungen aus einem anderen Teil seines Lebens. Das ist literarisch hohe Kunst, die auch den Leser des 21. Jahrhunderts begreifen lassen, weshalb dieser Autor so immens erfolgreich bei Publikum und Kritik war.
Einzig zu kritisieren bleibt Maughams leichte, auch in anderen Werken immer mal wieder aufschimmernde Misogynie. All die Frauengestalten dieses Romans werden einerseits schärfer, dabei andererseits auch kritischer betrachtet, als sowohl Elliot, wie auch Larry. Ihre Fehler, ihre gelegentliche Hinterhältigkeit, ihre Berechnung, kommen sehr viel deutlicher zum Ausdruck und werden auch schärfer beurteilt, als Elliots Snobismus, der an Arroganz und Standesdünkel grenzt, schärfer als Larrys letztlich auch egozentrisches Verhalten jedem anderen gegenüber oder Guys Oberflächlichkeit und schlaffe Persönlichkeit. Es kommt leider schon zum Ausdruck, daß Maugham – sei es der Maugham des Romans, sei es der reale Maugham – Frauen nur schwerlich als gleichberechtigte Gesprächspartner und ebenso gebildete Wesen wie Männer wahrnehmen kann oder will. Hinzu kommen gelegentlich über das Wesen der Frauen und ihr Verhältnis zur Liebe sinnierende Abschnitte, die für (post)moderne Leser nur schwer zu ertragen sind.
Dennoch – THE RAZOR`S EDGE ist ein großartiger Roman, der eben nicht nur durch seine psychologische Genauigkeit besticht, sondern auch durch seine scharf beobachtete, klare Beschreibung des Lebens einer gewissen Schicht zwischen den Jahren der Katastrophen in Europa. Ob amerikanische Oberschicht, eine sich nach dem „großen Krieg“ erst wieder findende europäische Mittelklasse oder die Bohème, deren Müßiggang sich natürlich auch nur leisten kann, wer es sich leisten kann (auch dieser Zusammenhang entgeht dem Autor nicht und wird von ihm ebenfalls mit feiner Ironie dargestellt), W. Somerset Maugham findet für sie alle die richtigen Bilder, den richtigen Ton und den literarisch richtigen Umgang. So kann man auf diesen Seiten auch schlicht Einblick nehmen in eine längst vergangene Zeit.