BRUTALE SCHATTEN/UN HOMME EST MORT
Ein Euro-Thriller, der einen Blick auf die amerikanische Kultur wirft
Lucien Bellon (Jean-Louis Trintignant) kommt nach Los Angeles. Er soll hier einen Gangsterboss töten. Nachdem er diesen Auftrag ausgeführt hat, wird er selbst angegriffen. Der amerikanische Killer Lenny (Roy Scheider) wurde offenbar auf ihn angesetzt.
Bellon flieht und nimmt unterwegs eine junge Mutter und ihren Sohn als Geiseln. Von der Wohnung der Frau aus bemüht er sich, mit seinen Auftraggebern Kontakt aufzunehmen.
Bellon bittet schließlich seinen französischen Verbindungsmann Antoine (Michel Constantine) darum, ihm Anweisungen zu geben, wie er sich verhalten soll. Bellon kennt sich weder in der Stadt aus, noch spricht er sonderlich gut Englisch. Antoine verweist ihn auf Nancy Robson (Ann-Margret), eine Nachtclubtänzerin, die ihm helfen könne.
Bellon findet sie und sie ist, wenn auch unwillig, bereit, ihm zu helfen.
Mir der Hilfe eines Bekannten gelingt es, Bellon zunächst aus der Schußlinie zu bringen. Zudem beginnt Nancy, sich in den Franzosen zu verlieben. Sie sorgt dafür, daß er neue Papiere und ein Flugticket zurück nach Paris erhält.
Derweil untersucht die Polizei den Fall des toten Gangsterbosses und bringt ihn schnell mit der Entführung der Mutter und ihres Kindes in Zusammenhang. Auch Lenny sieht diesen Zusammenhang und sucht nun seinerseits die Frau auf und erpresst von ihr Informationen.
Die Polizei nimmt immer stärker den Sohn und die Frau des toten Gangsterbosses ins Visier. Sowohl Jackie Kovacs (Angie Dickinson) als auch ihr Sohn Alex (Umberto Orsini) hätten Interesse am Tod des Patriarchen gehabt.
Bellon beschließt, nicht nach Paris zurück zu fliegen, sondern vor Ort herauszufinden, was hinter dem Komplott steckt. Nancy fleht ihn an, zu fleihen, er sei in Los Angeles nicht sicher. Doch Bellon ist der Meinung, gerade hier alles aufklären zu können.
Dabei kommt er nach weiteren Versuchen, ihn zu töten, Lenny näher und kann den überzeugen, daß auch er bald auf der Abschußliste der Kovacs stehen werde.
Antoine trifft mit einem Helfer in Los Angeles ein und will nun seinerseits für Ordnung sorgen. Während Lenny bald Opfer der Intrigen wird, erwischt es auch die Kovacs. Aber auch Antoine wird bei Schießereien mit Gangstern und Polizei getötet.
Bellon will schließlich fliehen, doch auch ihm ist es nicht vergönnt zu überleben. Er wird angeschossen und stirbt einsam und allein in seinem Wagen, den er auf einer Brache abgestellt hat. Dabei beobachtet ihn ein Kind.
Jacques Deray zeichnet als Genre-Regisseur für einige Klassiker des französischen Spannungskinos verantwortlich. Darunter LA PISCINE (1969), in dem Romy Schneider und Alain Delon einen ihrer denkwürdigsten gemeinsamen Auftritte auf der Leinwand hatten. Der Killer-Thriller UN HOMMES EST MORT (1972) gehört hingegen nicht zu den bekannten Werken des Regisseurs, entspricht aber in Vielem damaligen Gepflogenheiten europäischer Thriller.
Es gab im europäischen – vor allem im italienischen und französischen Unterhaltungsfilm – Kino in den 60er und den frühen 70er Jahren den Hang zu internationalen Produktionen, bei denen man sich die Namen internationaler Stars sicherte, zugleich aber die Eigenheiten des europäischen Films und seiner Inszenierung beibehalten wollte. So entstanden oft Werke, die, achtet man auf die Namen der Schauspieler, nach Hollywood aussehen, die jedoch in Stil und Haltung ganz dem nachdenklicheren, oft auch zurückhaltenden europäischen Film entsprachen, der zugleich auch härter, pessimistischer sein konnte als das amerikanische Kino der Zeit.
UN HOMME EST MORT gehört genau in diese Sparte. Neben dem in Frankreich und dem europäischen Ausland gerade – nicht zuletzt aufgrund seiner Rolle in Sergio Corbuccis Italo-Western IL GRANDE SILENZIO (1968) – zum wirklichen Star aufstrebenden Jean-Louis Trintignant bietet die Besetzungsliste den ebenfalls seit seiner Nebenrolle in William Friedkins THE FRENCH CONNECTION (1971) einem breiteren Publikum bekannten Roy Scheider und als weibliche Counterparts Ann-Margret und Angie Dickinson auf. Dennoch ist der Film in seinem Erscheinungsbild eine durch und durch französische Produktion. Deray lässt es sich trotz des zutiefst ernsthaften Themas und der ebenso ernsthaften Inszenierung des Stoffes nicht nehmen, hier und da ironische Seitenhiebe auf die amerikanische Kultur zu setzen und den von Trintignant gespielten Auftragskiller Lucien Bellon (wenn er denn wirklich so heißt) durch ein Los Angeles stolpern zu lassen, daß er nicht versteht und welches ihm den ganzen Film hindurch fremd bleibt.
Kameramann Silvano Ippoliti fängt dieses Los Angeles für Deray nüchtern ein, stellt es mit viel Distanz aus und erliegt nicht, wie andere europäische Filmschaffende, der Versuchung, die Stadt in ihren schier endlosen Ausmaßen und in ihrem so spezifischen Licht amerikanischer darzustellen, als es Amerikaner tun würden. Im Gegenteil hält er sich stark zurück, widmet sich immer wieder Details, an denen die Kamera hängenbleibt, die er heranzoomt – ein für das amerikanische Kino eher unübliches Stilmittel – und denen er damit eine Bedeutung beimisst, die sich nicht direkt erschließt, jedoch viel zur Atmosphäre des Films beiträgt. Und diese Atmosphäre ist eine ausgesprochen kühle.
Bellon sucht ein Haus in Beverly Hills auf, mitten zwischen den Villen der Superstars, und tötet hier den Besitzer, einen mit dem organisierten Verbrechen verbandelten Geschäftsmann. Bellon steht aber verloren auf der Straße vor dem Anwesen und muß sich eines an der Außenmauer befestigten Telefons bedienen, um mit dem Personal im Haus Kontakt aufzunehmen und um Einlaß zu bitten. Seinen Wagen hat er einfach am Straßenrand stehen lassen, ebenfalls ein eher unübliches Verfahren in einem Viertel wie Beverly Hills. Dem Telefon widmet Ippoliti viel Aufmerksamkeit, holt es mittels des Zooms nah heran, macht es für einen kurzen Moment zu einem Sinnbild dieser Stadt und ihrer Bewohner, bzw. zum Symbol einer Kultur des Uneigentlichen, in der Kommunikation kaum mehr direkt stattfindet und wenn, dann in Codes. Diese Sprachlosigkeit spiegelt sich in Bellons Defizit, sich mit seiner amerikanischen Umwelt austauschen zu können – ein Detail des Films, das vor allem im Original verhaftet und leider vom Drehbuch immer dann fallen gelassen wird, wenn es dramaturgisch nicht mehr passt. Allerdings könnte der aufmerksame Beobachter den Eindruck gewinnen, daß Steven Soderbergh für THE LIMEY (1999) auf genau dieses Merkmal des Films zurückgegriffen hat, um die Entfremdung zu vermitteln, die Terence Stamp als britischer Killer in einer ihm so fremden Umgebung – erneut Los Angeles – empfindet.
Leider weist UN HOMME EST MORT gerade in der ersten Hälfte eine ganze Reihe dramaturgischer Eigenheiten auf, die ihm als Stärke wie auch als Schwäche ausgelegt werden können. Deray gibt seinem Film zunächst ein gemächliches Tempo, lässt sich viel Zeit, um Bellon auf seinem Weg vom Flughafen ins Hotel und von dort an den Ort des Auftrags zu begleiten, wobei wir nahezu nichts über den Mann erfahren, dem wir da zuschauen. Ebenso unvermittelt und unerklärlich geschehen die ersten Angriffe auf Bellon durch den von Scheider gespielten Killer namens Lenny. Dadurch, daß beide als Figuren völlig abstrakt bleiben, geschichtslos, bekommt auch Derays Film eine abstrakte Note. Hat man es mit einem existenzialistischen Drama zu tun, für welches gern Killer und ihre Profession herhalten müssen, da sie, filmisch gesehen, immer Außenseiter und damit einsame Wölfen sind? Filme wie Allen Barons BLAST OF SILENCE (1961) und natürlich Melvilles LE SAMOURAI (1967) haben diese Sichtweise exemplarisch vorexerziert und damit auf Dekaden hinaus bestimmt, wofür Profikiller im Film zu stehen haben. Oder soll dies ein Drama, auch psychologischer Natur, sein?
Der Zweikampf, den sich Bellon und Lenny durch den Film hindurch liefern, erinnert auch ein wenig an das Duell zwischen Lee Marvin und Toshirō Mifune in John Boormans Kriegsfarce HELL IN THE PACIFIC (1967). Dort führen ein Amerikaner und ein Japaner, obwohl aufeinander angewiesen, den Krieg einfach immer weiter fort, da es schlicht ihrer Natur entspricht. Erst im Laufe der Handlung, und in dieser erst sehr spät, erfahren wir mehr über Bellon und erhalten dadurch den Eindruck, daß der Mann vielleicht gar nicht der Profi ist, der zu sein er vorgibt. Er erklärt Ann-Margret, die sich sehr schnell in ihn verliebt hat – ebenfalls eine dramaturgische Schwäche des Films, die man nicht verheimlichen sollte, ist diese Wendung psychologisch überhaupt nicht nachzuvollziehen – daß er Spielschulden habe und deshalb den Auftrag zum Mord an der Unterweltgröße angenommen habe. Es bleibt im Raum stehen, ob er damit nun einen weiteren Mord unter vielen begangen hat, oder einen solchen Auftrag erstmals durchführt. Nimmt man die – zumindest aus heutiger Sicht – eher dilettantische Art und Weise, mit der er vorgeht als Hinweis, dann scheint dies sein erster Auftragsmord gewesen zu sein. Denn weder achtet Bellon sonderlich auf Diskretion, noch darauf, unter dem Radar von Polizei und Widersachern zu bleiben. Auch seine Unsicherheit, wie er sich in dem Moment verhalten soll, in dem er begreift, daß er selbst der nächste auf der Todeslist von wem auch immer ist, zeugt nicht gerade von professionellem Verhalten. Er entführt eine Frau und nimmt sie und ihr Kind als Geiseln; in der Wohnung der beiden verhält er sich ebenfalls unklug, als er das Kind schlägt, weil es sich nicht an die Anweisungen seiner Mutter und die von Bellon hält; die Auseinandersetzung mit Lenny geschieht meist in aller Öffentlichkeit, auf den nächtlichen Freeways der Stadt, auf brachliegenden Abraumhalden oder direkt in den Straßen. Und so drängt sich dem Zuschauer auch in Bezug auf Lenny irgendwann der Verdacht auf, daß der Mann zumindest nicht zu den besten seines Fachs gehört, so häufig lässt er Chancen, Bellon zu töten, außer Acht, so aufmerksamkeitserregend benimmt er sich, scheut sich nicht einmal, auf Polizisten zu schießen usw.
Es lässt sich darüber streiten, ob UN HOMME EST MORT hier unter gewissen inszenatorischen Defiziten leidet, oder ob Deray dies bewusst so gewollt hat, um die amerikanische Kultur (oder Un-Kultur, wie man will) noch stärker zu diskreditieren. Denn so, wie er es darstellt, ist dieses Amerika ausschließlich eine Kultur der Gewalt, in der selbst jene, die vermeintlich ihre Opfer werden – die entführte Mutter sei hier exemplarisch erwähnt – nur an der Sensation und der öffentlichen Aufmerksamkeit interessiert sind, die sie erregen. Eine Kultur des Spektakels, um hier einmal den französischen Situationisten Guy Debord zu paraphrasieren. Das Spektakel ist hier allerdings ein ununterbrochenes. Die gesamte, an sich riesige Stadt scheint zu vibrieren, voller Lust auf Gewalt und Mord. An den Schauplätzen und Tatorten finden sich sofort Fernsehteams ein und drängen die Beteiligten zu Aussagen.
Trotz der Längen und des gelegentlich unverständlichen Verhaltens der Protagonisten in der ersten Hälfte des Films, nimmt UN HOMME EST MORT schließlich doch Tempo auf und liefert dem Zuschauer einige spektakuläre Verfolgungsjagden. Darunter eine, die durch Venice führt, ein Viertel südlich von Santa Monica, das u.a. von Kanälen geprägt ist, über die kleine Brücken führen. Wenn nun Bellon und Lenny mit ihren Wagen über diese Kuppen krachen, wirkt dies wie eine Parodie auf die bis heute selten erreichte Verfolgungsjagd in Peter Yates´ BULLITT (1968). Da rasen die Wagen allerdings durch San Francisco, was durchaus beeindruckende Sprünge und Crashs nach sich zieht. Deray bietet schließlich ein Ende für seinen Film, der keine Zweifel aufkommen lässt, daß dies durchaus ein existenzialistisches Drama ist. Und Jean Louis Trintignant darf eine der schönsten und auch seltsamsten Sterbeszenen des Kinos spielen.
Alles in allem kann UN HOMME EST MORT nicht so überzeugen wie andere europäische Thriller und Spannungsfilme der Zeit, doch ist er ein interessantes Beispiel dafür, wie sich amerikanisches und europäisches Kino gerade in den 60er und 70er Jahren beeinflussten, bzw. wie der Einfluß des europäischen Kinos auf das amerikanische zunahm. Der europäische Blick auf die USA und die amerikanische Kultur trug eindeutig dazu bei, daß amerikanische Filmemacher wie Robert Altman oder Hal Ashby ebenfalls einen entfremdeten, distanzierten Blick auf das eigene Land, die eigene Kultur zu werfen begannen.
So korrespondiert Derays Film mit den in den 70er Jahren so beliebten Paranoia-Thrillern aus US-Produktion. Wie dort, wird auch hier der Eindruck erweckt, daß der Killer (oder generell der Einzelne) letztlich nur ein Rad in einer nicht zu überblickenden Maschinerie ist. Der Zuschauer vermutet bald ungeahnte Kräfte hinter der Verschwörung, der offenbar nicht nur der zu tötende Gangsterboss, sondern auch Bellon selbst zum Opfer zu fallen droht. Dieser Entfremdungseffekt wird natürlich verstärkt durch die für Bellon unüberschaubare Stadt und die Tatsache, daß er sich kaum verständigen kann. So wird Amerika als Chiffre zu einem nicht lesbaren Zeichensystem, in dem der Killer selbst zum Gejagten wird.