DAS GEBOT DER RACHE/DEAD MAN´S GRAVE
Ein gut zu lesender und leidlich spannender Krimi
Seit Ian Rankin und dessen Inspector John Rebus werden geneigte Krimi-Leser*innen beim Begriff „Schottland“ natürlich aufmerksam. Denn in dessen Hauptstadt Edinburgh ermittelt Rankins Figur, mittlerweile in den Ruhestand versetzt und dennoch wieder dabei. Im Falle von Max Craigie sieht das anders aus.
Autor Neil Lancasters Hauptfigur lebt und arbeitet in und um Glasgow, wird in seinem ersten Fall DAS GEBOT DER RACHE (DEAD MAN´S GRAVE, Original erschienen 2021; Dt. 2023) jedoch in den Norden Schottlands beordert, als dort der Kopf eines Glasgowers – nein, des Glasgowers – Gangsterclans aufgefunden wird. Der Mann liegt in einem Grab, das die Zeile Dieses Grab darf niemals geöffnet werden schmückt. Seine Söhne fordern die Polizei ultimativ auf, den Täter zu finden, die Bestrafung, daran lassen sie wenig Zweifel aufkommen, werden sie dann selbst übernehmen. Und so stapeln sich bald zwischen der größten Stadt Schottlands und den abgelegenen Highlands im Norden des Landes immer mehr Leichen, teils grausig zugerichtet. Craigie und eine junge Polizistin, die ihm zur Seite gestellt wird, versuchen, den Gangstern immer einen Schritt voraus zu sein, müssen aber feststellen, dass es sich genau andersherum verhält. Und so wird der Fall nicht nur zu einer Suche nach einem Mörder, sondern mehr und mehr zu einer Korruptionsermittlung. Denn offenbar haben die Anführer der Glasgower Unterwelt beste Verbindungen in die schottische Polizei…
Lancaster hat einen wirklich klassischen Kriminalroman geschrieben. Die Polizei jagt Verbrecher, die Leser*innen folgen ihnen dabei, meist sind sie genau so schlau, wie die Hauptfiguren, gelegentlich befinden sie sich – um des Spannungsaufbaus willen – ein wenig im Vorteil und wissen bereits etwas, das Craigie und seine Mitstreiterin noch nicht herausgefunden haben. So fürchtet das Publikum lange Zeit um seine Helden und Heldinnen – auch, wenn wir schnell begreifen, dass ihnen wahrscheinlich nichts geschehen wird. Schließlich gibt es mittlerweile mehrere Bände um den Ermittler Max Craigie.
Lancaster hat seinen Helden mit der handelsüblich traurigen Geschichte ausgestattet, so dass die Figur die nötige emotionale Fallhöhe besitzt, damit sie auch abseits des aktuellen Falles Interesse auslöst und behält. Das ist allerdings typisch für aktuelle Kriminalromane (wie erfrischend, wenn man dagegen die Romane einer Josephine Tey liest, erschienen zwischen 1929 und den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, deren Inspector Alan Grant zwar ein Privatleben besitzt, aber selten bis nie von depressiven Anfällen oder sonderlich tragischen Gedanken oder Emotionen befallen wird, schlimmstenfalls diagnostiziert er sich als urlaubsreif), in denen es scheinbar nicht möglich ist, dem Publikum Polizisten zu präsentieren, denen nichts Tragisches widerfahren ist. Aber letztlich sind dies Petitessen.
Lancaster hat da eine interessante Hauptfigur erschaffen, die mit ebenso interessanten Nebenfiguren umgeben ist. Der Hintergrund der Geschichte ist vergleichsweise gut recherchiert, es entsteht Spannung, das Publikum bangt um die Protagonisten. Es entsteht eine teils fiebrige, fast paranoide Atmosphäre, in der man bald nicht mehr weiß, wem zu trauen ist. Die Protagonisten drohen einer Verschwörung und den Machenschaften im eigenen Apparat zum Opfer zu fallen. Der Autor versteht es dabei, etwas spezifisch Schottisches herauszuarbeiten und sowohl Glasgower als auch das Lokalkolorit der Highlands, also des ländlichen Schottlands zu verbreiten.
Das alles ist weder sonderlich anspruchsvoll, noch spielt es in der ersten Liga der Krimikunst – schon gar nicht da, wo John Rebus und seine Getreuen angesiedelt sind – doch für eine gute und spannende Lektüre ist es allenthalben gebräuchlich. Und manchmal will man ja einfach nur das – Gebrauchsliteratur.