DAS HAUS DER FINSTEREN TRÄUME/A COSMOLOGY OF MONSTERS

Shaun Hamill entführt seine Leser in seinem Debutroman in eine manchmal monströse Welt

Manchmal fragt man sich, nach welchen Kriterien man ein Buch eigentlich bewerten soll – und will? Sprachliches Vermögen? Inhalt – also Story, Spannungsbogen, Personal, Tiefgründigkeit? Danach, ob man es mit „Unterhaltungsliteratur“ oder „ernsthafter“ Literatur zu tun hat? Danach, ob der Autor bekannt ist und also möglicherweise schon eine Messlatte gelegt hat, die er überspringt oder reißt?

Shaun Hamill hat mit DAS HAUS DER FINSTEREN TRÄUME (2020; Original: A COSMOLOGY OF MONSTERS; 2019) seinen Erstling vorgelegt. Nominell ein Roman aus dem Horrorgenre, hat man es de facto eher mit einem mild grusligen Fantasyroman zu tun, der eine Familiengeschichte ummantelt. So hätte man es hier schon mal mit einem möglichen Kriterium zu tun: Leserverführung. Hält der Roman, was er verspricht? Nun kann Hamill natürlich nichts dafür, wie sein Buch beworben und vermarktet wird. Aber der geneigte Anhänger des gepflegten – oder sogar rüden – Horrors sei gewarnt: Das ist kein Horror!

Hamill führt den Leser in die Welt der Familie Turner. In den späten 60er Jahren lernen sich Vater Harry und Mutter Margaret kennen und lieben, sie heiraten und bekommen zwei Töchter. Als mit dem Ich-Erzähler Noah das dritte Kind unterwegs ist, beginnt bei zugleich Harry eine Veränderung einzusetzen, die ihn immer abweisender macht. Er hat eine schwere Krebserkrankung und stirbt kurz nach Noahs Geburt. Der Junge wächst in eine Familie hinein, die einige Geheimnisse hütet. Er wird nicht eingeweiht, hat aber schnell seine eigenen Geheimnisse. Denn während seine Mutter und die älteren Schwestern das Projekt fortführen, das Vater Harry noch begonnen hatte – ein Spukhaus, das explizit in den Wochen vor Halloween geöffnet wird und die Gäste durch eine schaurige Welt der Monster führt – macht Noah die Bekanntschaft eines wirklichen Monsters. Die Freundschaft, die er mit dem fremdartigen Wesen schließt, wird über Jahre halten, erstaunliche Wendungen nehmen und schließlich sein Leben und das seiner Familie maßgeblich beeinflussen…

Diese Handlung erstreckt sich letztlich über Jahrzehnte und es gelingt Hamill geschickt, einen roten Faden zu spinnen und seinen Figuren so viel Leben einzuhauchen, daß man ihre Entwicklungen und Veränderungen nachvollziehen kann. Zwischen die einzelnen Abschnitte des Buches werden Kapitel eines Textes eingeschoben, die Noahs ältere Schwester Eunice geschrieben hat und die neben Hinweise auf die Hintergründe zu geben auch die Entwicklung der einzelnen Charaktere durch die Jahre hindurch zumindest grob umreißen. Und diese Charaktere sind glaubwürdig, mehr noch: Sie sind vielschichtig. Harrys Veränderung ist schnell per Tumor erklärt, der EInfluß auf seinen Charakter nimmt, doch vor allem die Kälte von Mutter Margaret nimmt erschreckende Züge an und so hat man es schnell mit einem Familiendrama zu tun, das Drama eines ungeliebten (oder wenig geliebten) Kindes. Nachdem Noahs älteste Schwester eines Tages verschwindet und dieses Verschwinden nie aufgeklärt wird, nimmt das Schicksal der Familie erst recht eine ungute Wendung. Eunice verfällt zusehends Depressionen, Noah treibt sich meist allein herum – oder eben mit seinem monströsen Freund.

Für einen Debütanten beherrscht Hamill seinen Stoff erstaunlich gut. Er hält eine gewisse Grundspannung, er verheddert sich nicht in abschweifenden Nebenhandlungen, bietet aber genug Material, damit diese Geschichte nicht verflacht, erhält zudem – und das ist vielleicht das größte Verdienst – die Balance zwischen einem konkreten Monsterroman und einem Familiendrama, in dem man nie recht weiß, ob diese Monster möglicherweise Einbildungen sind. Noahs Freundschaft zu dem pelzigen Wesen kann eine ganz konkrete Erfahrung sein – es könnte aber auch ein Fabel-Wesen sein, das einem einsamen Kind Gesellschaft leistet. Eine Phantasmagorie, die dem Jungen hilft, die Kälte seines Zuhauses zu ertragen und durch die Unbilden der Kindheit und Pubertät zu kommen.

Der Roman ist – auch das ein anzuerkennendes Verdienst – nicht zu lang. Mit 464 Seiten hält es eine mittlere Länge und langweilt den Leser nie, ist aber auch nicht so kurz, daß der Eindruck entstünde, da hetze jemand durch seine Story.

Kritisch bleibt dann also am ehesten anzumerken, daß diese Geschichte – wie alle fiktionalen Geschichten – eben zu einem Ende kommen muß. Und dieses Ende verlegt sich dann vollends in das Reich der Fantasy. Das ist in Ordnung, das kann man schlecht kritisieren, wenn man weiß, daß man es mit einem Genreroman zu tun hat, es ist aber dennoch schade, weil das eigentlich psychologisch gut angelegte Drama an sich schon interessant ist. Allerdings – und das wäre dann für einige vielleicht wieder ein ganz eigenes Kriterium zur Beurteilung eines Werkes – macht es Hamill sich nicht zu einfach und präsentiert ein Happy-End, das den Leser in Wohlbefinden entlässt. Vielmehr kann Noah zwar das Schlimmste verhindern, zahlt dafür aber einen hohen Preis. Und auch die, die er erretten kann, sind nicht unversehrt.

DAS HAUS DER FINSTEREN TRÄUME kann also als Debut-Roman durchaus überzeugen, es kann fesseln, es gruselt eher beiläufig, es bietet keinen Splatter, wenig Blut und nur gelegentliche Elemente eines wirklichen Horror-Romans, dafür aber weist es eine gut durchdachte und eben vielschichtige Story auf. Wie viele Debutanten in der Postmoderne macht auch Hamill kaum einen Hehl aus seinen Vorbildern. Harry ist ein großer Fan von Pulp-Magazinen, er sammelt Bücher von H.P. Lovecraft und anderen modernen Klassikern der Horror-Literatur und baut darauf auch die Idee des Spukhauses auf. Hamill wiederum baut das Gerüst seines Romans ebenfalls auf der Basis dieser Klassiker auf, was vollkommen in Ordnung ist. Er weiß aus seinen Einflüssen dann durchaus etwas Eigenes zu generieren.

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