DAS STREICHELINSTITUT

Clemens Berger eröffnet Perspektiven auf den homo oecinomicus

Die österreichische Literatur ist voller kluger, vielschichtiger, tiefer und vor allem auch witziger Stimmen. Von den Klassikern wie Joseph Roth oder Heimito von Doderer über die unvergleichlichen Schwergewichte Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Peter Handke bis zu jenen vielleicht weniger bekannten aber doch nicht weniger wirkmächtigen Autor*innen wie Marlene Streeruwitz, Gerhard Roth, Michael Köhlmeier, Eva und Robert Menasse oder Lilian Faschinger, bringt dieses kleine Land wieder und wieder Literat*innen hervor, die die Weltliteratur nicht nur bereichern, sondern oft auch subversiv unterwandern, ihr häufig Neues hinzufügen und Altes wegschneiden.

Ob der 1979 im Burgenland geborene Clemens Berger in diese Kategorien wird aufsteigen können, das wird sich zeigen, sein mittlerweile doch schon recht umfangreiches Werk weist aber in die Richtung. DAS STREICHELINSTITUT (2010) war bereits Bergers dritter Roman und zeigt einen Schriftsteller, der konsequent und sicher über seine Mittel verfügt und etwas zu erzählen hat. Und zwar vor allem auf witzige Art und Weise. Witz gepaart mit Bildung und der Lust am Fabulieren hat in der Literaturgeschichte schon häufig zu äußerst amüsanten und vor allem klugen Ergebnissen geführt. So auch hier.

Erzählt wird die Geschichte, wie Sebastian, der sich als eine Art moderner Taugenichts durchs Leben schlägt, sein Philosophiestudium nicht mit einer eigenen Dissertation abschließt, stattdessen prekärer Weise davon lebt, die anderer zu schreiben und, da er mit fortschreitendem Alter, mittlerweile in seinen Dreißigern angelangt, die altlinken Träume einer klassenlosen Gesellschaft so langsam gegen einen doch eher zynisch geprägten Blick auf die moderne – eher postmoderne – Welt eintauscht, wie dieser Sebastian nun also beschließt, auf seine „alten“ Tage zu einem homo oeconomicus zu werden und am kapitalerträglichen Leben teilzunehmen. Da seine Freundin Anna – die er über alles liebt und doch mit Észter betrügt, die er bei einem Kurztrip nach Ungarn kennengelernt hatte und ebenfalls auf verzweifelte Art zu lieben meint – ihn immer wieder für seine Qualitäten als Streichler lobt, beschließt Sebastian, unter dem Namen Severin das titelgebende Streichelinstitut zu gründen. Und entgegen aller Erwartungen läuft es hervorragend. So treten einige Menschen in Sebastians Leben – allen voran Irene Fischer, die eine wesentliche Rolle in der weiteren Entwicklung des Helden als auch des Romans spielen wird – die seinen Horizont und den Blick auf das Leben scheinbar erweitern.

Vor allem aber muss Sebastian gewahr werden, dass er sich, wie noch jeder, der sich dem Kapitalismus unterworfen hat, verändert. Entfremdung ist dabei das Zauberwort. Und die Entfremdung beginnt und endet in seiner persönlichen Beziehung, also der zu Anna. Berger lässt diesen Mann als ungemein gebildeten und gewitzten und gewieften Kerl auftreten, der, wie so viele seiner Generation, eine Mauer aus Worten und klugen Gedanken zwischen sich und der Welt erbaut, um deren wirklichen Ansprüchen nicht ausgeliefert zu sein oder gerecht werden zu müssen. Dabei driftet Sebastian immer wieder in Zynismen, um sich die Erkenntnisse sowohl hinsichtlich seines eigenen Daseins als auch jener hinsichtlich der Welt als solcher möglichst vom Leib zu halten. Und doch wird er immer wieder von den eigenen Emotionen übermannt, gelingt es ihm nicht, die eigene Verletzlichkeit im Zaum zu halten oder gar zu besiegen. Ganz im Gegenteil – je mehr er sich den ökonomischen Begehrlichkeiten der Wirklichkeit anpasst, desto verletzlicher wird er scheinbar.

Es hat natürlich schon seine Art, einen Menschen wie diesen an der auch schon in den Nullerjahren des neuen Jahrtausends grassierenden Wellness- und Wohlbefindlichkeitsindustrie als Streichelnden teilhaben zu lassen. Dort, wo Achtsamkeit, Sensibilität, Selbstwahrnehmung, Selbstwissen und Selbstverwirklichung sehr groß geschrieben werden, wo der Mensch ganz er selbst sein soll, zumindest werden soll, kommt das Werden doch vor dem Sein, dort also siedelt Clemens Berger einen Menschen an, der die Liebe mit den Worten der MINIMA MORALIA Adornos zu erfassen sucht. Jene Gefühle, von denen zu sprechen sich eigentlich verbietet, gerade weil es Gefühle sind, möglicherweise (neben der Angst) die wirkmächtigsten, die wir kennen. Schon das mutet zynisch an, und so begegnet Sebastian/Severin seinen Kund*innen zunächst auch. Er glaubt, an ihren selbstbetrügerischen Versuchen, ihre Seelen und Körper achtsam zu synchronisieren, verdienen zu können. Doch muss er erkennen, dass in dieser Synchronisation – die mit Marx gesprochen im Kapitalismus ja eigentlich nicht mehr möglich ist – eben viel mehr steckt, als er erwartet hatte. Letztlich – und wer hätte das gedacht? – sogar humanistisches Potential.

Klugerweise wird Sebastians Freundin Anna als Dozentin an der Universität eingeführt, die an der Universität in einer prekären Anstellung vor allem Seminare zu Strukturalismus und Poststrukturalismus, den Postmodernen also wie Foucault und Deleuze, zu Agamben und Konsorten gibt. Und ohne je genannt zu werden, liegt so auch Roland Barthes´ FRAGMENTE EINER SPRACHE DER LIEBE immer in geistiger Griffnähe. Denn im Grunde geht es in diesem so klugen und hintersinnigen Roman vor allem darum: Die Liebe. Die Liebe in verschiedenen Facetten im neuen Jahrtausend, in dem alle Gewissheiten, auch und gerade die emotionalen, längst abhandengekommen sind. Ist es Anna, mit der ein Mann wie Sebastian alt werden will und, wie es ihn immer wieder in den düsteren Momenten seines Zweifelns überkommt, das von einem Alt- oder Noch- oder Immer-noch- oder nicht-mehr-wirklich-Linken so verachtete bürgerliche Leben führen will? So mit allem Drum und Dran? Mit Kind und Urlaub im Sommer und geregeltem Einkommen? Oder ist man(n) nicht längst auch im postmodernen Liebesgeflecht angekommen, wo die schnöde Zweierbeziehung lange überholt ist zugunsten einer polyamourösen Wirklichkeit? Monogamie ist doch sowas von vorgestern, oder? Und, ganz ehrlich, geht es überhaupt noch um Liebe? Oder geht es eigentlich, sehr eigentlich, nicht um Sex? Also um die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, die im Institut fürs Streicheln nämlich ganz explizit nicht bedient werden sollen. Findet Sebastian – Severin wird von Irene Fischer allerdings eines Besseren belehrt.

Berger versteht es brillant, das ökonomische Wesen Mensch, zu dem wir im Westen (was immer das auch sein mag, mittlerweile) nach über dreißig Jahren neoliberaler Beeinflussung, ach was, Beschallung, wenn nicht gar Indoktrination, nun einmal geworden sind, mit dem romantischen Wesen zu koppeln, das wir vielleicht einmal waren, als das wir uns allerdings – angefeuert durch etliche, meist schlechte, Filme, meist schlechte Serien und, ja auch das, oftmals schlechte Bücher – immer noch betrachten wollen. In der Ökonomisierung kommt alles zusammen, wird auf einen Nenner gebracht und verkürzt und plötzlich funktioniert der Zugriff nicht einmal mehr mit den alten Begrifflichkeiten, die uns Marx und Engels gelehrt haben. Es ist nahezu folgerichtig, dass dieser Roman in jenem Moment endet, in welchem die internationalen Märkte zusammenbrechen und jene Finanzkrise beginnt, die dann das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends prägen sollte.

Und was geschieht? Wir machen einfach weiter. Clemens Berger entlässt sein Publikum ohne „Lösungen“ aus diesem Roman, nurmehr Fragen bleiben. Ratlosigkeit greift allenthalben um sich und selbst die Selbstgewissen, wie Irene Fischer, die sich, die neue Liebesökonomie ebenfalls einmal ausprobierend, in die Beziehung zwischen Anna und Sebastian drängt (und damit nur einen von Sebastian im Grunde mit Észter längst vollzogenen Betrug in eienr zweiten, uneigentlichen Bewegung nachvollzieht), wissen nicht mehr wohin mit sich. Letztlich – und das ist vielleicht die eine wirkliche Schwäche dieses Romans, dass er zu banalen, hinlänglich bekannten Einsichten gelangt – letztlich ist es der schnöde Mammon, der alles Denken und damit auch das Handeln bestimmt. Auch das jener, die sich noch so frei, freigeistig, feinsinnig zu definieren meinen.

Das ist trotz all seines Witzes und vielleicht gerade wegen der klugen Gedanken, die hier Seite für Seite ausgebreitet werden und nicht nur von Sebastians Belesenheit, sondern auch der des Autors zeugen, manchmal etwas anstrengend zu lesen. Man wird geradezu überwältigt von den Analogien, den Kurzschlüssen, den Verbindungen, die der Ich-Erzähler den Lesenden anbietet. Und manchmal nervt diese ganze Klugscheißerei, die das alles in seiner Gänze natürlich auch ist. Aber sei´s drum. Man spürt, hier ist die nächste Generation österreichischer Autoren angekommen, die der Weltliteratur wiederum eine eigene Sicht, clevere Gedankengebilde und vor allem sehr viel Humor beifügen werden. Wir sind gespannt. Wir sind bereit.

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