DER GOLDENE HANDSCHUH (Roman)

Heinz Strunk bietet ein Sittengemälde der 1970er Jahre unter spezifischen Hamburger Bedingungen

Serienmörder sind so eine Sache. Man kann in der Kriminalliteratur und auch im Film schon von einem eigenen Genre, zumindest einem Sub-Genre, sprechen, wobei sich die Serienmörder im Film eher in Horrorfilmen herumtreiben. Der Typus ist im Laufe der vergangenen 20, vielleicht 30 Jahre immer weiter verfeinert und nach und nach zu einer Kunstfigur geworden. Allen voran Hannibal Lecter, Thomas Harris´ Schöpfung, ein Kannibale mit außergewöhnlichem Geschmack, wurden sie geradezu hofiert. Intelligent, intellektuell und ästhetisch anspruchsvoll, nehmen sie unter den Mördern eine Sonderstellung ein. Was kann man der Figur des Serienmörders also noch hinzufügen, ohne in die Falle des Klischees zu tappen? Und was erst kann man den wenigen deutschen Serienmördern abgewinnen?

Heinz Strunk, vor allem durch seinen Roman FLEISCH IST MEIN GEMÜSE (2004) einem breiteren Publikum bekannt geworden, geht eine radikal anderen Weg, als seine amerikanischen und britischen Kollegen, und nimmt ich in seinem Roman DER GOLDENE HANDSCHUH (2016) eines Serienmörders an, der in den 1970er Jahren in Hamburg, im Umfeld der Reeperbahn, sein Unwesen trieb – Fritz Honka, genannt „Fiete“. Doch sind es weniger Honkas Taten – er brachte zwischen 1970 und 1974/75 vier Frauen um, deren Leichen er zerstückelte und teils in der Umgebung seiner Wohnung in Hamburg-Ottensen ablegte, teils in seiner Wohnung deponierte, wo sie schließlich durch Zufall bei einem Wohnhausbrand entdeckt wurden – , die Strunk interessieren, sondern das Umfeld, aus dem dieser stammt, das Milieu, in dem er sich bewegte und vor allem die Frage, ob diese Taten milieugebunden sind, also Folgen gewisser sozialer Bedingungen, oder aber eher allgemein menschlichen Abgründen und menschlicher Verkommenheit geschuldet.

Dennoch oder trotz dieses Ansatzes, ist sein Roman vor allem eine Milieu- (und darin eine Sprach-) Studie geworden. Sehr genau beschreibt Strunk jene Kneipe, die seinem Roman den Titel geliehen hat, jenen „Goldenen Handschuh“, wo sich Honka regelmäßig herumtrieb und wo er – neben jeder Menge Alkohol, den er in enormen Mengen konsumierte – auch die Frauen traf, die er als Opfer seiner sexuellen Machtphantasien, aber auch als Opfer seiner Gewaltphantasien, auserkoren hatte. Wobei „auserkoren“ wohl dass falsche Wort ist, da so, wie Strunk diese Entwicklungen beschreibt, die Bekanntschaften eher zufällig waren und vor allem darauf beruhten, daß selbst jemand wie Fritz Honka – durch einen fürchterlichen Unfall in seiner unglücklichen Jugend verunstaltet – hier Menschen, vor allem Frauen, treffen konnte, die noch tiefer gesunken waren, als er selbst. Gelegenheitsprostituierte, harte Trinkerinnen, Menschen am unteren Rand der Gesellschaft. Leichte Beute. Hilflos in einer Gesellschaft, die ihnen kein Gehör schenkte und die sie nicht interessierte.

Strunk enthält sich lange jedweder Beschreibung von Honkas Taten. Es sind Andeutungen, die den Leser ahnen lassen, daß da mehr hinter der Fassade dieses Mannes voller Selbsthass lauert, als es zunächst den Anschein hat. Der Gestank in der Wohnung, gelegentliche Einsprengsel, die von früheren Taten künden, aber nur schwer einzuordnen sind, wenn man Honkas Geschichte nicht kennt. Erst auf den letzten 30, 40 Seiten, wenn im Hirn dieses Mannes eine Eskalation stattfindet, geht auch Strunks Text mit und wird expliziter, wobei der Autor sich auch dann noch zurückhält und niemals an der Gewalt ergötzt.

Strunks Stil ist ein weitestgehend dokumentarisch-nüchterner. Zumeist aus Honkas Perspektive beschreibt er episodisch ein Leben zwischen Alkoholexzessen, halbherzigen Versuchen, sich und dieses Leben zu ändern, Menschen und Bezugspersonen, die es aber sehr schwer machen, einen wirklichen Ausbruch, eine wirkliche Veränderung herbei zu führen. So zurückhaltend Strunk bei der Beschreibung der physischen Gewalt ist, die Honka diesen Frauen antut, so wenig zurückhaltend ist er sowohl bei der Schilderung des Drecks und Unrats in den Straßen St. Paulis, im „Goldenen Handschuh“, vor allem aber in der Sprache der Gäste, die dort verkehren, als auch dem Dreck in den Hirnen dieser Menschen. Verrohung, Zynismus, fehlende Empathie und auch fehlendes Selbstmitleid bei übersteigertem Sentiment beherrschen diese Leute. Ihre Sprache – ein Gemisch aus Schimpfwörtern, Sprichwörtern, Merksätzen und gestammelten Kalenderweisheiten – spiegelt die Leere in ihrem Innern wider. Dieser Sprache schenkt Strunk einen Großteil seiner Aufmerksamkeit.

Dieses Milieu, das zu beschreiben zunächst durchaus herablassend anmutet, wird konterkariert durch eine Parallelhandlung, in der drei Generationen einer Reedereifamilie zumindest skizzenhaft portraitiert werden. Der Großvater ein Alt-Nazi, der Sohnemann ein verkommener Trinker und Draufgänger, der die Firma in den Sand gesetzt hat, der Enkel ein vom Dreck der Hurenmeile Reeperbahn faszinierter Halbstarker – diese Familie der gehobenen Hamburger Elbvororte ist um kein Deut besser, als jene, die im „Goldenen Handschuh“ verkehren und wohin es zumindest einen Teil dieser Pfeffersäcke ebenfalls zieht. Und sei es nur, um das Elend zu begutachten, den „Abschaum“ zu betrachten, sich abzusetzen. Oder – vielleicht? – weil man hier Menschen trifft, denen man sich insgeheim verbundener fühlt, als man es sich eingestehen will?

Strunk bietet das Panorama einer Gesellschaft unter den spezifischen Bedingungen einer Stadt wie Hamburg. Diese Gesellschaft wirkt vollkommen enthemmt, zugleich verklemmt, Frauen werden hier nahezu in allen Kreisen und Schichten als eine Ware wahrgenommen, Männer sind hier fast schon Tiere, trieb- und instinktgesteuert. Daß Fritz „Fiete“ Honka dabei noch einmal eine Sonderstellung einnimmt, weil er schließlich aus den Gedanken, die in allen diesen Hirnen zu schlummern scheinen, Taten erwachsen lässt, fällt kaum mehr auf und wird von Strunk geschickt in seine Beschreibung einer sozialen Situation und eines historischen Kontextes – der Krieg ist gerade einmal 25 Jahre her, als die Handlung einsetzt und bei vielen noch sehr gegenwärtig – verwoben. Honka mag unter diesen Menschen eine Ausnahme sein, doch gemessen an seinem Werdegang – der Vater früh im KZ weil er ein Kommunist war; der Sohn fortgegeben und bei mehreren Familien aufgewachsen, teils unter fürchterlichen Bedingungen; die Flucht aus dem Osten (Honka stammte aus Leipzig); das extrem mangelhaft ausgeprägte Selbstwertgefühl aufgrund des mißgestalteten Äußeren; möglicherwiese mindere Intelligenz und eine nie erkannte Psychopathologie, die Hass auf Frauen und Größenwahn einschließt – muten seine Taten nicht wirklich außergewöhnlich an.

Auch ist er dieser Honka weit entfernt von jenen literarischen Serienmördern, die als Hochbegabte gesellschaftliche Konventionen und Moralvorstellungen in Frage stellen. Seine Taten sind eher Gelegenheitsverbrechen aus Verlegenheit. So wird das vermeintliche „Monster von der Reeperbahn“, der „Jack the Ripper von St. Pauli“, als den sich Honka manchmal wohl selbst ganz gern sah, eher ein Killer von der traurigen Gestalt, der kaum weiß, wie ihm geschieht und was es mit sich und seinen Bedürfnissen auf sich hat. Folgerichtig mißtraut Strunks Honka sich ununterbrochen selbst, macht sich klein, verachtet sich für seine Willensschwäche und begehrt doch immer wieder gegen dieses Schicksal auf.

Ohne gleich von Mitleid sprechen zu wollen, muß man doch konstatieren, daß es Strunk wirklich gelingt, trotz aller sprachlichen Derbheit, trotzt der gnadenlosen und oft kühlen Beschreibung dieser Figuren, Gerechtigkeit walten zu lassen, indem er sie nie der Lächerlichkeit preis gibt, ihnen Würde lässt, ohne, auch das sei gesagt, ihnen wirklich zugetan zu sein.

So liegt ein schon kalter Blick auf einer Wirklichkeit, die so vergangen gar nicht scheint, auch wenn Strunk hier aus einer scheinbar fernen Vergangenheit erzählt, aus Milieus, die es so vielleicht kaum mehr gibt, zumal heute eine Kneipe wie „Der Goldene Handschuh“ längst – nicht zuletzt durch einen Roman wie diesen und mehr noch vielleicht durch den daraus resultierenden Film von Fatih Akin – zu Kult erklärt wurde, sich Klassen, Schichten und Milieus längst unentwirrbar vermischt haben und es diese Abgeschiedenheit von allgemeiner gesellschaftlicher Beobachtung, die für einen Mörder wie Fritz Honka auch Schutz bot, nicht mehr gegeben ist.

Heinz Strunk hatte für die Recherche zum Roman Zugang zu Gerichtsakten, die bis dato nicht freigegeben waren, außerdem kennt er sowohl den „Goldenen Handschuh“ als auch das Milieu, das ihn umgibt, aus eigener Anschauung. Entstanden ist so eine manchmal packende, gelegentlich ekelerregende, immer sehr genaue Beschreibung und  Erzählung menschlicher Abgründe. Daß diese Beschreibung schließlich aber auch redundant ist, sollte nicht unerwähnt bleiben. Wirklich zu durchdringen vermag der Autor die Figur Fritz Honka nämlich nicht. So bleibt bei aller Akkuratesse in den Details doch immer auch ein Beigeschmack, daß hier eine Hamburger Legende von einem Hamburger aufgegriffen, durchaus analysiert, jedoch auch befeuert wird, wenn auch ex negativo.

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