DER KOBALTKANZLER. EIN DEUTSCHER ALBTRAUM

Hans-Ulrich Jörges malt sich in seinem Polit-Thriller das Szenario einer AfD-geführten Regierung aus

Hans-Ulrich Jörges ist einer der renommiertesten politischen Journalisten und Kommentatoren des Landes. Auch wenn man seiner eigenen politischen Haltung nicht nahesteht, kann man seiner Expertise hinsichtlich der tagesaktuellen Geschehnisse und Entwicklungen also getrost vertrauen. Und man sollte auch seiner Expertise hinsichtlich der Entwicklungen, die dieses Land nehmen könnte, vertrauen dürfen. Umso erstaunlicher, dass den geneigten Leser*innen dieses Vertrauen während der Lektüre seines im Grunde hochaktuellen Romans DER KOBALTKANZLER. EIN DEUTSCHER ALBTRAUM (2024) allmählich abhandenkommt.

Der titelgebende Kobaltkanzler ist Konrad Frotzeck, Elder Statesman der AfD. Er wird dies von Gnaden der Parteivorsitzenden Bettina Voss und des CDU-Chefs Johann Korn, der sich zwecks Machterhalts auf den Pakt mit dem Teufel einlässt, unter der Bedingung, nach der Hälfte der Legislatur selbst das begehrte Amt einnehmen zu dürfen. Doch soweit wird es nach Lesart von Hans-Ulrich Jörges gar nicht kommen.

In kurzen Kapiteln, auf knappen 250 Seiten, fast schlaglichtartig, episodenhaft, schildert der Autor nun also, wie sich die ersten Tage, Wochen und Monate dieser Koalition gestalten, wie die in Teilen rechtsextreme Partei beginnt, das Land umzukrempeln, wie einige Medienvertreter aus Machtgeilheit mitmachen, wie hinter den Kulissen intrigiert wird, wie man sich gegenseitig übers Ohr zu hauen und auszustechen versucht. Das ist leicht zu lesen und kann als Unterhaltungslektüre durchaus bestehen, hat es hier und da doch das dramatische Niveau einer Serie wie HOUSE OF CARDS. Und da die handelnden Figuren nur allzu leicht zu erkennen sind, Jörges sich nur wenig Mühe gibt, sie zu verschlüsseln, es im Gegenteil eher darauf anlegt, sie sofort kenntlich zu machen, macht es natürlich auch Spaß, diese fiktionalen Entwürfe real existierender Protagonisten des realen politischen Betriebs zu entziffern und zu lesen. So gesehen hat Hans-Ulrich Jörges alles richtig gemacht.

Nur funktioniert dies leider kaum bis gar nicht als Analyse dessen, was diesem Land tatsächlich drohen könnte, wenn die im Buch beschriebene Konstellation zustande käme. Und verfehlt somit wahrscheinlich die Zielsetzung des Autors. Denn Jörges macht sich nicht die Mühe, in die Niederungen des technischen Apparats, gleichsam den Motorraum einer Demokratie hinabzusteigen und dort zu erkunden, was genau nötig ist, um durchzusetzen, was im Buch durchgesetzt wird. Anders, als wir es momentan in den USA erleben, kann ein deutscher Bundeskanzler zwar allerhand vorhaben und auch anordnen, doch besitzt er keineswegs die Machtfülle, per Dekret – oder wie es im Roman heißt: per Verordnung – zu regieren und damit das Parlament weitestgehend außer Kraft zu setzen. Zumindest bräuchte es dafür zunächst bedeutende Mehrheiten, um bestimmte Gesetze umgehen zu können. Das wird hier alles ausgelassen, stattdessen wird mit eher groben Strichen ein Gemälde dessen gemalt, wohin eine AfD-geleitete Regierung kulturell steuern könnte.

Dass sie sich zunächst Presse und Rundfunk – vor allem die Öffentlich-Rechtlichen Sender – Untertan machen würde, liegt auf der Hand, ist die Hetzerei gegen die angeblich „rot-grün versifften Staatssender“ ja schon Folklore am rechten Rand. Dass sie die Nähe zu Putins Regime in Russland suchen würde, kann man annehmen; ob sie es mit der Demut täte, die dem Kanzler im Buch angedichtet wird, sei einmal dahingestellt. Aber auch der beschriebene Antiamerikanismus könnte sich genau so darstellen, wie hier beschrieben. Dass eine AfD-Regierung, in der ein Mann wie Björn Höcke zumindest eine – wenn vielleicht auch untergeordnete – Rolle spielte, den Bildungsauftrag radikal umschreiben würde, ist naheliegend. Dass sie aus dem Gedenken an das Dritte Reich und dessen Gräuel ausstiege, stattdessen lieber den Heldentaten deutscher Soldaten und „großer Deutscher“, was auch immer das bedeutete, gedächte, lässt sich denken. Und dass es bspw. zu Übergriffen käme, dass die „Stolpersteine“ geschändet und herausgerissen würden, die seit einigen Jahren in deutschen Städten vor Häusern in die Gehsteige eingelassen werden, wo einst jüdische Mitbürger lebten, die unter den Nazis deportiert und ermordet wurden, ohne dass die Regierung etwas dagegen unternähme, ist durchaus denkbar. All dies sind im Buch berichtete Geschehnisse. Doch sind dies fast alles „weiche“ Begebenheiten. Schlimm genug, keine Frage. Doch sind es keine gesetzgebenden Verfahren.

Wie eine solche Regierung es bewerkstelligen würde, ihre Vorstellungen tatsächlich gegen das Grundgesetz – oder sogar mit ihm – in Wirklichkeit umzusetzen, welche rechtlichen und juristischen Findigkeit und Mittel es dazu bräuchte, wer wie abstimmen müsste, um durchzusetzen, was nach den Vätern und wenigen Müttern des GG nicht durchsetzbar hätte sein dürfen, das bleibt hier außen vor. Umso bezeichnender, dass das Bundesverfassungsgericht, welches nach der Machtübernahme durch die AfD wahrscheinlich gar nicht mehr aus dem Strom der Sondersitzungen, der Schnell- und Eilverfahren und der einstweiligen Bestimmungen herauskäme, hier erstmals auf Seite 238 erwähnt wird. Und dann lediglich mit dem Hinweis, dass die neue Regierung die dortigen Richter zu ihren Gunsten ersetzt habe. Doch allein eine solche Umbesetzung wäre schon eine Erwähnung wert, wollte man denken.

So sollte, wen diese Vorgänge wirklich interessieren, besser auf den von Maximilian Steinbeis mitbegründeten Verfassungsblog[1] gehen und sich dort durch die einschlägigen Artikel lesen. Es ist tatsächlich erschreckend, was möglich wäre. Steinbeis hat dies auch zusammenfassend in zwei sehr eindringlichen Beiträgen in der Süddeutschen Zeitung beschrieben[2]. Das reale Szenario, wie ein Björn Höcke bspw. Kanzler werden könnte (was der Mann offenkundig nicht will, das Augenmerk sollte momentan auf Figuren wie Frau Weidel liegen, die in Jörges Roman sehr deutlich hinter der Figur der Bettina Voss hervortritt), ist noch weitaus erschreckender als alles, was ein Autor wie Hans-Ulrich Jörges sich ausdenken könnte.

Dessen Roman bleibt ein wenig zu platt, zu durchsichtig, will zu offenkundig Angst machen. Das ist vielleicht ehrenwert, wenn er sich dabei an ein breites Publikum wendet, welches mit genauen Beschreibungen verfassungsrechtlicher Verfahren kaum zu begeistern ist und welches eher einer Kriminalhandlung folgen würde. Doch stellt sich die Frage, wer einen solchen Roman wie diesen denn überhaupt liest? Ist es tatsächlich ein breites Publikum oder sind es nicht doch eher die so oder so politisch – und dann wahrscheinlich einschlägig politisch – Interessierten? Die wurden vor einiger Zeit schon von Eric Sander mit dessen Thriller DIE LETZTE WAHL (2021) aufgeschreckt.

Jörges, der nun tatsächlich um die tieferen Strukturen des politischen Betriebs in Berlin weiß, der Einblicke und ein Verständnis dafür hat, wie nicht nur die „große Politik“ funktioniert, sondern vor allem wie es im Innenleben von Parteien aussieht, was Begriffe wie Fraktionszwang oder Parteifreundschaft im Kern bedeuten können, wollte sicherlich keinen Thriller schreiben. Und doch erliegt er der Versuchung, seinem Roman eine zweite Ebene einzuziehen, in der es dann um genau ein solches Szenario geht: Da macht sich in einer Parallelhandlung ein Antifa-Mitglied (wer auch sonst?) auf, ein Attentat vorzubereiten, um ein Fanal zu setzen wider diese Regierung. Und auf den allerletzten Seiten müssen wir dann begreifen, dass der ganze Zinnober nur dazu dient, unsere schlimmsten Ängste noch zu verstärken und – rein dramaturgisch betrachtet – die ganze Sache zu einem runden Ende zu bringen. Nun denn.

DER KOBALTKANZLER ist letztlich Unterhaltung – wogegen auch bei Gott nichts einzuwenden ist! – und hätte doch so viel mehr sein können. Leider ist der Roman so wie er vorliegt, nicht der vom Verlag annoncierte „Roman der Stunde“. Dazu ist das alles zu oberflächlich, eben zu platt, sind die Figuren nicht präzise genug, zu flach, zu deutlich als Abziehbilder jener politischen Personen zu erkennen, die das Publikum ja so oder so nur als mediale Präsenzen kennt. Und was Jörges ihnen dann andichtet, entspricht zu sehr den Klischees, die uns Hunderte und Tausende von Politthrillern und Kriminalromanen über mächtige Männer und machtgeile Frauen, mächtige Frauen und machtgeile Männer schon erzählt haben und was wir auch da schon meist nicht geglaubt konnten. Dies bleibt also – leider – verschenkte Liebesmüh´.

 

[1] https://verfassungsblog.de

[2] Steinbeis, Maximilian: Ein Volkskanzler. Süddeutsche Zeitung vom 6.09.2019.

derselbe: Das wird nicht vorüberziehen. Süddeutsche Zeitung vom 21.07.2024.

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