DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER
Lars Kraume ist ein brillanter Film über einen jener Menschen gelungen, die in der jungen Bundesrepublik nicht losließen und damit maßgeblich zur Aufklärung des 3. Reichs beigetragen haben
Die Bundesrepublik Deutschland in den späten 1950er Jahren. Das Land hat sich erneut Wohlstand erwirtschaftet, die Läden sind voll, die Menschen haben Arbeit, die Wirtschaft brummt. Da will niemand gern mit der jüngsten Vergangenheit, den 12 Jahren der Nazidiktatur und den unfassbaren Verbrechen, die damit einhergingen, behelligt werden. Von den jüdischen Opfern des Regimes sind nur wenige nach Deutschland zurückgekehrt.
Eines davon ist Fritz Bauer (Burghart Klaußner), Generalstaatsanwalt in Frankfurt a.M. Er weiß die schützende Hand des Ministerpräsidenten und Justizministers des Landes Hessen, Georg-August Zinn (Götz Schubert), über sich. Bauer weiß aber auch, dass er gerade im Justizapparat selbst mächtige Feinde hat. Darunter Oberstaatsanwalt Kreidler (Sebastian Blomberg). Und auch der BKA-Beamte Paul Gebhardt (Jörg Schüttauf) steht Bauer ausgesprochen kritisch gegenüber, nicht zuletzt, weil er selber eine NS-Vergangenheit hat.
Bauers steter Kampf gegen Alt-Nazis und darum, die Schergen der Diktatur in Deutschland vor Gericht zu stellen, das Wissen, dabei kaum Unterstützung zu haben, kostet enorm viel Kraft. Deshalb hören seine Gegner gern von einem Zwischenfall, bei dem sein Chauffeur (Rüdiger Klink) Bauer morgens ohnmächtig in der Badewanne gefunden hatte. Man munkelt sofort, es habe sich um einen Suizidversuch gehandelt.
Bauer kehrt nach einigen Tagen ins Amt zurück und sucht eine bestimmte Akte, von der er sicher war, sie läge auf seinem Schreibtisch. Er lässt seine Mitarbeiter und die Sonderdezernenten antanzen und verlangt, derjenige, der die Akte habe, möge sich melden. Keiner der Männer reagiert. Nach der Besprechung bittet Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) Bauer um ein Wort unter vier Augen. Bauer willigt ein und erfährt, dass Angermann die Akte habe; Bauer selbst habe ihn gebeten, sie zu bearbeiten. Bauer zeigt sich erstaunt und fragt, wieso Angermann das denn nicht gesagt habe? Der antwortet, er habe seinen Chef nicht bloßstellen wollen.
Ein gewisses Misstrauen gegenüber nahezu jedem, aber auch die beginnende Vergesslichkeit machen Bauer zu schaffen. Er merkt, dass er älter wird und dass mit dem Alter Paranoia eintritt.
Bauer erhält einen anonymen Brief aus Argentinien. Darin wird ihm mitgeteilt, der Verfasser habe den gesuchten Nazi-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann (Michael Schenk) identifiziert und wisse, wo dieser wohne. Bauer begreift sofort, was das bedeutet: Einer der meist gesuchten Täter der Shoah ist greifbar. Doch muss man nun sehr, sehr vorsichtig vorgehen, denn im Justizapparat ist niemandem zu trauen. Bauer überlegt, den Mossad, den israelischen Auslandsgeheimdienst, einzuschalten. Zinn, den er als einzigen einweiht, dem er vertraut, da er mit ihm bereits in den 20er Jahren Seite an Seite bei Straßenkämpfen gegen die Nazis für sie Sozialdemokraten eingestanden ist, weist darauf hin, dass das als Landesverrat betrachtet und mit Gefängnis bestraft werden könnte. Da Interpol bereits verdeutlicht hat, dass sich die Behörde für politische Strafsachen nicht zuständig sieht, bleibt Bauer aber bei seinem Vorhaben.
Heimlich fliegt er nach Israel und trifft sich dort mit Mossad-Mitarbeitern. Er beharrt darauf, dass der Dienst Eichmann, sollten sie ihn ergreifen, an Deutschland ausliefern solle. Er will Eichmann unbedingt in Frankfurt, also im Land der Täter, vor Gericht stellen. Der Mossad zeigt sich allerdings skeptisch, dass man es tatsächlich mit Eichmann zu tun habe. Die Agenten verlangen von Bauer eine zweite Quelle, die bestätigt, dass es sich um Eichmann handele.
Bauer sucht nach Verbündeten. Der Einzige, der ihm neben Zinn einfällt, ist Angermann. Anders als seine anderen Dezernenten, war dieser immer loyal. Vor allem aber hat er – einem Hinweis Bauers folgend – in einem Strafverfahren wegen eines homosexuellen Vergehens ein derart niedriges Strafmaß gefordert, dass der Generalstaatsanwalt davon ausgehen kann, dass Angermann seine Abneigung gegen den „Homosexuellen-Paragraphen“, den 175er, teilt und darüber hinaus mutig genug ist, unkonventionell zu handeln.
Bei einer persönlichen Besprechung in Bauers Wohnung versucht Bauer herauszufinden, wo Angermann wirklich steht. Dabei lässt er auch durchblicken, dass er selber homosexuelle Erfahrungen gemacht hat. Schließlich lässt er die Katze aus dem Sack und weiht Angermann in die Sache mit Eichmann ein. Der allerdings zeigt sich ebenfalls skeptisch. Er will Bauer keine Versprechungen machen, die er möglicherweise nicht einhalten kann. Bauer ist durchaus enttäuscht von der Abfuhr.
Bauer tritt in einer Diskussionssendung im Fernsehen auf, die Angermann verfolgt. Da erst wird ihm nicht nur Bauers Motivation, sondern auch die Dringlichkeit bewusst, die hinter dessen Bestrebungen steckt, Nazi-Täter zu fassen und aburteilen zu lassen. Er teilt Bauer anderntags mit, dass er bereit sei, mit ihm am Eichmann-Fall zusammen zu arbeiten.
Angermann gelingt es, einen Kontakt aufzutreiben, der ihm eine Tonbandaufzeichnung präsentiert, auf der Eichmanns Stimme zu identifizieren ist. Nun wissen Bauer und Angermann zumindest, dass sich Eichmann wirklich in Argentinien befindet. Bauer greift zu einem an sich unlauteren Mittel: In Stuttgart sucht er einen recht hohen Mitarbeiter bei Mercedes auf, von dessen Nazi-Vergangenheit Bauer weiß. Er erpresst den Mann und erfährt von ihm so den Namen, unter dem Eichmann in Argentinien lebt.
Mit diesen Informationen füttert Bauer erneut seine Mossad-Kontakte. Der Geheimdienst wird aktiv und entführt Eichmann aus Argentinien nach Israel. Doch die dortigen Behörden denken nicht daran, den Massenmörder an Deutschland auszuliefern. Vielmehr will man ihn in Jerusalem vor Gericht stellen, aburteilen und hinrichten. Bauer ist außer sich, doch Zinn macht ihm klar, dass er akzeptieren müsse, dass sowohl ökonomische als auch außenpolitische – sprich: militärische – Interessen hier wichtiger einzuschätzen seien. Zudem, so lässt Zinn seinen alten Freund wissen, sei diese Lösung für Bauer definitiv die weniger gefährliche.
Gebhardt, Kreidler und andere sind äußerst erbost über die Eichmann-Entführung, die weltweit Aufsehen erregt. Wie Bauer richtig vermutete, wäre es ihnen, hätte er einen von ihnen eingeweiht, ein Leichtes gewesen, ihren alten Kameraden in Südamerika zu warnen. Nun suchen sie nach Möglichkeiten, Bauer zu Fall zu bringen. Dazu bräuchten sie eine Aussage Angermanns, dass Bauer den Mossad eingeweiht und letztlich mit der Entführung beauftragt habe. So könnten sie Fritz Bauer wegen Landesverrats dranbekommen.
Gebhardt weiß um Bauers Homosexualität, doch lässt der sich, seit er in seinem hohen Amt ist, nichts zu Schulden kommen; eine uralte dänische Polizeiakte, in der Bauers Besuch einer als Treffpunkt der Szene bekannten öffentlichen Toilette während seines Exils erwähnt wird, reicht nicht, um ihn vollends zu diskreditieren.
Angermann bekam nach dem von ihm erreichten milden Urteil in dem Homosexuellen-Prozess die Karte einer Nachtbar zugesteckt, die er besucht und wo er auf Victoria (Lilith Stangenberg) trifft, die dort singt. Sie ist transgeschlechtlich, was enorme Wirkung auf Angermann hat. Der bemüht sich eigentlich um die klassische deutsche Spießerfamilie, konnte seine homosexuelle Seite aber auch schon vor Bauer nicht gänzlich verstecken.
Er lässt sich auf eine Beziehung mit Victoria ein. Eines Abends tritt Gebhardt ungebeten in deren Umkleide und macht Fotos von den beiden in eindeutiger Position. Victoria verteidigt sich, sie habe genug erlitten und Gebhardt habe sie in der Hand. Der verlangt von Angermann die Informationen, die er braucht, um Bauer verhaften und anklagen zu können. Er gibt ihm eine Woche Bedenkzeit, dann werde er Angermanns Frau und seinen Freunden die Fotos zukommen lassen.
Angermann ringt mit sich. Eines Abends, das Ultimatum läuft ab, nimmt Bauer ihn in seiner Limousine mit, wo Angermann sich seinem Chef offenbart. Dann bittet er den Chauffeur, anzuhalten. Zu spät bemerkt Bauer, dass sie direkt vor einem Polizeirevier gehalten haben. Angermann geht hinein und zeigt sich selbst wegen Verstoßes gegen §175 an. Zuvor bittet er Bauer aber eindringlich, mit seiner Arbeit weiter zu machen.
Bauer spricht mit Zinn, der ihn fragt, ob es ihm reiche und er in Ruhestand wolle. Doch Bauer erklärt, ihn könne niemand mehr aufhalten, solange er lebe, werde er weiterkämpfen. Dann bittet er seine Sekretärin um Akten zu dem Vernichtungslager Auschwitz/Birkenau…
Vielleicht ist es in Anbetracht des allgemeinen Aufstöhnens über immer mehr Vergangenheitsbewältigung, immer mehr Dokumentationen zum Thema Nazis, Krieg und Holocaust und immer häufigerem Aufkommen von Neo-Faschismus geradezu zwangsläufig, dass lange, sehr lange, kein Mensch in (West)Deutschland von den Verbrechen der Nationalsozialisten wissen wollte. Selbst in den 90er Jahren gab es noch einen Aufschrei, als das Hamburger Institut für Sozialforschung eine Ausstellung organisierte und auf Wanderung schickte, in welcher nachgewiesen wurde, dass auch die Wehrmacht in die Verbrechen des Regimes verwickelt war. Und zwar tief verwickelt war. In den frühen Jahren nach dem Ende des Krieges, vor allem nach Gründung der Bundesrepublik 1949, in den Jahren des Wiederaufbaus, der dann in das sogenannte „Wirtschaftswunder“ überging, wollte erst recht niemand von Schuld und Sühne hören oder gar sich damit beschäftigen müssen, dass möglicherweise die eigene Familie in die Verbrechen, von denen niemand auch nur etwas geahnt haben wollte, verwickelt gewesen sein könnte. Das hatte sicherlich damit zu tun, dass unter den Deutschen, die, um es mit der (fragwürdigen) These der Mitscherlichs zu sagen, unter der „Unfähigkeit zu trauern“ litten, viele der Meinung waren, selbst genug gelitten zu haben und dass nun einmal Schluss sein müsse mit dem Thema. Es hatte aber ganz sicher auch und gerade damit zu tun, dass an entscheidenden Stellen, also in der Justiz, aber auch in der Exekutive und, mehr noch, in der Politik, die Täter von vormals saßen und, oft nach geringfügiger „Entnazifizierung“, einfach weitermachen konnten, natürlich demokratisch weißgewaschen.
Für diejenigen, die nicht vergessen wollten – oder, schlimmer, nicht vergessen konnten, weil sie und ihre Familien direkt betroffen waren – waren es Mauern, gegen die sie immer wieder stießen, oft genug anrannten[1]. Einer von denen, die nicht bereit waren, das Land für immer zu verlassen, bzw. ihm den Rücken zu kehren und bspw. nach Palästina/Israel auszuwandern, anstatt zurückzukehren, war Fritz Bauer. Bauer war Jurist, er war Linker im sozialdemokratischen Sinne und er war Jude. Er verstand sich allerdings als Atheist, was wichtig ist in Bezug auf seinen späteren Lebensweg. Bauer, der nach Dänemark geflohen war und später nach Schweden entkommen konnte, kehrte nach dem Krieg zurück und wurde hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Dies auf Initiative des Ministerpräsidenten Georg-August Zinn, selbst eine interessante Figur des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. In seiner Funktion versuchte Bauer schon früh, ehemaliger (?) Nazis habhaft zu werden und diese in Deutschland vor Gericht zu stellen. Es ging Bauer immer um ein demokratisches Justizsystem, das nicht mehr von alten Nazis, furchtbaren Juristen, wie Rolf Hochhuth in Bezug auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger ein aussagekräftiges Wort prägte, gestaltet und durchdrungen war.
Wirklich berühmt machten Bauer zwei Fälle, die beide wesentlich waren, den Deutschen ihre Schuld – bzw. ihre Verantwortung – vor Augen zu führen. Bauer war maßgeblich an der Entdeckung und Erfassung Adolf Eichmanns in Argentinien beteiligt. Er hatte, da der Kasus in Deutschland als diffizil galt, dem israelischen Geheimdienst Mossad entscheidende Hinweise auf Eichmanns Aufenthaltsort und seine Identität gegeben. Bauers Hoffnung war, dass Eichmann an die Bundesrepublik ausgeliefert würde und er ihn in Frankfurt vor Gericht stellen könnte. Diese Hoffnung zerschlug sich, bekanntlich wurde der maßgebliche Organisator der Infrastruktur des Holocaust in Israel vor Gericht gestellt, abgeurteilt und dort auch hingerichtet. Sein Fall und das Verfahren gegen ihn veranlassten Hannah Arendt von der „Banalität des Bösen“ zu sprechen, da ihr der Mann, der sich da im Zeugenstand um Kopf und Kragen redete, so furchtbar durchschnittlich, eben geradezu banal vorkam.
Bauer war tief enttäuscht, nicht selbst gegen Eichmann tätig werden zu können. Doch sollte seine Stunde noch kommen. Gemeinsam mit einem Team junger Staatsanwälte, die sich ihm anschlossen und sein Anliegen, das Nazi-Unrecht aufzuarbeiten, unterstützten, bereitete er die ab 1963 stattfindenden Auschwitz-Prozesse vor und trat zunächst auch als federführender Ankläger auf. Diese Prozesse waren wesentlich, damit die bundesrepublikanische Gesellschaft bereit war, sich mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Sie waren sicherlich auch wesentlich für die Beharrlichkeit der 68er, ihre Eltern zu befragen, was die eigentlich gewusst hatten, warum sie zugelassen hatten, was geschehen war oder ob sie gar selbst beteiligt waren[2].
Stoff für einen Spielfilm? Wenn man einen guten Drehbuchautor hat, ist natürlich alles Stoff für einen Spielfilm. Regisseur Lars Kraume hatte gemeinsam mit dem französischen Journalisten Olivier Guez ein Drehbuch verfasst, welches sich mit Bauers Kampf um die Ergreifung Eichmanns befasste. Guez hatte mit einem Buch über nach dem 2. Weltkrieg nach Deutschland zurückgekehrte Juden die Vorlage geliefert. Beiden ist ein bemerkenswertes Werk gelungen, aus dem ein spannender Film hervorgehen konnte, obwohl der (interessierte) Zuschauer ja um die Entwicklungen und deren Ausgang weiß[3].
DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER (2015) heißt der Film, der aus dem Drehbuch von Kraume und Guez unter der Regie von Kraume hervorging. Er greift, anders als mancher Film, der sich mit ähnlichem beschäftigte – erinnert sei an DAS SCHRECKLICHE MÄDCHEN (1990) von Michael Verhoeven – nicht unmittelbar in zeitgenössische Themen ein und kam doch zur rechten Zeit, wenn man so will. Sicherlich war es ein Zufall, dass der Film im Jahr 2015 mitten in eine sich zusehends aufheizende Diskussion um Zuwanderung und das Wiedererstarken möglicherwiese faschistoider Kräfte in Gestalt einer Partei wie der AfD (Alternative für Deutschland) hinein sein Debut feierte. Dabei erzählt er von lang zurückliegenden Vorgängen und hatte doch großes Potenzial, auf den herrschenden Diskurs Einfluss zu nehmen, weil er – einem Mahnmal gleich – ein „Wehret den Anfängen!“ postuliert.
Das liegt nun allerdings nicht nur an dem vortrefflichen Drehbuch des Regisseurs und seines Co-Autors, sondern mindestens zu gleichen Teilen an der Leistung des Hauptdarstellers Burghart Klaußner. Dem gelingt das Kunststück, einen Fritz Bauer zu proträtieren, der manchmal vor gerechtem Zorn bebt, der aber zugleich ein Mensch ist, ein Mann mit Bedürfnissen, ein Mann mit Wut im Bauch, ein manchmal ungerechter Mann – und durch all dies vor allem eins: Ein Mensch mit Würde. Gerade durch die Darstellung Klaußners wird Bauer nicht zu einem unerreichbaren Denkmal, welches die Latte des Ideals so hoch hängt, dass es für alle andern ein Leichtes wäre, mühelos darunter durchzumarschieren ohne sich zu schämen, dass man da leider, leider nicht heranreiche, sei das Vorbild moralisch ja sowieso jedem haushoch überlegen. Klaußners Fritz Bauer ist ein Mensch, der unsicher ist, der durchaus schwankt in seinen Ansichten, vor allem aber jemand, der Angst hat, der sich umgeben weiß von Feinden, denen er aber im Wissen um seine Arbeit und deren Bedeutung die Stirn bieten muss. Um dem Zuschauer diese Angst verständlich zu machen, sind diese Feinde durchweg mit ebenfalls hervorragenden Schauspielern besetzt: Jörg Schüttauf in der Rolle des BKA-Mannes Paul Gebhardt, der selbst eine veritable NS-Vergangenheit hat, Sebastian Blomberg als Oberstaatsanwalt Ulrich Kreidler, der mindestens opportunistisch ist, in seinem Reden aber auch deutlich antisemitische Ansichten vertritt. Es ist unbedingt notwendig, diese Figuren so stark zu besetzen, um Bauer/Klaußner etwas entgegenzusetzen, etwas, woran sein Bemühen, sein Drängen, die Unbedingtheit seines Handelns umso deutlicher werden, aber eben auch die Verzweiflung, die ihn immer wieder zu übermannen droht. Und vor allem wird anhand dieser durchweg brillanten Darstellungen deutlich, dass man es bei Opfern wie Tätern mit Menschen, nicht den gern bemühten und immer distanzierenden „Bestien“ zu tun hat. Menschen haben das angerichtet und Menschen werden es aufarbeiten müssen, gleich ob persönlich-moralisch, gesellschaftlich, kulturell oder eben, wie im Film, juristisch.
Kraume lässt seinen Film mit einer Szene beginnen, die bewusst auf Fritz Bauers tatsächlichen Tod anspielt: Der Chauffeur des Generalstaatsanwalts findet seinen Chef durch Zufall in der Badewanne. Es steht im Raum, dass der einen Suizidversuch unternommen haben könnte. Kraume insinuiert also einen früheren Selbstmordversuch, der dem realen Fritz Bauer nach seinem tatsächlichen Tod im Jahr 1968 ebenfalls unterstellt wurde. Dass Bauer verzweifelt gewesen ist, dass er gerade am Ende seines Lebens mit dem Aufstieg der NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands), die im Jahr 1968 tatsächlich in den baden-württembergischen Landtag einziehen konnte, sein Lebenswerk ebenso wie die junge Demokratie bedroht sah, mag so gewesen sein und es wäre ja auch nur allzu verständlich. Ob er sich wirklich das Leben genommen hat, konnte allerdings nie einwandfrei festgestellt werden. Es bleibt also eine Behauptung. Dramaturgisch ist es für den Film natürlich ein starker Einstieg, eben weil es einmal mehr den Menschen zeigt, einen verletzlichen, auch schwachen Menschen, nicht einen Superhelden der Justiz, der schier Unmögliches möglich gemacht hat.
Der Film zeigt durchgehend diesen Menschen und versteigt sich eben nie zu Heldenverehrung. Es gab immer wieder Gerüchte, Bauer sei homosexuell gewesen, die Ehe mit seiner Frau Anna Maria galt als reine Schein- und Schutzehe, es gab wohl sogar gerichtsfeste Unterlagen, die davon zeugten, dass Bauer in Dänemark mit männlichen Prostituierten verkehrte. Kraume und Guez thematisieren dies äußerst dezent, eher verlagern sie das Thema auf Bauers Assistenten Karl Angermann, den Ronald Zehrfeld zurückhaltend, aber umso intensiver spielt. Der verliebt sich im Laufe der Ermittlungen zum Fall Eichmann in eine junge Transsexuelle, was ihm schließlich zum Verhängnis wird, als Gebhardt ihn in eine Falle lockt und erpressen will. Doch Angermann entscheidet sich, sich selbst anzuzeigen und damit Bauers Ermittlungen nicht zu gefährden. Kraume und Guez schreiben mit diesem Karl Angermann einen Mann in die Geschichte, wie es ihn geben musste: Aufrecht und bereit, persönliche Opfer zu bringen, um die Verbrechen des NS-Regimes aufzudecken und zu verfolgen. Ein solches Opfer, wie das im Film dargebrachte, bedeutete in den 50er und frühen 60er Jahren das Ende einer Karriere und oftmals sogar Gefängnis, ganz sicher aber den sozialen Tod durch Ausgrenzung, Job- und Ansehensverlust. Mit diesem Zug gelingt es Buch und Regie, nicht nur ausgesprochen engstirniges Zeitkolorit und die gesellschaftliche Beschaffenheit dieses Landes, das eben noch nicht in Liberalismus und eine zweite Aufklärung aufgebrochen war, darzustellen, sondern auch die ganz reelle Gefährdung durch einen institutionellen Apparat, in dem immer noch jene saßen, die kaum zwanzig Jahre zuvor Menschen für eben solche und noch geringfügigere Verfehlungen (oder was sich so nennt) in Lager, gern auch aufs Schafott geschickt hatten.
Doch bleibt im Kontext des Films ein gewisses Geschmäckle. Sicher, Bauer auch als einen eitlen, wenn auch etwas aus der Zeit gefallenen Mann zu zeigen, der sich die Sockenmode seines Assistenten abschaut, gibt einem thematisch so ernsten Film eine zumindest momentweise etwas leichtere Note – ebenso übrigens Bauers Neigung, bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Kognak zu trinken, von seinem Dauerpaffen an sehr dicken Zigarren ganz zu schweigen. Fragt sich nur, ob es unbedingt diese homosexuelle Neigung sein musste, denn Bauers Empörung über das, was in diesem Land geschehen war, war sicherlich nicht auf seine Homosexualität zurück zu führen. Dann schon eher auf seinen jüdischen Glauben, den er aber eigentlich abgelegt zu haben meinte. Denn er als alter Soze sah sich jenseits von Aberglauben und Gottesfurcht. Zum Juden, das sagt er an einer Stelle des Films sehr deutlich, haben ihn erst die Nazis gemacht. Ein Fakt, den er mit sehr vielen Juden teilte, die sich viel mehr als Deutsche fühlten, denn als Angehörige eines bestimmten Glaubens und die oftmals genau aufgrund dieser Annahme in die Falle der Nationalsozialisten tappten, zu lange blieben und bestenfalls alles verloren, wenn sie gerade noch fliehen konnten, in weitaus größerer Zahl aber in die Lager verbracht und dort bestialisch ermordet wurden.
Klaußner, der sicher zur ersten Garde seiner Schauspielergeneration gehört, kann Bauers gerechten Zorn, der im Film manchmal in blanke Wut und dann auch Selbstgerechtigkeit umschlägt, derart glaubwürdig verkörpern, dass es dem Zuschauer beim Betrachten des Films schon mal kalt den Rücken herunterläuft. Und auch Bauers letztlich dem Landesverrat zumindest nicht allzu ferne Nähe zum Mossad und warum er sich wiederholt an Freunde in Israel wandte, die die entsprechenden Kontakte herstellen konnten, ist aufgrund dieses Zorns und eben Klaußners Darstellung gut nachvollziehbar. Die Ausstatter des Films, aber auch Kamera (Jens Harant) und Montage/Schnitt (Barbara Gies) haben dabei kongeniale Arbeit geleistet. So verzweifelt Bauer in einer engen Gesellschaft ehemaliger Mitläufer und echter Täter ist, so eng und miefig wirken diese Räume und Hallen der Wohnungen und der Justiz, so eng sind oftmals diese Bilder. Der Film vermittelt ein authentisches Gefühl jener späten Adenauer-Jahre, als man sich eingeruckelt hatte in dieser Republik mit dieser doch eher fremden Staatsform Demokratie, die man ja schon in den 20er Jahren nicht sonderlich mochte. Man wollte nichts mehr hören von Lagern und Vergasen, man hatte schließlich eigene Tote und Verluste zu beklagen, und nun wollte man ein wenig abhaben vom Wohlstand, der sich dank amerikanischer Unterstützung so rasant ausbreitete. Für einen Mann wie Fritz Bauer – wie auch für Menschen wie Beate Klarsfeld und Simon Wiesenthal, für Menschen wie Hannah Arendt oder Paul Celan, fast alles Überlebende, die ihre Verluste sehr allein betrauern mussten – ein wahrscheinlich unerträglicher Zustand. So endet der Film auch nicht im Pathos, wie sich das vielleicht ein wenig anhören mag, wenn Bauer auf Zinns Frage, ob er in Ruhestand gehen möchte, antwortet, er mache weiter bis ans Ende seiner Tage. Vielmehr spürt der Betrachter, dass da ein Mann mit allem Weltlichen abschließt, sich verhärtet, zumacht und bereit ist, nunmehr nur noch dieser einen letzten Mission zu folgen: Die Täter vor Gericht zu bringen, koste es, was es wolle.
Man kann es Lars Kraume und Olivier Guez gar nicht hoch genug anrechnen, diesem Mann ein Denkmal gesetzt und damit eben auch an eine Zeit erinnert zu haben, die heute so weit, weit entfernt scheint und deren hässliche Rückseite sich doch immer wieder zeigt. Es wird wieder mutige Menschen wie Bauer brauchen, diesmal besser, bevor die Katastrophe eintritt, doch scheint der Mensch eben doch nicht aus der Geschichte zu lernen. Leider. Dann muss man ihn eben immer wieder belehren. Mit Filmen wie diesem: Filmen, die nicht didaktisch daherkommen, nicht belehrend, sondern spannend, sogar unterhaltsam, genau in ihrer Betrachtung und trotz allem mit einer Haltung. Einem großartigen Film.
[1] Vgl. Krechel, Ursula: LANDGERICHT. Salzburg/Wien, 2012. Die Autorin erzählt schmerzhaft nüchtern, auf einem wahren Fall basierend, von einem Juristen jüdischen Glaubens, der in den 50er Jahren aus dem Exil in die Bundesrepublik zurückkehrt und verzweifelt um seine Karriere und die verlorenen Berufsjahre kämpft.
[2] Peter Weiß´ Theaterstück DIE ERMITTLUNG, 1965 uraufgeführt, bspw. fand enorme Resonanz und war sicherlich mit verantwortlich dafür, dass das, was in Frankfurt zu Tage getreten war, auch wahrgenommen und verbreitet wurde.
[3] Ein Problem, welches viele Politthriller und Bio-Pics haben, welche auf realen Vorbildern, Geschehnissen oder Personen beruhen und diese nicht all zu sehr verfälschen wollen. Doch gibt und gab es immer schon gute Beispiele dafür, dass diese Gratwanderung funktionieren kann. Berühmtestes Beispiel ist sicherlich Alan J. Pakulas Film ALL THE PRESIDENT´S MEN (1976), der von den Recherchen der Washington Post-Mitarbeiter Bob Woodward und Carl Bernstein erzählt, die schließlich zur Demission des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon führten. Als Pakulas Film erschien, lagen die Geschehnisse gerade einmal ein paar Jahre zurück. Dennoch war der Film immens erfolgreich, wahrscheinlich auch, weil er direkt in einen kulturellen und gesellschaftspolitischen Diskurs eingriff, der die USA in den 70er Jahren beherrschte.