JUNIOR BONNER: Der virtuelle Westen
Sam Peckinpahs persönliches Manifest
Junior Bonner (Steve McQueen) kommt am Unabhängigkeitswochenende in seine Heimatstadt Prescott, um am dortigen Rodeo teilzunehmen und seine Familie zu besuchen. Er hat sich einige Rippen gebrochen, als er auf seinem letzten Rodeo den als besonders wild geltenden Stier namens Sunshine geritten hatte und diesen nicht bezwingen konnte. ‚Bezwingen‘ bedeutet: Acht Sekunden auf dem Rücken des wütenden und sich wild gebärenden Tiers auszuhalten, ohne abgeworfen zu werden. Bonner – einst ein Star am Rodeo zwischen Texas und den nördlichen Staaten des Westens – ist mittlerweile in die Jahre gekommen, was ihn seine Mitstreiter auch spüren lassen. Es traut ihm keiner mehr den ganz großen Wurf zu. Als er zum Haus seiner Eltern kommt, findet er dies leer und zum Abriß freigegeben. Sein Vater Ace Bonner (Robert Preston) hat es für einen Spottpreis an Juniors Bruder Curley (Joe Don Baker) verkauft, der es wiederum einer Baufirma weiterverkauft hat, an der er selber beteiligt ist. Es sollen Häuser für Senioren auf dem Gelände gebaut werden. Juniors Mutter Elvira (Ida Lupino) ist derweil in einen Trailer gezogen. Ace liegt im Krankenhaus, nachdem er sich geschlagen hat, doch nichts kann ihn dort halten, er will an der Parade zum Rodeo teilnehmen. Er haut ab und stibitzt sich Juniors Pferd, welches dieser immer in einem Anhänger an seinem Wagen mit sich führt. Junior findet ihn schließlich mitten in der Parade und die beiden hauen mit dem Pferd quer durch die Stadt ab. Am Bahnhof genehmigen sie sich ein paar Schlucke Whiskey und Ace erzählt Junior von seiner neuesten Idee: Er will nach Australien, Gold suchen und vielleicht Schafe züchten. Doch braucht er dazu Geld, das er nicht hat und von Curley, den er verachtet, nicht annehmen will. Junior kann ihm aber ebenfalls nicht helfen, er ist abgebrannt, seine letzten Dollars hat er für eine Kaution ausgegeben, nachdem er unterwegs verhaftet wurde. Deshalb muß er auch Buck Roan (Ben Johnson) anhauen und bestechen, der die Stiere stellt, damit so etwas wie der Herr des Rodeos ist und Junior das Antrittsgeld leihen muß. Zudem besticht Junior ihn, damit er erneut auf dem Stier – Sunshine – zu sitzen kommt, der ihn beim letzten Mal so übel zugerichtet hatte. Der erste Tag des Rodeos geht mit den üblichen Wettkämpfen – Broncos reiten, Kälber einfangen etc. vorüber, Junior liegt gut in der Rangliste der Reiter und Cowboys. Abends kommt es zwischen Junior und Curley zu einer Aussprache, die damit endet, daß Junior Curley einen ordentlichen Aufwärtshaken verpasst, nachdem dieser ihm unmißverständlich klar gemacht hat, daß er ihn verachtet auf seiner Jagd nach den acht Sekunden, während er, Curley, an seiner ersten Million arbeite. Jovial bietet er Junior einen Job als Vertreter an. Am nächsten Tag im Saloon stellt sich heraus, wie entfremdet Ace von seiner Familie ist; nach wie vor ist er ein Großmaul, ein Angeber und Frauenheld, doch zugleich nimmt ihm niemand seine Geschichten und Angebereien mehr ab. Es kommt zu einer Massenschlägerei, von Junior angezettelt, an der dieser aber nicht teilnimmt, stattdessen aber mit einer ihm unbekannten Lady (Barbara Leigh) tanzt und in einer Telefonzelle heimlich Küsse austauscht. Der zweite Tag des Rodeos bringt dann den berüchtigten Ritt auf den Stieren. Junior gelingt es diesmal, die acht Sekunden auf dem Rücken von Sunshine zu bestehen. Er streicht seinen Teil der Siegprämie ein, sagt seiner Lady Auf Wiedersehen, geht in ein Reisebüro und kauft dort ein One-Way-Ticket erster Klasse nach Australien. Er bittet die Dame am Schalter, dieses in den Saloon bringen und dort an Ace Bonner aushändigen zu lassen. Dann steigt er in seinen Wagen und fährt über die Highways dem nächsten Rodeo entgegen.
Nachdem Sam Peckinpah 1971 STRAW DOGS abgedreht und damit einen verstörenden Film über die Entstehung von und die Spirale der Gewalt vorgelegt hatte, lieferte er noch im selben Jahr mit JUNIOR BONNER seinen – nach eigener Aussage – liebsten Film vor. Anders als in dem Spätwestern THE WILD BUNCH und in STRAW DOGS, ließ er hier gänzlich von der Gewalt ab und widmete sich einem möglicherweise weitaus komplexeren Thema, das allerdings die Gewaltrezeption beinhaltet: Er widmete sich der Frage wie der Westen war, bzw. was aus dem Westen wurde, wie er rezipiert wurde und wie er heute, also im Jahr 1971, wahrgenommen und vermarktet wird. Um diesen Fragen, die Peckinpah immanent behandelt, ohne allzu theoretisch zu werden (zumindest vordergründig), nachgehen zu können, bedient er sich einer der schlichtesten Handlungen, die sich denken lassen:
In seinem WESTERN-LEXIKON weist Joe Hembus im Eintrag zu JUNIOR BONNER auf Leslie Fiedlers Konzept der drei Grenzen (im Sinne des Begriffs ‚frontier‘) hin. Die erste Grenze, die die „eigentliche“, die reale ‚frontier‘ war, existiert längst nicht mehr, sie ist Geschichte; an der zweiten Grenze wird die ‚frontier‘ verherrlicht, sie wird ein Status nationaler Identität, hier findet die die Mythisierung statt; die dritte Grenze bedeutet die Kommerzialisierung und Ausbeutung dieses nationalen Erbes. An jener dritten Grenze wird das, was einst vielleicht war, vermarktet: Rodeos, Wildwestfilme, Schaukämpfe und Schauduelle, Stuntshows, Indianertänze im Reservat etc. Hembus verortet Bonner als eine Person der zweiten Grenze, die an der dritten arbeitet und im Geiste eigentlich der ersten entstammt. Das ist so sicherlich erst einmal richtig, doch wird man dem Film JUNIOR BONNER damit noch nicht gerecht. Denn Peckinpah ist zu intelligent, um nicht zu begreifen, daß er, der Regisseur von Wildwestfilmen, ganz genau dort arbeitet, wo die dritte Grenze verläuft: Er ist wesentlich an der Kommerzialisierung beteiligt, die Mythisierung ist längst geschehen und abgeschlossen. Doch hat er als Künstler dieser Mythisierung ja bewußt entgegen gearbeitet, gerade mit der Blut- und Gewaltorgie THE WILD BUNCH, zwei Jahre zuvor.
Nun also wendet sich der Mythenzerstörer und Bilderstürmer Peckinpah seiner unmittelbaren Gegenwart zu und schildert, was aus dem Erbe jener Männer wurde, die in seinem älteren Film freiwillig in den sicheren Tod gingen, weil ihnen für das Leben, das sie leben wollten kein Raum mehr zur Verfügung stand. Als aus dem Mythos Geschichte wurde und die Institutionen der Moderne, der Zivilgesellschaft auch im Westen einzogen, waren die wilden Zeiten zuende, zugleich jedoch wurde die Erinnerung daran wesentlich – in Hinsicht auf das kollektive Gedächtnis ebenso, wie in kommerzieller. Im Verzicht auf Gewalt (sieht man einmal von der eher als Slapstick gefilmten Barschlägerei ab) markiert Peckinpah den maximalen Abstand, die maximale Differenz zwischen der ersten und der dritten Grenze. Was dort bitterer Ernst war, ist hier Unterhaltung (allerdings spielt sie in JUNIOR BONNER wirklich keine Rolle). Und – wie so oft – bleibt er dabei ambivalent. Was Peckinpah sich nie erlaubt, wenn er Western dreht, also „historisch“ wird, selbst in den abstrusesten Situationen, hier erlaubt er es sich – er gibt seine Figuren momentweise der Lächerlichkeit preis. Seien es die Rodeoszenen selbst, die – immer wieder vom grellen Ton der Sirene unterbrochen, die den Beginn und das Ende des jeweiligen Ritts markiert – die Arbeit der Cowboys zwar ehrlich aber eben auch als das zeigen, was sie (mittlerweile) ist: Show, sei es die Saloonprügelei, bei der man den Eindruck gewinnt, alle haben nur drauf gewartet, endlich loslegen zu können und die zudem eher wie ein Tanz anmutet, oder sei es Ace und Juniors Ritt auf des dessen Pferd quer durch die Stadt, die dann mit einem zünftigen Schluck Whiskey endet – all diese Handlungen scheinen aus der Zeit gefallen, scheinen nicht mehr in eine Wirklichkeit zu passen, die mit ganz anderen Mitteln realisiert wird. Als Junior das Haus seiner Eltern aufsuchen will, verfährt er sich in einer Mondlandschaft, da hier Bulldozer und Bagger die Erde umstülpen und sieht sich plötzlich einem solchen Ungetüm gegenüber, das bedrohlich über ihm aufragt. Der Fahrer, versteckt hinter einer Sonnenbrille und Ohrenschützern gegen den Lärm, betrachtet Bonner wie ein Insekt, das es zu zertreten gilt. SO wird die Zukunft geschaffen. Curley, der mit einem Stetson und einer riesigen Gürtelschnalle rumläuft, der all die Requisiten des Westens trägt, aber eben als Werbefläche und Verkaufsargument, der mit einem Traktor in der Rodeoparade mitfährt und Candy verteilen läßt, Curley ist der Mann der Zukunft. So fies er sich ausnimmt, wenn er Junior lächerlich macht und seine Million gegen dessen acht Sekunden ausspielt, und wir – und der Film – natürlich vollkommen hinter Junior und dessen (damit dem klassischen Western verwandten) antikapitalistischer Haltung stehen, hat Curley natürlich recht. Und Junior mit seinen Bemühungen macht nichts anderes, als genau den Kommerz zu bedienen, den er scheinbar so verachtet, ihm zugleich aber einzig die Möglichkeit bietet, dieses Leben überhaupt noch zu leben.
Lucien Ballard, der hier einmal mehr für Peckinpah die Kamera führt, fängt das Geschehen in dokumentarisch anmutenden Bildern ein, nutzt dazu aber vor allem Westerneinstellungen: Halbtotalen und Totalen, „amerikanische Einstellungen“ und geschickt gesetzte Fahrten. Und mehr noch als in vielen seiner anderen Filme, läßt die Kamera sich ablenken: immer wieder verharrt sie bei scheinbaren Nebensächlichkeiten und kleinen Szenen, die nichts auszusagen scheinen. Doch unterstreicht gerade das den Dokumentarcharakter des Films, und gerade das macht sichtbar, was das eigentliche Thema des Films ist. Denn so werden wir all dessen gewahr, was der Zuschauer eigentlich nicht sehen soll, nicht in einem Film und auch nicht auf einem Rodeo: Wie die Pausenclowns gar nicht lachend miteinander diskutieren, wie die Barmädchen die Tische abwischen und dabei unendlich müde erscheinen, wie die Gesichter der Zuschauer (es war dem Rezensenten leider nicht möglich, zu recherchieren, ob dies alles auf einem wirklichen Rodeo gefilmt wurde, wenn nicht, ist es der Produktion und den Setdesignern allerdings gelungen, die Szenerie eines Rodeos nahezu perfekt nachzustellen) in Staunen verhaftet sind, wie ihnen die Münder offen stehen bleiben und wie das Lachen aus ihnen herausbricht. Wir sehen plötzlich ein Kind, dem sein Eis herunterfällt und darob die Tränen kommen, wir sehen den Schaum vor den Mäulern der Tiere. Und doch abstrahieren Peckinpah und Ballard, wenn sie aus den acht Sekunden auf dem Rücken des Stiers (im erweiterten Sinne allerdings aus dem ganzen Rodeo) einen enorm verlangsamten Tanz machen, indem sie das Mittel der Zeitlupe – zuvor in Szenen äußerster Gewalttätigkeit eingesetzt – erneut verwenden. Diese Zeitspanne wird in der Zerdehnung zu einer unendlichen Lücke, in der die Idee des alten Westens, die Härte, die von dort hierhin geführt hat, komplett verankert sind. In dieser Lücke existiert der Mythos, der zeitlos ist.
Wir sehen, wie Sättel präpariert werden, wie die Stricke an den Leibern der Stiere befestigt werden, wie die Ausrüstung bereitgelegt und gepflegt wird, wie die Wunden verbunden werden. Und das alles scheint das eigentliche Thema dieses Films zu sein. Das ist es, was vom alten Westen bleibt, das ist die Grenze dessen, was noch vom eigentlichen Westen, der Frontier übrig geblieben ist. Und dennoch scheint Peckinpah in genau diesem Setting ein Statement abgeben zu können: Denn der Traum, der originäre Traum, dem Greeleys „Go West,…man“ Ausdruck verleiht, daß es diesen Westen eben als Idee einer ewig zu verschiebenden Grenze immer gäbe, genau diesem Traum verleiht der eben gar nicht mehr junge Ace Bonner weiter Ausdruck, wenn er von seinen Australienplänen berichtet. Es sind die gleichen Gründe – Gold und Grund für Viehzucht – , wie sie die Menschen 160 Jahre zuvor in den amerikanischen Westen vorangetrieben haben. Ace – Großmaul, das er ist – nennt sie vorsichtshalber gleich mal beide. Auch darin steckt etwas Lächerliches, doch hier schreckt Peckinpah davor zurück, diesen Mann vollkommen zur Witzfigur zu machen: Ida Lupino gibt Elvira viel Würde, wenn sie Ace sagt, daß er gehen solle, sie sicher nicht mitkäme, ihn jedoch verstünde. Sie wisse, daß er gehen muß. In der Würde dieser Frau, die sich das Treiben dieses Kerls offenbar schon lange mit angesehen und ihm doch immer wieder die Tür geöffnet hat, kommt auh Ace zu seinem Recht. Da ist dieser Film ganz dem Western verpflichtet (wie in so vielem) – es ist die Liebe einer Frau, die retten kann. Dennoch unterminiert Peckinpah einen weiteren Mythos des Westens – den der Familie. Doch ob hier, wie Hembus meint, etwas Wesentliches zerbricht, oder ob hier etwas allzu deutlich aufgedeckt wird, das so nie existiert hat, es ist schwer zu entscheiden. Nimmt man Junior Bonner, scheint die Beziehungslosigkeit in der Familie zu liegen, scheint sie zumindest den männlichen Part auch nicht sonderlich zu stören. Daß dabei jedoch irgendwer – zumindest die Frauen – emotional auf der Strecke bleibt, diesem Gedanken gibt Peckinpah hier so deutlich Ausdruck, wie sonst an kaum einer Stelle seines Werkes.
Sam Peckinpah weiß, wie sein Held Junior Bonner, daß der Traum vom Westen und der ewigen Grenze wahrscheinlich in der modernen Welt ausgeträumt ist (und wir Heutigen, noch einmal 40 Jahre weiter, wissen erst recht, wie ausgeträumt diese Art von Träumen sind). Junior will nicht weiter, er will das Leben, das er lebt – frei, ungebunden – so lange leben, wie es irgend geht. Er braucht dazu aber den Mythos, den er nicht in Australien finden kann. Er braucht die Aura des Originalen Westens, der echten, der ersten ‚frontier‘, was Hembus bestätigt. Doch bringt Peckinpah mit JUNIOR BONNER auch zum Ausdruck, daß man darum wissen kann, mit diesem Wissen leiden kann und dennoch die Möglichkeit hat, sich zwischen Mythos, Geschichte und Rezeption hindurch windend weiter Geschichten zu erzählen, auch, am Mythos zu arbeiten, so oder so. JUNIOR BONNER hat einen leichten und nahezu beschwingten Grundton. Weder die gewalt-ige Schwere des WILD BUNCH noch die melancholische Nostalgie von PAT GARRETT & BILLY THE KID belasten diesen Film. Er führt uns zeitgenössisch alltägliche Probleme vor – Geldmangel, Eheprobleme, Entfremdung – , er erzählt uns unaufgeregt eine Vater-Sohn-Beziehung, die ausnahmsweise halbwegs klappt (und damit auch konträr zu der Behandlung dieses zentralen Themas in Peckinpahs Werk steht), er zeigt uns die Beschwernisse des Alterns, ohne daraus ein Drama zu machen. Generell erzählt JUNIOR BONNER kein Drama. Fast humorvoll wird uns ein Mensch vorgeführt, der sich im Grunde mit allem, was ihm widerfährt, abfinden kann. Wenn ihm wirklich etwas wichtig ist – diesen Stier zu besiegen zum Beispiel – ist er bereit, auch krumme Wege dafür zu gehen, doch ansonsten hält ihn nichts. Er entspricht dem Typus jenes „Gypsy Man“, den J.J. Cale besingt:
„Things like love don´t tie me down
I just spread my love around
Like small change on girls I dont know
Im a gypsy man on a one-night stand
Gonna have some fun before I have to go“
Und damit kommt er auch sehr gut klar. Junior Bonner lebt das Leben, das er leben will.
1971 gibt Sam Peckinpah damit zwei Zeichen hin zur Bewegung dieser Zeit: In STRAW DOGS zeigt er uns einen Liberalen, der sich in den Widersprüchen verfängt, die die Moderne so auslegt zwischen Anspruch und Wirklichkeit der eigenen Ideale. Doch in JUNIOR BONNER spricht er auch eine Art Grußadresse an die gegenkulturellen Bewegungen zwischen Studenten, Freaks und Hipstern und den Hippies, die sich in den frühen 70ern auf den Status als Outlaws beriefen. Diesen sollte er zwei Jahre später in PAT GARRETT… eine metaphorische Elegie widmen, die er mit seinem Abgesang auf den alten Westen vermischte. JUNIOR BONNER wird in Peckinpahs Werk immer eine Ausnahmestellung einnehmen, allein schon, weil er selten so abstrakt im Konkreten wurde, wie hier. Selten war das, was er als Westernregisseur tat, so stark ins Zentrum eines Werkes gerückt, wie hier.