DIE ERMORDUNG DES JESSE JAMES DURCH DEN FEIGLING ROBERT FORD/THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD

Andrew Dominik bietet eine andere, postmoderne SIchtweise auf die Legende des Jesse James

Missouri 1881. Nach zwölf Jahren Bank- und Zugüberfällen ist die Bande von Jesse (Brad Pitt) und Frank (Sam Shepard) James zwar berühmt, aber weitestgehend aufgerieben. Die Brüder planen einen weiteren, möglicherweise letzten Überfall auf einen Zug. Dafür stellen sie eine Gang aus Männern zusammen, die sie in der Umgebung von Kansas City rekrutieren, wo Jesse, unbehelligt durch jegliche staatliche Repression, mit seiner Frau Zeralda (Mary-Louise Parker) und den gemeinsamen Kindern lebt.

Es sind teils Farmer, deren Leben trostlos und karg ist, teils sind es Tagediebe, die nach dem Bürgerkrieg und in einem verarmenden Süden nicht mehr in ein Zivilleben zurückgefunden haben, die sich da einfinden, um mit einer Legende zu reiten.

Unter den Männern befinden sich auch Charly (Sam Rockwell) und Robert ‚Bob‘ (Casey Affleck) Ford. Während Charly ein etwas einfältiger Typ ist, der seine Ungeschicklichkeiten mit einem ewigen Grinsen und meckerndem Gelächter überspielt, ist Bob ein junger, nicht einmal zwanzigjähriger Kerl, der Jesse James bisher nur aus den zahlreichen Pulp-Magazinen und Zeitungsartikeln kennt, die den Banditen verherrlichen und ihm andichten, eine Art moderner Robin Hood zu sein. Bob ist diesen Geschichten des ehrenhaften Helden erlegen, er verehrt Jesse James.

Doch so sehr Bob sich auch bemüht, Jesses Anerkennung zu finden, muß er doch feststellen, daß dieser ihn – wie auch andere Männer aus der Gang – nur verspottet und nicht ernst nimmt.

Während des Überfalls auf den Zug muß Bob darüber hinaus lernen, daß Jesse James ein brutaler, fast psychopathischer Mann ist, unberechenbar, zynisch und ohne Gnade gegenüber Menschen, die er als „Unionisten“ zu erkennen glaubt.

Nach dem Überfall zieht Frank sich aus der Gang zurück. Er will ein anderes, friedlicheres Leben führen. Der Rest der Gang teilt sich. Jesse kehrt zunächst nach Kansas City zurück, zieht in der Folgezeit, da der Fahndungsdruck auf ihn erhöht wird, immer wieder um.

Sein Cousin Wood Hite (Jeremy Renner) kehrt mit den Ford-Brüdern und Dick Liddl (Paul Schneider) bei der Schwester der Fords, Martha Bolton (Alison Elliott), ein, wo die vier Männer sich zunächst verstecken und still verhalten sollen. Es kommt hier immer wieder zu Spannungen vor allem zwischen Liddl und Hite. Als Hite Liddl bedroht, erschießt Bob Ford den Mann von hinten. Die Leiche verscharren sie oberflächlich in einem Weiler. Sie wollen nicht, daß Jesse erfährt, was sich zugetragen hat, da sie befürchten, daß dieser außer sich gerät und meint, seinen Cousin rächen zu müssen.

Jesse seinerseits bricht auf, seine Männer zu besuchen. Er macht Halt bei Ed Miller (Garret Dillahunt), der sehr nervös ist. Jesse vermutet, daß er verraten wurde. Später taucht er auch bei der Schwester der Ford-Brüder auf. Erneut verhöhnt er Bob, dem zunehmend klar wird, daß der Jesse James aus seinen Heften und jener, den er in der Realität erlebt, nichts gemein haben. Während Liddl sich im Haus versteckt und die Ford-Brüder behaupten, sie wüssten nicht, wo er sich aufhält, Jesse aber immer wieder darauf insistiert, daß er Liddl finden müsse, da dieser mit Hite zusammenreiten würde, gesteht Jesse Charlie nachts, daß er Ed Miller getötet habe.

Bob und Charlie, aber auch Liddl und einige andere aus der Gang mutmaßen, daß Jesse nach und nach alle Männer umzubringen gedenkt, weil er niemandem mehr traue. Bob vertraut sich bei einer Gelegenheit Sheriff Timberlake (Ted Levine) an. Er hofft einerseits, straffrei wegen der Tötung von Hite auszugehen, zugleich ist er aber auch bereit, seine Nähe zu Jesse James zu nutzen, um diesen zu verhaften, da eine große Belohnung auf dessen Kopf ausgelobt wurde. Um die Ernsthaftigkeit seines Anliegens zu unterstreichen, verrät er dem Sheriff den Aufenthaltsort von Liddl, der daraufhin im Haus von Martha Bolton verhaftet wird.

Auf einem Empfang des Gouverneurs taucht Bob auf, wird aber unsanft aus dem Saal begleitet. Später empfängt ihn Gouverneur Crittenden (James Carville) und lässt bei dieser Gelegenheit erkennen, daß er einer finalen Lösung des James-Problems nicht abgeneigt wäre. Bob lässt durchblicken, daß er bereit ist, den Auftrag anzunehmen.

Jesse plant neue Überfälle, vornehmlich auf Banken. Da die Gang zerstreut und Frank weit weg ist, bleiben ihm nur die Ford-Brüder, um mit ihm zu reiten. Er rekrutiert die beiden, die sich bereit erklären, wieder mit ihm zu arbeiten. Bob verrät Charlie seinen Plan. Beide haben große Angst vor Jesse und vor allem davor, daß dieser ihren Auftrag errät oder verraten bekommt und sie tötet.

Jesse zeigt wieder, wie paranoid er mittlerweile ist, zugleich kommt aber auch eine große Verletzlichkeit zum Ausdruck. Mittlerweile in das kleine Nest St. Joseph, Missouri, umgesiedelt, bringt Jesse beide Ford-Brüder in seinem Haus unter, um sie unter Kontrolle zu haben. Immer wieder provoziert er vor allem Bob, den er nicht leiden kann, der in seiner Undurchschaubarkeit gefährlich wirkt und keinesfalls so dumm, wie sein Bruder. Andererseits hat Jesse auch Respekt vor dem jungen Kerl, der ihn vergöttert und zugleich dafür hasst, nicht der zu sein, den er, Bob, immer in dem Banditen gesehen hatte. In einem ehrlichen Moment erklärt Jesse Bob, daß er sich selbst nicht mehr kenne, nicht wisse, wie aus dem jungen Mann, der auch er einmal gewesen ist, nun, mit Mitte dreißig, ein blutrünstiger Killer werden konnte.

Als Jesse, der penibel darauf achtet, in der Öffentlichkeit nicht erkannt zu werden, eines Tages mit Waffen und seinem üblichen Auftritt durch den Ort schlendert, ahnen die Ford-Brüder, daß es an der Zeit ist, zur Tat zu schreiten.

Als Jesse am Tag vor dem geplanten Überfall im Haus herumstromert, kommt es zu einer Situation, in der er Bob lange den Rücken kehrt. Als nichts geschieht, legt Jesse seine Revolver ab und steigt auf einen Stuhl, weil er angeblich ein Bild richten und abstauben will. Nun, als er vollkommen unbewaffnet ist, überwindet sich Bob, seine Waffe zu ziehen – eine Waffe, die er zuvor von Jesse geschenkt bekommen hatte – und auf Jesse James anzulegen. Auch Charlie hat seine Waffe gezogen und einer der beiden schießt. Jesse bricht sterbend zusammen.

In den folgenden Monaten wird Bob Ford vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Er und Charlie gehen an die Ostküste, wo sie in einem Theaterstück wieder und wieder vorführen, was sich an jenem Tag im Wohnzimmer des Hauses von Jesse James abspielte. So kommen sie zwar zu Wohlstand, zugleich sehen sie sich aber auch immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, den Mann, dem nun, im Tod, noch mehr Verehrung zuteilwird, feige und hinterrücks erschossen zu haben.

Charlie beginnt damit, seinen Bruder und die Art, wie er mit seiner Tat angibt, kritischer zu sehen. Schließlich verachtet er Bob. Eines Tages bringt er sich um.

Bob verfällt selbst in Depressionen. Er vermisst Jesse und bereut seine Tat. Doch niemand ist bereit, ihm zuzuhören oder gar zu glauben. Nur die Barsängerin und Tänzerin Dorothy Evans (Zooey Deschanel) leiht ihm ihr Ohr. Jahre später betreibt Bob ein Saloon-Zelt im Westen, mit dem er hinter Goldsuchern und Glücksrittern herreist. Hier wird er zwölf Jahre, nachdem er Jesse James getötet hat, selbst Opfer eines Mörders. Ed O´Kelley sucht – wie einst Bob Ford – Ruhm dadurch, daß er einen berühmten Mann, den Mörder von Jesse James, ermordet.

 

Kill your idols – dieser zu Beginn der 1990er Jahre gern genutzte Slogan könnte Andrew Dominiks Spätwestern THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD (2007) vorangestellt werden. In seinem sehr langen, sehr elegischen Film erzählt der Regisseur, der auch das Drehbuch verfasst hat, fast nüchtern davon, wie ein junger Mann sein Vorbild tötet – und symbolisch damit sich selbst. Denn im Kern berichtet dieser Film mit dem ellenlangen Titel von einem sehr modernen Phänomen: Über-Identifizierung mit und Projektion auf einen verehrten Star. So interpretiert Dominik das Verhalten der historischen Figur Robert ‚Bob‘ Ford, der einst den zu jener Zeit vor allem im Süden der USA in etlichen Magazinen und Zeitungsgeschichten als Volksheld gefeierten Bank- und Zugräuber Jesse James erschoß.

„Erzählen“ ist in diesem Fall allerdings eher euphemistisch gemeint, denn wenn in diesem Film – fast ausschließlich von Männern – gesprochen wird, sind diese Aussagen entweder lang hingezogen oder sie werden bis auf wenige Ausnahmen zu starren Worthülsen. Auch deshalb stattet Dominik seine Erzählung wohl mit einem Voice-Over aus, in welchem dem Zuschauer nicht nur Zusammenhänge erklärt werden, sondern gelegentlich auch das Innenleben der Figuren, vor allem jenes von Jesse James. Brad Pitt spielt diesen enigmatisch, versteinert und verschlossen bis hin zur vermeintlichen Apathie. Daß dieser Mann depressiv ist – wir ahnten es; daß er sich seiner selbst entfremdet hat – wir ahnten es; daß er Angst hat vor dem Mann, zu dem er in seinem Blutrausch geworden ist – auch das ahnten wir. Nichtsdestotrotz meint das Drehbuch, uns diese psychische Verfasstheit entweder aus dem Off noch einmal erklären oder aber in einem im Kontext des Films kaum motivierten Monolog des Betreffenden, gerichtet an seinen späteren Mörder, unterstreichen zu müssen.

Sicher eine der wenigen, allerdings einschneidenden Schwachstellen eines Werkes, das für sich wahrscheinlich in Anspruch nimmt, weit hinter den Mythos zu blicken und eher in einer Riege mit Filmen wie Michael Ciminos HEAVEN´S GATE (1980) oder dem noch älteren Robert-Altman-Western MCCABE & MRS. MILLER (1971) genannt zu werden, als in einer Reihe mit jenen Werken der Filmgeschichte, die sich zuvor mit der Figur des Jesse James beschäftigt haben. Andrew Dominik dekonstruiert das, was heute gern „toxische Männlichkeit“ genannt wird – die Figuren hinter der Legende und ihr Umfeld. THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES… erzählt aus einer Wirklichkeit, die keine Helden kannte und in der auch jene Normen und Werte, die Helden wie die James-Brüder angeblich hervorgebracht haben, nie existierten. Stattdessen wird uns eine Welt vorgeführt, in der jeder sich bemüht, den eigenen Vorteil zu nutzen, eine Welt, in der es weder Freundschaft noch Loyalität gibt und erst recht gibt es in dieser Welt keine Gerechtigkeit, die durch Umverteilung – wenn auch gewaltsame – hergestellt wird.

Der historische Jesse James wurde bereits während seines Wirkens verherrlicht und als Symbol jener politischen Strömungen genutzt, die sich nach dem Bürgerkrieg bemühten, der alten Konföderation, der Rebellion, Einfluß zu verschaffen. Er hatte, wie sein Bruder Frank, im Krieg jenen Guerillas angehört, die sich Bushwackers nannten und in Missouri einen eigenen Krieg gegen die Unionstruppen führten, wobei die Zwecke alle Mittel heiligten. Frank James hatte u.a. am Massaker an der Zivilbevölkerung der Stadt Lawrence, Kansas, teilgenommen. Beide – Frank und Jesse – hegten einen tiefsitzenden Hass auf die Union. Als sie nach dem Krieg begannen, zunächst als Mitläufer, später als Anführer einer eigenen Gang, Banken und Züge zu überfallen, dabei gelegentlich die einfachen Reisenden verschonten (was der Film im einzigen Überfall, den er zeigt, anders darstellt), wurden sie von Zeitungen, die sich der „Sache des Südens“ verpflichtet sahen, zu Robin-Hood-Figuren aufgepeppt, die angeblich nur die (anonymen) Unternehmen des Nordens bestahlen, um das erbeutete Geld an die verarmende Landbevölkerung zu verteilen. Dem folgte eine Art Verehrung gerade für Jesse James, die durchaus mit der Verehrung von Popstars in unserer Zeit vergleichbar ist. Selbst der spätere Präsident Theodore Roosevelt sah ihn in dieser Robin-Hood-Tradition.

Robert Ford, dreizehn Jahre jünger als James und damit viel zu jung, um selbst an den Kämpfen des Bürgerkriegs teilgenommen zu haben, war ein glühender Verehrer des Mannes, der im Süden schon Legendenstatus hatte. Dominik präsentiert ihn als einen klugen, etwas verschlagenen und vor allem tief verletzten jungen Mann, dessen Fixierung auf sein Idol niemand ernst nimmt, der von seinen älteren Brüdern und den Männern um ihn herum gehänselt wird und der sich gleichzeitig in die Identifikation mit James einigelt und das Objekt seiner Begierde, seiner Obsession, zu hassen beginnt, je mehr dieser sich nicht nur als ganz normaler Mensch, sondern zunehmend auch als brutal und zynisch entpuppt. Der reale James jemand ganz anderes, als es jene Pulp-Hefte vermitteln, die Ford als Kind und Jugendlicher geradezu verschlungen hat,. Enttäuschte Liebe, jugendlicher Übermut und ein seltsam hinterhältiges Gemüt ergeben eine Mischung, die Ford schließlich dazu treibt, Jesse James zu erschießen. Allerdings beschreibt der Film auch einen Mann, der sich in eine unmögliche Situation gebracht hat, an einem Mord beteiligt war, den James rächen will, sein Vorbild damit bereits hintergangen hat und mit seiner Tat auch den Wunsch der Institutionen – hier repräsentiert im Gouverneur des Staates Missouri, Thomas Crittenden – erfüllt. Denn die James-Gang, die zuvor mit äußerster Brutalität durch die Detektive der Pinkerton-Agentur bekämpft worden war, stellte für die Staatsmacht nicht nur ein Ärgernis dar, sie war eine reelle Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Gerade in einem Staat, der vor, während und auch nach dem Bürgerkrieg zerrissen und uneins war.

So ist der von Casey Affleck brillant gespielte Bob Ford die eigentliche Hauptfigur dieses Films. Jesse James bleibt im Grunde eine leere Fläche, auf die ein jeder projizieren kann, was er will. Das Innere dieses Mannes bleibt unergründlich, trotz Pitts Bemühungen, hinter der statischen Darstellung einen traumatisierten und tief verwundeten Charakter aufscheinen zu lassen. James ist hier ein Mann, der längst im Dunstkreis seines eigenen Mythos verloren gegangen ist. Er ist ein Mann, der zwar weiß, daß die meisten Geschichten, die über ihn kursieren, nicht stimmen, dem aber dennoch zusehends die Realität entgleitet und der sich – und das ist die eigentliche Handlung eines im Grunde erstaunlich handlungsarmen Films – seiner Paranoia immer hemmungsloser hingibt. Er will einerseits dem Verrat durch seine Männer zuvorkommen, zugleich aber auch den Mord an einem Cousin rächen. In der fast undurchschaubaren Melange der Figuren im Film ist – und das wird so beabsichtigt sein – allerdings kaum mehr auseinanderzuhalten, wer nun eigentlich mit wem in welchem Verwandtschaftsverhältnis steht. So erzeugt Dominik eine Atmosphäre, in der jeder jedem mißtraut, in der nichts von Banditenehre oder Kameradschaft zu spüren ist, in der aber auch angebliche Werte wie „Familie“ immer nur so lange zählen, wie sie nützen.

Man hat es mit Männern – und noch einmal: Es spielen fast nur Männer eine Rolle hier – zu tun, die nach dem Krieg nie mehr in ein bürgerliches Leben zurückgefunden haben, dies vielleicht auch nie wollten. Männer, die durchweg zutiefst traumatisiert, vor allem aber brutalisiert sind. Sie leben in einer oft kargen, lebensfeindlichen Einöde, die im Film über lange Strecken vor allem als winterliche Schneelandschaft gezeigt wird. Ihre Familien leiden Not, fristen ein ebenso karges Leben, bestellen ihre kleinen Felder. Diese Männer waren – und sind – größtenteils selber Farmer, die von Zeit zu Zeit aufbrechen, einen Zug zu überfallen, Verlorene zwischen Welten, die sie nicht mehr in Übereinstimmung bringen können. Die einzige Kommunikationsform, die diese Männer wirklich kennen, ist Gewalt. Der Film selbst hält sich sehr zurück, diese Gewalt zu zeigen, wenn es unausweichlich ist, inszeniert Dominik diese Momente antiklimaktisch. Nie sehen wir wilde Action; wenn geschossen wird, haben diese Darstellungen eher ernüchternden Charakter, treffen hier doch nur einige sofort ihr Ziel und meist werden Menschen aus dem Hinterhalt oder in Situationen getötet, in denen sie bereits hilflos sind.

Andrew Dominik ist vielmehr daran interessiert, diese Menschen unter den Bedingungen des Davor und Danach zu studieren. Ihn interessieren jene Momente, in denen eigentlich sprachlose Männer versuchen, ihre Taten und ihr Tun zu reflektieren, woran sie fast immer scheitern. Sie ziehen sich in Floskeln und Phrasen, meist Prahlereien zurück. Es wird viel geredet in diesem Film, wenn auch langsam, stockend, oft eher raunend und verhüllend, selten offen und damit kommunikativ. Jesse James erklärt in der oben bereits erwähnten Szene seinem jungen Widersacher Bob Ford, daß er in den Momenten, in denen er töte, sich selbst nicht mehr erkenne und nicht verstehe, wie aus dem jungen Kerl, der er einmal war, dieser Mann, dieser skrupellose Mörder, hat werden können, der er ist. Diese Szene und der darin enthaltene Monolog ist die ehrlichste Sprachkommunikation, die der Film bietet. Der Voice-Over, der den gesamten Film mal mehr, mal weniger begleitet, gibt sich wiederum bewußt sachlich, rein deskriptiv, fast dokumentarisch, bis er plötzlich beginnt, dem Zuschauer das Innenleben gerade von Jesse zu erklären.

Umso mehr erstaunt es bei all der Erklärerei, daß es Dominik eben doch gelingt, etwas Eigentliches darzustellen, ohne dies durch Rede weiter auszuwalzen. Denn THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES… ist im Kern ein Kammerspiel, ein Duell zweier Männer, die im andern sich selbst erkennen – oder erkennen wollen – und zugleich ahnen, daß das eigene Schicksal unweigerlich mit dem des andern verbunden ist. Pitts Jesse James weiß oder ahnt die ganze Zeit, daß der junge Bob Ford, den er nicht mag, den er aber ernst nimmt, ernster als dessen Bruder Charlie oder andere Männer aus der Gang, einst sein Mörder sein wird. Mehr noch – Pitt legt James so an, daß der diesen Tod geradezu herbeisehnt, ihm Vorschub leistet. In der vielleicht atemberaubendsten, auf jeden Fall intensivsten Szene des Films – jenen Minuten, bevor Ford James in dessen Wohnzimmer von hintern erschießt – wird genau diese Interpretation konkret. James bietet Ford seinen Rücken dar, er legt seine Waffen ab, er kommt seinem Henker in aller erdenklicher Weise entgegen. Daß er sich mit seinem gewaltsamen Tod bereits abgefunden hat, ihn geradezu antizipiert, deutet sich schon in der Einstellung zuvor an, als James in voller Montur, bewaffnet und somit als der gekennzeichnet, der er ist, aus dem Dorf kommt, was er sich in dem Ort, wo er mit Frau und Kindern lebt, zuvor nicht erlaubt hat. Es wirkt wie eine Einladung an Ford, endlich zur Tat zu schreiten. Er, Jesse James, hat nichts mehr zu verbergen. Dieser Mann steht schlußendlich zu dem, was er ist: Ein Mörder und Bandit. Und eine Legende.

Dominik zeigt den Mord selbst als brutalen Akt, aber auch hier enthält er sich erneut jeglicher Stilisierung oder gar Dramatisierung. Aus der Halbdistanz beobachtet die J`Kamera den Raum, die Geometrie der Figuren, die Anordnung dieser drei Männer – auch Charlie ist anwesend und, der Film lässt es offen, möglicherweise der eigentliceh Schütze – zueinander, ihre Bewegungen, vor allem jene außerordentlich ruhigen, die Jesse James vollführt. Wie er den Revolvergürtel auf das Sofa legt, ihn glattstreicht, wie er den Hof vorm Haus, seine spielenden Kinder, lauter kleine Details beobachtet, momentweise wahrnimmt, geradezu in sich aufsaugt, sich dann so postiert, daß niemand ihn mehr verfehlen kann. Und schließlich in der Spiegelung auf dem Bild, daß er geradezurücken und zu entstauben gedenkt, Bob Ford auf sich anlegen sieht. Es entsteht eine Anspannung zwischen diesen Figuren, wie sie auf der Leinwand nicht häufig zu spüren ist. Und wir ahnen die ganze Zeit – obwohl wir wissen, wie diese Minuten enden werden – daß die Befürchtung der Fords, Jesse werde sie töten, wenn sie ihm nicht zuvorkommen, eine sehr reale ist. James bietet ihnen eine Gelegenheit. Und sich selbst die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, endgültig.

In den dann folgenden, abschließenden zwanzig Minuten des Films, wird der wettere Lebensweg der Ford-Brüder beschrieben. Ihr Weg über die Boulevard-Bühnen der Ostküste, wo sie den Tötungsakt, der natürlich ein Verrat war und Ford den Ruf eines Feiglings eintrug, wieder und wieder nachspielen; den Selbstmord von Charley Ford, der die eigene Niedertracht nicht mehr erträgt, vor allem aber nicht, wie Bob seinen seltsamen Ruhm gnadenlos ausnutzt; Bob Fords Versuche, in unterschiedlichen Geschäftsbereichen Fuß zu fassen und seinen lebenslang andauernden Kampf gegen die Ressentiments, die ihm entgegenschlugen; schließlich die Ermordung Fords durch Edward O´Kelley, der seinerseits mit dem Mord am Mörder von Jesse James Ruhm erhaschen wollte und doch nur im Gefängnis landete und nach seiner Begnadigung durch Präsident Theodore Roosevelt ein prekäres Leben führte, bis er seinerseits bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei eines gewaltsamen Todes starb. Und dagegen geschnitten sehen wir, welche perversen Blüten Heldenverehrung treiben kann: James` Körper wird auf Eis gelegt und ausgestellt, Entertainer bemühen sich, ihn zu kaufen und mit ihm durch die Staaten und Territorien zu reisen, um ihn auch dort zur Schau zu stellen – gegen Geld, versteht sich. In der Mise en Scene um äußerste Realistik bemüht, akkurat bis in die Details, zeigt Dominik frühe Formen jener medialen Skandalgeilheit, die wir auch heute, Hundert- und Tausendfach umfassender und verbreiteter, ebenfalls kennen.

Und auch diese Ebene kann das Drehbuch klar und deutlich herausarbeiten: Wie Gewalt und Ruhm, der auf Gewalt fußt, neue Gewalt hervorruft, wie eine Spirale entsteht, die immer nur weiter in Not und Elend und weitere Gewalt führt. Dominik stellt damit einer Gesellschaft, der er selber als Neuseeländer nicht entstammt, ein fundamental, zutiefst bedrückendes Zeugnis aus. Die Grundlage, die Basis dieser Gesellschaft ist Gewalt. Töten und getötet werden sind in dieser Gesellschaft nicht nur scheinbar existenzielle Taten, es sind nahezu natürliche Vorgänge. Zugleich lernen wir, daß Legenden einen Legenden-Tod sterben müssen, um ihren Status erhalten zu können. Und daß es für den, der einmal in der Legende gefangen ist, kein Entkommen mehr gibt[1]. Dominik zeigt allerdings psychologisch motiviert auch, daß dieses Geschäft – das Töten der Legende – nicht nur jemand übernehmen, sondern vor allem, wer dieses Geschäft erledigen muß. Bob Ford will „jemand sein“, will wahrgenommen werden. Erst will er dies erreichen, indem er zur Gang gehört, wodurch er seinem Idol näher zu kommen hofft. Dann will er es erreichen, indem er dieses Idol tötet – und sich selbst befreit. Denn seine Identifikation mit James engt ihn zusehends ein und engt ebenso seinen Handlungsspielraum ein. Indem er James ermordet, ermordet er in sich den Teil, der sich identifiziert und erschafft einen neuen Teil seiner selbst, der eben dadurch definiert ist, daß dieser Mann Jesse James´ Mörder ist. Nun kann er einer Narration folgen, der zufolge er der Gesellschaft einen Dienst erwiesen hat. Einer Gesellschaft allerdings, die den toten Banditen einerseits verherrlicht, es andererseits aber auch in Ordnung findet, wenn ein solcher Mann gerichtet wird, ohne je eine Gerichtsverhandlung erlebt zu haben, ohne Urteil sein blutiges Ende findet. Eine Gesellschaft also, die Gewalt goutiert und gutheißt und in einem alttestamentarischen Sinne als gerecht wahrnimmt, sie zugleich aber immer schon auch zu einem Teil des öffentlichen Lebens, des Entertainments gemacht hat.

Durchaus poetisch, manchmal gar lyrisch, kostrastriert Dominik diese schon in ihren Grundfesten verkommene, unzivilisierte Gesellschaft mit der rauen Schönheit des Landes, in der sie lebt und die sie hervorgebracht hat. Kameramann Roger Deakins fängt diese Geschichte in manchmal unfassbar eintönigen, manchmal vor sprießender Natur nur so strotzenden, immer grandiosen Bildern ein. Er stellt die Schönheit gewisser Landschaften damit der inneren Ödnis dieser Männer, und der Gesellschaft, die sie bilden und bestimmen, gegenüber. Er bietet fast rauschhafte Bilder von ziehenden Wolken, sich im Wind wiegenden Weizenfeldern, lässt die winterliche Landschaft derart klirrend wirken, daß wir die ihr innewohnende Kälte zu spüren glauben. Gelegentlich lässt er die Bildränder unscharf werden, fokussiert auf die Bildmitte und unterstreicht damit die Konzentration einzelner Protagonisten, die Fokussierung auf ein eigentlich nie klares, nie eindeutiges Ziel. Die Unschärfe verdeutlicht aber auch die soziale Unschärfe in diesen Grenzregionen, wo Nachbarn ihre Nachbarn abgeschlachtet hatten, in der die Frontverläufe vollkommen unklar waren, manchmal mitten durch Familien gingen, Freundschaften zerrissen. Es ist ein Blick, der nicht mehr klar ist, auch nicht mehr zu klären ist, der deshalb auf Dinge, Menschen, Ziele gerichtet wird, die scheinbar klar, einfach, erfassbar sind.

Unterstützt werden die Handlung und diese brillanten Bilder von einem Soundtrack, den Nick Cave (der in einer späten Szene des Films auch einen Auftritt als eine Art Bänkelsänger hat) und Warren Ellis komponiert haben. Auch dieser Soundtrack unterstützt die elegische, manchmal melancholische Stimmung, die den ganzen Film trägt, ihn geradezu tränkt und die doch nie, wie manchmal bei Sam Peckinpah, jenem Großmeister des elegischen Spätwestern, sentimental wird. Auch in seiner leisen, stillen Trauer behält sich Dominiks Film vor, distanziert zu bleiben, zu betrachten, sein Publikum nicht über Gebühr zu manipulieren. Als Soundtrack ist es eine manchmal unerträglich traurige Musik, der Song, den Cave in seiner Szene vorträgt, ist dann aber eines jener Volkslieder, die einen Helden feiern, ohne genauer zu hinterfragen, wie sich die reellen Begebenheiten hinter dem Mythos eigentlich darstellen. Mit einfachen Mitteln gelingt es so auch, einmal mehr die Legendenbildung zu bebildern, die in den USA immer gern um Männer wie Jesse James, Billy the Kid, Wild Bill Hickok oder Wyatt Earp betrieben wurde und an der im 20 Jahrhundert natürlich auch und gerade der Film mitgewirkt hat.

Henry King konnte den Titelhelden in seinem Epos JESSE JAMES (1939) noch als die Robin-Hood-Figur feiern, die gern in dem Banditen gesehen wurde, und erzählte damit die Legende nach, bzw neu mit den Mitteln des jungen Mediums Film. Nicholas Ray zeigte den Banditen in THE TRUE STORY OF JESSE JAMES (1957) als eine Art jugendlichen Helden, einen Rebellen (der er als Konföderierter ja tatsächlich war), der mehr jener Figur glich, die James Dean in Rays Erfolgsfilm REBEL WITHOUT A CAUSE (1955) verkörpert hatte. Damit wurde die Figur an zeitgenössische Maßstäbe und Rollenmodelle angepasst und als Projektionsfläche der Jugend der 50er Jahre genutzt. Walter Hill zeichnete in LONG RIDERS (1980) schon ein differenzierteres Bild seines Helden und seiner Gang. Zwar erklärt auch er die James-Brüder zu Rebellen, deren Weg aus dem Krieg in das Verbrechen nahezu zwangsläufig vorgezeichnet war, doch zeigt er durchaus auch müde Männer, die die unglaubliche Gewalt, die sie erleben, hervorrufen, exekutieren (und die der Film geradezu fieberhaft zelebriert) selber kaum fassen können und schließlich durch eben diese Gewalt – ebenfalls zwangsläufig – gerichtet werden.

THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD folgt einem anderen Muster. Die bei Hill noch angedeuteten Neurosen sind hier längst virulent, sie sind geradezu konstitutiv für diese Männer. Scheint Hill mögliche andere Wege anzudeuten – Frank James steht dort für zumindest eine mögliche Alternative – gibt es zumindest für Jesse James in Dominiks Film keine Alternative, keine Errettung oder gar Erlösung mehr. Aber gleiches gilt im Grunde für alle Männer in diesem Film. Ihre Leben sind in Sackgassen gemündet, in ausweglosen Situationen und fatalen Konstellationen. Sie alle wirken wie Männer, die ihr Ende längst kennen, nur den genauen Zeitpunkt incht. Und wenn er kommt – wie in jenen Momenten, da Jesse James bei seinem Kumpel Ed Miller auftaucht – haben sie diesem Ende auch nichts mehr entgegen zu setzen. Sie nehmen es an, sie sind zu müde, zu geschlagen, um sich aufzubäumen. Es ist kein Wille mehr vorhanden.

Der Film versteht sein eigenes Film-Sein. Die Over-Voice verabschiedet Frank James früh aus der Handlung mit der Information, daß er nach dem Tode seines wenig geliebten Bruders verstört war und es schwer zu fassen fand, diesen nie wiedersehen zu können. Der Film weiß, daß sein Publikum um den Ausgang der Handlung weiß und kann deshalb von Anfang an auf das Ende der Geschichte verweisen. Er weiß aber vor allem um die Diskrepanz zwischen Legende und Wirklichkeit – oder einer vermeintlichen Wirklichkeit. Und er weiß in gewisser Weise, daß er selbst, gerade weil er ein Film ist, auch trotz all der Dekonstruktion, die er betreibt, immer wieder den Graben zwischen Wahrheit und Legende überquert und nicht wirklich auf einer Seite verortet werden kann. Durch dieses Wissen, das aber nie thesenhaft in den Film einfließt, sondern ebenfalls bestenfalls beschrieben wird – als integraler Bestandteil der Handlung oder als Teil der Mise en Scene – wird dies ein intelligenter Film, ein hintersinniger Film, ein Film, der seinem Label als Western allerdings nur bedingt gerecht wird. Eher kann man ihn in jene oben bereits erwähnte Riege der Anti-Western eines Robert Altman oder Jim Jarmusch und dessen DEAD MAN (1995) einreihen. Aber im 21. Jahrhundert einen Western zu drehen, der irgendeine Relevanz haben soll, kann nur funktionieren, wenn man diese Ebene – den Mythos, den der Western immer bedient hat, selbst da, wo er um den Mythos, den er bedient, wusste – mit bedenkt.

Der Zuschauer sollte eben keinen herkömmlichen Western erwarten. Denn Andrew Dominik unterläuft diese Erwartungen gerade mit dem Verzicht auf Action, herkömmliche Spannung und genretypische Konventionen ganz bewußt. Einmal mehr – was man vor allem auch in Bezug auf Ciminos Meisterwerk HEAVEN`S GATE sagen kann – sollte man konstatieren, daß nicht jeder Film, der in den Jahren zwischen 1870 und 1890 in den Weiten der USA spielt, automatisch ein Western ist, auch wenn er möglicherweise Themen behandelt, die sonst Western vorbehalten sind. Hier hat man es eher mit dem psychologischen Duell zweier Männer und einer Reflektion über das Werden und Wirken von Mythen zu tun.

 

[1] Eine Erkenntnis, die Henry King, der auch den klassischen Jesse-James-Western JESSE JAMES (1939) gedreht hatte, allerdings schon in seinem Meisterwerk THE GUNFIGHTER (1950) bereits abgehandelt hatte.

 

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