DIE HAUT/LA PELLE

Ein beeindruckender Roman - gebildet, verzweifelt, gefährlich

Schon 1949 erschien DIE HAUT (LA PELLE, 1949; Dt. erstmals 1950, hier in der Neuübersetzung von Frank Heibert, 2024), ein Kriegsroman des Deutsch-Italieners Curzio Malaparte, mit bürgerlichem Namen Curt Erich Suckert, Sohn einer italienischen Mutter und eines deutschen Vaters. Der Roman wurde ein enormer Erfolg, sowohl in Italien, als auch auf internationalem Parkett, nicht zuletzt in Deutschland. Malaparte – was soviel bedeutet wie „schlechter Teil“ und von Suckert bewusst als Anspielung auf „Bonaparte“, also den „guten Teil“ gewählt worden war – war kein Unbekannter, vielmehr war er in Italien als Diplomat, als Dandy, als Romancier und Publizist bekannt, aber auch als ein Anhänger wie auch Gegner Mussolinis und später als durch den Diktator Verbannter.

Als Diplomat, aber auch als Verleger, ging er in den Salons von Rom, London, Paris oder Berlin ein und aus. Ein hochgebildeter Mensch, aber auch ein Mensch seiner Zeit – angezogen von vermeintlich modernen Ideen und Kräften, bspw. dem Futurismus und damit eben auch dem Faschismus. So spricht aus den 460 Seiten dieses Romans immer auch eins: Die Verzweiflung eines, der sich geirrt hat, eines Menschen – eines Mannes in diesem Fall, was sicher eine eigene Betrachtung wert wäre, spielt doch das Männerbündische, die Gemeinschaft des Maskulinen, die Faszination daran bei gleichzeitiger Verachtung der Homosexualität, hier immer auch eine Rolle, mal offensichtlich, mal eher subtil – der an einem Verlust leidet, einem Verlust, der nicht nur ihn persönlich betrifft, sondern den Kontinent Europa generell.

Es ist der das Ende einer Ära, einer Epoche, eines Zeitalters, in dem Dinge etwas galten, die fürderhin – das ahnt Malaparte und beschreibt es teils mit tiefsitzendem Zynismus – nichts mehr gelten werden. Ehre, Loyalität, Verbundenheit, klassische Bildung. Nun gilt nur noch die Errettung der eigenen Haut etwas, wodurch den Menschen die Würde entgleitet – darauf spielt der Titel des Buchs an. Es geht nur noch um die nackte Existenz. Dafür verkauft man sich und die eigenen Kinder, wie der Erzähler in langen Einlassungen hinsichtlich der Stadt Neapel und der dort grassierenden Prostitution berichtet; ebenso aber ist man bereit, jede Ehre, jedweden Stolz fahren zu lassen und zu betrügen, übers Ohr zu hauen, zu hintergehen, um einen und sei er noch so geringfügigen Vorteil für sich selbst herauszuholen. Loyalität gilt hier nichts mehr.

Die insgesamt zwölf Kapitel des Buchs, teils lange Abschnitte, beschäftigen sich in eher losen Handlungszusammenhängen mit einzelnen Episoden und mit Erlebnissen im Leben des Erzählers, der als „Curzio Malaparte“ auftritt. Meist ist er in Begleitung seines Freundes, des amerikanischen Offiziers Jack Hamilton, der in dem Offizier Henry Cumming ein reales Vorbild hatte, ein enger Freund Malapartes, dem dieser sich fast brüderlich verbunden fühlte und welchem er nach der Landung der Amerikaner auf Sizilien und der Kapitulation der italienischen Armee als Verbindungsoffizier zugeteilt wurde. Die ersten Kapitel spielen fast ausschließlich in Neapel – womit DIE HAUT auch ein grandioser Roman über diese Stadt und ihre Bewohner ist – wo die amerikanischen und kanadischen Truppen in der Etappe liegen, während die Front über Monate an der Abtei von Montecassino ins Stocken gerät. Der Handlungszeitraum ist also auf die Monate zwischen Januar 1944, als die Schlacht am Montecassino begann, bis etwa zum Kriegsende im Mai 1945 eingegrenzt. Spätere Kapitel erzählen vom Vormarsch auf Rom, später auf Florenz, allerdings werden diese Ereignisse eher nebenher berichtet, lapidar werden dabei auch die Tode einiger Malaparte begleitenden Figuren erwähnt – darunter auch der Tod von Jack Hamilton.

Ist dies also ein Kriegsbericht? Ist es tatsächlich ein Roman? Oder ist es eher das reflexive Werk eines zum philosophischen Sinnieren Neigenden? Folgt man dem klugen Essay, den Übersetzer Heibert dieser Ausgabe nachstellt (aber, das soll fairerweise erwähnt sein, auch dem von Florian Illies verfassten Vorwort), kann man alle drei Erzählstimmen im Text ausmachen. Die des Berichterstatters, des Romanciers und die des Philosophen. Allerdings kann man sie als Lesender – also als ein nicht-wissenschaftlich mit dem Werk Beschäftigten, wie es ein Übersetzer ist – gelegentlich nicht so klar voneinander unterscheiden, wie es zunächst scheint. Denn die Ebenen wechseln ineinander über, manchmal kaum merklich, manchmal brachial, sie durchwirken einander, bedingen einander, korrespondieren miteinander und stellen einander durchaus auch in Frage.

Man sollte davon ausgehen, dass der Ich-Erzähler des Buchs eine Kunstfigur ist, die einerseits sehr genau beobachtet, was umher geschieht, dabei oft durch Zynismus, mindestens aber einen schmerzhaften Sarkasmus um Distanz bemüht. Eine Distanz, die dem Romancier Malaparte, der zwangsläufig empathisch sein muss, nicht mehr möglich ist. Und der sich – und das macht einen wesentlichen Teil dieses eben auch grandiosen Romans aus – oft ins Groteske, in nahezu bizarre, phantasmagorische Übertreibungen steigert, um dem Wahnsinn, dessen er ansichtig wird, wahlweise beizukommen oder zu entgehen. So lässt er uns in dem Kapitel Der schwarze Wind an einem von ihm erinnerten nächtlichen Ritt durch die Ukraine teilhaben, bei welchem er nach und nach gewahr wird, dass die Straße von Gekreuzigten Juden gesäumt wird, die den Christenmenschen Malaparte in ein ihn zusehends in Bedrängnis bringendes Gespräch darüber verwickeln, wie man noch an den Christengott glauben mag, wenn dieser zulässt, was malaparte hier betrachten muss. Das ist zutiefst surreal und fordernd für den Leser und wird konterkariert durch eine Episode, in welcher der kriegserprobte Malaparte – er hatte im ersten Weltkrieg gekämpft und führt einen Teil seines abgebrühten Zynismus auf seine Erlebnisse im Feld zurück – dafür sorgt, dass ein junger G.I., der einen Bauchschuss erlitten hat und dem Tode geweiht ist, nicht unter Qualen ins Lazarett gebracht wird, sondern halbwegs schmerzfrei vor Ort sterben darf. Um ihm die Leidenszeit erträglicher zu machen, beginnt Malaparte, Parodien auf Mussolini zu spielen und animiert die amerikanischen Soldaten reihum, es ihm gleich zu tun.

Eine bis in die Details der Verletzung explizite, exakte und sehr authentische Szene gleitet somit ins Surreale, das eine fürchterliche Realität eben annehmen kann, bleibt jedoch völlig im Rahmen eines möglichen Kriegserlebnisses. Derweil jener von vornherein als phantasmagorisch angelegter Ritt durch die Allee der Gekreuzigten durch das scheinbar so rational-vernünftige Gespräch, das die Verdammten mit Malaparte führen und das ihn so fürchterlich bedrängt – erst recht als sie erst von ihm fordern, sie zu töten und damit zu erlösen und ihn dann verdammen, wenn er tatsächlich glauben sollte, mit solch einer Geste aus der Verantwortung für das, was geschieht, entlassen zu sein – immer realer zu werden scheint. Immer wieder kippt die Erzählung, sinniert sie in lange reflektierende Passagen über das Wesen von Gut und Böse, von Sieg und Niederlage, Macht und Machtlosigkeit, von Altem (Europa) und Neuem (Amerika) und das Irren als wesentliches Merkmal des menschlichen Daseins.

Der ausgesprochen gebildete Curzio Malaparte verfügt über die intellektuellen Fähigkeiten, seine Überlegungen und Gedanken mit 2000 Jahren europäischer Kunst-, Geistes- und Kulturgeschichte zu unterfüttern. Malaparte wandelt in der Gestalt eines Überlegenen durch diesen Roman. Diese Überlegenheit speist sich aus genau diesem alten Wissen des Europäers, eines Kontinents, der seit Tausenden von Jahren – viel länger noch als die christliche Geschichte zurückreicht – der Tragik unterliegt, sich selbst zu zerfleischen auf zu engem Raum mit zu viel kulturellem Überschuss. Diesem Kontinent ist das Wissen um all sein Leiden tief eingeschrieben. Ein in den Augen Malapertes letztlich immer schon verlorener Kontinent, der nun, in der Niederlage, noch einmal zu sich selbst zu kommen scheint, in eben jenem weiter oben beschriebenen Verlust ein letztes Mal seine Würde zurück erhält. Eine Niederlage, die ihm so viel Schreckliches aufzwingt: Den Verlust der Würde, nicht zuletzt durch die bereits erwähnte Prostitution; die Homosexualität der Jungen, die er allesamt für schwule Dandys, Salonbolschewiken, Mode-Kommunisten hält (wobei ihm das eine oft ins andere hinüberwächst, ohne dass die Grenze deutlich erkennbar wäre) und die sich, kaum ist der Süden Europas befreit, hier breit machen; die Amerikaner als Freunde einerseits, andererseits als Quell einer neuen Zeit, die oberflächlich werden wird, in der das alte Wissen, in der wahre Bildung – die Malaparte auf praktisch jeder einzelnen Seite zur Schau stellt, was seine kulturelle Überlegenheit ununterbrochen belegt – nichts mehr zählt, in der das Triviale, das Banale, das Obszöne, der reine Fetischismus obsiegen wird.

Das erinnert oftmals an den Kulturpessimismus und die abendländische Untergangsstimmung eines Oswald Spengler und anderer konservativer bis protofaschistischer Apokalyptiker der Zwischenkriegszeit. Malapartes Schreiben erinnert darüber hinaus aber sowohl an Vorläufer wie Ernst Jünger oder auch Louis-Ferdinand Céline und dessen REISE ANS ENDE DER NACHT, als auch an Nachfolger. Das reicht von Joseph Hellers CATCH 22, das sich ebenfalls in grotesk übersteigerte Fantasien des Krieges flüchtet, über Kurt Vonneguts SCHLACHTHOF NUMMER 5, bis zu Thomas Pynchons DIE ENDEN DER PARABEL und dessen Helden Tyrone Slothrop, der ähnlich durch den Weltkrieg, die europäischen Kriegsschauplätze stolpert, wie Malaparte in einigen Kapiteln seines Buchs. Die genannten Autoren dürften diesen Roman gekannt, er dürfte sie nicht unwesentlich beeinflusst haben.

Mit den Apokalyptikern teilt er den Dünkel einer sich überlegenen wähnenden Kultur (Jünger), die sich wesentlich von der angelsächsischen Zivilisation abgrenzt und mit den gängigen konservativen Ansichten der Zwischenkriegszeit übereinstimmt, aber auch den Ekel gegenüber der Menschenschlächterei wie bei Céline, dessen Antisemitismus Malaparte allerdings dezidiert nicht teilt, wie er auch keine Ressentiments gegen Schwarze hegt, denen er immer wieder in den US-Streitkräften begegnet und deren besondere Situation er hingegen sehr genau wahrnimmt. Denn Schwarze wurden durchaus diskriminiert und als Menschen (und also auch Soldaten) zweiter Klasse beschrieben. Widersprüche, die Malaparte wahrnimmt und genüsslich vor Jack und anderen Amerikanern ausbreitet. Es gibt ausgesprochen witzige Szenen beim Abendessen mit Generälen und amerikanischen Honoratioren, die hinter die Front reisen, um sich „ein Bild“ zu machen und die immer wieder als zutiefst erstaunte Wesen beschrieben werden, die meist nur wiederholen könne, was ihnen ihr italienischer Ersatzgastgeber mitzuteilen hat. Sie nehmen wahr, sie erkennen aber nicht und erst recht sind sie nicht in der Lage, zu begreifen.

Mit seinen Nachfolgern wiederum teilt Malaparte die Wahrnehmung des Krieges als eines die Menschheit befallenen Wahns. Und in diesen Momenten sieht man in ihm eben auch den Menschen, ein leidendes, manchmal gehetztes Tier, sieht man den Verzweifelten, der etwas verloren gehen sieht, was ihm sehr, sehr viel bedeutet hat und dessen Untergang er dennoch als zwangsläufig erkennt. DIE HAUT ist so ein Vorkriegsroman, ein Kriegsroman und ein Nachkriegsroman zugleich, was ihn außergewöhnlich, vielleicht einzigartig macht. Er ist schwer zu lesen – nicht zuletzt, weil Malaparte viel Äußerungen, gleich ob auf Deutsch, Englisch oder Französisch stehen lässt; aber auch, weil er auf etliche kulturellen Eigenheiten, teils sprachlicher Natur, aber auch tagesaktuelle Ereignisse Bezug nimmt – was ein wenig durch ein klug angelegtes Glossar am Ende des Buchs zumindest teilweise ausgeglichen wird. Es ist auch in vielem ein ärgerlicher Roman, wird der faschistoide Grundsatz des Autors doch häufig deutlich. Und es ist sogar ein gefährliches Buch, weil es durch seine Bildung und das unbedingte Beharren auf deren Berechtigung, wenn auch vergangene Berechtigung, die Überlegenheit des alten Kontinents nicht nur behauptet, sondern sogar zu belegen scheint.

Vor allem aber ist DIE HAUT ein unbedingt lesenswertes Buch, das vielleicht gerade in Zeiten, in denen wieder etwas unterzugehen, verloren zu gehen droht, etwas zu sagen hat, wesentlich, gar wichtig wird. Denn es teilt uns durchaus mit, dass Vieles, das dem Alten zugerechnet wird, erhaltenswert sein könnte. Somit ist es im besten Sinne ein konservatives Buch.

 

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