DIE KOLONIE/THE GATHERING

C.J. Tudor bietet einen ansatzweise interessanten Beitrag zum Vampir-Genre, der aber über eben diese Ansätze auch nicht hinauskommt

Vampire feiern ja wieder fröhliche Urständ´. Aber warum auch nicht? Kaum eine der mythologischen Gestalten, mit denen das Horror-Genre gern spielt, bietet eine solch große Fläche für Projektionen, bietet sich so eindeutig als Metapher oder Allegorie an, wie die untoten Blutsauger. Schon ihr eigenartiges Wesen, irgendwo zwischen Leben und Tod, macht sie faszinierend, erschreckt den Menschen, lässt ihn aber auch immer etwas neidisch auf die Unsterblichkeit blicken, die ihnen zu eigen ist. Zugleich kann man trotz des Schreckens, der von ihnen ausgeht, immer auch Mitleid mit ihnen haben, ahnt man doch die Einsamkeit, in der sie existieren. Als klassische Einzelgänger beherrschen sie oft ganze Landstriche – gern weitab und in Gegenden gelegen (Transsylvanien), von denen die Rezipienten keine klare Vorstellung haben – und machen sich deren Bewohner Untertan. Deshalb funktionieren sie hervorragend als Metapher für autokratische Herrscher und Tyrannen. Spätestens Hollywood entdeckte dann ihr erotisches Potential. Dort ging von Vampir häufig eine dunkle, unheimliche Sexualität aus, gern wurde in ihm der Typ des südländischen Liebhabers, der Latin Lover, gesehen, der dem weißen Mann die Frau auszuspannen und sie sich hörig zu machen drohte. Dadurch kam immer auch ein seltsamer Minderwertigkeitskomplex eben dieses weißen Mannes zum Ausdruck, welcher durch Ressentiment, meist sogar Rassismus kaschiert wurde. Im Laufe der Zeit mussten Vampire allegorisch als Überträger von Viren aller Art herhalten, was gerade in den Zeiten von AIDS große Wirkmacht entfaltete; und spätestens mit Anne Rice und ihrer CHRONIK DER VAMPIRE (seit 1976) wurde das über die reine Erotik, den Sexus hinausreichende romantische Potential der Figur entdeckt, welches dann von Stephanie Meyer in ihrer TWILIGHT-Saga (seit 2005) – auch als kongeniale Film-Reihe – voll ausgeschöpft wurde. Seit 2001 bietet Charlaine Harris mit ihren SOOKIE STACKHOUSE-Romanen eine weitere Lesart des Vampirs an: Der Blutsauger als eigene Spezies, die sich in einer von Menschen beherrschten Welt ihren Platz erkämpfen muss und diesen wieder und wieder zu verteidigen hat. Der Vampir als verfolgte Minderheit zwischen etlichen anderen Minderheiten und Identitäten: Definitiv eine höchst interessante Variante, um dem Vampir-Mythos eine neue Wendung zu geben. Die HBO-Serie TRUE BLOOD (2008-2014) verarbeitete Harris´ Bücher zu einer der erfolgreichsten TV-Serien der letzten Dekaden.

C.J. Tudor stößt mit ihrem Roman DIE KOLONIE (THE GATHERING, Original erschienen 2024; Dt. 2025) in eine ähnliche Richtung vor. Die Doktorin für forensische Vampiranthrolopogie und zugleich Detective der Mordkommission Barbara Atkins wird in das Kaff Deadhart in Alaska geschickt, wo ein Junge bestialisch ermordet wurde. Die Einwohner der Siedlung – 673 an der Zahl – sind davon überzeugt, dass es sich hier um die Tat eines der in einer nahegelegenen Vampir-Kolonie lebenden Wesen handeln muss. Nun wollen sie von Atkins eine schnelle Bestätigung dieses Verdachts um eine sogenannte „Massen-Keulung“ vornehmen zu dürfen, was einem Massaker an den Bewohnern der Kolonie gleichkäme, unter gewissen Umständen jedoch durch die Regierung genehmigt wird. Diese Kolonie ist vor nicht allzu langer Zeit erst wieder in die Nähe von Deadhart gezogen, nachdem sie für ein Vierteljahrhundert verschwunden war. Damals hatte es ebenfalls einen Mord an einem Jungen gegeben, was eine Vergeltungsaktion einiger Männer des Städtchens nach sich zog, obwohl ein einzelner Vampir – fälschlicherweise, wie der damalige Chief Tucker, der einzige Schwarze in Deadhart, mittlerweile weiß – die Verantwortung für die Tat auf sich nahm. Barbara Atkins stößt also in eine höchst explosive Mischung aus Vorurteil, Wut (wenn nicht gar Hass) und allerhand alter Rechnungen, die noch zu begleichen wären.

Nominell zieht Tudor ihren Roman als Kriminalgeschichte auf. Detective Atkins, selbst Kind einer Deadhart vergleichbaren Kleinstadt und Tochter eines gewalttätigen und alkoholabhängigen Vaters, der einigen der Männer gleicht, mit denen sie es nun zu tun bekommt, ist lediglich an einer vorbehaltlosen Aufklärung des Sachverhalts gelegen. Allerdings hatte sie in ihrer Kindheit eine enge Freundschaft zu einem Vampir-Mädchen, das durch die Hand ihres Vaters eines grässlichen Todes sterben musste. Atkins´ Interesse an Vampiren ist also nicht ganz selbstlos und anders als die meisten Menschen weiß sie, womit sie es tatsächlich zu tun hat.

Tudor kann im Laufe des Romans eine ganz eigene Mythologie um die vermeintlich Untoten ausarbeiten und dem Publikum vermitteln. So sind Vampire keineswegs unsterblich, sie altern lediglich viel, viel langsamer als Menschen. Sie scheuen das Tageslicht, weshalb sie sich gern in den nördlichen Regionen der Welt angesiedelt haben, doch vernichtet es sie nicht, wenn sie ihm ausgesetzt sind. Auch schrecken sie weder vor Knoblauch noch vor Kruzifixen zurück, dennoch halten sich in der Welt von DIE KOLONIE die herkömmlichen Vorurteile und Ansichten über Vampire, die wir aus etlichen Büchern und Filmen kennen. Tudor gelingt so ein recht spannendes Spiel mit Gewissheiten, Klischees und (von ihr selbst hinzugefügten) Erkenntnissen über Vampire.

Vor allem aber dichtet sie ihnen an, schon immer da gewesen, eine ganz eigene Spezies zu sein, die in diesem Fall jahrhundertelang eine friedliche Koexistenz mit den Indigenen führte und erst „kriegerisch“ wurde, als der Mensch nach Alaska vorstieß (im Umkreis von Deadhart wurden Erzvorkommen gefunden, wodurch die unwirtliche Gegend überhaupt erst in den Fokus ökonomischer Interessen rückte), ihnen das Land und ganz nebenbei die Lebensgrundlagen und -berechtigung nahm. Kommt einem bekannt vor? Genau: Tudor nutzt die Vampire, um all die Vorurteile, Ressentiments und den Hass zu verarbeiten, die der durchschnittliche weiße Redneck-Amerikaner immer schon gegenüber Indianern, Schwarzen, Schwulen, Juden und alle weiteren denkbaren Minderheiten hegte. Wobei die Vampir-Kolonie im Roman alles auf sich vereint, was sich Menschen so ausdenken, um andere zu diskreditieren und zu diskriminieren.

Es ist redlich, was Tudor da macht, es verdient Respekt und zeigt einmal mehr, dass sich gerade im Genre – gleich ob Literatur oder Film – immer Themen gut abhandeln lassen, von denen sonst in eher trockenen Sachbüchern, in Zeitungsartikeln, Dokumentationen oder in gelegentlich nur schwer zu ertragenden, nichtfiktionalen Autobiographien berichtet wird. Im Genre werden diese Dinge spürbar, auch für ein Publikum, das nicht unmittelbar betroffen ist oder sich nicht einmal sonderlich für die Befindlichkeiten und Probleme anderer interessiert. Tudor geht sogar noch einen Schritt weiter und nimmt Bezug auf die großen Werke der Weltliteratur, wenn sie im Hintergrund eine – dazu noch schwule – Romeo-und-Julia-Geschichte anklingen lässt, wodurch die Verhältnisse in Deadhart natürlich erst recht kompliziert wurden. Denn wer ist in einem solch kleinen, eher konservativen Kaff schon bereit, die Homosexualität des eigenen Sohns zu akzeptieren – und dann noch zusätzlich die Tatsache, dass seine Liebe einem Vampir (aka Schwarzen, Juden, Katholiken – you name it) gilt? Tudor lässt Atkins dann auch in langen Dialogen mit Tucker, der ihr seine Hilfe anbietet, darüber sinnieren, dass eine „Transformation“, wie die Umwandlung in einen Vampir hier genannt wird, eine gefährliche und komplizierte Angelegenheit darstellt, die erst Volljährige vollziehen dürfen. Womit das Thema „Geschlechtsidentität“, „Geschlechtsumwandlung“ und „Transsexualität“ auch gleich abgehandelt wären. Man muss Tudor – die zu allem Überfluss auch noch eine religiös verbrämte Predigerin einbaut, die ihre ganz eigene Agenda verfolgt – zugutehalten, dass es ihr erstaunlich gut gelingt, all diese Themen fließend in ihre Story einzubauen und dies selten mit didaktischem Gestus daherkommt.

Doch damit dann auch genug der Lobhudelei. Denn noch der wohlwollendste Genrebeitrag darf ganz abseits seines Themas oder des Subtexts gewisse Fehler definitiv nicht begehen: So müssen die Regeln und Konventionen zumindest rudimentär begriffen und eingehalten worden sein; Leser*innen müssen spüren, dass hinter jedem Regelbruch, hinter jedem Spiel mit Klischees grundsätzlich erst einmal Einsicht in eben diese Klischees und Regeln besteht. Und Langeweile ist das Todesurteil für jeden Genrebeitrag. Er muss immer, zwingend, unterhaltsam sein. Nun ist Tudors Roman Langeweile sicher nicht vorzuwerfen, dazu ist das Tempo zu hoch und dafür sind die Begebenheiten aus sich heraus schon zumindest so spannend, dass das Publikum wissen will, wie es weitergeht. Doch fällt der Autorin leider nichts wirklich Neues ein, originell ist DIE KOLONIE gleich gar nicht. Zu vorhersehbar sind dann doch die Windungen und Wendungen, die die Story nimmt. In den richtigen Augenblicken taucht immer irgendjemand auf, der sich verdächtig genug benimmt, unsere und die Aufmerksamkeit der Ermittler zu erheischen und einen Moment – sprich ca. 20 Seiten – vom einmal eingeschlagenen Weg abzuweichen. Tödlich ist die Tatsache, dass die Leser*innen im Geflecht all der Figuren, die in der Gegenwart des Romans oder aber bei dem früheren, fünfundzwanzig Jahre zurückliegenden Fall, oder aber in beiden eine Rolle spielten, irgendwann die Übersicht verlieren.

Auch sind die meisten dieser Figuren überdeutlich dem Satzbaukasten für Thriller und Kriminalromane entnommen. Detective Atkins hat natürlich den entsprechenden familiären und sozialen Hintergrund, um eine Kleinstadt (gleich ob im mittleren Westen oder in Alaska, allet eene Wixe, wa) und ihre Spezifika zu begreifen; Nebenfiguren sind schnell in Gegner, Verbündete und die obligatorischen „Dazwischen“ aufgeteilt und als solche kenntlich gemacht; die „guten“ Nebenfiguren haben meist tragische Hintergründe und wir bekommen genügend Backgroundinformation zu den Vampiren und ihrer Geschichte, um Mitleid, zumindest Verständnis für jene aufzubringen, die den Menschen nicht wohlgesonnen sind; die Kleinstadtbewohner weisen alle typischen Merkmale des Hinterwäldlers auf, um uns an entsprechende Vorbilder in Funk und Fernsehen denken zu lassen – im Guten, wie im Schlechten. Und ganz manchmal wechselt mal eine Figur die Seiten, was sie interessant machen soll, allerdings verpufft dieser Effekt allzu schnell, weil diese Protagonisten meist nicht weitgenug eingeführt wurden, damit uns ihre Motive wirklich interessieren.

Zu guter Letzt muss Tudor sich vorwerfen lassen, nicht wirklich entschieden zu wissen, was sie da eigentlich fabrizieren will? Soll das nun ein Horrorroman sein, worauf die Verwendung der Vampir-Figur ja nun einmal hinweist? Oder ist dies – worauf der ganze Verlauf der Handlung hindeutet – einfach ein Kriminalroman mit „besonderem“ Personal? Wenn letzteres der Fall ist, dann muss man konstatieren, dass dies als Krimi schlichtweg zu eindimensional und auch zu einfach gestrickt ist. Da gibt es weitaus besser konstruierte Beiträge, auch solche mit Mystery-Faktor.

So bleibt festzuhalten, dass DIE KOLONIE ein schnell zu lesender Beitrag mit wohlgefälligen Ansätzen und einem klaren Bewusstsein für „woke“ Themen ist, der seine Aufgabe allerdings nur leidlich erfüllt. Es wäre, so oder so, mehr drin gewesen.

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