SOUTHERN GOTHIC. DAS GRAUEN WOHNT NEBENAN/THE SOUTHERN BOOK CLUB´S GUIDE TO SLAYING VAMPIRES

Grady Hendrix legt hier einen gelungenen Beitrag zu einem eigentlich schon recht ausgelutschten Genre vor

Es fällt angenehm auf, dass Grady Hendrix erst gar nicht so tut, als erfände er mit seinem Vampir-Roman SOUTHERN GOTHIC. DAS GRAUEN WOHNT NEBENAN (THE SOUTHERN BOOK CLUB´S GUIDE TO SLAYING VAMPIRES, Original erschienen 2020; Dt. 2021) das Rad, respektive das (Sub)-Genre, neu. Ganz im Gegenteil verlässt er sich auf allerlei bekannte Versatzstücke.

So siedelt er die Handlung in dem rein weißen, recht wohlhabenden Vorort einer Kleinstadt in den Südstaaten an, wo die Mitglieder eines – zunächst – rein weiblich besetzten Buchclubs nach und nach begreifen müssen, dass der neue Nachbar in der Siedlung offenbar etwas Nichtmenschliches ist, dass sie alle – sie, ihre Kinder, ihre Männer, letztlich ihren Lebensstil – bedroht. Und da die Damen nicht unbedingt gehobene Literatur lesen – zu Beginn des Romans treten sie aus einem anderen Buchclub aus, wo sie JUDE DER UNBEKANNTE von Thomas Hardy lesen sollen, womit sie sich jedoch recht unwohl fühlen – sondern einschlägige True-Crime-Berichte, mögen sie im Grunde auch das Morbide, solange es ihnen im wirklichen Leben nicht zu nahe rückt. Zwar lassen die Lesenden gelegentlich auch mal einen Roman wie DIE BRÜCKEN VON MADISON COUNTY in ihr Lektüreprogramm einfließen; dann allerdings nicht ohne sich zu fragen, ob Robert Kincaid, die Hauptfigur in Robert James Wallers Bestseller, nicht doch ein Serienmörder sein könnte. So dauert es nicht lange, bis eins der Mitglieder des Buchclubs – Patricia Campbell, die Hauptfigur – ihre ganz eigenen Schlüsse hinsichtlich dieses neuen, unbekannten Nachbarn namens James Harris zieht.

Hendrix rekurriert auf alle möglichen Vorlagen für sein eigenes Werk, er baut viele, viele Querverweise in seinen Roman ein, dabei – naturgemäß – vor allem solche auf andere Genrebeiträge der Horrorliteratur und des Psychothrillers. Geschickt nutzt er die Anleihen, die Versatzstücke und Zitate, um eine eigene, doch recht originelle Geschichte zusammen zu basteln, die, wie meist in anspruchsvolleren Genrebeiträgen, durchaus metaphorisch zu verstehen ist. Es werden etliche Bücher erwähnt, Patricia nutzt auch die bekannte Literatur zum Thema „Vampire“, um sich umfassend zu bilden, doch wird ein Werk nicht erwähnt, welches Hendrix als wesentliche Vorlage gedient zu haben scheint: Merilyn Frenchs epochemachender feministischer Roman FRAUEN von 1977. Wie Hendrix vor allem den Bewusstwerdungsprozess seiner Hauptfigur gestaltet, erinnert durchaus an denjenigen, den Mira, Frenchs Protagonistin, durchlebt. Auch Patricia ist eine Hausfrau, die sich für ihren Ehemann und die Kinder aufopfert, die ein gleichsam leeres Leben führt, die putzt, wäscht, die Einkäufe erledigt und dabei langsam aber sicher das Leben ungelebt an sich vorbeiziehen lässt, die Ersatzbefriedigungen in (meist) schlechter Literatur sucht und dort auf jene Abenteuer hofft, die sie in der Realität nicht erlebt. Patricia könnte – bis zu einem gewissen Punkt – jene tragische Figur sein, die Marianne Faithfull einst in The Ballad of Lucy Jordan besang. Als das Abenteuer, die Gefahr, die damit immer einhergehen muss, dann näherkommt, näher, als ihr lieb ist, ja, bereits wortwörtlich vor der Tür steht, nimmt kein Mensch Patricia ernst, weil sie – so die allgemeine Ansicht nicht nur ihrer Freundinnen, sondern auch derer Gatten, inklusive ihres eigenen – als etwas überspannt gilt. Zu viele Geschichten über Ted Bundy und andere Serienkiller, zu viele True-Crime-Stories und Bilder von Charles Manson et al. in ihrem Kopf.

Und das wiederum ist ein klassisches Szenario für einen Genre-Roman wie diesen: Da ist die Hauptfigur, die als einzige sieht was vor sich geht, der aber niemand glauben mag, die zunächst einen hohen Preis für ihr Beharren zahlt und schließlich, als es fast schon zu spät ist, sich zur Wehr zu setzen beginnt und dann auch Gehör findet. Hendrix wäre ein mittelmäßiger Roman gelungen, wenn er es dabei belassen hätte. Nette Verweise auf – bessere – Beiträge zum Genre bieten, hier und da eine Prise Humor einfügen und schließlich mehr oder weniger gekonnt die Spannung steigern, den Leser mit einigen tatsächlich nervenaufreibenden und einigen tatsächlich eklige Szenen konfrontieren und ihn dann in ein blutiges Finale führen – solche Romane gibt es viele. Und all das tut Hendrix tatsächlich auch.

SOUTHERN GOTHIC ist auf den ersten Hundert bis Hundertfünfzig Seiten vor allem lustig. Mit manchmal beißendem Witz beschreibt der Autor das Vorstadtleben seiner Protagonistinnen, lässt nebenbei einige Exemplare männlichen Geschlechts auftreten, bei denen man(n) sich sofort schämt, demselben anzugehören, und sorgt dafür, dass die Leser*innen sich fragen, wieso diese Frauen bei diesen Typen bleiben und das alles mitmachen. Geschickter Weise siedelt Hendrix seine Geschichte nicht nur in dem eingangs erwähnten Vorort, sondern zeitlich in den späten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts an, was die opferbereite Haltung dieser Frauen ein wenig glaubwürdiger, wenn auch nicht erträglicher wirken lässt, sollte man doch getrost davon ausgehen, dass der Feminismus damals noch nicht zwingend als Breitenbewegung im provinziellen Süden der Vereinigten Staaten angekommen war.

Was den Roman dann aber über reine Massenware erhebt, ist die Tatsache, dass Hendrix das Verhalten des Vampirs sich nicht zuletzt daran ausrichten lässt, dass das fremdartige Wesen sich auf gewachsene Strukturen dieser südstaatlichen Gesellschaft, sprich: auf die Überheblichkeit und Verblendung weißer Vorstadtbewohner, verlassen kann. Und damit wird SOUTHERN GOTHIC plötzlich zu einem Roman, der durchaus ein Schlaglicht wirft auf eben diese Gesellschaft und ihre Probleme. Und das sind vor allem Rasseprobleme, die Unterdrückung und Ausbeutung nicht-weißer Ethnien, die Tatsache, dass weiße, wohlsituierte Vorstadtbewohner im Zweifelsfall lieber wegschauen, um ja die eigene Komfortzone nicht verlassen zu müssen oder sich gar in Gefahr zu bringen. Das ist ein wesentlicher, ein integraler Bestandteil dessen, was in diesem Roman geschieht und ihn ausmacht, wovon er handelt.

Da putzt Grace, eine von Patricias Freundinnen, lieber wie verrückt ihr Haus, als sich der Tatsache zu stellen, dass nur wenige Meilen entfernt, in der Siedlung, in der ihre schwarze Haushälterin lebt, seit Monaten Kinder verschwinden. Da flieht die gläubige Slick, eine weitere Mitleserin im Buchclub, lieber in das nächste puritanische Gebet, als die Augen zu öffnen und zu sehen, worunter ihre Nächsten tatsächlich zu leiden haben. Und auch Patricia schaut lange weg, beschäftigt sich lieber mit den Problemen ihrer pubertierenden Kinder und der dauernden Abwesenheit ihres karrieregeilen Gemahls, als die Gefahr zu erkennen, die doch eigentlich schon früh im Roman deutlich vor ihren Augen tritt, die sie, ihre Kinder und die ganze Gemeinschaft bedroht. Solange diese Gefahr sich lediglich auf die Außenbezirke der Stadt, also jene Viertel beschränkt, in denen die Armen, die Schwarzen, die Vergessenen dieser Gesellschaft leben, solange kann auch Patricia, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird, noch recht gut damit leben. Besser gesagt: Sie nimmt sie überhaupt nicht wahr, diese Gefahr, solange sie nicht sie und ihresgleichen bedroht.

Hendrix gelingt es bravourös, all die ernstzunehmenden Alltagsprobleme – die Kinder, der abwesende Ehemann, das kaputte Auto, die nächste Gartenparty, für die man einen kulinarischen Beitrag leisten muss, das Schamgefühl, wenn man einer selbstgestellten Aufgabe nicht gerecht wird usw. – vor seinem Publikum auszubreiten, sich zwar gelegentlich  darüber lustig zu machen, dennoch aber ein glaubwürdiges Suburbia-Szenario aufzubauen – und zugleich die eben erwähnte Gefahr nicht nur anzudeuten, sondern sie die erfahrenen Leser*innen deutlich spüren zu lassen. So ist das Publikum meist einen Erkenntnisschritt vor den Protagonisten und beginnt zeitig, um die Figuren zu bangen. Ernsthaft zu bangen. Auch dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Hendrix sich darauf verlässt, bei seinen Leser*innen genügend Erfahrung mit der einschlägigen Literatur voraussetzen zu können und diese also schon verstehen werden, was er ihnen sagen will, wenn er James Harris, den fremden Nachbarn, sich unter Sonneneinwirkung winden oder ihn warten lässt, bis er eine Einladung ins Haus der Campbells erhält. Alles typische Verhaltensweisen von Vampiren, wie jeder aufmerksame Leser von Bram Stokers DRACULA-Roman und dessen Epigonen weiß.

Dass das fremdartige Wesen sich auf die immanenten rassistischen und sexistischen Strukturen verlassen kann, dass die Polizei eben nicht so genau hinschaut, wenn es sich um schwarze Kinder aus einer Randsiedlung handelt, dass die weißen Hausfrauen das Leben ihrer schwarzen Angestellten nicht nur nicht kennen, sondern vielmehr gar nicht wahrnehmen – all diese Punkte flicht Hendrix dann wie nebenbei ein und macht sie doch zu wesentlichen Aspekten der Handlung, die nur dadurch funktioniert und vor allem glaubhaft wirkt. Und – auch das nicht ganz unwesentlich – der Autor versteht es, unmerklich doch im Timing sehr genau und passend, den Modus seines Erzählens zu ändern. Was anfangs satirisch, manchmal wenig subtil und etwas platt wirkte, wird nach und nach zu einer sehr ernsthaften und somit immer spannenderen Erzählung. Die dann auch den nötigen Grad an Tragik und Dramatik aufweist.

Zudem, und das spielt bei einem Horror-Roman dann eben auch eine Rolle, sonst läse man dies alles ja nicht, gelingt es Hendrix auch, Momente echten Grauens einzubauen. Und es gelingt ihm immer wieder, Szenen voller Spannung zu generieren. Patricias Stiefmutter wird bei einem Überfall unzähliger Ratten auf das saubere Haus der Campbells nahezu zerfressen, später sitzt Patricia auf Harris´ Dachboden fest, während dieser nach ihr sucht – beides sicherlich nichts Neues unter dem Himmel der grausigen Geschichten, aber gut erzählt und dadurch fesselnd. Zudem versteht Hendrix es, die schwüle Atmosphäre eines südstaatlichen Orts im Sommer – wobei angemerkt sei, dass der Roman über viele Monate, schließlich Jahre hinweg spielt – einzufangen und dem Publikum diese sehr echt und authentisch zu vermitteln. Es ist heiß, ein jeder schwitzt ununterbrochen, die Bewegungen fallen schwer, man tut nur das Nötigste.

So wird der Roman seinem deutschen Titel SOUTHERN GOTHIC mehr als gerecht, erfüllt er doch, obwohl sehr eindeutig dem Genre der Horror-Literatur, mehr noch dem Sub-Genre des Vampirromans zuzurechnen, alle Voraussetzungen, um dieser Spielart, diesem Zweig der amerikanischen Literatur, eben des Southern Gothic, der sich über ganz unterschiedliche Genres erstreckt, gerecht zu werden. Als klarer Vertreter der Genre-Literatur erfüllt SOUTHERN GOTHIC also aufs wunderbarste alle Kriterien, die es braucht, um sein Publikum restlos zu befriedigen.

 

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