ENGELSGESICHT/ANGEL FACE

Otto Premingers leicht in Vergessenheit geratenes Meisterstück des melodramatischen ''Film Noir'

Frank Jessup (Robert Mitchum) ist Fahrer einer Notarztambulanz. Er und sein Kollege Bill (Kenneth Tobey) werden eines nachts nach Beverly Hills gerufen, in die Villa des englischen Schriftstellers Charles Tremayne (Herbert Marshall). Dessen zweite Frau Catherine (Barbara O´Neill) ist Opfer eines Gaslecks an ihrer Heizung geworden. Es sieht aus, als habe jemand bewußt das Ventil geöffnet, doch Frank findet den Schlüssel, der zuvor nicht aufzutreiben war, unter dem Ofen.

Als Frank und Bill das Haus wieder verlassen wollen, hört Frank Klavierspiel. Er folgt ihm und trifft auf die nahezu hysterische Tochter von Tremayne, Diane (Jean Simmons). Frank ohrfeigt sie, um sie zur Räson zu bringen, Diane schlägt nach einem kurzen Augenkontakt zurück. Frank entgegnet, er habe gehört, Ohrfeigen seinen ein probates Mittel bei Hysterie, daß ein Hysteriker zurückschlage, sei ihm bisher aber noch nicht untergekommen. Dann verabschiedet er sich.

Bill lässt Frank an dessen Stammcafé aussteigen. Hier trinkt Frank abends gern ein Bier. Seine Freundin Mary Wilton (Mona Freeman) kann ihn hier auch telefonisch erreichen. Doch an diesem Abend taucht bald Diane Tremayne auf. Sie flirtet mit Frank, der daraufhin seine Verabredung mit Mary absagt. Diane und Frank gehen Essen und dann in ein Tanzlokal. Im Laufe des Abends erfährt Frank, daß Diane und ihr Vater während des Krieges nach Amerika kamen und er seitdem eine Schreibblockade hat, daß ihre Stiefmutter sie nicht liebe und daß sie, Diane, keine Freunde in Los Angeles finde. Frank seinerseits erzählt ihr von seinem Traum, eine Werkstatt für Sportwagen zu eröffnen. Er selber war Rennfahrer, bis der Krieg seine Karriere beendete. Diane schlägt ihm vor, mit ihrem Sportwagen wieder Rennen zu fahren. Frank hält die Idee zwar für nicht durchführbar, findet aber Gefallen an der jungen Frau.

Anderntags trifft Diane sich mit der ihr unbekannten Mary, von der sie aber weiß, daß sie als Schwester in dem Krankenhaus arbeitet, für das Frank den Notarztwagen fährt. Diane gibt sich naiv und unschuldig, erzählt Mary jedoch den gesamten Abend mit Frank und daß sie ihm vorgeschlagen habe, wieder Rennen zu fahren. Auch wolle sie sich mit einer gewissen Summe an der Werkstatt beteiligen. Mary hört sich all das an, dann steht sie auf und schickt sich an zu gehen. Sie verdeutlicht Diane zuvor aber, daß sie genau wisse, was diese wolle.

Diane schlägt ihrer Stiefmutter, die durch das Erbe ihres ersten Mannes zu Reichtum gelangt ist, vor, Frank als Chauffeur einzustellen. Nach anfänglichem Zögern willigt dieser auch ein. Er bezieht ein Zimmer über der Garage auf dem Anwesen der Tremaynes. Diane versucht ihre Steifmutter davon zu überzeugen, in Franks Werkstatt zu investieren. Die zeigt sich nicht einmal abgeneigt. Derweil muß Dianes Vater immer wieder bei seiner Frau vorstellig werden, damit diese seine Schulden bezahlt und ihm ein Taschengeld zuteilt.

Frank und Diane treffen sich häufig, es wird deutlich, daß die junge Frau dabei ist, sich ernsthaft in Frank zu verlieben. Immer wieder hetzt sie aber auch gegen ihre Stiefmutter. Bei einem Treffen zeigt sie Frank die Kalkulationen, die dieser Mrs. Tremayne vorgelegt hatte, um sie von der Seriosität seiner Werkstattpläne zu überzeugen. Diane behauptet, sie im Mülleimer gefunden zu haben, womit sie ihre Stiefmutter vor Frank schlecht macht. So erzählt Diane auch, daß sie ihre Stiefmutter nachts an ihrem Bett gesehen habe, als die dachte, sie schlafe. Frank willigt in Dianes Bitte ein, ihr Techtelmechtel vor Mrs. Tremayne und auch Dianes Vater geheim zu halten.

Der Eindruck, daß im Hause der Tremaynes etwas vor sich geht, wird für Frank dadurch verstärkt, daß Diane eines Nachts in sein Zimmer kommt und behauptet, Mrs. Tremayne habe versucht, sie mit Gas zu vergiften. Frank fordert Diane auf, das Vorkommnis ihrem Vater zu schildern, besser noch der Polizei. All zu sehr fühlt er sich an die Vorkommnisse in jener Nacht erinnert, in der er Diane kennenlernte. Da Diane all seine Vorschläge zurückweist, sich ihm aber eindeutig zu nähern versucht, wird Frank deutlich und weist sie zurück. Er glaube ihr nicht.

Frank weiß, daß er sich immer noch nach Mary sehnt. Er sucht sie am kommenden Tag auf, sie lässt ihn ein. Es kommt zu einer Aussprache zwischen den beiden, bei der Mary Frank durchaus zugesteht, daß sie nach wie vor einer Beziehung zu ihm nicht abgeneigt sei, sich seiner aber nicht sicher sein könne. Er müsse, wie sie, seine Entscheidung treffen. Frank beschließt, den Job bei den Tremaynes aufzugeben.

Als er in seinem Zimmer seine Sachen packt, wird er von Diane überrascht. Die ist außer sich, daß er sie ernsthaft verlassen will. Frank erklärt ihr, daß sie ihre Stiefmutter hasse und dieser Hass eines Tages in eine Katastrophe münden würde – bis hin zu einem Mord. Doch er, Frank, wolle ein ruhiges Leben, mit all diesen Dramen wolle er nichts zu tun haben. Erneut erklärt Diane ihm ihre Liebe und Frank gibt zu, daß er glaube, auch sie zu lieben. Diane hat gleichfalls ihre Koffer gepackt, sie will mit Frank gemeinsam gehen, wenn der fest entschlossen sei, das Anwesen zu verlassen. Sie könnten ihren Schmuck und den Wagen verkaufen und damit den Grundstock für die Werkstatt legen. Doch Frank verlässt das Grundstück, allein. Er schlägt vor, sie sollten, wie zu Beginn ihrer Affäre, zunächst alles beim Alten belassen und sich heimlich treffen.

Diane, verletzt aber auch wütend, daß ihr Stiefmutter ihr immer wieder im Wege steht, fasst eher zufällig den Plan, diese aus dem Weg zu räumen, womöglich hat erst Franks sie auf die Idee gebracht.

Diane verheimlicht ihrer Stiefmutter Franks Kündigung und zeigt sich zugleich sehr viel zugänglicher. Als Mrs. Tremayne zu einer Bridgerunde aufbrechen will, bittet ihr Mann sie, ihn mitzunehmen, er müsse in die Stadt. Als beide im Wagen sitzen und Mrs. Tremayne Gas gibt, schnellt der Wagen nach hinten und über die steile Klippe, die das Anwesen der Tremaynes begrenzt. 60 Meter tiefer schlägt der Wagen auf die Serpentinenstraße, die hinauf zum Haus führt. Beide Insassen sterben.

Es kommt zu einer polizeilichen Untersuchung, bei der festgestellt wird, daß Diane Tremayne Alleinerbin des Vermögens ihrer Stiefmutter ist und zudem eine hohe Summe aus der Lebensversicherung ihres Vaters zugesprochen bekommt. Bei der Identifikation der Leichen bricht Diane zusammen. Sie wird in die Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses eingeliefert. Hier erklärt sie ihrem Anwalt Dr. Barrett (Leon Ames), sie allein sei für den Unfall verantwortlich, nie habe sie geplant, daß ihr Vater mit in dem Wagen säße.

Doch Barrett weist sie darauf hin, daß ihr gepackter Koffer in Franks Zimmer darauf hindeute, daß die beiden eine Affäre gehabt hätten und daß Frank – der ja ein Kenner von Autos sei – mindestens so schuldig sei, wie sie, Diane. Deshalb schlägt der gerissene Anwalt, der sich zynisch gibt und dem an Frank nichts gelegen ist, vor, daß die beiden noch vor dem Prozeß im Gefängnis heiraten sollten, damit die Geschworenen den Eindruck bekämen, daß es sich hier keinesfalls um ein abgekartetes Spiel heimlich Liebender gehandelt habe. Nach anfänglichem Zögern willigt Frank in den Vorschlag ein. Er und Diane werden getraut.

Im Prozeß weist die Staatsanwaltschaft mit Hilfe eines Sachverständigen nach, daß der Wagen manipuliert wurde. Doch Dr. Barrett gelingt es, diese Beweise zumindest zu entkräften und die Anklage so aussehen zu lassen, als stünde sie auf tönernen Füßen. Zudem sät er genügend Zweifel an der Eindeutigkeit der Schuld von Frank und Diane, daß die Geschworenen die beiden schließlich freisprechen.

Frank macht Diane schnell klar, daß er sie verlassen und die Scheidung wolle. Er verzeiht ihr das Verbrechen nicht und auch nicht, daß sie ihn mit hineingezogen hat. Er will zu Mary zurückkehren. Die saß ihrerseits jeden Verhandlungstag im Gerichtssaal, was Frank zu der Annahme verleitet, sie hege noch Gefühle für ihn. Diane erklärt Frank, daß Mary ihn nicht zurücknehmen würde. Sie wettet ihren Wagen – wenn sie die Wette verlöre, solle Frank ihn bekommen.

Frank sucht Mary auf, trifft sie allerdings nicht allein an. Bill, sein alter Kollege und Kumpel aus den Zeiten als Ambulanzfahrer, hat seinen Platz an Marys Seitee eingenommen. Frank versucht Mary davon zu überzeugen, daß er nie in Diane verliebt gewesen sei, daß er sich ändern und zu ihr zurückkehren wolle. Mary erklärt ihm, daß sie eine normale Ehe führen wolle, mit einem ehrlichen Kerl, wie Bill einer sei. Der, so ihr Argument, sei an jenem Abend im Haus der Tremaynes ebenfalls dabei gewesen – doch habe er sich von Diane nicht locken und einwickeln lassen. Und so müsste sie, Mary, ließe sie sich auf Frank ein, immer darum bangen, ob und wann er zu ihr zurückkehre. Frank sieht ein, daß er ausgespielt und bei Mary keine Chance mehr hat.

Diane hat derweil das Hauspersonal entlassen und durchstreift allein das verlassene Anwesen. Sie sucht die Räume ihres Vaters und der Stiefmutter auf und landet schließlich in Franks altem Zimmer, wo sie sich in eine Jacke von ihm wickelt und einschläft. Als am kommenden Morgen ein Wagen vorfährt, eilt sie hinaus in der Annahme, daß Frank zu ihr zurück gekehrt sei. Doch sie irrt: Es ist nur ihr ehemaliger Angestellter, der die letzten Sachen aus dem Haus holt.

Daraufhin geht Diane zu Dr. Barrett in dessen Kanzlei, um ein Geständnis abzulegen. Sie verlangt Zeugen für ihre Aussage. Barrett bittet eine seiner Sekretärinnen zum Diktat und lässt Diane ihr Geständnis ablegen. Dann aber erklärt er ihr, daß man nach US-amerikanischem Recht nicht zweimal für dieselbe Sache nageklagt und verurteilt werden könne. Der Freispruch zähle. Allerhöchstens würde man Diane in eine Psychiatrie sperren. Ob sie das wolle? Verstört verlässt Diane die Kanzlei. Dr. Barrett vernichtet das Blatt mit ihrem Geständnis.

Zurück auf dem Anwesen trifft Diane auf Frank. Der holt seine Sachen ab und erklärt, er ginge nach Mexiko, wo er sich eine neue Existenz aufbauen wolle, fern der Erinnerungen und dort, wo ihn niemand erkenne. Er widersteht allen Lockungen Dianes, willigt aber ein, sich von ihr zur Busstation fahren zu lassen. Diane holt ihren Wagen und bringt Champagner und zwei Gläser mit. Eigentlich habe sie mit Frank den Freispruch feiern wollen, doch nun, so sagt sie, könnten sie einen Abschiedstrunk daraus machen. Während Frank die Flasche öffnet, legt Diane den Rückwärtsgang ein und fährt sie beide über die Klippe in den Tod.

ANGEL FACE (1952) ist das Antlitz der wahrlich schönen Jean Simmons. Der deutsche Titel – ENGELSGESICHT – erhielt den Untertitel DIE BESTIE IM WEIB und setzte damit eine Interpretation durch, die sich auch in amerikanischen zeitgenössischen Kritiken fand: Diese von Simmons gespielte Diane Tremayne sei die Femme fatale schlechthin, der Prototyp aller im ‚Film Noir‘ auftretenden Frauen, die den Untergang der von ihnen umworbenen und sie umwerbenden Männer bedeuteten. Nicht nur haut das zeitlich kaum hin, denn diesen Frauentyp hatte spätestens Babara Stanwyck 1944 in Billy Wilders DOUBLE INDEMNITY (1944) definiert, sondern es mißachtet auch eklatant Otto Premingers Regie und das Drehbuch, welches von Ben Hecht, Frank S. Nugent und Oscar Millard nach einer Kurzgeschichte von Chester Erskine geschrieben worden war.

Preminger hatte, wie so viele Regisseure im frühen Studiosystem Hollywoods, seine ersten Sporen im Genrekino verdient. Darunter Melodramen, Komödien und die damals unvermeidlichen ‚Film Noir‘-Thriller. Mit LAURA (1944), WHIRLPOOL (1949) und WHERE THE SIDEWALK ENDS (1950) hatte er bereits wahre Meisterwerke dieses mal als Genre, mal lediglich als stilistisches Merkmal von Kriminalfilmen bezeichnete Metiers abgeliefert und bewiesen, daß er sich zwar an Genrekonventionen halten konnte, meist aber sehr Eigenes beizumischen verstand. Und das ist auch und gerade in ANGEL FACE der Fall. Preminger liebte es, Klischees zu dekonstruieren, sie erst genüßlich darzulegen und dann zu verdrehen, aufzubrechen, die dahinter liegenden Wahrheiten zu erkunden.

Diane Tremayne erfüllt zunächst alle Merkmale der typischen Femme fatale des ‚Film Noir‘. Sie ist schwarzhaarig, aufdringlich, wirkt gerissen, spielt aber die Unschuld, sie intrigiert, spielt einzelne Menschen gegeneinander aus. So gesehen kann man bei ihr durchaus von einem „Biest“ sprechen. Wäre da nicht Jean Simmons und Preminger, der sie in Szene zu setzen wusste. Der Regisseur galt immer als Meister der bedächtigen Kamera, er liebte die Halbtotale, aber auch Großaufnahmen, er erforschte die Gesichter seiner Protagonisten und fand darin immer etwas, das ihre Gefühle – die wahren Gefühle, die so oft versteckt werden – zum Ausdruck brachte. Seine langen, manchmal bedächtigen Kamerabewegungen sind legendär, ebenso die Art und Weise, wie er Räume zu inszenieren verstand, mehr aber noch, wie es ihm gelang, in den Räumen seine Figuren anzuordnen und zueinander in Beziehung zu setzen. Und ANGEL FACE weist einige der besten Beispiele dieser Künste auf.

Der von Robert Mitchum gespielte Frank Jessup begegnet Diane erstmals, als er – ein Rettungsfahrer beim Notarzt – in das Haus ihrer Familie in Beverly Hills gerufen wird. Hier sitzt sie am Klavier und spielt ein langsames, bedächtiges Stück, das ihn wie eine Sirene zu rufen scheint. Als er sich ihr nähert, wirkt sie aufgelöst, fast hysterisch – und Frank ohrfeigt sie, als eine Art erste Maßnahme. Und Diane ohrfeigt ihn zurück. Schon darin bricht Preminger ein Klischee. Doch es ist der Blick, den Simmons Mitchum entgegenbringt, der die eigentliche Sensation dieser Szene ist: Es ist einerseits der Blick einer Verlorenen, andererseits scheint sie in ihm sofort etwas zu erkennen, zu entdecken. Rettung, Heilung, vielleicht Erlösung. Drunter geht es nicht im ‚Film Noir‘, der immer schon große Schnittmengen zum Melodram aufweist, bei Preminger erst recht. Ob sich diese junge Frau bereits hier in den Mann verliebt? Oder berechnet sie in diesem Moment ihre Möglichkeiten, ihn für ihre Zwecke zu nutzen? Die Kritik wollte es gern so sehen. Doch Simmons Spiel – auch in etlichen späteren Szenen – deutet immer wieder an, daß diese junge Frau – „Zwanzig, bald“, wie sie einmal gegenüber Frank eingesteht – wirklich verloren ist. Sie und ihr Vater, einst ein berühmter Schriftsteller, sind aus England geflohen, als die Bomben auf London fielen, ihre Mutter ist tot. Nun sind Vater und Tochter finanziell vollkommen auf die Stiefmutter angewiesen. Die wiederum wird von Diane gehasst, ohne daß wir diesen Hass je näher erklärt bekommen. Und so drängt sich bereits in der Anfangsszene, in der der Notarzt ins Haus kommt, weil es einen Unfall mit ausströmendem Gas gegeben hat, der Eindruck auf, daß hier manipuliert wurde.

Später sterben die Stiefmutter und der Vater dann bei einem Autounfall, bei dem offenbar die Schaltung so manipuliert wurde, daß der Rückwärtsgang eingelegt bleib, egal, welcher Gang eingelegt ist. Vor Gericht scheint schnell klar zu sein, daß Diane – und mit ihr Frank, der sich mittlerweile auf ein Techtelmechtel mit ihr eingelassen hatte – dafür verantwortlich sei. Und wir wissen, daß zumindest Diane wirklich am Wagen manipuliert hat. Sie gibt es schließlich auch zu, doch da ist das Urteil, ein Freispruch, bereits gesprochen. Ihr Bedauern aber, das nehmen wir ihr ab. Sie wünschte, sagt sie zu Frank, beide – Vater und Stiefmutter – seien am Leben. Simmons bringt all diese widersprüchlichen Gefühle, ihre Gewissensbisse und ihr Begehren hin zu Frank glaubwürdig auf die Leinwand, ohne daß sie dafür allzu viel tun muß. Manchmal wirkt sie wie erstarrt, dann wieder brechen Gefühle wie Liebe zum Vater, Hass gegen die Stiefmutter und auch die Liebe zu Frank aus ihr heraus. Simmons spielt dies alles nicht als berechnetes Spiel mit den Gefühlen anderer, sondern als Momentaufnahmen eines unreifen und auch naiven jungen Mädchens. Auch Dianes Treffen mit Franks eigentlicher Freundin Mary wirkt weniger berechnend, als naiv.

In einem ebenso interessanten wie bedenkenswerten Kommentar zu ANGEL FACE erklärt der Filmwissenschaftler Tag Gallagher, daß Diane Tremayne etwas Hexenhaftes, bzw. etwas von einer Zauberin hat. Tatsächlich bezeichnet sich Diane in einer frühen Szene des Films, als sie Frank in dessen Stammcafé folgt, selbst als Hexe, bzw. legt nahe, eine solche zu sein. Und wahr ist auch, daß die Ausstatter des Films Jean Simmons immer wieder Kleider haben tragen lassen, die etwas Ausladendes haben, weite Kleider, ausgestellte Hosen – sie wirkt ein wenig wie eine Fee. Doch sind dies alles falsche Fährten, die Buch und Regie bewusst legen. Diane Tremayne ist eine verzweifelt Liebende, die schließlich lieber mit ihrem Angebeteten in den gemeinsamen Tod geht, besser: fährt, als allein ein Leben in Einsamkeit zu fristen. Sie erklärt zweimal im Film, daß sie außer ihrem Vater niemanden habe, keine Freunde, keine Verwandten. Auch diese Einsamkeit nimmt man ihr – und Simmons – durchaus ab. Und doch bleiben da immer Zweifel – das Treffen mit Mary ist eben auch eine Manipulation, so unschuldig sich Diane dabei auch gibt, so wenig sie vielleicht selber versteht, was sie da tut; der angebliche Versuch der Schwiegermutter, sie nachts mit Gas zu vergiften, mutet wie eine erlogene Geschichte an, um Frank gegen Mrs. Tremayne einzunehmen; ebenso ist es mit den Unterlagen, die Diane im Papierkorb gefunden haben will und mit denen Frank Mrs. Tremayne zuvor davon zu überzeugen suchte, in eine etwaige Autowerkstatt, die er zu eröffnen hofft, einzusteigen. Immer haben Dianes Handlungen auch etwas Berechnendes, etwas Manipulatives, etwas zutiefst Gefährliches. Und zugleich sind es die Manipulationen einer Naiven, eines Mädchens, das im großen (Liebes-)Spiel noch unerfahren ist, das noch nicht weiß, wie man sich so geschickt verhält, daß die eigenen Ränke und Winkelzüge nicht jedem sofort auffallen.

Preminger spielt also mit dem Topos der Femme fatale. Das ist nicht das einzige Klischee, das er bemüht und hinterfragt. Die zeitgenössische Kritik wollte in ANGEL FACE Freud´sche Anleihen erkennen. Und wirklich – das Verhältnis zwischen Diane, ihrem Vater und der Stiefmutter, Catherine Tremayne, wirkt wie eine ödipale Beziehung unter umgekehrten Vorzeichen. Nicht der Sohn beschläft die Mutter und tötet dann unwissentlich – also schuldlos schuldig – den Vater, sondern die Tochter verehrt den Vater, hasst die Stiefmutter, will sie töten und tötet dabei unwissentlich auch den eigenen, geliebten Vater. Ein ambivalentes Spiel mit Schuld und Unschuld, mit Vorsatz und Affekt. Daß ihr Vater mit in den manipulierten Wagen steigen würde, das wusste und wollte Diane nicht. Preminger lässt die Fragen nach Wollen und Zufall bewusst offen. Am Ende, wenn alles verloren scheint und Frank endgültig bereit ist, Diane zu verlassen – und auch er hat bereits alles verloren, hat seine frühere Freundin Mary sich doch eindeutig gegen ihn entschieden – entscheidet sie, lieber einen freiwilligen Tod an der Seite des Mannes in Kauf zu nehmen, als vollkommen allein in einer Welt zurückzubleiben, in der sie nichts und niemanden mehr hat.

Bevor sie diese Entscheidung trifft – so es keine Affektentscheidung in dem Moment ist, in dem sie und Frank im Wagen sitzen – gesteht Preminger Diane/Simmons atemberaubende vier Minuten zu, in denen sie durch das leere Haus streift. Sie betritt die leeren Zimmer ihrer Stiefmutter und ihres Vaters, sie verharrt an dem Klavier, auf dem sie immer wieder ihre so traurigen Melodien gespielt hat, und endet vor dem Schachbrett, an dem sie und ihr Vater so manche Partie bestritten haben. In Reih und Glied sind die Figuren aufgestellt, wo sie zuvor in der wilden Ordnung eines laufenden Spiels standen. Selten wurde eine Ordnung derart zum Symbol von Abwesenheit. Nichts könnte die Endgültigkeit dessen, was Diane mit ihrer Manipulation an Catherines Wagen in Gang gesetzt hat, veranschaulichen, wie dieses aufgebaute und einer Partie harrende Spiel. Diane greift nach der Figur der Königin, nicht des Königs und definiert damit noch einmal die Stellung, die Catherine im Haus hatte. So oder so ist die Königin – oder Dame – die mächtigste Figur auf dem Spielfeld, doch erst wenn der König fällt, ist das Spiel vorbei. Der König ist gefallen – gemeinsam mit der Königin in die Schlucht vor dem Haus, in welche der Wagen gestürzt ist und seine Insassen mit sich riss. Es ist nicht zuletzt dieser Moment, der im Betrachter den Eindruck erweckt, daß Diane durch ein Totenreich streift. Ihre letzte Hoffnung ist Franks Zimmer, in dem er in den Wochen gewohnt hatte, als er den Posten als Chauffeur der Tremaynes einnahm. Aber auch hier muß Diane sich einer elementaren, einer existenziellen Leere stellen. Sie nimmt eines von Franks dort verbliebenen Hemden und riecht daran, dann wickelt sie sich in eine seiner Jacken. Und wartet.

Ist im ‚Film Noir‘ gemeinhin die Frau, die Femme fatale, das Geheimnis, so könnte man für ANGEL FACE konstatieren, daß dieser Frank Jessup fast geheimnisvoller anmutet, als Jean Simmons´ Diane Tremayne. Wer ist dieser Mann? Was will er? Was erwartet er? Vieles in der Personenzeichnung des Films wirkt beim ersten Betrachten psychologisch ungenau. Wieso bekennt Frank sich nicht zu Mary, wieso spielt er ein Spiel, bei dem er bei nüchterner Betrachtung nicht gewinnen kann? Er ist früher Autorennen gefahren und träumt nun von einer Werkstatt für Sportwagen. Diane bietet ihm Unterstützung an, sie verhilft ihm zu einem besseren Job als dem des Notarztfahrers. Sie bemüht ihre Stiefmutter und setzt sich bei ihr für Frank ein. Der ahnt früh, daß der Preis für all das möglicherweise hoch, zu hoch, sein könnte. Und so entsteht ein dauerndes Hin und Her. Er will gehen, er geht nicht, er kehrt zu Mary zurück, die erklärt ihm, sich seiner nicht sicher sein zu können. Frank wird in Mithaftung für den wahrscheinlich Mord an den Tremaynes genommen und wehrt sich kaum dagegen. Er ergibt sich in sein Schicksal. Ebenso, als Dianes gerissener Verteidiger Dr. Barrett – den Leon Ames in einer unglaublichen Mischung aus süffisanter Gelassenheit und blankem Zynismus gibt – vorschlägt, Diane und Frank sollten noch vor dem Prozeß im Gefängnis heiraten, um dem staatsanwaltlichen Vorwurf, sie hätten eine heimliche Affäre gehabt und deshalb das ältere Ehepaar umbringen wollen, zuvorzukommen. Und als der Freispruch erwirkt ist und Frank erneut zu Mary zurückkehrt, um noch einmal um sie zu werben, nimmt er es fast schon gleichgültig hin, daß sein früherer Kollege und Freund Bill mittlerweile seinen Platz eingenommen hat. Auch der ist nur schwer greifbar, hört er sich Marys Einlassungen hinsichtlich des Mannes, den sie wolle, mit einem zwar zweifelnden Gesichtsausdruck, doch ruhig und duldend an. Beide Männer wirken seltsam unberührt von allem, was um sie herum vorgeht. Sie wirken wie längst Geschlagene.

In Franks Fall – und somit dem weitaus wesentlicheren – erinnert die Figur an eine ebenfalls von Mitchum einige Jahre zuvor in einem anderen Klassiker des ‚Film Noir‘ dargestellte – Jeff Bailey in Jacques Tourneurs OUT OF THE PAST (1947). Tag Gallagher weist in seinem Kommentar zu ANGEL FACE auf die Wesensverwandtschaft der beiden hin, doch ist die Ähnlichkeit zu frappant, um dem Kenner des Metiers nicht so oder so ins Auge zu springen. Es mag an Mitchum und seiner gelegentlich ins Somnambule driftenden Darstellung liegen, doch sind beide Männer auch ähnlich angelegt. Sie wirken von Beginn an müde, unendlich müde. Beide scheinen nicht wirklich zu wissen, was sie wollen. In Franks Fall ist ihm auch sein angeblicher Traum – die Werkstatt, die Bailey in dem anderen Film übrigens bereits besitzt – nicht so viel wert, sich dafür wirklich auf eine Frau einzulassen, die sich ihm geradezu andient, die er aber nicht wirklich einschätzen kann. Während aber Jeff Bailey ein Schicksal erwartet, von dem er ahnt, wenn nicht weiß, daß es ihn früher oder später einholen wird, wirkt Frank wie ein Mann, der durchs Leben driftet, ohne Ziel, ohne Vision, ohne wirkliche Träume. Auch seine Beziehung zu Mary wirkt eher beiläufig, bedenkt man die Lakonie, mit der er sie mit dem bereits gekochten Abendessen sitzenlässt, um sich Diane zu widmen, als die ihm am ersten Abend vom Anwesen ihrer Eltern folgt und in dem Café auftaucht, in dem Frank nach Arbeitsende sein Bier zu trinken pflegt. Nichts im Leben dieses Frank Jessup wirkt gefestigt, alles scheint im Fluß, er ist offen gegenüber neuen Gelegenheiten und Chancen (den Job als Chauffeur nimmt er schließlich an), die er dann aber doch nur halbherzig ergreift. Etwas warnt ihn, daß er an Dianes Seite möglicherweise in ein fatales Komplott hineingezogen werden könnte und dennoch – so seine Worte – glaubt er, sie zu lieben.

Wenn überhaupt ein Klischee in Premingers Film unangetastet bleibt, dann jenes des Drifters, des Anti-Helden. Der ‚Film Noir‘ ist bevölkert mit diesen Männern, die schwach wirken, unentschlossen, verloren. Sie waren im Krieg, sie haben etwas gesehen, was menschliche Augen vielleicht nicht hätten sehen sollten, sie erliegen ihren Depressionen und verfallen Frauen, die weitaus stärker, gewiefter und vor allem zielgerichteter sind als sie selbst. Diese Frauen haben ebenfalls etwas durch den Krieg gelernt: Sie können auf eigenen Beinen stehen. Sie brauchen keine Männer, um ihr Ding durchzuziehen. Sie haben ihre Pläne und sie gehen weit, sehr weit, um diese Wirklichkeit werden zu lassen. Nur entspricht Diane Tremayne eben nicht diesem Bild, das Barbara Stanwyck, Veronica Lake oder Joan Crawford so eindringlich geprägt haben. Frank rutscht in diese Geschichte hinein und letztlich ist es seine Unentschlossenheit, die ihn in fürchterliche Schwierigkeiten bringt, die ihn seine Beziehung zu einer im Übrigen ebenfalls als stark und selbstständig gezeichneten Frau und schließlich sein Leben kostet. Aber wer weiß? Vielleicht ist es ja genau das, was Frank am Ende ersehnt: finale Ruhe, eine Entscheidung, die er nicht mehr selbst treffen muß.

Preminger, der einen Ruf als „Diktator“ am Set genoß, ließ seine Schauspieler nicht nur ausgiebig proben, sondern einzelne Szenen auch etliche Male wiederholen, bis er exakt das hatte, was er suchte, was er brauchte und was er wollte für die zu erzählende Geschichte. Zugleich wollte Preminger aber auch immer das Unerwartete, die Ausnahme, das Neue. Einen ungewohnten Blick, eine neue Perspektive, einen ungewöhnlichen Kamerawinkel. Und all dies gelang ihm in ANGEL FACE auf beeindruckende Weise. Aus der bis dahin eher in Rollen als liebenswertes Mädchen reüssierenden Jean Simmons holte Preminger dabei eine schon brillant zu nennende Leistung hervor, eine ambivalente Frau, deren Motive nie eindeutig sind, die eine gewisse Ambiguität ausstrahlt, bei der der Betrachter sich nie sicher sein kann, wieviel Berechnung, wieviel Naivität in dieser Figur steckt.

Doch bürstet Preminger nicht nur diese Figur einer Femme fatale gegen den Strich, sondern im Grunde sämtliche Figuren, alle Geschlechterrollen des Films. Alle Männer in diesem Film sind schwach, nicht nur Frank Jessup. Mr. Tremayne bittet seine Frau um Taschengeld – zwar ironisch, doch auch unterwürfig; Bill Crompton, der an Marys Seite Franks Platz eingenommen hat, lässt sich von ihr sagen, wann er gehen muß und wann er bleiben darf, wodurch er die finale Aussprache seiner zukünftigen Gattin und ihres ehemaligen Geliebten komplett mit anhört. Hingegen sind die maßgeblichen Frauen des Films allesamt starke Persönlichkeiten. Angefangen beim chinesischen Hausmädchen, das genau wie ihr Gatte für die Tremaynes arbeitet und über die ihr Mann mehrfach sagt, daß sie die Hosen anhabe und man als Mann sich zur Wehr setzen müsse. Mary ist ihrerseits eine gestandene Krankenschwester, sie hat einen klaren Blick für die Entwicklungen und einen festen Willen. Mrs. Tremayne ihrerseits – und damit ist sie eine der interessantesten Figuren des Films – ist eine Geschäftsfrau, die das Erbe ihres ersten Mannes zu verwalten versteht, die sich Franks Werkstattpläne anhört, sie genau prüft und – soweit wir es „objektiv“ geschildert bekommen; nur durch Diane erfahren wir, sie habe die Pläne verworfen, um damit ihre Stieftochter zu treffen – offensichtlich auch positiv bewertet. Nichts in Premingers Inszenierung gibt uns wirklich Anlaß, Diane zu glauben, die behauptet, ihre Stiefmutter hasse sie. So entsteht schnell das Bild einer Gesellschaft, die zwar der reinen Etikette nach noch weit von Gleichberechtigung entfernt ist, die de facto aber längst Gleichberechtigung der Geschlechter praktiziert. Mehr noch: Eine Gesellschaft, in der die Frauen – im Guten, wie im Schlechten – dominieren. Denn so, wie sie sich geben, sind diese Männer durchaus froh, starke Frauen an ihrer Seite zu haben, die zu führen verstehen.

Daß Preminger die Regie angetragen bekam, entsprang im Übrigen einem ausgewiesenen Racheakt des Chefs der RKO Studios, Howard Hughes. Der hatte Jean Simmons von jenem englischen Filmstudio ausgeliehen, bei dem sie unter Vertrag stand. Sein eigentliches Anliegen war aber nicht, Simmons´ schauspielerisches Talent zu fördern und ihr eine Karriere in den USA zu ermöglichen, sondern eine sexuelle Beziehung zu der damals 33jährigen Schauspielerin. Die aber soll Hughes abscheulich gefunden haben und hatte sich, um den Tycoon auf Abstand zu halten, ihre Haare abgeschnitten. Hughes verpflichtete Preminger von dessen Hausstudio – der 20th Century Fox – in voller Kenntnis dessen Rufs als Schinder am Set. Hughes wollte, so Tag Gallagher, Simmons unter einer schwarzen Perücke leiden sehen. Bedingung war, daß der Film in 18 Tagen runtergedreht werden müsse, da dies exakt die noch verbleibenden Drehtage waren, die Simmons für die RKO abzuleisten hatte. Preminger gelang es zumindest, sich seine üblichen drei Wochen Probe mit den Darstellern zu sichern. So sehr Simmons unter dem Regisseur gelitten haben mag – er holte eine brillante Leistung aus ihr heraus und legte damit auch den Grundstein für ihre Karriere in Hollywood. Und er schuf eine kleine Vergeltung für Hughes´ Spielchen, indem er einen fast schon feministischen Thriller drehte. Ein kleines, heute leider fast vergessenes Meisterwerk des ‚Film Noir‘ und im Oeuvre seines Regisseurs.

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