LAURA/LAURA

Wenn 'Film Noir' und Melodrama deckungsgleich werden...

Es hat einen Mord gegeben, eine junge Frau – Laura Hunt (Gene Tierney) – wurde in ihrer Wohnung bestialisch mit einer Schrotflinte erschossen. Der Detective Mark McPherson (Dana Andrews) wird auf den Fall angesetzt und nimmt die Ermittlungen auf.

Zunächst sucht McPherson die nächsten Bekannten von Laura Hunt auf, allen voran den bekannten Kolumnisten Waldo Lydecker (Clifton Webb), der ein enges Verhältnis zu der jungen Frau pflegte, das nicht wirklich definiert gewesen zu sein scheint.

Lydecker – ein hochgebildeter und hochintelligenter Egozentriker und Zyniker – war am Abend des Mordes mit Laura verabredet. Sie habe ihm aber abgesagt. Zwischen McPherson und dem Kolumnisten, der den Polizisten in der Badewanne sitzend empfängt, kommt es zu einer Irritation, als McPherson darauf hinweist, daß der Autor in einem früheren Bericht über einen Mord entgegen der polizeilichen Ermittlungen von einem Kopfschuss beim Opfer gesprochen habe. Auch Laura Hunt wurde mit einem Kopfschuss aus einer Schritflinte getötet. Lydecker genießt die Rolle als Verdächtiger und gießt ein wenig Öl ins Feuer. Dann aber bittet er McPherson, diesen bei seinen Ermittlungen begleiten zu dürfen, da ihn Mord – sein „Lieblingsverbrechen“ – sehr interessiere.

So suchen die beiden gemeinsam Ann Treadwell (Judith Anderson) auf, eine reiche Tante von Laura, die ihrerseits Shelby Carpenter (Vincent Price) zugetan ist, Lauras Verlobtem. Beide hätten voneinander unabhängig Motive für den Mord. Treadwell hatte Carpenter, der dahingehend regelmäßig in Schwierigkeiten steckt, Geld zukommen lassen, laut Lydecker war Laura von den Heiratsplänen abgerückt. Doch Carpenter beteuert seine Unschuld, er habe Laura geliebt und sie immer noch heiraten wollen.

Gemeinsam fahren McPherson, Lydecker und Carpenter in Lauras Wohnung. McPherson rekonstruiert das Verbrechen noch einmal, wobei er erneut darauf hinweist, daß die Lage der Leiche darauf hingewiesen habe, daß Laura Hunt dem Mörder selbst die Tür geöffnet habe, dieser also mit hoher Wahrscheinlichkeit aus ihrem Bekanntenkreis käme. Zugleich zeigt sich McPherson sehr auch von einem Gemälde der Toten angezogen. Dieses habe – so Lydecker – deren früherer Freund, ein Maler, geschaffen, es gäbe aber das Wesen der Frau nicht wirklich wieder. Lydecker, der Carpenter sichtlich verachtet, weist auch noch einmal darauf hin, daß Laura den Mann nicht mehr gewollt habe. Das sei der Grund gewesen, weshalb sie die Verabredung mit ihm am Abend ihres Todes abgesagt habe – sie wollte auf ihre Jagdhütte fahren und sich ihrer Gefühle für Carpenter bewußt werden. Zwischen Carpenter und Lydecker kommt es ansatzweise zu einer Auseinandersetzung, die McPherson jedoch schnell unterbindet. Allerdings bemerkt der Polizist, daß Carpenter sich bemüht, einen Schlüssel in Lauras Nachtisch zu verstecken. Es ist der zu ihrem Landhaus. Dies macht Carpenter in McPhersons Augen äußerst verdächtig.

Abends besuchen McPherson und Lydecker ein Restaurant, in dem der Kolumnist mit Laura oft gespeist hatte. Hier erinnert er sich daran, wie er die junge Frau fünf Jahre zuvor kennengelernt hatte, wie sie sich ihm geradezu aufgedrängt habe, wie er sie zunächst hatte abwimmeln wollen, dann aber nach und nach ihrem Zauber verfallen sei. Er verhalf ihr zu einer Anstellung in einer angesehenen Werbeagentur und begleitete ihren unaufhaltsamen Aufstieg bis in den Vorstand. Er sei aber auch eifersüchtig gewesen, habe mit einer Kolumne ihren damaligen Freund, eben jenen Maler, der ihr Gemälde einst verfertigt hatte, bloßgestellt und die Beziehung der beiden damit zerstört, ebenso habe er Material gegen Carpenter, den Laura auf einer Party bei Ann Treadwell kennengelernt habe, gesammelt. So wusste er um dessen finanzielle Probleme, die Laura dadurch zu beheben sich bemühte, daß sie ihm ebenfalls einen Job in der Werbeagentur verschafft hatte, als auch um Carpenters Verhältnis zu einem Fotomodell sowie zu Mrs. Treadwell. Nach einem Treffen mit dem Fotomodell habe Laura sich entschlossen, über das Wochenende aufs Land zu fahren.

McPherson erliegt mehr und mehr der Faszination Laura Hunts. Er sucht immer wieder ihre Wohnung auf, er liest ihre Korrespondenz und ihr Tagebuch, er verfällt dem Gemälde. Am Abend kommt Bessie (Dorothy Adams). Lauras Haushälterin und wohl auch Vertraute, in die Wohnung. Sie macht McPherson Vorwürfe, weil dieser Lauras Post gelesen habe. Doch McPherson hat auch Bessie bald im Verdacht, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein – er hatte billigen Whiskey in der Wohnung gefunden, der nicht zu einer Frau wie Laura, mit einem Gönner wie Lydecker, gepasst hätte. Bessie gibt zu, den Whiskey versteckt zu haben, ebenso zwei Gläser, um den Ruf ihrer Arbeitgeberin zu bewahren. McPherson argwöhnt, daß an dem betreffenden Abend des Mordes doch noch Besuch in der Wohnung gewesen sei, womöglich jemand, dessen Geschmack nicht ganz so erlesen gewesen sei, dessen Portemonnaie aber auch nicht ganz so viel Geld für eine bessere Marke hergegeben habe. Carpenter und Mrs. Treadwell, die McPherson in die Wohnung bestellt hat, treffen ein und der Polizist bietet ihnen etwas zu trinken an. Ann Treadwell nimmt gern von dem billigen Whiskey, Carpenter hingegen lehnt ab.

Am Wochenende nach dem Mord kehrt McPherson einmal mehr in die Wohnung zurück. Erneut durchstreift er die Zimmer, liest in Lauras Post und dem Tagebuch und schläft schließlich – auch angetrunken von etlichen Drinks, die er hatte – unter dem Gemälde der Frau, in die er sich zusehends verliebt, ein. Er erwacht, als jemand die Wohnung betritt – es ist Laura Hunt. Lebendig. Sie sei in ihrem Wochenendhaus gewesen, ohne Zeitung und Radio, da dieses kaputt gewesen sei, habe deshalb von dem Mord nichts mitbekommen. Sie ist aufgelöst, als sie erfährt, daß Carpenter für McPherson der Hauptverdächtige ist. Sie verteidigt ihn, nie wäre er zu einer Tat wie einem Mord fähig. Allerdings, auch das verdeutlicht sie, will sie ihn nicht mehr heiraten. McPherson gibt ihr klare Anweisungen: Sie solle das Haus nicht verlassen und nicht telefonieren, da der Mörder – für McPherson zweifellos unter ihren Bekannten zu finden – nicht erfahren solle, daß er sich bei seinem Mord im Opfer getäuscht habe.

McPherson lässt Lauras Telefon anzapfen und erfährt dann durch den Obduktionsbericht, daß es sich bei der Leiche um eine gewisse Diane Redfern handele, eben jenes Fotomodell, mit dem Carpenter sich regelmäßig traf. Laura mißachtet McPhersons Anweisung und telefoniert mit Carpenter, um sich mit ihm zu treffen. McPherson und ein Kollege folgen den beiden und der Polizist heftet sich, nachdem sie sich getrennt haben, an Carpenters Fersen. Dieser fährt in Lauras Landhaus. Dort stellt McPherson ihn zur Rede. Carpenter wollte eine Flinte mitnehmen. Eine Flinte, die der gleicht, mit der Redfern erschossen wurde – und eine Flinte, aus der kürzlich, McPherson kann das sofort feststellen, geschossen wurde. Nun berichtet Carpenter, daß er den Schlüssel zu Lauras Wohnung im Büro entwendet habe und sich am Freitagabend mit Diane Redfern in Lauras Wohnung getroffen habe, um sich mit ihr auszusprechen und das Techtelmechtel zu beenden. Mitten in dieser Unterredung habe es an der Tür geschellt. Diane sei durch die dunkle Wohnung gegangen und habe geöffnet. Dann habe es einen Schuß gegeben und Diane sei tot zusammengebrochen. Er, Carpenter, sei Hals über Kopf aus der Wohnung geflohen, weil er es mit der Angst zu tun bekommen habe. Die Flinte, erklärt Carpenter, sei ein Geschenk an Laura gewesen, er selbst habe damit auf Kaninchen geschossen. Bevor die beiden das Haus verlassen, probiert McPherson das Radio aus – es funktioniert einwandfrei.

McPherson setzt nun auf den Überraschungseffekt und bestellt sowohl Lydecker als auch Bessie in Lauras Wohnung. Als sie ihre Arbeitgeberin sieht, bekommt die Haushälterin einen naheliegenden Schock, der Kolumnist bricht regelrecht zusammen. Gemeinsam legen ihn McPherson, Laura und Bessie auf Lauras Bett. Kurze Zeit später kommt Lydecker, wieder ganz der Alte, aus dem Zimmer und kündigt an, daß es eine Wiedersehensparty gäbe, er habe „alle“ informiert und alle kämen in Lauras Wohnung zusammen.

Auf der Party begegnen sich Laura und Carpenter, als sei nichts gewesen und sie seien nach wie vor in trauter Eintracht. Ann Treadwell konfrontiert Laura mit ihren Ansprüchen auf Carpenter, der viel besser zu ihr passe – Worte, die sie zuvor auch gegenüber McPherson schon genutzt hatte. Ein Anruf für McPherson veranlasst diesen, Laura direkt von der Party weg zu verhaften: Sie sei des Mordes an Diane Redfern verdächtig. Carpenter will sich McPherson in den Weg stellen, wird jedoch mit einer gezielten Geraden in den Magen niedergestreckt.

Auf dem Revier konfrontiert McPherson Laura mit seinem Verdacht. Sie erklärt, das Radio sei sehr wohl defekt gewesen, sie habe den Aufseher der Hütten im Wald aber gebeten, nach ihrer Abreise dafür zu sorgen, daß es wieder funktioniere. Auf McPhersons Vorwurf, sie decke Carpenter, erklärt sie, daß sie den Anschein der Verlobung nur aufrechterhalte, um ihn keinem Verdacht auszusetzen, sie sei sicher, daß er nicht der Mörder von Redfern sei. McPherson, der sie nicht wirklich in Verdacht hatte, sondern lediglich einige Unklarheiten hatte ausräumen wollen, schickt Laura nach Hause.

Da sich Laura und McPherson sichtlich nähergekommen sind, versucht Lydecker, der die beiden in ihrer Wohnung überrascht, auch diese Beziehung in Lauras Leben zu sabotieren. Er macht den Polizisten schlecht, erklärt ihn für ungehobelt und einer Dame wie Laura nicht würdig. Daraufhin erklärt Laura, daß sie keinen weiteren Umgang mit Lydecker wünsche. Der verlässt die Wohnung unter Protest, nicht, ohne die beiden auf seine gleich beginnende Radiokolumne über die „großen Liebenden der Geschichte“ hinzuweisen.

Während die Sendung läuft und Laura sich frischmacht, untersucht McPherson noch einmal eine Uhr, die Lydecker gehörte und die er zurückhaben wollte, nachdem seine Freundin ermordet worden sei. In der Uhr ist eine Schrotflinte versteckt – die Tatwaffe. Nur Lydecker konnte von dem Versteck, bzw. dem Hohlraum in der Uhr wissen. McPherson macht sich auf den Weg, Lydecker zu verhaften. Der aber hat sich im Treppenhaus versteckt, kehrt nach McPhersons Abgang in die Wohnung zurück und will nun zu Ende führen, was er beim ersten Mal verpasst hatte: Er will Laura töten, weil er sie für sich allein beansprucht. Hatte er Diane Redfern in der Dunkelheit noch mit Laura verwechselt, nimmt er sie diesmal genau ins Visier. Doch Laura kann die Flinte wegschlagen und sich zur Wohnungstür flüchten. Dort erwarten sie bereits McPherson und ein Kollege, der den heranstürmenden Lydecker erschießt. Mit seinem Schuß trifft der Kolumnist das Zifferblatt der Uhr. Seine Zeit ist abgelaufen. Er stirbt mit den Worten „Laura, meine Liebe…“. Dem Glück von Laura und McPherson steht nun nichts mehr im Wege….

Eine der großen, immer wieder aufkeimenden Diskussionen in der Filmwissenschaft, ist jene über die Frage, ob der ‚Film Noir‘ eigentlich ein eigenes Genre darstellt. Nun ist die Frage danach, was ein Genre ist, was es ausmacht, wodurch es sich definiert, an sich schon nicht leicht zu beantworten. In einigen Fällen – dem Western, dem Historienfilm (obwohl…), dem Horrorfilm (wirklich?) – scheint die Zuordnung eher leicht zu sein, in anderen Fällen – dem Thriller, dem Actionfilm, der Science-Fiction – fällt es schon schwerer, diese Zuordnungen zu treffen, überschneiden sich doch gerade diese Genres häufig mit anderen und weisen Merkmale verschiedener Metiers auf. Im Falle des ‚Film Noir‘ streitet man sich gern schon grundsätzlich, ob man es hier mit einem inhaltlich definierten Genre zu tun hat, obwohl seine thematische Bandbreite enorm ist, oder sind es rein formale, stilistische Eigenschaften, die ihn als Genre definieren? Ist der ‚Film Noir‘ ein zeitlich begrenztes Phänomen der unmittelbaren Kriegs- und Nachkriegsjahre oder gab es ‚Noir Thriller‘ auch schon in den 30ern und gibt es ihn auch heute noch? Gemeinhin behandelt der ‚Film Noir‘ ein Verbrechen – nur wie er das tut, seine Haltung zum Verbrechen, hat perspektivisch so unterschiedliche Ansätze, daß man sich durchaus fragen kann, ob man es mit Beispielen ein und desselben Genres zu tun hat, wenn man Filme wie THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (1946), OUT OF THE PAST (1947) oder CALL NORTHSIDE 777 (1948) zu tun hat. Vielleicht gibt es nur einen Punkt, an dem sich die meisten Filmtheoretiker einig sind: In seiner klassischen Phase in den Kriegsjahren und denen unmittelbar danach, in dem viele der heute als Meisterwerke des Metiers betrachteten Vertreter entstanden sind, ist die Schnittmenge mit dem Melodram sehr, sehr groß. Der klassische ‚Film Noir‘ hat immer auch eine melodramatische Ebene, auf der das Schicksalhafte, oft reiner, resignativer Fatalismus des Geschehens überbetont und geradezu überdeterminiert ist.

Wenn es einen Film gibt, der diese These eindeutig zu belegen scheint, dann ist es Otto Premingers LAURA (1944). Basierend auf einem Roman von Vera Caspary, setzt Preminger seine Titelfigur Laura Hunt in Gestalt der damals als eine der schönsten Frauen Hollywoods geltenden Gene Tierney in Szene. In für Preminger typischen, von Kameramann Joseph LaShelle, der dafür den Oscar erhielt, kongenial umgesetzten Kamerafahrten und -schwenks, nahezu ausschließlich in ausladenden Innenräumen, in schwelgerischen Dekors und überbordenden Kulissen gedreht, wird eine Liebesgeschichte erzählt, die in ihren letztlich extremen und konsequenten Folgen an Romantik kaum zu überbieten ist. Eine Frau ist ermordet worden, ein Polizist ermittelt. Nahezu jeder im Umfeld der erfolgreichen Geschäftsfrau scheint verdächtig – der alternde Dandy, der sie erst zu dem gemacht hat, was sie zum Zeitpunkt ihres Todes war; der jugendhafte Liebhaber und Verlobte, der offenbar verschiedene Liebeleien und Affären unterhielt; eine nie direkt als solche benannte Rivalin, die ebenfalls um die Gunst des Liebhabers buhlt; sogar die Haushälterin, die doch so loyal und treu gegenüber der Toten erscheint. Der Polizist wird immer mehr von der geheimnisvollen Toten, die im Film durch einige Rückblenden und vor allem ein von Preminger und LaShelle immer wieder geschickt durch Sichtachsen und Kameraperspektiven ins Bild gesetztes Gemälde präsent ist, in Bann gezogen, bis er sich in sie zu verlieben scheint. Und dann steht die vermeintlich Ermordete plötzlich vor dem Ermittler – lebend und fassungslos ob der Entwicklungen in ihrer Abwesenheit, die sie in einer einsamen Berghütte verbracht hatte, um sich über ihre Gefühle für ihren Verlobten klar zu werden. Aber wer wurde dann ermordet? Und wer – die allem zugrunde liegende Frage – hat weshalb gemordet?

Premingers Inszenierung hat von Beginn an etwas Märchenhaftes, wenn nicht gar den Anflug einer Geistergeschichte. Er setzt Dana Andrews als Detective Mark McPherson so in Szene, daß wir ihn immer als jemanden wahrnehmen, der sich in einer ihm fremden, eigentlich unzugänglichen Welt bewegt. Es ist die Welt der „oberen Zehntausend“, der Upper Class von New York. McPherson wandelt durch Lauras Appartement wie durch ein fremdes Märchenland; wenn er ihren väterlichen Freund, den Kolumnisten Waldo Lydecker besucht, den Clifton Webb als charmant-zynischen Dandy oder charmanten. dandyhaften Zyniker gibt, betrachtet er dessen Sammlung aus Kunstgegenständen und Kunsthandwerk aller möglicher exotischer Kulturen wie Kuriositäten eines Museums. Empfangen wird er von Lydecker in der Badewanne, wo der an einem seiner neuesten Ergüsse zu gesellschaftlichem Klatsch und Tratsch arbeitet. Später trifft McPherson auf Lauras Verlobten Shelby Carpenter, gespielt vom damals 32jährigen Vincent Price, der ein Lebemann und zugleich ein Nichtsnutz ist, der sich von Frauen aushalten lässt, das aber auf großem Fuß und immer um ihre Gunst bemüht, zugleich ein weinerlicher Kerl, der bei jeder Schwierigkeit einzuknicken droht. Diese Frauen genießen ihrerseits einen Lebensstil, der sich in kostspieligen Einkaufstouren und Drinks am Vormittag ergeht.

Eleganz und Dekadenz sind in LAURA zwei Seiten ein und derselben Medaille. McPherson seinerseits – Andrews markantes, hartes, an James Cagney erinnerndes Gesicht steht symbolisch dafür – ist ein Hard-boiled-Cop, der emotionale Seiten an sich erkennen muß, derer er sich bisher möglicherweise noch nicht gewahr geworden ist. Die märchenhafte Atmosphäre des Films wird durch die Unglaubwürdigkeiten des Plots unterstützt und macht diese zugleich erst plausibel. Lydecker – des Mordes schwer verdächtig – darf den Polizisten bei dessen  Besuchen bei den anderen Verdächtigen begleiten, weil er sich für Mord – nach eigener Aussage sein „Lieblingsverbrechen“ – interessiert; die Arbeit der Polizisten, in personam McPherson, wirkt kaum überzeugend, gemessen an anderen Cop-Thrillern derselben Ära. Stattdessen verfährt McPherson eher wie eine Vulgärversion von Agatha Christies Hercule Poirot, wenn er die einzelnen Verdächtigen gegeneinander ausspielt, sie immer wieder aufeinandertreffen lässt und dabei eigentlich nur die Reaktionen einzelner beobachten will. Es scheint, als spiele McPherson ein Spiel, dessen Regeln nur er kennt, ein psychologisches Spiel, in dem Aktion und Reaktion zu beobachtende Variablen sind.

Es ist aber auch eben diese märchenhafte Atmosphäre, die es Preminger – und natürlich dem Drehbuch von Jay Dratler, Samuel Hoffenstein und Elizabeth Reinhardt – erlaubt, einen Aspekt in den Film zu schmuggeln, der an und für sich einen Skandal darstellt und den Sittemwächtern des Hays Office offenbar vollkommen entgangen ist: Nekrophilie. Vielleicht könnte man sogar von Nekroromantik sprechen, um den Titel eines Films des deutschen Underground-Filmers Jörg Buttgereit leicht abzuwandeln. Denn McPhersons Interesse an der toten Laura Hunt ist ein rein romantisches, kennt er sie doch nur aus Erzählungen und von jenem Gemälde, das in ihrer Wohnung hängt. Sie mag durch ihren gewaltsamen Tod in sein Leben getreten sein, er wird sie rächen wollen. Doch als Objekt ist sie ein Objekt seiner Begierde, nicht seines professionellen Bezugs. Vor ihrem Gemälde schläft McPherson ein und unter diesem Gemälde findet die wieder auferstandene Laura Hunt den ihr vollkommen fremden Mann. Ist sie ein Geist? Oder ist sie eine Traumerscheinung? Premingers Regie lässt solche Deutungsmuster zu. Nach Darryl F. Zanuck, Chef des produzierenden Studios Twentieth Century Fox, der sich während der gesamten Zeit, in der Preminger für das Studio arbeitete, heftige Auseinandersetzungen mit dem Regisseur lieferte, sollte es genau darauf hinauslaufen – das Ganze als Traum eines verliebten Polizisten. Es war eine Testvorführung, die Premingers Version des Films rettete, als Zanuck feststellen musste, daß Kritiker, deren Wort er Gewicht beimaß, mit dem von ihm präferierten Ende des Films nicht einverstanden waren. Es wäre ein fataler Fehler gewesen, den Film derart enden zu lassen, denn Zanuck seinerseits scheint entgangen zu sein, daß Preminger den ganzen Film so oder so wie einen Traum, eben einem Märchen ähnelnd, angelegt hat.

Die Titelfigur des Films, Laura Hunt, erscheint dem Betrachter als Hauptfigur, doch ist dies trügerisch und von Preminger auch trügerisch inszeniert. Denn die eigentlichen Hauptfiguren scheinen die führenden Nebenfiguren zu sein. Um diese geheimnisvolle Frau kreisen nämlich mindestens drei Männer – Lydecker, Carpenter und schließlich McPherson – die drei differente Bilder von Männlichkeit, auch männlicher Sexualität spiegeln. Lydecker, ein Intellektueller, ein Hochgebildeter, dem in nahezu jeder Situation die richtigen Bonmots und süffisanten Repliken einfallen, vertritt dabei das vielleicht romantischste Bild von Liebe, das der Film zu bieten hat. Er liebt platonisch. Er verachtet das Vulgäre der körperlichen Liebe, des sexuellen Akts. Die Liebe ist ihm ein Ideal, über-menschlich. Nie wird im Film angedeutet, daß es zwischen ihm und Laura je eine sexuelle Beziehung gegeben habe, eher insinuiert er, daß Lydecker homosexuell ist und Laura sein „special friend“. Daß Clifton Webb zwar kein bekennender Homosexueller war, seine Orientierung in Hollywood aber durchaus bekannt, untermauert diese Sichtweise und dürfte von dem „Diktator am Set“ Otto Preminger auch durchaus gewollt gewesen sein. Carpenter ist hingegen ein zwar durchaus charmanter Mensch, als Mann jedoch erscheint er als Waschlappen, als Schwächling. So sehr er wieder und wieder auftrumpft, das große Wort schwingt, so schnell lässt er sich durch ein Wort von Lydecker oder später McPherson in die Schranken verweisen. Und wenn McPherson schließlich zuschlägt, klappt Carpenter sofort zusammen. Und McPherson selbst? Er ist der scheinbare Macher, damit der eigentlich männliche Typ in diesem Dreieck. Er vefügt im Vergleich zu Lydeckers Süffisanz und Carpenters Schmeichelei nur über eine einfache, fast rudimentäre Sprache, dafür aber weiß er, was zu tun ist, wo er in entscheidenden Momenten nach wesentlichen Beweisen zu suchen hat und durchschaut mit seiner scheinbar einfachen Welt- und Menschensicht doch die Spiele der Reichen und Schönen, denen er entäußert bleibt, zu denen er aber auch immer eine Distanz wahrt.

Nun wäre Otto Preminger aber nicht Otto Preminger, wenn er es nicht verstünde, Klischees und Stereotype gegen den Strich zu bürsten. Dazu trägt der Kniff des Drehbuchs bei, daß wir wirklich bis zum Schluß des Films nicht wissen, wer der eigentliche Täter – oder die Täterin – ist und welche Motivation dem Mord zugrunde liegen könnte. Laura selbst gerät momentweise unter Verdacht, nachdem sie unvermittelt wieder aus dem Reich der Toten aufgetaucht ist. Und ob McPherson den Verdacht gegen sie wirklich nur als Fassade aufrechterhält, um die anderen Verdächtigen in Sicherheit zu wiegen, wie er es später nahelegt, sei einmal dahingestellt – die Indizien, die er bspw. in Lauras Waldhütte findet, sprechen zunächst gegen sie. So bleibt die Figur der Laura Hunt bis zu einem sehr späten Zeitpunkt im Film geheimnisvoll und undurchsichtig. Doch sowohl McPherson als auch Lydecker werden regelrecht auf ihre Konzepte männlichen Denkens und Handelns abgeklopft und dekonstruiert. Der harte Cop, der in einem wilden Schußwechsel schwer verletzt wurde und seinerseits einen Mann getötet hat – Lydecker weiß sofort, wer McPherson ist, als dieser in seinem Badezimmer auftaucht – verfällt dem Bildnis einer toten Frau. Zugleich kann er sich aber einen – wenn auch abschätzigen – Blick auf den vor ihm aus der Badewanne steigenden Lydecker nicht verkneifen. Und die Richtung seines Blickes ist eindeutig. Der Schöngeist, der auf schon bösartige Weise effeminierte Waldo Lydecker, entpuppt sich hingegen nicht nur als eiskalter Mörder, sondern als besonders grausamer dazu. Der toten Frau wurde das Gesicht mit einer Schrotflinte weggeschossen, wie uns der Film zweimal explizit mitteilt – ein denkbar brutaler Mord, der das Opfer offenbar auslöschen sollte, seiner Identität berauben sollte. Und das ist ja dann auch gelungen, denn nur so war es möglich, daß den Polizisten zunächst die Verwechslung unterlief und ihnen nicht sofort auffiel, daß es sich bei der Toten gar nicht um Laura Hunt handelt. Dieser Schöngeist ist schließlich sogar bereit, den Mord zu wiederholen. Er will Laura besitzen – sein beständiges Intrigieren gegen jeden Mann, der sich für Laura interessiert, aber auch jeden, für den sie sich interessiert, weist überdeutlich darauf hin – , will diesen Besitz aber in einer „reinen“ Form, von allem vulgär Körperlichen befreit, er will die ideale Liebe, die Liebe als Ideal, als in der Realität verwirklichtes Ideal. Eine Radiosendung, in der Lydecker ein Referat über große Liebende der Geschichte hält, klärt über sein Liebesverständnis eindeutig auf. Dafür ist er bereit zu töten, nach eigener Aussage ist er aber auch bereit, selbst in den Tod zu gehen. Wenn die Polizei schließlich die Wohnung stürmt und Lydecker in letzter Sekunde, bevor er Laura nun wirklich töten kann, erschießt, stirbt er mit den Worten auf den Lippen: „Laura, meine Liebe…“. Genau in diesem Moment kommen der ‚Film Noir‘ als Thriller und das Melodrama zu vollkommener Übereinstimmung. Der Mord aus Liebe und der (wenn auch oft nur symbolische) Tod – aus Liebe in Kauf genommen – sind die Essenz des Melodrams. Eros und Thanatos.

Carpenter ist in dieser Gleichung eher zu vernachlässigen. Er kann McPherson als „männlichem“ Mann nicht das Wasser reichen, da er trotz seiner körperlichen Größe, trotz seiner Statur, dem eher kleingewachsenen, stämmigen Polizisten nichts entgegenzusetzen hat. Weder argumentativ, noch körperlich. Lydecker hingegen ist ihm intellektuell meilenweit überlegen. Und das lässt er ihn ja auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren. So darf der Zuschauer zwar lange glauben, Carpenter könnte der Täter sein und McPherson lässt uns und seine Umgebung auch lange in dem Glauben, er verdächtige ihn ernsthaft. Doch Carpenter ist eines Mordes nicht fähig. So bleibt er im Wechselspiel dieser unterschiedlichen „Männlichkeiten“ ein eher unbescholtenes aber auch harmloses Element. Aber schnell haben wir begriffen, daß ein solcher Kerl nie bei einer Frau wie Laura Hunt wird landen können, egal, wie sehr er es sich erhofft oder sie ihm die Ehe versprochen hat. Sie ist aus der Stadt geflohen, um sich ihrer Gefühle zu ihm klar zu werden, während ihrer Abwesenheit wirbt Ann Treadwell um ihn und erklärt an einer Stelle McPherson gegenüber, sie und Carpenter passten so gut zusammen, weil sie beide keine guten, sondern schwache Menschen seien. Carpenter ist der Typus Mann, der eine starke, mütterliche Frau sucht, die ihm sagt, wo es lang geht und wie er sich zu verhalten habe. Er unterwirft sich, was weder Lydecker noch McPherson je täten.

LAURA galt schnell als Meisterwerk, auch, weil er in seiner Eleganz zunächst kaum wie ein Thriller wirkt. Und wirklich ist es so, daß er eher wenige typische Merkmale eines ‚Film Noir‘ aufweist. Das sonst so eindringliche Spiel von Licht und Schatten wird hier fast gänzlich aufgegeben, die meisten Räume werden uns in hellem Glanze gezeigt, um ihre Pracht auszustellen. Nur sehr dezidiert wenden Preminger und LaShelle plötzliche Hell-Dunkel-Wechsel an, die dann aber auch jedes Mal deutlich wie eine Markierung wirken, dem Betrachter klare Hinweise auf Gefahr oder ein Geheimnis geben. LAURA könnte man getrost vor allem inhaltlich dem ‚Film Noir‘ zurechnen, immerhin gab es einen Mord, auch wenn wir die Leiche nie sehen. Es gibt eine Ermittlung und es gibt eine – wenn auch eher vermeintliche – Femme fatale, eine geheimnisvolle Frau, die Unglück zu bringen scheint, zumindest die Männer um den Verstand bringt. Daß sie sich schließlich nicht nur als unschuldig, sondern geradezu als Unschuld entpuppt, spielt da keine so große Rolle mehr. Betrachtet man die eher kurze Filmlänge von ca. 84 Minuten, hat man es meist aber mit den Aufs und Abs des ewigen Liebesspiels zu tun. Die Liebe in ihren Spielarten, auch in ihren eher abseitigeren Spielarten, das ist sicher eines der großen Themen des Films, neben der Frage nach verschiedenen Konzepten von Männlichkeit.

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