FÜNF WINTER/FIVE DECEMBERS

Ein solider Kriminalroman vor dem Hintergrund des 2. Weltkriegs

Das Problem vieler moderner Krimis – oder Thriller – ist ihr Umfang. Die meisten sind eindeutig zu lang. Dieser ist es nicht. James Kepler scheint sich für FÜNF WINTER (FIVE DECEMBERS; Original erschienen 2021; Dt. 2023) nur die besten als Vorbilder erkoren zu haben. Autoren wie Raymond Chandler und James Ellroy. Von Ersterem hat er sich die Lakonie und die Lust am Kreieren einer eindringlichen und stimmigen Atmosphäre geliehen, von Letzterem die sprachliche Redundanz bei gleichzeitiger Genauigkeit abgeschaut. Stefan Lux hat das Ganze dann in ein kongeniales Deutsch übertragen.

FÜNF WINTER erzählt zunächst eine scheinbar altbekannte und oft wiederholte Kriminalgeschichte: Der Detective – hier ist es Joe McGrady, der für das Honolulu Police Department arbeitet, dort aber bei seinen Vorgesetzten nicht wohl gelitten ist, da er von auswärts kommt – wird aus seinem wohlverdienten Feierabend, was soviel bedeutet wie: von seinem Whiskey, weggeholt und an den Tatort eines schauderhaften Verbrechens gerufen. Ein junger Mann wurde bestialisch ermordet, schnell findet McGrady eine zweite Leiche. Es ist die einer ebenfalls jungen Japanerin, die offenbar zuschauen musste, wie ihr Liebhaber ausgeweidet wurde, bevor man ihr den Garaus machte. Da der junge Mann der Neffe eines der Admirale der auf Hawaii stationierten amerikanischen Flotte war, genießt der Fall schnell Priorität und McGrady zudem die besondere Aufmerksamkeit und Gunst des Admirals. Und bald weitet sich der Fall aus: Ein ähnlich gelagerter Mord ereignet sich auf einem anderen Marinestützpunkt und McGrady folgt den Spuren, bis er schließlich in Hongkong landet und dem Mörder mit Hilfe einer jungen Japanerin sehr, sehr nahe kommt…

Wer auch nur über rudimentäre Geschichtskenntnisse verfügt, wird schon in dem Moment aufmerksam, in welchem er – oder sie, selbstredend – die Daten liest, die dem ersten Teil des Romans vorangestellt sind: 21. November 1941 bis 7. Dezember 1941. Denn just an diesem 7. Dezember griffen die Japaner den Marinestützpunkt Pearl Harbor an, lösten damit den Pazifikkrieg aus und sorgten für den offiziellen Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg. Joe McGrady wird in Hongkong von diesen Ereignissen überrascht. Er gerät in japanische Gefangenschaft, wird unter Spionageverdacht gestellt, rechnet mit seiner baldigen Hinrichtung, bis ein japanischer Diplomat auftaucht und ihn mit nach Tokio nimmt. Der Mann hat offensichtlich ein eigenes Interesse an McGradys Ermittlungen, die durch seine und die Hinweise seiner Tochter eine unerwartete Wendung nehmen. McGrady jedoch sitzt in Tokio fest und muss hier den Krieg abwarten, bis er nachhause zurückkehren kann, um heraus zu finden, was damals, im Dezember 1941 eigentlich wirklich passiert ist. Und um festzustellen, dass die Jahre in Japan, die fünf Winter des deutschen Titels, ihn so verändert haben, dass ein Nachhause-Kommen gar nicht mehr so leicht möglich ist.

Kestrel erzählt eine nicht immer, nicht wirklich packende Kriminalstory, eine sehr zarte, vielleicht gar hauchzarte Liebesgeschichte, deren Ende er offenlässt, und er erzählt von historischen Härten und davon, was es bedeuten kann, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Die interessantesten Aspekte seines Romans kommen auf sehr leisen Sohlen daher, werden kaum je an der Oberfläche der Geschichte verhandelt. Dass die Methoden, derer sich amerikanische Polizisten vor allem gegenüber Angehörigen von Minderheiten bedienten, nicht sonderlich anders waren als jene, die faschistische Regime und ihre Sicherheitsbehörden auszeichneten, ist ein solcher Aspekt. Ein anderer, weitaus zarterer, ist das Vergehen einer Liebe, an der ein Mann verzweifelt festzuhalten sucht, auch wenn er ahnt, dass es sich dabei vielleicht nur um einen Halt für die eigene geistige Gesundheit handelt. Umso verzweifelter, wenn er merkt, wie sich möglicherweise eine neue, aber im Grunde verbotene Liebe über die alte schiebt.

Kestrel erzählt aber – auf der reinen Handlungsebene – vor allem von einem ausgesprochen brutalen Verbrechen und ebenso brutalen Ermittlungen, bei denen die Ermittler wenig Rücksicht auf niemanden nehmen. Und er erzählt von den Härten des Krieges. Sicher, man ahnt nach einem Drittel des Romans, dass der Held wohl kaum gleich sterben wird, doch sind die Szenen, die die ersten Stunden in japanischer Gefangenschaft beschreiben, ausgesprochen bedrückend und ebenso beeindruckend. Man fürchtet mit und um McGrady. Dafür sind Kestrels Beschreibungen des sich im Krieg befindenden Japans, aber auch der japanischen Kultur – sowohl der traditionellen, als auch jener, die selbst immer militaristischer und damit faschistischer wurde – ausgesprochen scharf und eindringlich. Allerdings artet sein Schreiben nie in Belehrungen aus, wird nicht didaktisch oder geschichtsnotorisch. Immer steht es im Dienst der Handlung, wodurch Kestrel eine Grundspannung aufrecht zu halten versteht, die eben nicht durch den Fall an sich gespeist wird. Vielmehr interessiert es den Leser, wie es mit McGrady weitergeht, ob er, wenn er einst nach Honolulu zurückkehrt, seine Verlobte wiedertrifft, ob er herausfinden kann, wieso er in Hongkong in eine Falle tappte usw. Der Fall selbst – es wurde bereits erwähnt – ist eher durchschnittliche Krimiware und in seiner Aufklärung wenig spektakulär. Allerdings spielt das für den Leser dann auch keine wirkliche Rolle mehr. Dass sich allerdings historisch verbürgte Verwicklungen hinter der Auflösung verbergen, macht ihn dann doch wieder unüblich.

Vielleicht ist Joe McGrady nicht der allerinteressanteste Typ, ihm fehlt das Tragische ebenso wie das Ritterliche, er ist nicht wirklich abgebrüht und auch kein Zyniker. Dadurch unterscheidet er sich mit Sicherheit von den Figuren der weiter oben genannten Vorbilder wie Chandler oder Ellroy. Kestrels Figur des Joe McGrady ist in ihrer Durchschnittlichkeit jedoch sehr geschickt auf die erzählerischen Bedürfnisse des Autors hin entworfen, ohne konstruiert zu wirken. Er ist ein recht einfacher Mann, der sich anfangs darüber klar zu werden versucht, ob er seine Freundin um ihre Hand bitten soll, ein Mann, der seinen Job gut machen will und ansonsten wenig Interesse daran hat, dass man auf ihn aufmerksam wird. Umso schillernder ist seine Geschichte und was sie mit ihm macht.

FÜNF WINTER ist definitiv gehobene Krimiware. Einmal mehr tut es einem Roman nicht wirklich gut, dass sein Cover mit angeblichen Zitaten anderer Großmeister der Spannungsliteratur – namentlich Dennis Lehane und der unverwüstliche Stephen King werden hier zitiert – gepflastert ist, die sich für die angeblich außergewöhnliche Qualität verbürgen. Sowas sollten Leser selbst entscheiden und das Urteil sollte ihnen überlassen bleiben. Wenn etwas gut ist, wird es sich schon durchsetzen. Und man kann in diesem Fall mit Fug und Recht behaupten, dass der Autor keine Seite, kein Wort, keine Silbe zu viel geschrieben hat und somit einen mehr als soliden Thriller vorlegt. Einen Thriller, der sich sicherlich durchsetzen wird.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.