PERFIDIA

Der Auftakt zu James Ellroys neuem "L.A.-Quartett" kann noch nicht überzeugen

Perfidia heißt ein beliebter Song, der von dem, vielleicht, stärksten Gefühl erzählt, das wir kennen – der Liebe – und von jenem Gefühl, das sie oft mit sich bringt – dem Gefühl, betrogen zu werden. Und vom Betrug selbst. Benny Goodman hat es eingespielt, Glenn Miller hat es eingespielt und Ben E. King hat es eingespielt – neben etlichen anderen. Millers Version war in jenen Tagen um den Kriegsausbruch 1941, der für Amerika offiziell mit dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor begann, besonders beliebt. So verwundert es nicht, daß James Ellroy es in dem ersten Teil seines zweiten L.A.-Quartetts immer wieder erklingen lässt, mehr noch: Er entlehnte sogar den Titel für sein Werk.

PERFIDIA (Original erschienen 2014; Deutsch 2016) erzählt allerdings weniger von der Liebe – obwohl auch sie eine nicht gerade kleine Rolle spielt – sondern vor allem vom Betrug. Betrug an anderen Menschen ebenso, wie Betrug am Gemeinwesen, Betrug an der Heimat, vor allem Betrug an den Eiden, die man einmal abgelegt hat. Auf fast 1000 Seiten erzählt Ellroy von einem Mord an vier Japanern gerade am Vorabend des Angriffs auf Pearl Harbor. Schnell ist klar, daß man es nicht einfach mit Selbstmord – wie es allen Ermittelnden des LAPD am liebsten wäre – zu tun hat, auch nicht mit einem herkömmlichen Mord, sondern es steckt offenbar mehr dahinter. War die ermordete Familie Teil der berüchtigten „Fünften Kolonne“?

Im Kern geht es um die Machenschaften von drei Männern und zwei Frauen, die alle in Bezug zu dem Fall stehen. Da gibt es einen jungen japanischstämmigen Forensiker bei der Polizei von L.A., der dringend auf  die Hilfe seiner Kollegen angewiesen ist, damit er und seine Familie nicht den sofort nach dem Angriff einsetzenden Internierungen von Japanern im Großraum Los Angeles zum Opfer fallen; da ist ein – der Realität entlehnter – Polizist, der, stockkonservativ und voller religiöser Ressentiments, verschiedene Pläne verfolgt, die vor allem den von ihm gewünschten Aufstieg an die Spitze der Polizeibehörde beinhalten; ein weiterer Polizist kommt ihm dabei immer wieder in die Quere, weshalb diese beiden sich ununterbrochen umkreisen und belauern, es ist dies ein Mann, der eine Menge Pläne verfolgt, Pläne, die wenig mit dem Hüten der Gesetze zu tun haben, sondern viel mehr mit der Umgehung dieser Gesetze; dann gibt es eine junge Frau, die von dem zukünftigen Behördenchef eingesetzt wird, um eine Gruppe linker Agitatoren zu infiltrieren; und es gibt eine Frau, die genau dieser Gruppe vorsteht und sich ungern in die Karten blicken lässt.

Und drum herum gibt es etliche Figuren, die mal häufiger, mal seltener auftreten, aber allesamt wichtige Rollen spielen. Polizisten, Gangster, Schauspieler und Politiker, teils erfunden, teils der Geschichte entnommen. Man braucht ewig, um sich in diesem Dickicht zurecht zu finden und auseinander zu halten, wer hier für die Streife, wer für die Kriminalbehörde, wer für das FBI und wer einfach nur für die Stadtverwaltung tätig ist. Allerdings ist der erfahrene Ellroy-Leser genau das gewohnt und vielleicht erwartet er auch genau solche Verwirrungen. Viele der Figuren kennt, wer das erste L.A.-Quartett gelesen hat, einige sind auch noch in der „Underworld“-Trilogie, die zeitlich dem L.A.-Quartett nachgeordnet ist, aufgetreten. Vor allem den Ermittler Dudley Smith wird wiedererkennen, wer die Vorgängerbände kennt.

Smith ist exakt die Figur, die für Ellroys Schreiben signifikant ist. Der Mann ist kein Faschist und auch kein Rassist, er ist ein Zyniker, der sich jeden und jede zunutze macht, den oder die er gebrauchen kann. Er ist ein eiskalter Killer, Mord ist für ihn eine immer naheliegende Möglichkeit, um seine eigenen Vorhaben durchzusetzen. Mitten im Buch erschießt er einen wehrlosen Japaner in einer Telefonzelle, weil Bette Davis – die Bette Davis, die noch kennt, wer ältere Hollywood-Filme schätzt – ihn nach einer Liebesnacht bittet, für sie einen Japaner umzubringen. Es ist wahrscheinlich die größte Annäherung an ein Gefühl der Liebe, zu dem Dudley Smith fähig ist. Für die, die er lieben sollte – eheliche und uneheliche Töchter bspw. – hat er lediglich Sentiment übrig. Anhand dieser Figur ist aber auch am besten die Differenz zwischen PERFIDIA und den früheren Werken Ellroys zu markieren. Denn es gibt eine Szene im Buch, in der er einer Frau erklärt, in ihm lebe ein Biest. Solange er alle und alles in seiner Umgebung unter Kontrolle halten könne, solange sei alles gut – wenn er aber das Gefühl habe, die Kontrolle zu verlieren, sei er brandgefährlich.

Daß Ellroy einen Protagonisten wie Dudley Smith so etwas aussprechen lässt, zeigt, daß der Autor möglicherweise nicht mehr ganz das Vertrauen in sein Schreiben hat, wie einst. Nie hätte er eine Figur im ersten L.A.-Quartett, in dem Smith eine wesentliche Rolle spielt, eine solche Erklärung abgeben lassen. Er hätte sich einfach darauf verlassen, daß die Art, wie er seine Figuren charakterisiert und die Intelligenz seiner Leser ausreichen, um einen Mann wie Dudley Smith einzuschätzen.

Ellroy ist selbst ein sehr konservativer Mann, der wenig für Linke, Ideale, Utopien übrighat und der das auch gerne mittteilt. Kaum ein Interview, in dem er seine Abneigungen – auch gegen Rock´n´Roll und die 68er – nicht darlegen würde. Er hat eine traurige Geschichte, wurde seine Mutter doch auf bestialische Weise umgebracht, als er noch ein Kind war, er schlug eine gefährliche Laufbahn als Voyeur, Kleinkrimineller und Drogenabhängiger ein, bevor das Schreiben, so hat er es selber oftmals erzählt, ihm das Leben rettete und ihn auf die „richtige“ Bahn führte. Nun soll und muß man ja Autor und Werk trennen. Dennoch sollte man davon ausgehen, daß ein Kerl wie Dudley Smith das Alter Ego dieses Autors darstellt. Seinen eigenen Zynismus schreibt er Männern wie Smtih ein, die in unterschiedlichen Abstufungen des Bösen in allen seinen Büchern auftreten. Sicher ist Ellroy kein Killer. Aber die Haltung, die ein Mann wie Smith der Welt entgegenbringt, dürfte der des Autors nicht allzu fremd sein, zieht man die Gewalt und die Lust am Bruch jeglicher Gesetze und Regeln einmal ab. Und so kommt es, daß es genau diese Figuren sind, die Ellroy hervorragend gelingen und die die stärksten in seinen Werken sind.

Was an Ellroys Schreiben dann so fasziniert, ist, daß man ihm in den Schilderungen dieser Typen so gern folgt. Es sind die größten Widerlinge und dennoch machen sie viel der Spannung aus, die Ellroys Bücher so lesenswert macht. Allerdings stellt sich gerade anhand von PERFIDIA – es wurde oben angedeutet – die Frage, ob das immer und ewig funktioniert. In der Kritik zum Roman wurde öfters angemerkt, daß Ellroy hier den Eindruck erwecke, exakt das zu liefern, was man von einem „Ellroy“ erwartet. Und genau dieser Gedanke kommt dem Leser, der die früheren Werke des Autors kennt. Denn obwohl er auch diesmal eine weit verzweigte Story um Korruption, Verschwörung, politische Infiltration und politische Händel, um Kriegsgewinnler, Schauspieler und ihre dunklen und abartigen Seiten (alle Schauspieler bei Ellroy sind verkommen und entweder schwul oder lesbisch), um harte Kerle und gefährliche Frauen (die meist direkt den Noir-Thrillern der 40er Jahre entnommen scheinen) spinnt, fügt er dem nichts Neues hinzu. Die Protagonisten ergehen sich in übelsten Beleidigungen gegen Schwarze, Juden, Frauen, Schwule, Mexikaner, Japaner und Chinesen, was sicherlich dem Jargon beim LAPD der 40er und 50er Jahre entspricht, was aber auf 1000 Seiten irgendwann ermüdend, da es zur Charakterisierung irgendwann auch nichts mehr beiträgt.

Anders als in früheren Werken, wird die Gewalt nicht mehr ganz so explizit ausgewalzt, anders als in den letzten Werken, hat Ellroy erstaunlicherweise den Stakkato- oder Telegramm-Stil, von dem bei ihm gern die Rede ist und der sein Schreiben bisher so eigen und charakteristisch machte, zurückgeschraubt. Es gibt sogar komplett gefüllte Seiten. Man mag´s kaum glauben. Einzig die Figur des Hideo Ashida, jener junge Forensiker, der unter Smith´ Anleitung schnell lernt, wie man seine eigenen Erkundungen und die eigene Agenda verfolgt und daß man eigentlich nur auf sich selbst vertrauen darf, diese Figur könnte man als neu im Kosmos des James Ellroy bezeichnen. Aber – es wurde soeben angedeutet – auch sie lässt ihre moralischen und ethischen Ambitionen schnell hinter sich und wird zu eben jenem Zyniker, der man wohl sein muß, um im Sumpf des LAPD nach Ellroy zu überleben. Nur die Gewalt, also die unvermittelte Gewalt, hat er von Smith noch nicht übernommen. Da soeben der 2. Band – DIESER STURM (2919) – des neuen L.A.-Quartetts erschienen ist und Ashida erneut eine tragende Rolle spielt, ist aber davon auszugehen, daß der junge Mann auch die Hürde der Gewalt noch nehmen wird. Man darf gespannt sein.

Ellroy ist nichts für zartbesaitete Gemüter, das war er nie. Man muß die Gewalt und den Zynismus aushalten, man muß sich für das Zeitkolorit interessieren, man muß bereit sein, all diesen verschlungenen Pfaden der Handlungen zu folgen und eine Fülle an Personal in Kauf nehmen. Meist wird man dafür mit einem genau recherchierten und lebendigen Gesellschafts- und Zeitportrait belohnt. Und mit Spannung. Ellroy schreibt Noir-Thriller, ohne Frage. Die eigentliche Frage lautet: Hat er es noch drauf, den Leser noch einmal mitzunehmen in die Höllen von Los Angeles? Nimmt man PERFIDIA als Ausgangspunkt, könnten Zweifel aufkommen. So muß man Ellroy-Einsteiger warnen, die Lektüre nicht unbedingt mit diesem Band zu beginnen; als alteingesessener Ellroy-Leser sollte man warten, bis DIESER STURM als Taschenbuch erscheint und ihm dann eine weitere Chance geben. Wer weiß, vielleicht jazzt er sich doch noch einmal in den eigenen Sound hinein, ohne sich selbst zu zitieren oder gar zu kopieren, und vielleicht wächst er an der Aufgabe, die er sich gestellt hat.

PERFIDIA kann leider noch nicht überzeugen, daß der Autor diese Kraft noch hat.

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