HITCHCOCK (Film)
Von Biopics, einem Jahrhundertklassiker und wie man ein Leben verdichtet....
1959. Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) feiert mit seinem humoristischen Thriller NORTH BY NORTHWEST einen großen Erfolg. Nun sucht er einen neuen Stoff. Einige Jahre zuvor wurden im ländlichen Wisconsin die Machenschaften des nekrophilen Seirenmörders Ed Gein (Michael Wincott) aufgedeckt, der Autor Robert Bloch verwurstet die grauenhaften Einzelheiten zu einem Roman namens PSYCHO. Hitchcock, den seine Frau Alma (Helen Mirren) zu überreden versucht, ein Script ihres Freundes, des Autors Whitfield Cook (Danny Huston), zu verarbeiten, entscheidet sich, Blochs Roman als Grundlage eines wirklichen Horrorfilms zu nutzen.
Keins der Studios, mit denen der Meister bisher zusammen gearbeitet hat, allen voran die Paramount, will die Finnazierung übernehmen, da die Details der Geschichte zu unappetitlich seien. Da Hitchcock trotz seiner Erfolge in Hollywood nicht wohl gelitten und zudem, da er fürs Fernsehen gearbeitet hat, als reiner „Handwerker“ verschrien ist, traut man ihm nicht zu, aus solch einem abseitigen Werk einen weiteren Erfolg zu kreieren, zumal er auf Effekte setzt, die bisher in Hollywood nicht erlaubt sind: Explizite Gewalt und deutliche sexuelle Anspielungen.
Hitchcock und Alma entschließen sich trotz aller Widerstände, den Film zu machen und auch selbst zu produzieren. Sie verpfänden dafür ihr Haus. Alma weiß um die Obsession ihres Mannes mit jungen, blonden Frauen, schlägt ihm aber dennoch Janet Leigh (Scarlet Johansson) für die Hauptrolle vor. Mit der Hilfe von Hitchcocks langjähriger Assistentin Peggy (Toni Colette) wird ein Team und die weitere Besetzngsliste zusammengebracht.
Während des Drehs gerät Hitchcock sowohl in eine künstlerische Krise, weil er sich nicht sicher ist, noch das alte Feuer zu haben, das ihn einst zu gewagten Experimenten trieb, ob er eigentlich nur noch die immer gleichen Filme drehen kann, als auch in eine private Krise, da Alma, die trotz ihres Großmuts gegenüber seinen Vorlieben verletzt ist und zu zweifeln beginnt, sich immer häufiger mit Whitfield trifft, vorgeblich, um an dessen Script zu arbeiten. Zeitweilig driftet Hitchcock in imaginierte Situationen ab, in denen Ed Gein ihm zur Seite steht und ihn darauf hinweist, daß er tief verborgene, dunkle Seiten habe, die er ausleben müsse. Zu all dem kommt, daß sich der Regisseur zu sorgen beginnt, ob die Finanzierung des Films funktioniert oder ihn und seine Frau in Armut stürzen könnte. Zusehends kompensiert er seine Ängste durch fürchterliche Fressattacken, die Alma mit Schon- und Diätkost zu konterkarieren versucht.
Am Set geht die Arbeit voran, selbst, als Hitchcock wegen einer schweren, verschleppten Grippe ausfällt, gelingt es mit Almas Hilfe – die nicht zuletzt in diesen Momenten begreift, daß sie zu ihrem Mann gehört, gleich, welchen Obsessionen er ausgeliefert ist – nicht allzu weit hinter den Drehplan zurückzufallen.
Janet Leigh wird von Vera Miles (Jessica Biel) mehrfach auf Hitchcocks Vorlieben für blonde Frauen hingewiesen und vor seinen abseitigen Neigungen gewarnt. Doch gelingt es der aufstrebenden Schauspielerin, sich den Regisseur zugleich vom Leib und dennoch gewogen zu halten. Sie will wissen, was sich zwischen Miles und Hitchcock zugetragen habe und erfährt, daß Hitchcock der Miles vorwirft, sie nicht zu einem Star gemacht haben zu dürfen.
Mehrfach kommt es zu Zusammenstößen zwischen Hitchcock und dem Chef der Paramount, sowie dem Vorsitzenden der MPAA, der ‚Motion Picture Association of America‘, die für Altersfreigaben und etwaige Zensurschnitte bei Filmen zuständig ist. Hitchcock kann sich immer wieder durchsetzen, vor allem, weil er, als sein eigener Produzent, das Recht auf den finalen Schnitt des Films hat. Bei Probevorführungen merken Alma und ihr Gatte, daß sie schnellere Schnitte und eine rasantere Montage brauchen, um zentrale Stellen des Films – vor allem jene Szene, in der Marion Crane, von Janet Leigh gespielt, in der Dusche hingemetzelt wird – noch eindringlicher und initensiver wirken zu lassen.
Paramount, mit der der Regisseur lediglich die Vertriebsrechte ausgehandelt hatte, weigert sich, den Film zu bewerben oder ihm einen Massenstart zu ermöglichen. So entwerfen Hitchcock und seine Mitstreiter eine Kampagne, um dem Film ein Geheimnis zu geben und sicher zu stellen, daß seine Effekte und Überraschungen nicht verraten werden.
Am Premiereabend verlässt Hitchcock den Saal und wartet vor den Türen auf die Reaktion des Publikums. Vor allem die Duschszene erwartet er voller Spannung, weiß er doch, daß er hier Äußerstes gewagt hat. Es wird ein Triumph. Die Zuschauer schreien und kreischen, als zu Bernard Herrmanns (Paul Schackmann) enervierender Musik Norman Bates in Gestalt von Anthony Perkins (James D´Arcy) sein Opfer attackiert.
Nach der Vorstellung stellen sich Hitchcock und Alma der Presse und der Regisseur küsst sie innig. Er macht ihr ein Kompliment, auf das sie, wie sie sagt, dreißig Jahre gewartet habe. Deshalb, so entgegnet er, nenne man ihn den „Master of Suspense“…
Es ist so eine Sache mit den sogenannten ‚Biopics‘, Filmen, die vorgeblich die Biographie eines bedeutenden Politikers, Künstlers oder anderweitig bekannt gewordenen Menschen erzählen, meist aber gar nicht die gesamte Biographie dieser Persönlichkeit erzählen, sondern eine wesentliche Begebenheit aus deren Leben. Sie bebildern eine zumeist bekannte Geschichte, halten sich mehr oder weniger an die Fakten und bemühen sich, dennoch Spannung, zumindest dramatisches Potential aus ihrer Story zu generieren. In den letzten zehn Jahren gab es vermehrt Filme, die vor allem um Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsbranche oder Kulturschaffende betrafen. Die Regisseure Bennett Miller und Jay Roach entschieden sich beispielsweise dafür, ihre Filme mit den Namen ihrer Helden zu betiteln und erweckten so zumindest den Eindruck, es handele sich um Lebensbeschreibungen der von ihnen Menschen, von denen ihre Werke handelten.
Ersterer drehte mit CAPOTE (2005) einen Film über die Jahre, in denen der Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor Truman Capote an seinem Buch IN COLD BLOOD (erschienen 1965) arbeitete, jenem Werk über den Mord an einer Farmersfamilie in Kansas, die ihn an den Rand seiner psychischen Gesundheit brachte. Roach nutzte Dalton Trumbos Nachnamen als Titel für TRUMBO (2015), der aus den dunkelsten Tagen Hollywoods erzählte, als Senator Joe McCarthy sich anschickte, mit Hetzkampagnen und Berufsverboten ‚Tinsel Town‘ von Kommunisten und solchen, die er dafür hielt, zu säubern. Anhand der genannten Filme lässt sich hervorragend studieren, worin die Problematik des Biopics generell liegt. Denn immer setzen sie voraus, daß der Zuschauer mit der Figur soweit vertraut ist, daß der Film seine Episode erzählen kann, ohne auf all zu vieel Verständnisschwierigkeiten zu stoßen. Kenntnisse über Truman Capotes Karriere als Partylöwe und Dandy mit Welterfolgen wie BREAKFAST AT TIFFENY´S (erschienen 1958, 1961 höchst erfolgreich von Blake Edwards verfilmt), Dalton Trumbos Bedeutung als Drehbuchautor und seine politische Haltung durch seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg, die sich in seinem Erfolgswerk JOHNNY GOT HIS GUN (erschienen 1939, von ihm selbst 1971 verfilmt) ausdrückten, sind zwingend nötig, um die Figuren dieser Filme verstehen und die Spezifik ihrer Situation einordnen zu können. Joe Wright ging bei seinen Film über jene Tage des Jahres 1940, als Winston Churchill zum Premierminister ernannt wurde, anders vor und nannte ihn DARKEST HOUR (2017) und stellte damit eher das Ereignis, weniger die Figur des Politikers in den Vordergrund. Doch auch in diesem Fall trifft es zu, daß man Hintergrundwissen über Churchills Unbeliebtheit als Politiker aufgrund seiner Verantwortung für das Desaster in Gallipoli im Ersten Weltkrieg benötigt, um die Handlung und das Verhalten vieler Figuren zu verstehen. In Churchills Fall – in geringerem Umfang gilt dies auch für Truman Capote – kommt eine auffallende Physiognomie hinzu, die aus einem außergewöhnlichen Charakter auch eine außergewöhnliche Erscheinung machte und somit ihr Bild in der Öffentlichkeit prägte. Ein Schauspieler, der es also mit diesen Rollen aufnimmt, spielt immer auch gegen ein bekanntes, verfestigtes Image an. Philip Seymour Hoffman gelang dies in CAPOTE auf beeindruckende Weise, Gary Oldman in DARKEST HOUR trotz aller Finesse der Maske nur bedingt. Bryan Cranston als Dalton Trumbo hatte es da etwas einfacher, da dessen Konterfei weniger bekannt war, als der Film erschien. Nebenbei sei bemerkt, daß allen drei Schauspielern hervorragende Charakterstudien schwieriger, oft streitbarer Männer in extremen Situationen, ja Wendepunkten ihres Lebens gelangen.
Auf den Erfolgsregisseur Alfred Hitchcock treffen einige der oben genannten Thesen ebenfalls zu. Sein Konterfei war so bekannt, daß er im Vorspann seiner Fernsehshow ALFRED HITCHCOCK PRESENTS… (ab 1955) lediglich als Silhouette gezeigt werden musste, damit das Publikum ihn sofort erkannte. Die markante, überhängende Unterlippe, der hervorstechende Bauch und die Halbglatze waren Markenzeichen für jeden, der das Programm einschaltete. Mit Hitchcocks Erfolgen dürfte das Publikum auch heute noch vertraut sein, sein Hang zu derbem, oft auch verletzendem Humor mit äußerst morbidem Einschlag, eher nur Kennern. Daß er bei aller Humorigkeit ein oft unsicherer, äußerst sensibler Mensch gewesen ist, weiß wahrscheinlich nur, wer die Biographien gelesen hat, die über ihn erschienen sind, auch, wie wichtig seine Frau Alma für seine Arbeit war, dürfte nur Cineasten geläufig sein. Daß er trotz all seiner Erfolge in Hollywood unbeliebt und als reiner „Handwerker“ verschrien war, nie einen Einzel-Oscar gewann und immer wieder in Auseinandersetzungen mit den Studios, für die er arbeitete, verwickelt war, mag man sich heute, da seine Filme ins allgemeine kulturelle Gedächtnis eingegangen sind, kaum mehr vorstellen können. Ganz besonders mag dies auf die Produktion von PSYCHO (1960) zutreffen – jenem Film, mit dem sein Name wohl am stärksten verbunden ist, trotz all seiner Erfolge zuvor. Allerdings dürfte das breite Publikum nicht unbedingt mir den Bedingungen vertraut sein, unter denen der Film einst entstand.
Es sind genau jene Monate rund um die Entstehungszeit von PSYCHO, die Sacha Gervasi für das Biopic HITCHCOCK (2012) wählte. Auch Gervasi nutzt den Namen seines Protagonisten, um im Grunde nur von einer vergleichsweise kurzen Episode im Leben des Regisseurs zu berichten. Die allerdings ist für die Filmgeschichte und mindestens die Entwicklung des modernen Horrorfilms wesentlich gewesen. Bedenkt man den enormen Erfolg, den der Film zu seiner Zeit schon hatte, erst recht aber die Langzeitwirkung, mag es kaum vorstellbar sein, daß sich kein Studio fand, das ihn produzieren wollte. Die Paramount, für die Hitchcock einige seiner wichtigsten, wenn auch nicht erfolgreichsten, Filme der 1950er Jahre gedreht hatte, wollte kein Werk über einen wahrscheinlich kannibalistisch veranlagten Nekrophilen produzieren, dessen Geschichte auch noch auf „wahren Begebenheiten“ beruhte.
1957 wurden die grauenhaften Verbrechen des Frauenmörders und Leichenschänders Ed Gein in Wisconsin aufgedeckt, in dessen Haus neben einer ausgeweideten Frau auch Teile von Leichen und bizarrer Schmuck aus Nasen, Brustwarzen und abgezogener Haut gefunden wurde. Der Autor Robert Bloch hatte aus der Geschichte einen reißerischen Thriller namens PSYCHO destilliert, der 1959 erschien und zunächst keinen besonderen Anklang fand. Er hatte die Geschichte in ihren Grundzügen genommen – Frauenmord, ödipale Konflikte, Transvestie, Kannibalismus – und zu einem Werk über den jungen Besitzer eines Motels verwurstet, der allein reisende Frauen durch ein Guckloch in der Wand seines Büros beobachten konnte, während sie sich in ihrem Zimmer umzogen oder duschten und die er dann umbringt. Hitchcock, gelangweilt von den immer gleichen, oft komödiantisch anmutenden Filmen der vergangenen Dekade – TO CATCH A THIEF (1955), vor allem aber NORTH BY NORTHWEST (1959), der ein immenser Erfolg wurde – zugleich aber verletzt, daß der sehr persönliche VERTIGO (1958) gefloppt war, suchte nach einem neuen, einem anderen Stoff. Einen wirklich dem Genre des Horrorfilms zuzurechnenden Film hatte er trotz des frühen, in England entstandenen THE LODGER (1927) nie gedreht, es reizte ihn aber, in diesem Genre tätig zu werden. Die Geschichte, die Bloch in seinem Roman aufbereitete, sprach Hitchcocks Vorliebe für das Morbide und Abseitige sofort an. Er erkannte auch das filmische Potenzial, das in der Geschichte steckte und er hatte wohl schnell begriffen, wie es sich in für damalige Verhältnisse ausgesprochen moderner Form umsetzen ließ. Schließlich überredete er seine Frau Alma Hitchcock, den Film, dessen Produktionskosten er mit etwa 800.000 $ veranschlagte – die Summe wird auch heute meist als Budget angegeben – selbst zu produzieren. Dafür verpfändete das Ehepaar unter anderem sein Haus. Dann machte er sich an die Arbeit. Um den größtmöglichen Effekt zu erzielen und in vollem Bewußtsein, gängige Tabus der Traumfabrik zu brechen, verpflichtete Hitchcock seine Mitarbeiter, kein Sterbenswort über die Entwicklung des Plots oder gar dessen Ende zu verraten. Diese Anweisungen gab er später auch an die Kinobetreiber weiter, die angehalten waren, nach Vorstellungsbeginn niemanden mehr in den Saal zu lassen und nach Vorstellungsende schnell den Vorhang vor der Leinwand zu senken, damit der Schrecken des Films größtmöglich zur Entfaltung käme. Sein Publikum forderte er auf, nichts über das, was es gesehen hatte, zu verraten, um späteren Zuschauern die Überraschungen nicht zu verderben.
Der Rest, so kann man sagen, ist Geschichte. PSYCHO (1960) ist ein auch heute noch deutlich als Solitär zu erkennender Film, seine Wirkung nach wie vor erstaunlich. Es ist ein Film, dessen Hauptdarstellerin nach einer guten halben Stunde per Mord aus der Handlung expediert wird, es gibt eine Duschszene, die das Hygieneverhalten einer ganzen Generation beeinflusst hat, die Unmoral des Ehebruchs am Nachmittag wird wertfrei gezeigt, ein ultrasensibler, aber scheinbar vollkommen gefühlloser junger Mann scheint die einzige konstante Hauptfigur zu sein, die eine Mumie im Keller beherbergt, ein Detektiv, dem wir vertrauen, wird ebenfalls, kaum ist er aufgetreten und eingeführt, dahingemetzelt – PSYCHO ist voller Brüche mit Sehgewohnheiten, in seinem schwarz-weißen Look eher an einer damals gängigen TV-Ästhetik orientiert, ein Meilenstein dessen, was vor allem an Gewalt und sexueller Freizügigkeit auf der Leinwand zeigbar wurde und ein Meisterwerk in vielerlei Hinsicht, vor allem aber was Schnitt und Montage betrifft. Früh wurden soziologische Untersuchungen durchgeführt über die Wirkmacht des Films, der zunächst fast ohne Werbung nur durch Mund-Mund-Propaganda seinen Erfolg entfaltete, er setzte Maßstäbe für den modernen Horror- und Suspensefilm, fand etliche Nachahmer und Epigonen und getrost lässt sich sagen, daß ohne ihn der moderne und postmoderne Horrorfilm mit all seinen Slashern, Serienkillern und Monstern in Menschengestalt kaum denkbar wäre. Steven Spielberg nutzte den bahnbrechenden Soundtrack von Bernard Herrmann in abgewandelter Form für jene Momente in seinem Meisterwerk JAWS (1975), in denen sich der Hai, noch unsichtbar, den Stränden und den dort Badenden nähert. Die Geschichte von Ed Gein wurde für weitere erfolgreiche Filme wie Tobe Hoopers Midnite-Movie THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) oder Jonathan Demmes THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) zum Vorbild, beide Filme verweisen in ihrer Mise-en-Scene auch deutlich auf Hitchcocks Film. Schließlich wagte Gus Van Sant 1998 eine Neuverfilmung, bei der er das Originaldrehbuch von Joseph Stefano und die Originalmusik von Herrmann, sowie Hitchcocks Storyboard und Einstellungen lediglich leicht modifiziert und gelegentlich zeitgenössisch angepasst übernahm und als einzige wirkliche Neuerung Farbe ins Spiel brachte. Der Film wird allgemein als mißlungen betrachtet, kann aber als filmhistorisches Experiment durchaus bestehen, nicht zuletzt, weil er die Stärken des Originals noch einmal spürbar und nachvollziehbar macht.
Sacha Gervasi geht also, in Anbetracht dessen, wofür PSYCHO steht, ein großes Wagnis ein, wenn er dessen Regisseur in den Monaten zeigt, in denen dieses Meisterwerk entstand. Anders als die oben genannten Bennett Miller und Jay Roach, legt er seinen Film keinen Moment als Drama an. Im Gegenteil gelingt es Buch (John J. McLaughlin) und Regie, sich des Meisters Humor und Eloquenz zunutze zu machen und den Film damit anzureichern. So entsteht ein Werk, das zwar durchaus die Schwierigkeiten rund um die Produktion, die Obsessionen des Regisseurs und Künstlers Hitchcock und auch seine Konflikte mit seiner Frau Alma zu thematisieren versteht, dies aber immer wieder durch Ironie und einen durchaus lockeren Inszenierungsstil bricht. Anthony Hopkins gibt den Meister als öffentliche Figur, die einem Image gerecht zu werden hat, und zugleich als zutiefst verunsicherten Menschen, der sich sowohl seiner künstlerischen Leistungsfähigkeit als auch der Liebe seiner Frau nicht mehr sicher sein kann. In seinen dunkelsten Momenten wird ihm ein von Michael Wincott angemessen sinister gespielter Ed Gein zum imaginären Gefährten, wobei diese Szenen in der Gesamtdarstellung eher störend wirken. Hopkins hätte Hitchcocks Schwächen sicher auch ohne diesen Begleiter darzustellen gewusst. Allgemein lässt sich Hopkins´ Darstellung loben, obwohl man ihm eine nicht immer sitzfeste Maske verpasst hat und man gelegentlich meint, ihm die Hochachtung vor dem Rollenvorbild anzumerken. Ein Genie wie Hitchcock angemessen darzustellen, ist sicher nicht einfach, ihm allzu menschliche Züge – bspw. die Fresssucht – angedeihen zu lassen, macht es sicher nicht leichter, ihm gerecht zu werden. Doch trotz der ehrfurchtsvollen, manchmal im reinen Gestus erstarrenden Haltung, die der Schauspieler einnimmt, gelingt ihm ein durchaus berührendes Portrait eines Künstlers in der beruflichen und privaten Krise.
Ihm steht mit Helen Mirren als Alma Reville allerdings ein kongeniales Pendant gegenüber. Vielleicht muß man ihre Leistung noch viel mehr als die von Hopkins würdigen. Es gelingt ihr, eine ausgesprochen selbstbewusste Frau darzustellen, die um ihre Talente und vor allem ihren Beitrag zu dem Werk ihres Mannes weiß, die zugleich aber tief verletzt ist von den dauernden zumindest imaginierten Affären ihres Gatten. Hitchcocks Obsessionen mit seinen meist blonden Hauptdarstellerinnen wie Grace Kelly, später Tippi Hedren, sind belegt, hingegen nicht, ob er, wie bspw. sein Kollege Billy Wilder, wirklich ausgiebige Affären hatte. So wird Gervasis Film auch und gerade zu einem verkappten Ehedrama. Alma weiß, daß Hitchcock, den sie in guten Momenten „Hitch“, in schwierigen hingegen „Alfred“ nennt, Stoffe braucht, die seine Imagination ansprechen und auf Touren bringen, sie weiß, daß er ohne ihre Unterstützung aufgeschmissen ist, daß sie den Blick für die kleinen, so wesentlichen Details und ein außergewöhnliches Gespür für Schnitt und Montage besitzt, die maßgeblich zum Erfolg seiner Filme beitragen. Gervasi zeigt sie als eine Frau, die mit ihrer Verletzung souverän umgeht und sich, indem sie Hitchcock im Ungewissen lässt, ob ihre Zusammenarbeit mit dem Autor Whitfield Crook wirklich nur das ist, oder vielleicht doch mehr. Und es ist eine Meisterleistung beider Schauspieler, wie das Machtverhältnis in dieser doch gleichberechtigt erscheinenden Ehe langsam kippt, bis der Meister selbst um-kippt und nach seiner Frau greint.
Unterstützt wird dieses Paar von einer Riege hervorragender Schauspieler, die in Nebenrollen glänzen. Scarlett Johansson gibt eine wirklich überzeugende Janet Leigh, Toni Colette in der Rolle der Peggy Robertson zeigt einmal mehr, was für eine gute Darstellerin sie ist. Streng und dennoch immer ihrem Chef zugewandt, spürt der Zuschauer, wie wichtig Robertson neben Alma Reville für Hitchcock und seine Arbeit war. Andere Rollen, wie die nicht ganz unkomplizierte der Vera Miles, die mit Hitchcock im Clinch lag, fallen dagegen ein wenig ab. Jessica Biel spielt allerdings auch nicht in der Liga der führenden Darsteller. Dennoch nimmt man ihr die Miles in ihrer Verletztheit und zugleich dem Groll, den sie gegen Hitchcock empfand, durchaus ab. Daß es Gervasi gelingt, auch diese Konfliktlinien in seinen Film einzubauen, macht ihn ebenso lebhaft wie glaubwürdig. Anders als in anderen Biopics, gelingt es ihm eben, anhand dieses einen Drehs, anhand dieser wenigen Monate, die es dauerte, PSYCHO herzustellen, Hitchcocks Leben in vielen seiner Facetten so zu verdichten, daß er etwas Wesentliches über dessen Charakter und Werdegang erzählen kann. Erstaunlich, daß ihm dies nicht nur auf charmante Art und Weise gelingt, sondern, ohne übermäßig dramatisch zu werden, auch so, daß sein Film durchaus unterhaltsam und sogar witzig ist. Gerade die Wortgefechte zwischen dem Ehepaar Hitchcock/Reville, die den Darstellern natürlich hervorragende Möglichkeiten bieten, ihr Können unter Beweis zu stellen, sind gelegentlich wahre Perlen der Drehbuchkunst.
Bleibt als einziger Kritikpunkt vielleicht die Art, in der Gervasi Hitchcocks Obsessionen darstellt. Die Fressattacken sind überliefert, doch daß dieser Meister des berechnenden Suspense` sich in imaginierten Zwiegesprächen mit einem der wirklich abseitigsten Serienmörder der amerikanischen Geschichte wiedergefunden hätte? Eher nicht. Wie bereits erwähnt, wäre es Hopkins so oder so sicherlich gelungen, die Hitchcock durchaus seit seiner Kindheit bedrängenden Ängste darzustellen, daß der gealterte Hitchcock wirklich derartigen Selbstzweifeln und – das deutet zumindest eine Szene an – innerer Bedrängnis bis hin zu Mordphantasien erlegen sei, ist nur schwer vorstellbar. An dieser Stelle bleibt Gervasi auch seltsam unentschieden. Was zunächst wie tiefsitzende Paranoia anmutet, ja, als Hinweis auf wirklich bedrohliche Motive in Hitchcocks Seele gedeutet werden könnte, wird im Laufe des Films runtergekocht auf durchaus nachvollziehbare Befürchtungen hinsichtlich der eigenen finanziellen Lage und des möglichen Mißerfolgs des Films. Doch können diese spärlich gestreuten Szenen den Gesamteindruck nicht schmälern. Gervasi ist eine angemessene Hommage an den Meister des Thrillers gelungen, der es gelingt, einen Menschen – kein Abziehbild, keinen Mythos und kein Image – zu zeigen.