LINCOLN
Steven Spielberg zeichnet ein durchaus differenziertes und doch auch heldenhaftes Portrait dieses großen amerikanischen Präsidenten
Die USA im Jahr 1864. Der Sezessionskrieg steht im vierten Jahr, der Süden blutet langsam aus, auch im Norden greift zusehends Kriegsmüdigkeit um sich. Abraham Lincoln (Daniel Day-Lewis) wurde soeben erneut zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt und möchte seine Versprechen – darunter die endgültige Abschaffung der Sklaverei – einlösen.
Im Süden macht sich die Gewißheit breit, daß man, will man nicht vollends unterworfen werden und schließlich bedingungslos kapitulieren, in Friedensgespräche wird einwilligen müssen.
Der Politiker und Journalist Francis Preston Blair (Hal Holbrook), ein Demokrat mit vielerlei Verbindungen in die Südstaaten, setzt Lincoln unter Druck: Er würde jedwede Zusammenarbeit seiner Partei mit den Republikanern, der Partei des Präsidenten, unterbinden, wenn er nicht im geheimen Auftrag der Regierung nach Richmond, Virginia, der Hauptstadt der Sezessionsstaaten, reisen und dort die Möglichkeiten für Verhandlungen erkunden dürfe.
Lincoln widersetzt sich diesem Anliegen. Er will unbedingt den 13. Verfassungszusatz durch den Senat bringen, bevor er in etwaige Gespräche mit seinen Widersachern im Süden eintritt. Der 13. Zusatz soll die bedingungslose Abschaffung der Sklaverei in allen Staaten der Union – um deren Erhalt es dem Präsidenten vordringlich zu tun ist – unwiderruflich in der Verfassung festschreiben.
Der Entwurf hat bereits den Senat passiert, nun braucht es die Zustimmung des Kongresses. Doch hier haben die Demokraten die Mehrheit. Da die demokratische Partei jene Partei ist, die die stärksten Verbindungen in den Süden hat, ist es ihr nur schwerlich möglich, der Abschaffung zuzustimmen, wohl wissend, daß eine solche Haltung später als Verrat an der „Sache des Südens“ betrachtet würde. Lincoln braucht zwanzig Stimmen der Demokraten, um seine Linie durchzusetzen.
Lincoln trifft aber auch in der eigenen Partei und in seinem Kabinett auf Widerstand. Zum einen sind da Pragmatiker wie William H. Seward (David Strathairn), nominell Außenminister der Union, der jedoch ein gewichtiges Wort hinsichtlich aller Entscheidungen der Regierung hat. Er, wie einige andere auch, will vor allem den Krieg schnellstmöglich beenden, weiß er doch, welch einen fürchterlichen Blutzoll das Schlachten einfordert.
Auf der anderen Seite des Spektrums steht Thaddeus Stevens (Tommy Lee Jones), ein überzeugter Gegner der Sklaverei, der aus moralischer und ethischer, vor allem christlich-religiöser Perspektive argumentiert. Er ist zu keinem Kompromiß, keinem Nachgeben gegenüber dem Süden bereit und ganz im Gegenteil der Überzeugung, daß man die Sache grundsätzlich und durchaus mit Waffengewalt austragen sollte.
Lincoln versucht, in alle Richtungen zu taktieren. Er ist aber auch bereit, nicht ganz legale Mittel zu nutzen, um an die ausstehenden Stimmen zu gelangen. So lässt er einige Anwälte, die ausschließlich in seinem Auftrag handeln, einzelne Vertreter der Demokraten unter Druck setzen. Zum einen sind dies Abgeordnete, die nach den Wahlen ihren Sitz im Kongreß verlieren und die mit Posten geködert werden, wenn sie für Lincolns Gesetzesentwurf stimmen; aber die Vermittler setzen auch moralische Mittel und intime Kenntnisse ein, um an die nötigen Stimmen zu kommen.
Blair darf schließlich gen Süden reisen, weil seine Stimme in der demokratischen Partei Gewicht hat und Lincoln immer noch hofft, einige Demokraten auf legalem Weg dazu zu bewegen, mit ihm zu stimmen.
Auch privat hat Lincoln zunehmend Probleme. Seine Frau Mary (Sally Field), selbst mit familiären Verbindungen in den Süden und seit dem Tod ihres drittjüngsten Sohnes Willie oft in schwankenden Stimmungen, steht zwar nach außen eindeutig zu ihrem Mann – lässt sich sogar bei offiziellen Anlässen auf Dispute mit mächtigen Männern wie Stevens ein – zeigt ihrem Mann in ihren Privatgemächern jedoch deutlich, daß sie nicht mehr kann, dem Druck, der auf ihm, ihr und der Ehe lastet, kaum mehr gewachsen ist. Lincolns jüngster Sohn, Tad (Gulliver McGrath), wird oft vernachlässigt und sucht doch immer wieder die Nähe zu seinem Vater, der sich Mühe gibt, ihm irgendwie gerecht zu werden. Hinzu kommt, daß Lincolns Ältester, Robert Todd (Joseph Gordon-Levitt), unbedingt in den Krieg ziehen möchte, was sein Vater ihm verweigert. Lincoln weiß, daß er es seiner Frau nicht zumuten kann, möglicherweise noch einen Sohn zu verlieren. Er nimmt in Kauf, daß der ihn dafür hasst, weil er wie ein Feigling dasteht, der aus familiären Gründen und Verbindungen den Schlachten entkommt.
Robert stellt seinen Vater zur Rede und macht ihm klar, daß der ihn letztlich nicht hindern könne, sich anwerben zu lassen. Doch Lincoln – immer der schlaue Fuchs – stellt seinerseits klar, daß er oberster Befehlshaber der Streitkräfte ist und somit sehr wohl verfügen kann, daß Robert nicht genommen wird. Schließlich einigen sich die beiden, daß Robert in den Generalstab eintritt und damit zumindest nicht dem direkten Schlachtengetümmel ausgesetzt wird.
Lincoln verfolgt mit seinem Kriegsminister die neusten Entwicklungen des Krieges und spürt, wie dringend dieser Kampf beendet werden muß.
Die Südstaatenregierung in Richmond hat derweil eine dreiköpfige Delegation berufen, die sich gen Norden aufmachen soll, um die Möglichkeiten von Friedensgesprächen auszuloten. Die Unterhändler sind bereits an der Frontlinie eingetroffen und in Washington machen sich Gerüchte breit – wenn der Präsident zu Verhandlungen bereit sei, so müsse der 13. Verfassungszusatz nicht zwingend verabschiedet werden. Lincoln lässt immer wieder dementieren, um nicht kompromittiert zu werden. Um sich der Unterhändler zu erwehren, vereinbart Lincoln mit seinem Oberbefehlshaber, General Ulysses S. Grant (Jared Harris), die Vertreter des Südens auf einem Schiff die Flüsse um Washington herum befahren zu lassen, zumindest solange, bis die Entscheidung im Kongreß durchgefochten ist.
Schließlich ist der Tag der Abstimmung, der 31. Januar 1865, gekommen. Es hat auch von der Seite der Demokraten Versuche gegeben, jene Kongreßmitglieder, die sie als wankelmütig wahrnehmen, unter Druck zu setzen. Beide Seiten verdeutlichen noch einmal ihre Sichtweisen, dann kommt es zur Abstimmung. Und Lincolns 13. Verfassungszusatz wird mit den nötigen zwanzig Stimmen der Demokraten angenommen. Allerdings braucht es dafür eine Finte des Präsidenten. Auch im Kongreß macht sich nun das Gerücht breit, daß Unterhändler des Südens bereits in Washington seien und es durchaus Aussichten auf einen Verhandlungsfrieden, zumindest einen Waffenstillstand, gebe. Lincoln unterschreibt ein Dokument, das dementiert, daß der Präsident jemals Unterhändler getroffen habe. Das stimmt zwar, doch ist die Sache zweifelhaft, da die Vertreter der Sezession auf Lincolns höchst eigene Anweisung daran gehindert werden, Washington zu betreten.
Thaddeus Stevens lässt sich nach der Abstimmung das Originaldokument aushändigen und nimmt es mit zu sich nach Hause. Dort übergibt er es seiner schwarzen Haushälterin Lydia Smith (S. Epatha Merkerson), die es wie eine Reliquie in Händen hält. Stevens und Smith leben in heimlicher Ehe zusammen und abends im Bett liest sie ihm das Schriftstück, das die Befreiung der Sklaven endgültig festschreibt, wieder und wieder vor.
Am 3. Februar trifft sich Lincoln schließlich mit den Unterhändlern. Dieses Treffen geht als die Hampton Roads Conference in die Geschichte ein. Doch bringt es nichts, da sich Lincoln auf keine der Bedingungen, die die Unterhändler stellen, einlassen muß. Da sein Gesetz bereits ratifiziert ist, haben die Südstaatler nichts Verwertbares in der Hand.
Lincoln besucht das Schlachtfeld von Petersburg in Virginia. Einmal mehr wird er der ganzen Schrecklichkeit des Krieges ansichtig. Er unterhält sich mit General Grant und bittet diesen, die seiner Meinung nach bevorstehende Kapitulation entgegenzunehmen. Auf dem Rückweg nach Washington erklärt Lincoln Mary, die ihn begleitet hat, daß sie wieder mehr Freude im Leben bräuchten, sich wieder mehr gönnen müssten.
Am 9. April 1865 ist es schließlich soweit. Im Appomattox Courthouse kapituliert Robert E. Lee (Christopher Boyer), Oberbefehlshaber der regulären Armeen des Südens, im Namen der Sezession.
Am Abend des 14. April sitzt Lincoln mit seinem Kabinett zusammen. Es werden Fragen nach der Gleichstellung der Schwarzen nach der endgültigen Befreiung aus der Sklaverei aufgeworfen. Dabei kommen durchaus auch soziale Aspekte zur Sprache. Unter anderem kommt die Frage auf, wie die Reaktionen im Norden sein werden, wenn sich Massen befreiter Sklaven aus dem Süden gen Norden aufmachen, wo sie Arbeit und bessere Lebensbedingungen erhoffen. Es wird deutlich, daß Lincoln in all diesen Fragen eher zurückhaltend ist. Allerdings wird nicht klar, ob er hier ebenfalls taktiert, da er weiß, daß er den Süden wird irgendwie einbinden, ihm auch mit Respekt wird entgegenkommen müssen, um das Land nach fast fünf Jahren Krieg zu befrieden und wieder zusammenzuführen, oder ob er aus Überzeugung spricht.
Er muß das Treffen verlassen, da er und Mary ins Theater wollen und seine Frau bereits in der Kutsche wartet. Lincoln geht durch die sonst immer vollen, nun leeren Gänge des Weißen Hauses.
Im Theater wird die Vorstellung unterbrochen, um den entsetzten und sprachlosen Besuchern mitzuteilen, daß soeben auf den Präsidenten geschossen wurde. Am folgenden Tag versammeln sich Lincolns Vertraute um das Bett, in dem der Präsident seinen schweren Verletzungen erlegen ist.
Der Film schließt mit Bildern von Lincolns zweiter Antrittsrede.
Es gibt tausenderlei Arten, wie man über ein geschichtliches Ereignis berichten oder davon erzählen kann. Brutal realistisch, pathetisch ergreifend, verfälschend und beschönigend – und etliche mehr. Der amerikanische Bürgerkrieg war ein historisches Ereignis, das solch tiefe Wunden in der Gesellschaft hinterlassen hatte, daß er in der Literatur und im Film zwar Niederschlag fand, jedoch mit viel Vorsicht behandelt wurde, um keine der damals beteiligten Bevölkerungsgruppen zu verletzen. Im Film war es lange der Western, der den Krieg eher verhalten und indirekt verhandelte, indem seine Helden irgendwann im Laufe der Handlung preisgaben, auf welcher Seite sie einst gekämpft hatten. Damit konnten dann dramaturgisch entweder Feindschaften erklärt, oder aber es konnte gezeigt werden, wie gemeinsam bestandene Abenteuer die alten Wunden heilen und zur Versöhnung beitragen können. In seinem filmhistorisch bedeutenden Meilenstein THE BIRTH OF A NATION (1915) stellte David Wark Griffith den Bürgerkrieg als einen fürchterlichen Bruderkrieg aus falschen Gründen dar, der erst durch einen gemeinsamen Kraftakt der Nord- und Südstaatler beendet werden konnte. Indem man sich einem gemeinsamen Feind – die befreiten Sklaven, die im Film als brutal, dumm und rachsüchtig dargestellt werden – entgegenstemmt, können die Gräben zugeschüttet werden, so das Credo des Films. Griffith verstand sein Werk als staatstragend, immerhin war der Krieg erst ca. 50 Jahre vorbei, als er seinen Film veröffentlichte.
Staatstragend ist ein entscheidendes Wort. Denn wenn es staatstragend im zeitgenössischen amerikanischen Kino werden soll, ist heutzutage Steven Spielberg gefragt. Er liefert gern Werke ab, die die amerikanische Historie feiern – und zwar als Hort der Demokratie und Freiheit. SAVING PRIVATE RYAN (1998) feierte amerikanischen Heldenmut im Zweiten Weltkrieg, in den Serien BAND OF BROTHERS (2001) und THE PACIFIC (2010), die von Spielberg federführend produziert wurden, ging diese Verherrlichung in Fortsetzung. In späteren Filmen wie BRIDGE OF SPIES (2015) oder THE POST (2017) ließ er den Kalten Krieg auferstehen und zeigte, wie hier mutige und ehrliche Männer „unsere“ Werte vertraten, oder eine Zeitung und ihre Macher die Demokratie sogar gegen Feinde von Innen verteidigte. So braucht es nicht zu verwundern, daß Spielberg sich auch des amerikanischen Bürgerkriegs annahm – und sich dabei auf Präsident Abraham Lincoln und sehr spezifische Aspekte seines Handelns kaprizierte.
LINCOLN (2012) wurde früh als Großproduktion annonciert. Meisterschauspieler Daniel Day-Lewis sollte die Titelrolle spielen, nachdem Liam Neeson aus dem Projekt ausgestiegen war. Etliche Charakterdarsteller von internationaler Klasse sollten wesentliche historische Rollen übernehmen, Tommy Lee Jones Thaddeus Stevens darstellen. Vorlage war das mehrfach preisgekrönte Sachbuch TEAM OF RIVALS: THE POLITICAL GENIUS OF ABRAHAM LINCOLN (2005), das in den USA ein hoch angesehener Bestseller gewesen ist. Man durfte also gespannt sein. Der Aufstieg des Mannes aus Kentucky, der sich in Illinois seine ersten Meriten als Anwalt und Kommunalpolitiker verdient hatte, seine enorme Unbeliebtheit im elitären Washington, die Schlachten vor den Toren Washingtons, die Gettysburg Address – ein ausgesprochen aufregendes Leben voller kleiner und großer Momente, die zur Legendenbildung taugen. Doch Spielberg hatte anderes im Sinn. Er erzählt dezidiert aus den letzten Monaten des Lebens des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Und nicht nur das – Spielberg konzentrierte sich dabei vor allem auf die Vorgänge um die Ratifizierung des 13. Verfassungszusatzes, der noch vor Beendigung des Krieges die Freiheit der Sklaven auch in den Südstaaten garantieren sollte.
Ein gewagtes Unternehmen. Kann man mit komplizierten Verfahrensfragen, mit komplexen zeitlichen Abläufen und den Eitelkeiten politisch Aktiver genügend Spannung erzeugen, um einen erfolgreichen Film mit deutlicher Überlänge zu drehen? Wahrscheinlich ist die Frage am besten so zu beantworten: Steven Spielberg kann es. Was ganz sicher auch daran liegt, daß der Regisseur es immer wieder versteht, in manchmal kurzer Zeit (LINCOLN ging allerdings eine sehr genaue Recherche des Themas durch Spielberg voraus) sehr gute Experten und Fachleute um sich zu scharen und äußerst effektiv eine Produktion auf die Beine zu stellen, die dann, dank seiner ebenso routinierten wie inspirierten Regie, zu Leben erweckt wird. Angefangen mit dem hervorragenden Drehbuch von Tony Kushner, über die Ausstattung und das Szenenbild von Rick Carter und Jim Ericson, die brillante Kameraarbeit von Janusz Kamiński, die darstellerische Leistung aller Beteiligten – vor allem jener von Daniel Day-Lewis – bis hin zur Regie selbst, ist LINCOLN ein wirklich erlesener Film geworden. Erlesen im besten, wie schwierigsten Sinne des Wortes.
LINCOLN setzt allerdings voraus, daß man sich für das Sujet interessiert. Es ist ein enorm dialogreicher Film, der gelegentlich etwas zur Proklamation neigt, es aber dennoch versteht, gerade Lincolns Eigenheiten – u.a. seine Vorliebe, in allen möglichen, auch kritischen, Situationen Geschichten, Anekdoten und humoristische Allegorien zu erzählen – gut herauszuarbeiten. Man versteht, weshalb der vielleicht „größte Präsident, den das Land je hatte“, seinen Zeitgenossen oft auf die Nerven fiel. Die scheinbare Behäbigkeit, den schlurfenden Gang, die manchmal erratischen Aussagen und die Winkelzüge, derer er sich bediente und die nicht immer unbedingt legal waren, nutzt Kushner, um das Portrait eines Mannes zu zeichnen, der sich seiner historischen Aufgabe und der daraus resultierenden Bedeutung – und Bürde – immer bewusst war, der aber zugleich eben auch ein Mensch voller Empathie blieb. Mit Sally Field in der Rolle von Mary Lincoln, gelingt gerade die Darstellung der privaten, häuslichen Seite hervorragend. Daß das Ehepaar im Jahr 1862 ihren damals 12jährigen Sohn Willie verloren hatte, wird angerissen, im Film aber nicht näher erklärt. Auch hier setzen Buch und Regie eine gewisse Kenntnis beim Publikum voraus. Die dadurch evozierten Konflikte zwischen den Eheleuten Lincoln werden hingegen deutlich dargestellt. Mary Lincoln war in einer schwierigen Situation, da sie selbst aus Kentucky stammte – einem jener Staaten, die nie eindeutig auf der Seite des Nordens oder des Südens standen – und einige ihrer Familienmitglieder für die Sache der Sezession kämpften. Zudem neigte Mary Lincoln zur Hysterie, gerade nach dem Tod ihres drittältesten Kindes. Die Spannungen, die zwischen ihr und ihrem Gatten entstanden, sind Teil der Dramaturgie des Films. Denn Lincoln, der zweifelsohne selbst enorm unter dem Verlust des Kindes litt[1], musste sich natürlich beherrschen, musste die eigenen Gefühle hintanstellen und sich auf seine Aufgaben konzentrieren. Dieses Verhalten, von Mary Lincoln nicht immer geduldet, sorgte für ein großes Spannungsverhältnis zwischen den Eheleuten.
So gelingt es Spielberg auf kluge Weise, eine Balance zu halten zwischen dem öffentlichen Menschen Abraham Lincoln, der seine Politik durchzusetzen versucht und dabei wenig zimperlich mit Freunden wie Feinden umgeht, und dem privaten Menschen Abraham Lincoln, der durchaus harsch und abweisend sein konnte, der kalt seine Bedürfnisse und Ansprüche durchzusetzen verstand, der aber auch immer die der anderen wahrnahm und ihnen, soweit es sein Amt zuließ, gerecht zu werden suchte. In einer schrecklichen Szene weist er Mary in die Schranken, während sie auf ihre „Zustände“ nach Willies Tod verweist und Lincoln ihr offen ins Gesicht sagt, vielleicht sei es besser gewesen, er hätte sie in eine „Anstalt“ sperren lassen. Es ist Day-Lewis´ Kunst zuzuschreiben, daß man die Verzweiflung des Mannes spürt, die ihn bei solchen Worten, irgendwo zwischen dem öffentlichen und dem privaten Menschen ausgesprochen, überfällt. Lincoln wird immer wieder auch als liebevoller, durchaus fordernder Vater seines jüngsten Sohnes Thomas, genannt „Tad“, gezeigt. Das aber ist die eine Seite dieser Figur. Das eigentliche Kunststück des Films besteht aber darin, die politische Gestalt und den politischen Gestaltungswillen Lincolns zwar als Heldengeschichte darzustellen und auszuleuchten, dabei die dunkleren Seiten seines Wesens jedoch nicht gänzlich zu verschweigen.
Es ist bekannt, daß Lincoln alle Möglichkeiten, die die Verfassung ihm gab, auszunutzen verstand und dabei auch nicht vor den schon erwähnten Winkelzügen zurückschreckte. Im Film fokussiert sich diese Seite des Präsidenten auf die Taktik, die Unterhändler der Sezession, die sich von Richmond, Virginia, aufgemacht hatten, um über einen Frieden zu verhandeln, möglichst lange von Washington D.C. fernzuhalten. Dies hatte strategische Gründe. Lincoln musste, bzw. wollte den 13. Verfassungszusatz durch den Kongreß bringen und damit rechtskräftig werden lassen, bevor es zu Friedensverhandlungen oder gar einer Kapitulation des Südens käme. Dies war der spezifischen Rolle geschuldet, die die demokratische Partei in dem Gesamtkonflikt spielte. Sie war eine damals konservative Partei, die im Süden stark verankert war und deren Vertreter des Nordens sich keineswegs eindeutig für die Abschaffung der Sklaverei als „besonderer Institution“ des Südens einsetzten. Ihr war der Erhalt der Union wichtig – ein Ziel, daß man bei aller späteren Legendenbildung auch als das vorrangige bei Lincoln betrachten muß. So hatte er zu einem früheren Zeitpunkt des Krieges – die im Film dargestellten Ereignisse fanden alle in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1864 und in den ersten Monaten des Jahres 1865 statt – selbst erklärt, daß er die Union „mit oder ohne“ Sklaverei zu erhalten gedenke. Später gab er diese Haltung allerdings auf. Lincoln war kein Abolitionist, er war kein Radikaler, auch wenn seine Gegner dies gern so darstellten. Hätte es nun eine Einigung mit den Unterhändlern des Südens gegeben, wäre es nicht mehr möglich gewesen, im Kongreß die nötigen Stimmen der Demokraten zu bekommen, die Lincoln und die Republikaner so dringend brauchten, um die Zweidrittelmehrheit zu erlangen, die es für die Ratifizierung brauchte.
Spielberg stellt vor allem die Versuche aus, diese Stimmen zu erhalten, man kann auch sagen: Zu erkaufen. Lincoln – auch das ist bekannt – befleißigte sich im Notfall auch durchaus eher undemokratischer und erpresserischer Mittel, um an seine Ziele zu gelangen. Hier setzt sein Außenminister William H. Seward sogar einige Strohmänner ein, um Demokraten, die bald aus dem Kongreß ausscheiden, mit guten Posten und Stellungen in verschiedenen Ämtern zu ködern, um ihre Stimmen bei der anstehenden Abstimmung zu erhalten. Zugleich muß Lincoln unbedingt verhindern, daß er auf die Unterhändler trifft, obwohl der gewichtige Demokrat Francis Preston Blair, der persönliche Kontakte zu Jefferson Davis und anderen Führern der Sezession unterhielt, alles daransetzt, daß es zu diesem Treffen kommt. Blair war, wie viele Politiker und Intellektuelle, die Verbindungen in den Süden hatten, durchaus daran interessiert, daß sich zunächst nichts an der dortigen Situation um die Sklavenhaltung änderte. Er akzeptierte die Erzählung des Südens, daß die Sklaverei eben zur „Lebensart“ des Südens gehörte, wusste aber vor allem, daß sie maßgeblich zur Erhaltung des Wohlstands des Südens beitrug, ja notwendig dafür war. Es ist Spielberg vor allem anzurechnen, daß es ihm gelingt, all diese komplexen Zusammenhänge und Verbindungen, die Vielschichtigkeit des gesamten Konflikts zu verdeutlichen. Er vereinfacht nicht wirklich, gibt sich aber Mühe, die Geschehnisse möglichst klar und deutlich zu schildern. Dabei lässt er auch nicht außer Acht, daß Lincoln – man kann über die Gründe dafür streiten – kein kompromißloser Vertreter sofortiger und absoluter Gleichstellung der Schwarzen mit ihren weißen Peinigern war. Ob aus Überzeugung oder Taktik, da er ahnte, daß der Wiederaufbau und die Versöhnung des Landes schwierig werden würden, sich zudem der sozialen Aspekte bewusst, die es mit sich brachte, wenn sich Millionen schwarzer Menschen aufmachen sollten, im Norden Arbeit und bescheidenen Wohlstand zu suchen, blieb er in seinen Formulierungen hinsichtlich der Nachkriegsgesetzgebung vage und uneindeutig.
Wie stark das Spannungsfeld war, in dem Lincoln sich bewegte, macht einmal mehr die Figur des Thaddeus Stevens klar. Man kann getrost davon sprechen, daß Stevens wirklich ein Gegenspieler Lincolns innerhalb der republikanischen Partei war. Am äußersten radikalen Rand der Republikaner angesiedelt, vertrat er eine sehr eindeutige Position. Er war nicht nur gegen die Sklaverei, sondern arbeitete auch ganz offensiv an deren Abschaffung. Er war an der sogenannten Underground Railroad beteiligt, jenem ausgeklügelten Systems von Fluchtpunkten und Fluchthelfern, das sich vom Süden bis an die kanadische Grenze erstreckte und entflohenen Sklaven half, zu entkommen. Stevens vertrat entflohene Sklaven auch vor Gericht und stand selbst für durchaus radikale Ansichten, wie der Süden – auch mit Waffengewalt – zu reformieren sei. Aus dieser Position heraus gingen ihm Lincolns Politik und Ziele nicht weit genug, im Gegenteil, er unterstellte dem Präsidenten, kein wirklicher Gegner der Sklaverei zu sein.
Spielberg baut Stevens nicht nur zu einer gleichwertigen Figur auf, sondern nutzt ihn auch, das Staatstragende der Entscheidungen hinsichtlich des 13. Verfassungszusatzes zu verdeutlichen. Stevens, so erfahren wir in einer bewegenden Szene des Films, lebte in wilder Ehe mit seiner schwarzen Haushälterin, er betrachtet das Ergebnis der Abstimmung als persönlichen Erfolg. Das ganze moralische Spektrum, das sich um die Entscheidung rankt, dieses Gesetz noch vor der Kapitulation des Südens zu erlassen, wird anhand von Stevens´ Kampf, seinen brillanten und wortmächtigen Reden, abgedeckt. Tommy Lee Jones leiht diesem ernsthaften und auch kompromißlosen Mann, der allerdings über hintergründigen Humor verfügte und Sottisen und Bonmots schätzte, sein zerfurchtes und faltiges texanisches Gesicht und beweist damit einmal mehr, was für ein großartiger Schauspieler er jenseits all der Rollen ist, die er in Actionfilmen und Blockbustern spielte.
Man könnte getrost die gesamte Besetzungsliste durchgehen und jeden Schauspieler einzeln loben, der in diesem Film mitwirkt. Ob die bereits erwähnte Sally Field, ob Hal Holbrook, David Strathairn oder James Spader und etliche andere – jeder hier füllt seine historische Figur nahezu perfekt aus. Doch Sonderlob gebührt eben und vor allem Daniel Day-Lewis, Man weiß, daß er ein Ausnahmetalent ist, doch wie er hier diesen Mann auf die Leinwand bringt, das hat noch einmal eine ganz eigene Klasse. Seine Darstellung brachte ihm zurecht seinen dritten Oscar als bester Hauptdarsteller ein. Lincoln hatte diese charakteristische Haltung mit den hängenden Schultern, einen schweren Gang und wirkte angeblich häufig müde, fast abwesend. Müde wird er gewesen sein, wieviel Berechnung hinter seinem Auftreten steckte, lässt sich nur vermuten. Ganz sicher wusste er darum, daß es besser ist, unterschätzt zu werden und man aus dieser vermeintlich unterlegenen Position heraus überraschen kann. Day-Lewis gelingen diese hängenden Augenlider, das ewig verschmitzte Lächeln, es gelingt ihm, Lincoln als einen Mann zu zeigen, dem immer auch der Schalk im Nacken saß. Umso erschreckender, wenn er in einer einzigen Szene plötzlich aus der Haut fährt und seine Berater und Minister zurechtstutzt, weil sie Stunden damit verbringen, seine Pläne und strategischen Züge zu hinterfragen, anstatt alles dafür zu geben, sie zu verwirklichen.
LINCOLN malt letztlich natürlich ein idealisiertes Bild dieses Präsidenten, beschönigt aber nur begrenzt, zeigt ihn als durchaus zweifelnden Mann, der allerdings Entscheidungen trifft und diese dann auch mit Härte und Entschlossenheit durchzusetzen versteht. Der Zuschauer nimmt hautnah an einigen der wichtigsten Entscheidungen der amerikanischen Geschichte teil, hat dabei aber nie den Eindruck, in einem reinen Kostümfilm gelandet zu sein. Spielberg versteht es, uns wirklich nah an Zeit und Ort heranzuziehen und nie den Eindruck aufkommen zu lassen, lediglich abzubilden – eine Eigenart, die vielen historischen Filmen oft zu schaffen macht. Wenn der Zuschauer den Eindruck gewinnt, lediglich verkleideten Zeitgenossen zuzuschauen, hat solch ein Film schnell seine Relevanz verloren. Nicht eine Sekunde lang entsteht dieser Eindruck bei LINCOLN. Man kann sich nahezu perfekt in diese staubdurchtanzten Zimmer hineinfühlen, erwärmt von den Kerzen und den Kaminfeuern, man spürt die Kälte des Todes auf den Schlachtfeldern in den wenigen Szenen, die der Film vom eigentlichen Kriegsschauplatz bietet, ebenso die Kälte, wenn im Generalstab die Telegramme einlaufen, wie die Beschießung einer Stadt voranschreitet, man spürt aber ebenso die erhitzte Atmosphäre im Kongreß, wenn dort Rede und Gegenrede aufeinander treffen, wenn Gewißheiten in sich zusammenbrechen und unbändige Freude sich Luft verschafft, man erkennt und spürt den Hass, mit dem diese Auseinandersetzungen geführt wurden und anhand dieses Hasses und der abgrundtiefen Feindschaft, die sich darin Ausdruck verschaffen, kann man nachvollziehen, wie tief der Riss durch die Gesellschaft, durch dieses Land ging. Und leider immer noch geht.
Man wünschte sich, daß möglichst viele Senatsabgeordnete der Republikaner sich diesen Film noch einmal angeschaut hätten, bevor sie das Impeachment-Verfahren gegen den aktuellen Präsidenten der USA niederschlugen, ohne wichtige Zeugen gehört, ohne wesentliche Akten gelesen zu haben. Vielleicht hätte Spielbergs sicher die amerikanische Verfassung und darin die amerikanische Demokratie feierndes Werk es vermocht, einige der Herren an ihre staatspolitische Verantwortung zu erinnern. In jenen schicksalhaften Jahren 1861 bis 1865 haben eine Menge Männer mit sich gerungen. Einige haben dabei gefehlt, einige versagt. Einige aber haben, vielleicht gegen ihre Überzeugung, sicher in starken inneren Konflikten und Gewissensbissen, sich dazu durchgerungen, einer höheren, einer wesentlicheren Moral zu folgen und damit ihre sich christlich gebenden Seelen errettet,. So sehr man Amerika kritisieren kann – Filme wie dieser sind dazu in der Lage, uns daran zu erinnern, daß am Beginn von Entwicklungen immer eine Idee steht. Er erinnert uns aber auch daran, daß keine Idee etwas wert ist, wenn wir nicht bereit sind, sie mit Leben zu füllen. Und dann dafür einzustehen – im Notfall mit unserem Leben. So wie Lincoln es letztlich tat. Spielberg lässt seinen Film mit dem Tod des Präsidenten enden, um dann, in einer letzten Sequenz, zu seiner zweiten Inaugurationsrede zurückzukehren und das Publikum noch einmal spüren zu lassen, wie tief dieser Mann schöpfte und wie weitreichend sein Denken über Nation und Volk reichten. LINCOLN kann man wohl getrost einen „großen“ Film nennen.
[1] Man vergleiche hierzu den Roman LINCOLN IN THE BARDO (Original erschienen 2017) von George Saunders.