DER SOLDAT JAMES RYAN/SAVING PRIVATE RYAN – Für ein Recht auf Heimkehr

Steven Spielberg erfüllt das alte Narrativ

Ein Soldatenfriedhof in der Normandie, ein alternder Mann sucht im Meer der weißen Kreuze (und wenigen Davidsterne) nach dem Namen eines bestimmten Kameraden. Als er das Grab findet, geht er in die Knie. Und erinnert sich…

Nachdem Captain John Miller (Tom Hanks) die Landung an einem besonders hart umkämpften Abschnitt des ‚Omaha Beach‘ in der Normandie am 6. Juni 1944 – dem D-Day – überlebt hat, bekommt er die Aufgabe, mit einem Trupp seiner besten noch lebenden Männer den Private James Francis Ryan zu suchen. Der Mann wurde mit den Fallschirmjägern hinter den feindlichen Linien abgesetzt, niemand weiß, wo er steckt, ob er verletzt wurde, ob er noch lebt. Er ist der letzte von vier  Brüdern, seine Mutter wurde kürzlich an einem Tag über den Tod dreier ihrer Söhne unterrichtet. Nun soll der vierte Bruder aus den Kampfhandlungen herausgeholt und nachhause gebracht werden.

Miller stellt einen Trupp zusammen und die Männer machen sich auf. Sie stoßen immer weiter in noch nicht gesichertes Land vor, müssen zwischendurch Feindeslager umgehen, ein Maschinengewehrnest ausschalten, sie machen Gefangene, über deren Wohl und Wehe die Soldaten sich fast entzweien und finden Ryan (Matt Damon) schließlich mit einigen Versprengten, die in dem französischen Dorf Ramelle eine Brücke sichern.

Ryan weigert sich, seine Kameraden zu verlassen, was Miller und seine Männer schließlich akzeptieren, nachdem sie dem ihnen zuvor Unbekannten schon gegrollt hatten, kostete seine Rettung immerhin zwei ihrer Leute das Leben. Nun jedoch schließen sie sich dem versprengten und heillos untermunitioniertem Trupp Amerikaner an, um die Brücke zu halten, bis Verstärkung eintrifft. Der Kampf gegen eine starke deutsche Einheit kostet fast alle von Millers Leuten ihr Leben. Und auch der Captain selbst wird tödlich verletzt. Seine letzten Worte richtet er an den jungen Ryan, dieser solle etwas aus seinem Leben machen, er solle beweisen, daß sich diese ganze Rettungsaktion gelohnt habe.

Wieder sehen wir den bisher namenlosen alten Mann auf dem Friedhof. Nun tritt seine Frau hinzu, die ihm versichert, ein gutes Leben geführt zu haben, ein guter Mensch zu sein.

Das Kinojahr 1998 sah neben einigen romantischen und zumindest einer hysterischen Komödie eine ganze Reihe Untergänge: In ARMAGEDDON und DEEP IMPACT war es Meteore, die die Welt bedrohten, in GODZILLA eine gigantischen Echse. Doch zumindest in den U.S.A. war es der Untergang des Soldaten John Miller, der sein und das Leben einiger seiner Männer opfert, damit James Ryan leben kann, der in SAVING PRIVATE RYAN die Kinokassen zum Jahresschluß anführte. Steven Spielberg, der seit SCHINDLER`S LIST (1993) den Ruf des  kindlichen Science-Fiction und Abenteuer-Regisseurs abgelegt hatte und zunehmend als ernsthafter Filmemacher – der er freilich durchaus auch davor schon war, siehe THE SUGARLAND EXPRESS (1974) oder auch THE COLOR PURPLE (1985) – wahrgenommen wurde, feierte gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller Tom Hanks die Leistungen der Altvorderen im Kampf gegen den Faschismus und für die Freiheit, wie es so schön hieß. Zugleich wollte er ein Statement abgeben, allerdings darf die Frage erlaubt sein: Wozu?

Dem Film, besser: seiner Eröffnungssequenz, eilte bereits vor der Premiere ein Ruf voraus: Spielberg sei einmaliges gelungen; dank neuester Kamera- und CGI-Technik sei es möglich, praktisch am Kampfgeschehen teilzunehmen. Damit bezieht die Kampagne zum Film sich auf  jene wahrlich beeindruckenden 20 Minuten, mit denen der Film beginnt. Nach den einführenden Momenten auf dem Friedhof wird der Betrachter recht unvermittelt per Handkamera in ein Landungsboot kurz vor der Strandung am ‚Omaha-Beach‘ versetzt. Was nun folgt, ist ein Gewitter aus Bildern und Tönen, im übertragenen Sinne des Wortes ein „Stahlgewitter“. Das Bildmaterial, künstlich mit Patina überzogen und so bearbeitet, daß die Bilder knittrig, sprunghaft wirken, manchmal zersetzt, markiert größtmögliche Authentizität, die Kameraarbeit von Janusz Kamiński suggeriert eine subjektive Wahrnehmung, die durchaus die Hektik, die Orientierungslosigkeit und momentweise sogar das Entsetzen ob des Geschehens zu vermitteln weiß. Spielberg scheut keine Härte, er zeigt zerstörte Körper, zuckend, zerfetzt, aufquellend – oft sind es lediglich Bildschnipsel, derer wir Gewahr werden, dennoch nehmen wir die maximale Wucht der Gewalt wahr; ein schwer erträglicher Soundmix aus markerschütternden Explosionen, dem ununterbrochenen Pfeifen an uns vorbeizischender Kugeln, den Schreien der Verwundeten und Sterbenden, der dieses Blutbad mit ihrem gleichmäßigen Getöse begleitenden Brandung des Atlantik und dem Gedröhn schweren Geräts, wird zu einem Frontalangriff auf das Nervensystem des Zuschauers. Das Zusammenspiel aus Bild, Sound und – wesentlich, auch wenn in den Rezeption des Films zumeist unterschlagen – den kulturell verinnerlichten Bildern, die ein jeder, der sich jemals mit diesem schicksalhaften Tag beschäftigt hat, in sich trägt, läßt beim Zuschauer durchaus den Eindruck entstehen, er sei „dabei“, mitten im Geschehen. Doch so aufregend jene Momente, wenn die Landungsklappe sinkt und Mann für Mann in seinem Sichtfeld in Stücke gerissen wird, für den Zuschauer auch sein mögen – die reale Angst, die ein Mensch empfinden muß, der dies erlebt, authentisch, ohne Drehbuch, ohne mediales Vorbild, wird kein Bild der Welt vermitteln können. Die Behauptung des Authentischen, die ununterbrochen aus diesen Bildern spricht, ist per definitionem fragwürdig.

Bei aller Wirkmächtigkeit der Inszenierung, der technischen Details, der Kameraführung und der späteren Bearbeitung des Materials, muß Spielberg auf bekannte Bilder rekurrieren, um das, was er zeigt, zu beglaubigen. Er ist zwingend auf sie angewiesen. So durfte Spielberg jene Wochenschaubilder der über dem Kanal hängenden Fessel- und Wetterballons als bekannt voraussetzen, das Panoramabild, welches in die Ikonographie der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts eingegangen ist und mit der schieren Fülle an Schiffen, Kreuzern, Zerstörern, Landungsboten und Flugzeugen, der Weite des Meeres und dem Gewimmel aus Soldaten, Fahrzeugen, schweren Geräten, aus Wracks und letzten Panzersperren am Strand, von der Überlegenheit der alliierten Streitkräfte kündet. Spielberg behauptet hier tiefe Verehrung, für die historische Realität wie auch für die Fakten, deren Narrativ er jedoch zugleich unterläuft. Es findet eine Doppelbewegung statt, in der der Film einerseits bestärkend auf die herrschende Narration verweist, die die Historie des 2. Weltkriegs zur Verfügung stellt, sich zugleich jedoch anschickt, das Referenzsystem zu verändern, in dem zukünftig auf „authentische“ Bilder verwiesen werden kann. Spielberg ersetzt in gewisser Weise „echte“ Bilder durch „authentische“, deren Authentizitätsanspruch sich mittlerweile aus anderen Quellen speist, als der „Errettung der äußeren Wirklichkeit“[1], der Pflicht, etwas abzubilden, das „vor der Kameralinse“ reell stattgefunden hat. Um diese Art „Authentizität“ herzustellen, nutzt Spielberg de-authentifizierende technische Möglichkeiten. Spielberg war immer von technischer Machbarkeit fasziniert. In diesem Sinne ganz Positivist, war er immer bereit, den Zugewinn zu sehen, kritischere Folgen reflektiert er selten bis gar nicht, zumindest nicht meta- oder subtextuell. In seinen besseren Momenten kommt sein Genie darin zum Ausdruck, die kalte Technologie mit einer guten Geschichte zu versehen und diese mit  Seele und Herz anzureichern. Das funktioniert gut, wenn man Märchen erzählen will. Es wird ein gefährliches, zumindest fragwürdiges Unterfangen, wenn man sich anschickt, Historie aufzugreifen und dabei in Anspruch nimmt, sie erlebbar, spürbar zu machen.

Wohin aber führt eine Verschränkung eigener, also fiktiver, Bilder mit authentischem Material[2]? Wozu setzt man sie in direkte Korrelation zu Originalmaterial, das die Aura des Authentischen hat, wieso läßt man eigenes, bearbeitetes, also künstlich „authentisch“ gemachtes Material mit originalen Bildern korrespondieren? Symbolisch setzt man das eigene, fiktive, bearbeitete Material gleich zu den Originalbildern. Authentisches Material wird er-setzt. Und es stellt sich die beunruhigende Frage, wodurch sich ‚Authentizität‘ definieren und schließlich auch, wodurch sie sich beurkunden ließe? Wann ist eine Geschichte, ein Narrativ, wahr? Wie viele Stimmen muß man hören, in welcher Reihenfolge? Welches Narrativ will man bedienen, wenn man das authentische Geschehen so wiedergibt, wie man es spezifisch tut?  Jan Distelmeyer macht in seinem lesenswerten Kurzessay zum Film nicht zu Unrecht darauf aufmerksam, daß Spielbergs Vorgehen zwangsläufig dorthin führt, wo Hollywoods Versuche, Geschichte zu erzählen, sie zu be- oder sie gar umzuschreiben, meistens hinführen: In den Mythos[3]. Im Mythos wird das Erlebte – in seiner Gewalt, seiner Widersprüchlichkeit, auch der Schuldbehaftung – in ein einheitliches, ein kohärentes Narrativ gegossen, das es erträglich und vermittelbar, tradierbar macht. Spielberg betreibt nun die Mythisierung nicht nur narrativ, indem er eine Erzählung aufgreift, die derart ungebrochen schon lange nicht mehr verbreitet wird, sondern er betreibt sie auch formal, indem er die „wirklichen“ Bilder mit seinen überdeckt. Filmisches Erzählen funktioniert anders als sprachliches oder auch fotografisches Erzählen. Es ist einfacher und schwerer zugleich. Der Referenzrahmen eines Bildes ist gerade in Zeiten des Internet immer schnell ermittelt, doch sind Bilder auch so einfach zu manipulieren, wie nie zuvor. Spielberg erzählt aber genau in diesen Bildern. Er will Anschluß herstellen an die Narration des „guten“ und „gerechten“ Krieges, er will Anschluß herstellen an die große Erzählung, die in den Jahren nach 1960, überdeckt von den Kriegen in Korea und Vietnam, langsam verloren gegangen war. Noch einmal das Bild der Nation als Hort des Guten: Der Familie, des Rechts, des Glaubens. Vierundfünfzig Jahre nach den Ereignissen greift Spielberg eine Narration auf, ja, behauptet sie als unbeschadet, die seit den späten 80er Jahren eigentlich überholt schien: Die des ungebrochen richtigen Krieges, der mit den richtigen Mitteln ausgefochten wurde und der die richtigen Helden hervorbrachte. Spielberg liefert dazu die „richtigen“ Bilder. Und er liefert in diesen „richtigen“ Bildern die „richtige“ Narration, in einer angemessenen dramaturgischen Abfolge. Er will die Grenzerfahrung, die diese Männer am 6. Juni 1944 machen mussten, so in ein Narrativ überführen, in dem die ganze Nation an den Ereignissen teilhaben kann. Die Bilder der Rahmenhandlung auf dem französischen Soldatenfriedhof bürgen genau dafür: Der da noch namenlose Ryan wird von seiner Familie begleitet, seine Frau versichert ihm am Ende des Films, ein guter Mensch gewesen zu sein, ein gutes Leben gelebt zu haben, womit das Versprechen, das er Captain Miller stellvertretend für das ganze Land gegeben hat, erfüllt ist. Doch der Versuch, eine kohärente Erzählung, ein gültiges Narrativ zu finden, das eben nicht nur für jene gilt, die dabei waren, sondern auch die Daheimgebliebenen am Kampf, dem Leiden, der Angst teilnehmen läßt, kann nur in der Mythisierung enden, die Authentizität solcher Grenzerfahrungen ist schlichtweg nicht herstellbar. Doch wohnt Spielbergs Bildern die Behauptung inne, seine Bilder, die so nie abgefilmt, die in langwierigen Arbeitsprozessen erst an Rechnern generiert wurden, deren „authentischer“ Gehalt möglicherweise noch bei 50 Prozent liegen, seien in der Lage, genau das zu leisten: den Zuschauer am Geschehen teilhaben zu lassen. Damit stellt er immanent  jedoch die Behauptung auf, diese Bilder seien letztendlich wirklicher als die behauptete filmische Wirklichkeit, die zum Zeitpunkt des Erscheinens von SAVING PRIVATE RYAN bereits lange vergangen war. Man ist sich beim Großmeister der filmischen Magie nie so sicher, ob er um die Chuzpe, die da zum Ausdruck kommt, weiß, oder ob er in grenzenloser Naivität wirklich glaubt, daß Bilder die Kraft hätten, die er ihnen zugesteht?

Was genau aber erzählt Spielberg da eigentlich? Nach erstmaligen Ansehen des Films bleiben gerade die schrecklichen Bilder des Anfangs hängen. Es drängt sich der Eindruck auf, man habe es mit zwei Filmen zu tun – einem eher experimentellen und einem herkömmlichen, ja nachgerade konventionellen Kriegsfilm. Anfangs fängt Kamińskis Kamera das brutalste Geschehen distanziert, oft wie nebenbei ein. Zugleich erreicht er mit seiner Handkamera eine ungeheure Intensität. Da unsere Aufmerksamkeit jeden Augenblick von einer anderen Information, einem Bildsplitter, einem beiläufigen Eindruck gefangen genommen wird, können wir uns ein Urteil über das, was wir zu sehen bekommen, nicht erlauben. Spielberg inszeniert diese Momente im Gefecht mit enormer Präzision und einem Gespür für eben die Beiläufigkeit, das Augenblickliche einer solchen Erfahrung. Aber es macht sich bei aller formalen und technischen Überwältigung auch in diesen frühen Szenen des Films schon Spielbergs konventioneller Erzählstil bemerkbar: Nach anfänglich wahrhaft beindruckenden Bildern, fokussiert die filmische/bildliche Erzählung schon innerhalb des Chaos am Strand auf Miller und seine Leute. Ihnen, deren wesentliche Charaktere wir bereits im Landungsboot kennengelernt haben, folgen wir nun auf ihrem brutalen Weg durch die Meter im Wasser, die für viele schon zur tödlichen Falle werden, über den unter Feuer liegenden Sandstrand, die Klippen hinauf, wo sie ein Maschinengewehrnest außer Gefecht setzen müssen und mit äußerster Härte auch gegen flüchtende oder sich ergeben wollende deutsche Soldaten vorgehen. Je näher wir den für den Film maßgeblichen Figuren kommen, desto länger verweilt die Kamera auf den Gesichtern. Sie verhält sich nun Nähe herstellend zu den Figuren, dem Kampfgeschehen gegenüber bleibt sie weiterhin distanziert. Wenn Miller Befehle erteilt, seinen Scharfschützen positioniert, Anweisungen gibt, wo Sprengladungen angebracht werden sollen etc., schauen wir in das Gesicht dieses Mannes und verstehen, daß er und seine Einheit kampferprobt sind, daß sie längst eine Haltung zu dem haben, was sie tun und was sie erwartet. Man denkt, sie wissen mit dem Tod und der Gewalt  umzugehen. So übernehmen wir ihr Urteil schnell, wird es doch eben durch die Nüchternheit der Kamerabetrachtung unterstützt. So gelingt es Kamiński, mit seiner Arbeit widersprüchliche Standpunkte einzufangen und wiederzugeben: Sowohl die Intensität, die Angst in der unmittelbaren Situation, in die der Film uns versetzt, aber auch eine innere Distanziertheit der Protagonisten gegenüber dem, was geschieht, die im Film auch eine Rolle spielen wird, wenn es darum geht, ob ein deutscher Soldat regelrecht gelyncht oder laufen gelassen werden soll. Doch nutzt sich diese Art der Inszenierung, der Stil der Unmittelbarkeit auch schnell ab. Denn Spielberg behält sowohl die Technik als auch seinen inszenatorischen Stil in späteren Kampfszenen bei, wo er sich dann aber den gängigen Regularien zur Inszenierung von Actionszenen problemlos einreiht. Berichtet wird aber von genau dem, wovon auch sonst Kriegsfilme in ihren Kampfszenen berichten: Heldenmut und Feigheit, Hinterhältigkeit, Bösartigkeit und der Gewalt, derer sich auch die vermeintlich für das Gute Kämpfenden bedienen müssen. Spielberg fügt der herkömmlichen Narration eines Kriegsfilms, außer einer noch feineren Technik, das Grauen darzustellen, nichts hinzu. Im Gegenteil – von Mal zu Mal, daß ein namenloser, identitätsloser Körper in Stücke gerissen wird, fragt man sich, ob wir in der medialen, auch der filmischen Auseinandersetzung mit dem Kriege nicht schon weiter waren?

Bei aller formalen Risikobereitschaft, bei aller Überwältigung des Publikums durch den Handkamerastil Kamińskis, durch das suggerierte subjektive Erleben einer potentiell tödlichen Situation, wird schnell übersehen, daß die ganze Ouvertüre, die das Gemetzel in Bezug zum Film letztendlich darstellt, generell konventionellen Regeln folgt: Von den Überblicken, die hier eben keine ‚establishing shots‘ im klassischen Sinne, keine Panoramaaufnahmen oder Totalen sind, sondern direkt Halbtotalen und extreme Nahaufnahmen, uns aber dennoch in gewissem Sinne ins Geschehen hineinziehend, führt uns die Kamera langsam an die entscheidenden Figuren heran, bis wir begreifen, daß Miller unsere Bezugsperson ist. Natürlich verstehen wir das auch dadurch, daß wir mitten im Schlachtgemetzel Tom Hanks erblicken. Spielberg setzt hier auf eine weitere Konvention – die des herkömmlichen Starkinos. In dem Moment, in dem Hanks zu sehen ist, wissen wir, daß dieser Mann an diesem Strand nicht sterben wird. Sonst wäre der Film zu ende. Damit unterläuft Spielberg unwillentlich die Unmittelbarkeit seiner „authentischen“ Bilder dieser verstörenden Eröffnungssequenz. Denn die funktionieren ja gerade dadurch, daß sie uns unsere Hilflosigkeit, unser Ausgeliefertsein vermitteln. Wenn wir Tom Hanks sehen, kehren wir in die Rahmung eines Films zurück. Wir sind in Sicherheit. Eine weitere Widersprüchlichkeit, derer der Film einige aufweist.

Inhaltlich orientiert Spielberg sich ab Einsetzen der eigentlichen Handlung – dem Auftrag Ryan zu suchen und heil heimzubringen – an unzähligen Kriegs-und-Combat-Filmen vor allem der 50er Jahre. Der Sonderauftrag gibt ihm Gelegenheit, verschiedene Szenarien des Krieges in der Normandie aufzugreifen und durchzuspielen. Zugleich ermöglicht die Erzählform einer Reise Möglichkeiten der Beruhigung und Reflexion. Und die Männer reflektieren ihre Situation genau. Selbst Metabetrachtungen, wie die, daß einen heimzubringen das Leben aller kosten dürfe, da sie symbolisch in ihm ihre Freiheit und ihre Heimat verbündet haben, gelingt einigen dieser Männer im Angesicht des wahrscheinlichen Todes. Spielberg gibt sich wenig Mühe, seine von Pathos getränkte Bewunderung für diese Soldaten und ihre Leistung zu verstecken oder zu kaschieren. Das mutet dann sowohl dramaturgisch wie psychologisch altbacken an. Diese Art ungebrochener Heldenverehrung wirkt auf uns Postmoderne schon in den originalen Filmen der 50er fremd, dasselbe Narrativ ebenso ungebrochen noch einmal geboten zu bekommen – lediglich zeitgemäß dargereicht – befremdet erst recht. Andererseits spricht der Erfolg des Films für Spielberg. Es scheint, daß das breite Publikum am Ende des Millenniums genau das sehen wollte – noch einmal eine Rückversicherung, daß schon in Ordnung war, was man geleistet hatte, als Nation, als Streitmacht, als moralischer Ordnungsfaktor. Im gleichen Jahr, 1998, legte die Hollywoodlegende Terrence Malick sein langerwartetes Comeback vor: THE THIN RED LINE (1998). Ebenfalls ein Kriegsfilm, allerdings im Pazifik angesiedelt, mutet Malicks Film wie eine schier endlose Meditation über das Wesen des Menschen, den Begriff des ‚Bösen‘, unser gebrochenes Verhältnis zur Natur an. Das wiederum wollte das breite Publikum keineswegs sehen. Malicks Film war ein Kritikerliebling, das Publikum blieb nach anfänglichem Interesse weg. Eine Dekonstruktion des Heldenmythos vom tapferen Soldaten, der einen gerechten, weil moralisch richtigen Krieg führt, wollte sich kaum wer zumuten. Spielberg lieferte da – oberflächlich gesehen – die kohärentere Erzählung, einfacher zugänglich, mit klareren Positionen, eindeutigerer Charakterzeichnung und weitaus verständlicherem Plot.

Der „Rettungstrupp Ryan“ schlägt sich durch die Normandie, immer auf den Spuren des abgängigen Fallschirmspringers. Dabei kommt es innerhalb der Gruppe zunehmend zu Auseinandersetzungen. Die Soldaten sehen zunächst nicht ein, warum sie ihr eben mühsam über den Strand gerettetes Leben nun für einen einzigen Mann riskieren sollen. Spielberg inszeniert den Gang der Bürokratie als fast surreal anmutende Maschinerie, in der aber gute, weil  aufmerksame Geister walten. Natürlich fällt in den Büros, wo weibliche Militärangestellte im Akkord Kondolenzschreiben an die Familien der Gefallenen produzieren, einer dieser guten Seelen auf, daß Mutter Ryan in einer Woche drei dieser Schreiben erhalten wird. Der Verlust, der der Familie Ryan nun droht, sollte auch der vierte Filius den Krieg nicht überleben, leuchtet natürlich jedem Vorgesetzten, bis hinauf zu General George C. Marshall, sofort ein. Und auch die Männer des Zuges begreifen nach und nach welch hohen symbolischen Wert ihr Tun hat. Spielbergs ewig gültiger Topos der Familie, die entweder wieder herzustellen oder aber – zumindest rudimentär – zu retten ist, kommt hier voll zum Tragen. Der metaphysische Überbau, den Miller und seine Männer sich zurecht basteln – daß sie sich mit der Rettung dieses einen Mannes das „Recht“ der Heimkehr erarbeitet hätten – mutet da fast etwas hilflos an. Der Glaube dieser Männer daran, das richtige zu tun, wird nun aber mehrfach auf die Probe gestellt: Sie werden von Scharfschützen beschossen, immer wieder finden sie Opfer aus den eigenen Reihen, es kommt zu geradezu sinnlosen Begegnungen mit deutschen Soldaten und das Töten, das uns in der Eröffnungssequenz am Strand ohnehin als vergleichsweise einfach und den Männern geläufig dargeboten wird, entpuppt sich als schwieriger, wenn man sein Opfer unmittelbar vor Augen hat. Auf dieser Reise durch den Krieg wird schließlich jene Szene zum Kernstück der reflexiven Betrachtungen, in der der Trupp eine MG-Stellung der Deutschen zerstört und einen der Schützen gefangen nimmt. Zwischen Miller, Private Reiben, Corporal Upham und Sergeant Horvath kommt es zu einer derart angespannten Situation, daß Horvath sogar droht, den zur Desertion neigenden Reiben zu erschießen. Letzterer will wiederum den Deutschen – sozusagen zur symbolischen Bestrafung eines ganzen Volkes – über den Haufen schießen. Miller neigt dazu, die Männer, die sich Reiben anschließen, gewähren zu lassen, Upham weist auf die Regularien zur Behandlung von Kriegsgefangenen hin, es kommt zur Eskalation. In dieser Situation gibt Miller – auf dessen zivile Profession die Männer bereits Wetten abgeschlossen hatten – Preis, wer er ist, was er im Zivilleben so tut. Er ist Englischlehrer, verheiratet und er hat Angst, sich mit jedem Toten weiter von daheim zu entfernen, liegen doch seine Arbeit mit und an der Literatur und sein Wirken am Kriegsschauplatz weit, zu weit auseinander. Diese Diskrepanz zwischen Menschen, die im Zivilleben ganz „normalen“ Berufen nachgehen, in der Extremsituation des Krieges jedoch zu Killern werden, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Private Jackson ist ein brillanter Schütze, was ihn zu einem erstklassigen Scharfschützen und einem guten Killer  macht, um diese Position zu ertragen, betet er ununterbrochen, während er Gegner ausschaltet. Reiben, der bereit ist, für das „Richtige“ auch Wehrlose zu töten, Horvath, der auch für das „Falsche“ – blinden Gehorsam auch gegenüber dem reinen Prinzip – töten würde, der jüdische G.I Mellish, der jedem gefangenen Deutschen seinen Davidstern entgegen hält und „Jude!“ ins Gesicht ruft, und schließlich Upham, der diverse Sprachen spricht, der offenkundig über tiefere Bildung verfügt, der die Rechte kennt und sich dann, in entscheidenden Momenten, schlicht als Feigling entpuppt. Sie alle müssen den imaginären Graben, die Kluft übertreten vom normalen Zivilisten zum Krieger.

Doch scheint Spielberg sich mit sich selbst nicht einig, was er da denn nun eigentlich erzählen will: Sollen uns ungebrochen Heldencharaktere nähergebracht werden? Will er uns zeigen, wie aus Zivilisten Krieger werden? Will er uns gar davon berichten, wie verheerend sich das Kämpferdasein auf den Zivilisten ausübt? Es gibt für all diese Fragen berechtigte Anzeichen im Film, all das wird hier und da angerissen. Die Männer reden darüber und reflektieren und in dieser Reflektion spüren wir weitere Widersprüchlichkeiten des Drehbuchs. Diese Männer reden nicht wie Männer im Kampfeinsatz, diese Männer reden wie Männer die sich über vergangene Kampfeinsätze unterhalten. Das Drehbuch bietet uns Männer, Soldaten, die über eine Situation reflektieren, die nur reflektieren kann, wer sie hinter sich hat. In all dem Getöse überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen, wäre sowieso nicht möglich. So unterläuft Robert Rodats Buch gerade in den Ruheszenen den Anspruch des Authentischen, den die Kampfszenen ununterbrochen fordern und behaupten. Eine Widersprüchlichkeit, bei der man nie weiß, ob Spielberg sich ihrer bewußt ist und sie möglicherweise sogar forciert. Ebenso verhält es sich mit der (gelegentlich) behaupteten Schwierigkeit, die all das Töten, die Gewalt und das Sterben den Männern bereite, welche dann aber in Krisensituationen sofort zu töten fähig sind, bereit, Gewalt anzuwenden und im Zweifelsfall auch zu sterben. Der Wechsel von einem Modus in den andern funktioniert zu plötzlich und zu vollendet, um glaubwürdig zu sein. Da Spielberg sich – wie viele Regisseure, die Reisegruppen inszenieren – des Mittels bedient, eine jede Figur lediglich anhand ein oder zwei typischer Eigenschaften zu charakterisieren, haben all diese Männer auch nur wenig Spielraum für Entwicklung. So scheinen denn all die Reflektionen auf diese Männer vergleichsweise wenig EInfluß zu haben. Wenn Reiben sich beispielsweise weigert, seine Kameraden zu begraben, nachdem Miller den Deutschen hat laufen lassen, ändert sich seine Haltung lediglich dahingehend, daß er seine noch lebenden Kameraden nicht im Stich läßt. Dafür zuvor eine tiefenpsychologische Betrachtung über den Wert der Arbeit und die eigene innere Entfremdung anzustellen, scheint doch eher überflüssig. Bestenfalls entpuppen sich diese Männer: Upham muß sich in entscheidenden Augenblicken der Schlacht seine Feigheit eingestehen, was seinen Kameraden Mellish das Leben kostet. Miller und seine Männer machen weiter, Kilometer für Kilometer und Tod für Tod. Miller selbst scheint sich im Laufe dieses ganzen Marschs sowieso nicht mehr entwickeln zu müssen. Hanks spielt ihn als einen Mann, der von allem Anfang an darum weiß, was er und wie er es zu tun hat. Wenn alle diese Kerle schließlich bis auf ein, zwei ihr Leben lassen, ergreift uns lediglich Millers Ende wirklich, denn er gibt Ryan die entscheidenden Worte mit auf den Weg – nämlich daß dieser sich der Taten der andern als würdig erweisen soll. Interessanterweise ist auch Miller der einzige, von dem wir wissen, was er in seinem Zivilleben so getrieben hat. Er ist der einzige echte Charakter in diesem Reigen. Doch auch er teilt das Schicksal der anderen: Sie alle funktionieren eben mechanisch nach dem Ablauf einer Dramaturgie, weniger nach dem Ablauf eines realistischen Kampfeinsatzes.

So sehr Spielberg sich bemüht, seiner Erzählung Authentizität zu verleihen, sie realistisch, wahr, echt und aus dem Leben entnommen wirken zu lassen – gerade er kann nie darüber hinwegtäuschen, einen Film zu inszenieren. Diese Bilder – es wurde oben erläutert – erzählen  bei all der Manipulation vor allem von den technischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung unserer Tage. Wobei, das sei zu bedenken, der Film nun auch bereits 18 Jahre alt ist. In der Übertragung dieser permanenten Uneigentlichkeit auf die inhaltliche Ebene, die Ebene des Plots und der Story, findet sich ein ähnliches Muster in den einzelnen Episoden, die das Drehbuch erzählt. Vieles darin erinnert an Klassiker wie Wellmans THE STORY OF G.I. JOE (1945) oder Aldrichs ATTACK! (1956). Spielbergs Referenzrahmen bleiben andere Bilder, andere Filme, andere Erzählungen. Man wird ihm zugestehen, nach all den Jahren längst begriffen zu haben, in welchem Spannungsfeld er sich als Filmemacher mit dem Anspruch zu unterhalten und dennoch Kunst zu produzieren, bewegt. Wahrscheinlich will er also durchaus genau diesen Effekt als postmoderne Brechung: So stark er uns mitten in das Geschehen hineinführt, ein Film bleibt ein Film und letztlich muß der Zuschauer dies auch spüren. Man kann das allerdings kunstfertiger, subtiler oder einfach geschickter vollziehen, als Spielberg es tut.

Sowohl die Figurenzeichnungen wie auch einzelne Situationen sind entfernte Reminiszenzen an ein Hollywoodkino, das eben noch ungebrochene Geschichten erzählen, ungebrochene Helden präsentieren konnte, ohne sich dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Womit man bei einer weiteren, beispielhaften und wesentlichen Widersprüchlichkeit des Films landet. Was will er uns erzählen und gegen welchen Diskurs will der Film angehen, wenn er meint, uns Heldengeschichten erzählen zu müssen? Denn genau das ist John Miller, wie Spielberg ihn inszeniert und Hanks ihn spielt: Ein im amerikanischen Sinne echter Held: Ein Demokrat, der – die Ursachen und Gründe für den Krieg, das Kämpfen, töten und Sterben werden im Film nie wirklich thematisiert – wohl einfach weiß, wofür er kämpft, seine Werte kennt, der über sich hinauswächst und schließlich sein Leben im Dienst einer guten Sache hingibt. Nach all den diversen technischen und dramaturgischen Kniffen und Mätzchen will uns der Regisseur am Ende einfach einen Helden präsentieren? Mehr nicht?, will man fast entgeistert fragen. Nein, mehr wirklich nicht. Mit Upham bastelt er sich einen intellektuellen, schwächlichen und sich dann als kampfuntauglich entpuppenden Antagonisten, den er problemlos denunzieren kann, weil auch dieser als Figur dem Referenzrahmen der herkömmlichen Nerds des Hollywoodkinos entstammt.

Spielberg steht mit seinem Film, ähnlich wie Malick, der das aber deutlicher zu spüren bekam, wider den 1998 herrschenden Zeitgeist. Er fügt der Narration des 2. Weltkriegs inhaltlich nichts hinzu, im Gegenteil, in gewisser Weise scheint er etwas wegnehmen, zurücknehmen  zu wollen aus einem Diskurs, der doch schon deutlich fortgeschrittener gewesen ist. Auch und gerade der filmische Diskurs zum Thema. Was Hollywood zwischen den Jahren 1976 und 1992 anhand des Vietnamkriegs zum militärischen Streben des Menschen auszusagen hatte, war bei weitem von tieferer Traurigkeit, größerer moralischer Empörung und grundlegenderem Zweifel an Kriegen als „Fortführung der Politik mit anderen Mitteln“ getragen, als Spielbergs Film. Dessen subtextuelle, doch wenig subtile Botschaft lautete: Wenn dein Land dich ruft, folge! Diese Botschaft korrespondiert durchaus mit der neuerer Kriegsfilme, vor allem jener, die nach 2001, also nach dem Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001, geschrieben und gedreht wurden. Ein Durchhalten wird da propagiert, der Krieg wird da nie verherrlicht, sondern durchaus als hart und brutal dargestellt, doch weitestgehend als eine Art Naturzustand, als Schicksal, dem man(n) sich stellen muß.

Es sind dies schließlich die Vermächtnisse von Spielbergs Film: Inhaltlich der Krieg als Naturzustand, den man annehmen und durchleiden muß, womit eine deutliche Marke Richtung Zukunft gesetzt wird; technisch die Art der extrem brutalen, offenen und expliziten Darstellung des Geschehens. Ansonsten verhält sich Spielbergs Film seiner Zeit gegenüber anachronistisch. Eine Rückversicherung zum Ausgang des Jahrhunderts? Ein letzter Blick zurück? Wehmut gar, im Angesicht einer vollkommen ungewissen Zukunft? Spielberg sollte erst im Jahr 2005 wieder zu ernsthaften Themen zurückkehren, während seine unmittelbar folgenden Arbeiten sich wieder im Raum der Science-Fiction und Fantasy bewegten, gehobene Unterhaltung boten. Dann nahm sich Spielberg in MUNICH (2005) des Münchner Olympiaattentats und der folgenden Mordkampagne gegen die Drahtzieher hinter dem Angriff auf das israelische Team an. Der Film verdient eine eigene Würdigung, doch interessanterweise steht er seinerseits – wieder mit einer hervorragenden Technik gedreht und diesmal ausgesprochen ambivalent gegenüber seinem Sujet – ganz in einer Reihe mit jenen Filmen, die damals schon von den modernen Kriegen des 21, Jahrhunderts erzählten – RULES OF ENGAGEMENT (2000) oder SYRIANA (2005). Der Look, den Spielberg MUNICH verpasste, war wiederum maßgeblich für folgende Filme wie OPERATION: KINGDOM (2007) oder BODY OF LIES (2008). So stellt Spielberg auch im vierten Jahrzehnt seiner Karriere technisch wie inhaltlich eine Art Scharnier zwischen der Glorifizierung und historischen Mythisierung des klassischen Hollywood und der hyperrealistischen Darstellungsweise des postmodernen, technokratischen und oft seelenlosen Hollywood der Multikonzerne dar.

SAVING RIVATE RYAN war sicherlich auch eine Art persönliche Hommage an das Amerika seiner Väter, das bereit gewesen ist, Opfer auf sich zu nehmen, damit der Junge Steven sicher in all jene Phantasiewelten eintauchen konnte, die der Mann Spielberg uns später gegeben hat. Man mag seine Vorgehensweise, seine Art, Filme zu drehen mögen oder nicht, aber man wird ihm nicht die Wirkmächtigkeit absprechen können. Ebenso wenig, wie man ihm sein technisches Können absprechen kann. Beides gepaart mit ökonomischer Potenz war in Amerika immer schon eine smarte Waffe in der Hand der Propaganda.

 

[1] Um an dieser Stelle den Titel eines Buches von Siegfried Kracauer zu paraphrasieren: Kracauer, Siegfried: THEORY OF FILM. THE REDEMPTION OF PHYSICAL REALITY. New York, 1960.

[2]Wobei hier direkt eine Diskussion über „Authentizität“ von fotografischem Bildmaterial anschließen müsste (besser: vorausgehen müsste) – eine Metadiskussion, die gerade in der Auseinandersetzung mit den Bilderwelten eines Steven Spielberg wesentlich wäre.

[3]Distelmeyer, Jan: DER SOLDAT JAMES RYAN. In: Klein, Thomas/Stiglegger, Marcus/Traber, Bodo: FILMGENRES. KRIEGSSFILM. Stuttgart, 2006; S. 331ff.

One thought on “DER SOLDAT JAMES RYAN/SAVING PRIVATE RYAN – Für ein Recht auf Heimkehr

  1. Monty Burns sagt:

    Hallo Gavin!

    Ja, ein zwiespältiger Film. Ich habe ihn bisher nur ein- oder zweimal gesehen, und das ist auch schon lange her. Was davon bei mir im Wesentlichen hängen geblieben ist, ist vor allem der Sturm auf die Küste der Normandie, der mich wirklich sehr beeindruckt hat, danach viele Längen und dann die auch recht effektvolle Schlacht in den Ruinen am Schluss. Ansonsten jede Menge ermüdendes nationales Pathos – wenn ich mich recht erinnere beginnt der Film mit einer Kameraeinstellung auf die US-Flagge und endet auch damit, was mich, obwohl ich alles andere als antiamerikanisch eingestellt bin, in seiner immanenten Arroganz und Plattheit ziemlich genervt hat. Für beachtenswert halte ich übrigens auch den Einsatz von Licht und Farbe, der einer Art Canon zu folgen scheint, der auch in vielen anderen amerikanischen Filmen und TV-Serien zum Thema Krieg Anwendung findet. Sehr oft ein Hang zu gedämpftem Licht, warmem Sepia (bei historischen Stoffen), gedecktem Blau und Grün. Jedenfalls ein Eindruck von Geborgenheit und Ruhe. Auch andere Spielberg-Filme lassen kaum einen Zweifel daran, denke ich, dass der sympathische Steven ein eher schlichtes Gemüt und glühender Patriot ist. Auch dass er sein filmisches Handwerk weit mehr versteht als das Erzählen relevanter Geschichten auf angemessene Weise steht wohl außer Zweifel. Dieses Stigma trieb ihn wohl auch dazu zu versuchen ernsthaftere Filme zu machen, ähnlich wie bei Emmerich, der mit seinem Shakespeare-Film zeigen wollte, dass er auch anders kann, oder irgendwelchen Schlager-Sternchen, die plötzlich anfangen Brecht-Lieder zu singen.

    Ich vermute, dass Spielberg seinen Film gar nicht für Propaganda hält. Patrioten leben ja oft in ihrem ganz eigenen Wolkenkuckucksheim in dem die Realität nur eine Statistenrolle spielt. Trotzdem würde ich nicht alles so hoch hängen wie Du es tust. Man kommt, denke ich, beim verantwortungsvollen Filmemachen nie so richtig darum herum eine gewisse Mündigkeit der Zuschauer vorauszusetzen oder lieber die Finger davon zu lassen. So sollte man, denke ich, nicht grundsätzlich unterstellen, dass die Zuschauer alles was hier beeindruckend inszeniert und CGI-generiert wurde für geschichtliche Realität halten. Wenn das auch zweifellos auf einige, die entsprechend konditioniert sind, zutreffen mag. Aber bei denen ist wohl ohnehin Hopfen und Malz verloren.

    Alles in allem leidet der Film wohl an der gleichen Krankheit wie „Black Hawk Down“, wobei ich letzteren für deutlich packender inszeniert halte: technisch brilliant und voller Knalleffekte, die einen fast direkt ins Geschehen verwickeln, aber leider total in Pathos und Tendenz ersaufen.

    Zu dieser Sequenz am Anfang möchte ich noch sagen, dass ich die wirklich innovativ und gelungen finde. So wollte ich Krieg im Film schon seit langem dargestellt sehen. Bis dahin bestanden mir Kriegsfilme immer viel zu sehr aus altklugem Gelaber über etwas Unbegreifbares, was die Protagonisten aber zu begreifen schienen, da sie uns oberlehrerhaft davon berichteten, und von dem auch vorausgesetzt zu werden schien, dass es auch der Zuschauer, quasi a priori, begreift. Dazu immer viel heimelige Kameradschaft und kernige Charaktere wie Robert Mitchum, der sich in „Der längste Tag“ als irgendein US-General ganz heldenhaft und väterlich, und ohne Deckung, Zigarre rauchend am Strand der Normandie positionierte (ähnlich übrigens wie Tom Sizemore in „Black Hawk Down“). Wenn Krieg so ist, kann er wohl nicht so schlimm sein. Sicher wird niemand wirklich realistisch erfahren können, wie es ist im Kugelhagel des Krieges zu stecken, selbst wenn er die Sequenz aus „Private Ryan“ sieht. Aber es werden sich auch nur wenige kranke Geister wünschen das zu erleben, was sie da sehen und hören, und ich halte es für gut das wenigstens mal ins Bewusstsein zu rufen. Ich halte eine solche Darstellung zumindest mal für eine erstrebenswerte Vervollständigung des Bildes, eine Erweiterung des Blickwinkels (Anti-/Kriegsfilme immer nach dem gleichen Muster zu machen wäre ja stumpf, wirkungslos und obendrein langweilig). Ich hätte mir das nur in einem inhaltlich gelungeneren Film gewünscht.

    Noch ein Wort zum historischen Wahrheitsanspruch. Deine Kritik daran ist natürlich gerechfertigt. Aber das ist in Sachen Film auch sowas wie ein Running Gag. Und es ist auch nicht immer leicht zu sagen wo das herkommt. „Das Omen“ etwa wurde ja mit allerlei Legenden verkauft, dass bei den Dreharbeiten seltsame und unheimliche Dinge geschehen seien. Ähnlich auch „Poltergeist“. So verkaufen sich Filme offenbar besser. Aber glauben wir deshalb jetzt an die Existenz des Gehörnten? In vielen Fällen ist sogar deutlich zu erkennen, dass solche Marketing-Strategien den Inhalten der jeweiligen Filme und ihrer Macher deutlich zuwider laufen. Deshalb finde ich, dass man mit solchen Behauptungen generell immer sehr vorsichtig umgehen sollte. Man darf und sollte sowas natürlich kritisieren. Realistischerweise sollte man aber auch sowas wie Medienkompetenz propagieren und wenigstens bis zu einem gewissen Maß erwarten können. Zwischen Spielfilm und Dokumentation sollte man wenigstens unterscheiden können.

    Soweit erstmal wieder. Die Pflicht ruft. Sei herzlich gegrüßt!

    M.B.

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