ZABRISKIE POINT

Ein europäischer Blick auf jene entscheidenden Jahre 1967 - 1968 - 1969 in den USA

Mark (Mark Frechette) verläßt die Versammlung mit dem Hinweis, er sei bereit zu sterben, aber nicht vor Langeweile. Er besorgt sich eine Waffe, fährt dazu mit einem Freund durch L.A., später ist er erneut an der Universität, wo es ein Teach-In gibt. Die Polizei geht gewaltsam vor, Mark flüchtet mit seinen Kommilitonen vor den Beamten. Er entsichert die Waffe, als er sich in einer unzugänglichen Ecke vor einem Gebäude versteckt. Ein Polizist steht in seiner Nähe, es fallen Schüsse, ein schwarzer Student und ein Polizist gehen – offenbar verletzt – zu Boden. Mark flieht in der Annahme, für den Schützen gehalten zu werden. Er stiehlt ein Flugzeug und macht sich damit auf, Richtung Wüste. Die junge Angestellte Daria (Daria Halprin) fährt auf Drängen ihres Chefs, Mr. Allen (Rod Taylor), nach Arizona. Er hatte sie eingeladen dort in der Villa der Firma an einem Geschäftstreffen teilzunehmen. Unterwegs ruft sie ihn von einer Tankstelle am Highway an. Dort wird sie von Jugendlichen sexistisch beleidigt und mit Steinen beworfen. Sie fährt weiter. Sie wird mehrmals von einem Flugzeug überflogen, teils sehr niedrig. Schließlich hält sie an und schaut, wer das sein könnte. Die Cessna landet und Mark bittet Daria, ihn mitzunehmen. Sie fahren durch die Wüste, sie gelangen ins Death Valley und halten dort an einem Aussichtspunkt an. Sie rennen in die Wüste, fangen sich, raufen und unterhalten sich und schmusen schließlich miteinander. Nackt wälzen sie sich im Staub. Die Felsen sind bedeckt mit sich liebenden Menschen. Sie fahren weiter und werden von einem Polizisten angehalten. Nachdem es Daria gelungen ist, diesen abzuwimmeln, sieht sie, daß Mark die Waffe bereit hält. Sie will wissen, was los ist. Nachdem sie seine Geschichte gehört hat, bietet sie ihm an, sie nach Arizona zu begleiten, aber er will lieber das Flugzeug zurück bringen. Sie malen die Maschine psychedelisch an, bis sie wie ein Flugsaurier oder ein riesenhafter Vogel aussieht, ein mythisches Wesen der Lüfte. Sie trennen sich. Mark fliegt nach L.A., wo die Polizei ihn bereits erwartet. Auf dem Flugplatz kommt es zu einer Schießerei, Mark wird getroffen und stirbt. Daria hört auf ihrer Fahrt durch die Ödnis Arizonas im Radio die Nachricht von dem jungen Flugzeugdieb, der getötet wurde. Sie hält an und verzweifelt für einen Moment. Schließlich fährt sie weiter. Sie erreicht die Villa, geht unbemerkt hinein und streift durch das hypermoderne, hoch funktionalistische Haus. Sie begegnet ihrem Chef, dessen Verhandlungen offenbar nicht so verlaufen, wie er es erwartet hatte. Er fordert sie auf, ein Zimmer zu beziehen. Daria sieht im Haus und auf der Terrasse sich sonnende, in scherzhafte Unterhaltungen vertiefte Menschen, begegnet dann einem Zimmermädchen. Die Frau ist eindeutig eine Indianerin. Daria und die Frau schauen einander an. Daria flieht die Villa, sie steigt in ihren Wagen und fährt davon. Die Villa explodiert tonlos. Daria hält an, steigt aus dem Wagen, betrachtet die Villa. Dann explodiert das Haus und wir hören die Detonation. Wieder und wieder, bis nach etlichen Winkeln und Perspektiven eine Garderobenstange, ein Fernseher, eine Lavalampe, ein Kühlschrank explodieren und Kleider, Tropfen, gebratene Hähnchen, Splitter von in der Wucht der Explosion geborstener Flaschen, Toilettenartikel – scheinbar die gesamte westliche Warenwelt – einen bizarren Tanz schwerelosen Schwebens aufführen. Daria wird wieder gezeigt und die begleitende Musik endet. Daria schaut scheinbar gegen die Sonne. Sie lächelt, steigt ins Auto und fährt davon.

Ein Paar steigt aus seinem Auto aus, sie stehen mitten in der Wüste. Weit ist der Blick in ein hügeliges weißes Nichts. Zabriskie Point, Death Valley, USA. Tiefster Punkt des nordamerikanischen Kontinents und heißester dazu. Das Paar beginnt, durch die staubigen Hügel zu laufen, sie fangen sich gegenseitig ein, sie raufen, sie schmusen und irgendwann schauen sie sich um und sind umgeben von Dutzenden Pärchen, nackt, staubbedeckt, ineinander verschlungen, hingebungsvoll sich gegenseitig streichelnd, leckend, aneinander saugend. Ein Bild der „freien Liebe“ in einem freien Spiel der Kräfte der Geschlechter.

Eine junge Frau steigt aus ihrem Auto. Sie dreht sich um und betrachtet eine hypermoderne Villa, die in die roten Felsen Arizonas gebaut ist. Dort hängt sie, wie ein Geschwür in den Falten eines Organs. Die junge Frau betrachtet die Villa, dann fliegt diese – lautlos – in die Luft. Wir sehen wiederum die Frau. Sie betrachtet weiterhin die – unversehrte – Villa. Dann explodiert diese erneut. Jetzt hören wir die Detonation. Einmal. Zweimal. Dreizehn Mal. Dreizehn Mal explodiert die Villa. Aus dreizehn verschiedenen Winkeln und Positionen. Dann explodiert in extremer Zeitlupe eine Garderobenstange, ein Fernseher, ein Kühlschrank, dessen Inhalt sich scheinbar schwerelos schwebend im Raum vor einem hellblauen Hintergrund verteilt. Dazu dräuen dunkle Klangteppiche und eine Stimme raunt, bis sie in einen markerschütternden Schrei übergeht.

Dies sind die zwei wohl markantesten und berühmtesten Passagen aus Michelangelo Antonionis Kunstfilm ZABRISKIE POINT von 1970. Sie haben ihm Bewunderung eingebracht, ebenso wie Unverständnis und Ablehnung. Sie markieren einen Film, der an verschiedenen Stellen aus sich selbst heraustritt und eine andere als die bisherige erzählende Position einnimmt. Denn auf den ersten Blick erzählt Antonioni eine Geschichte, wenn er sie auch spröde erzählt und mit der für ihn typischen Distanz. Er steigt ein in eine Szene in der Universität von Los Angeles, der UCLA,  in der eine heftige Debatte unter Studenten ausgetragen wird. Sie pendeln zwischen der Analyse ihrer momentanen Situation, der Frage danach ob und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt Gewalt angewandt werden darf, gegenseitigen Vorwürfen, man sei zu radikal/zu seicht, bevor sich immer stärker ein Disput zwischen den weißen und den afroamerikanischen Studenten ausbildet.

Antonioni bleibt sich mit ZABRISKIE POINT treu und wendet sich zugleich von einem Gutteil des eigenen Werkes ab, bzw. entwickelt sich davon fort. Immer noch sucht er nach Entsprechungen, doch sind die Mise-en-Scène, die Farbdramaturgie und die Auswahl einzelner Settings nicht mehr unbedingt Ausdruck der Seelenlandschaften der Protagonisten – obwohl auch das nicht einmal ausgeschlossen werden sollte. Mehr jedoch sind sie Entsprechungen gewisser gesellschaftlicher Strömungen und  kultureller Bewegungen. Und sie sind, was sie beim klassischen Antonioni, jenem aus der Phase von L´AVVENTURA (DIE MIT DER LIEBE SPIELEN – 1960) bis IL DESERTO ROSSO (DIE ROTE WÜSTE – 1964) immer waren: Oberflächen – Ausdruck, Zeichen einer Leere, Symbole der Abwesenheit. Und treffen damit den Nerv des Zuschauers. Auf manchmal unangenehme Art und Weise.

Oft wurde an ZABRISKIE POINT die scheinbare Unbeteiligtheit der beiden Hauptfiguren Daria und Mark bemängelt. Geht man einmal davon aus, es bei dem Film sowieso mit einer Allegorie zu tun zu haben, muß man gerade darin einen der zentralen Punkte sehen, die der Film anspricht: Bei aller Sympathie, die er zweifelsohne für die Sache der Studenten, der Gegenkultur generell, auch hegen mag, dem Verlust des Eigenen in der Postmoderne, der Flucht in die Oberflächenstruktur, der Abwesenheit der spezifischen Schwere des eigenen Ich kann auch sie nicht wirklich etwas entgegen setzen. Der utopische Moment – im Film jene Orgie der freien Liebe in den staubigen Felsgebilden des Death Valley, eben am ‚Zabriskie Point‘ – ist, auf die absolute Filmzeit gesehen, ein kurzer und ein vollkommen aus der Zeit gefallener. Jene Jahre der Liebe, die San Francisco, speziell dem Haight, den spezifischen Ruhm als Hippiehauptstadt der Welt einbrachten, waren ebenso aus der Zeit gefallen und lediglich „one short moment in time“. Im Lauf der Zeit, in der realen Chronologie der Ereignisse, in der Geschichte, hatten weder die Ideale der Hippies, für die Daria hier stellvertretend steht, noch jene der Studenten, die wiederum in Mark nur in einem bestimmten Typus repräsentiert werden, eine reelle Chance zu überdauern. Antonioni ist wohl bereit diesem Moment sein utopisches Potential zuzugestehen. Aber dieser hat keinen Einfluß, weder auf den Fortgang der Geschichte, noch auf die Entscheidungen der Figuren. Mark kehrt um und darin spiegelt sich auch ein Scheitern der ganzen studentischen Bewegung: Sein Habitus ist der der Coolness, doch ist er wirklich der Outlaw, der sich in den harten Sprüchen auszudrücken scheint? Der erste Satz, den Mark spricht, besagt, er sei bereit zu sterben. Aber eben nicht aus Langeweile. Doch nach dem, was er mit Daria in der Wüste erlebt hat, was in ihrer scheinbar naiven Lebensbejahung hervor scheint, zurück zu gehen in einen erwartbaren Tod, drückt eine innere Entfremdung aus, die vielleicht mit dem Begriff der „Langeweile“ schon gut getroffen IST.

Das ist weniger eine Kritik an der gegenkulturellen Bewegung – deren wirklich politischem Kern der Film nicht gerecht wird, dies aber womöglich auch gar nicht will; Antonioni zeigt die Diskussion anfangs zwar in distanzierten Halbtotalen und Totalen, geht selten nah an die Sprechenden heran, doch gibt er den Argumenten Raum, urteilt nicht und hält eine Äquidistanz – als die kühle Analyse eines Scheiterns, der die scheinbare Kühle der Bilder und der Figuren entspricht. Marks Einwurf ist nicht unbedingt ein Statement des Regisseurs. Allerdings interessiert sich Antonioni auch nicht mehr reell für die (tages)politischen Aspekte. Ihn interessieren die ästhetischen Aspekte, auch die psychologischen, wenn sie in den großen Linien aufspürbar sind. Der Film erschien 1970 und stand unter den jüngsten Eindrücken dessen, was passiert war: Nach den Höhepunkten der Jahre ´66, ´67 und teils auch 1968, war 1969 ein vollkommen ambivalentes Jahr für die Gegenkultur. So wunderbar das Festival in Woodstock im August gewesen sein mochte, die Morde des Manson-Clans an Sharon Tate und ihren Gästen nur wenige Tage zuvor, waren ein Menetekel; im Dezember starb Meredith Hunter in den Tumulten vor der Bühne in Altamont, als er von einem Mitglied der Hell´s Angels während des Auftritts der Rolling Stones erstochen wurde. Das waren die großen Zeichen. Die kleineren sah man in gewissen Songtexten, man spürte es, weil Gruppen und Menschen, die zu den Initiatoren jener frühen Jahre im Schatten des Golden Gate Parks gehörten, aus der Stadt verschwanden, sich aufs Land zurückzogen und den Haight mieden. Schlechte Drogen, viel zu viele Menschen, die keine wirkliche Versorgung mehr fanden und die mit alldem einherziehende Gewalt hatten aus dem vermeintlichen Paradies der Hippies einen Slum gemacht. Und im Mai 1970 – worauf der Film in seinen frühen Szenen in der Universität deutlich Bezug nimmt – hatte es an der Kent State University in Ohio ein Massaker gegeben, bei dem 4 Studenten von Nationalgardisten erschossen worden waren. Es gab viele deutliche Zeichen, daß die Kraft der gegenkulturellen Bewegungen der vergangenen 15 Jahre erlahmte, die Gruppen und Gruppierungen – der Film verdeutlicht es anhand der Eingangssequenzen – zersplitterten und die Staatsmacht – mittlerweile unter Nixon seit 1968 wieder deutlich nach rechts gerückt – bereit war, mit einer für die weiße liberal-bürgerliche Schicht ungekannten Härte zurückzuschlagen, was sie für revolutionär hielt.

Der dem Bürgertum entstammende Ästhet Antonioni glaubt aber auch wahrscheinlich einfach nicht an die Kraft der Revolution. Zumindest nicht dieser Revolution. Und die Ästhetik des Widerstands, wie sie die im Film dargestellten Revolutionäre einführen, kann einen so genauen Beobachter und auch Sezierer bürgerlicher Klasse, Psyche und Moral wie den Künstler und Intellektuellen Antonioni nicht überzeugt haben. Der Film allerdings wird selber zu einem künstlerischen Ausdruck, zu einem Teil einer Ästhetik des Widerstands, zumindest des Widerspruchs, indem Antonioni ihn anlegt, wie er dies tut – als Allegorie. Nichts an der Geschichte, dem Plot des Films, ergibt narrativ Sinn. Auf der Ebene der Story ist es ein öder Film, mindestens so öde, wie die Landschaften, die er ausstellt. Antonioni zeigt die Zerrissenheit eines Landes, einer Gesellschaft, zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, aber auch innerhalb dieser scheinbar homogenen Gruppen. Er zeigt eine moderne, technisierte Welt, die den Einzelnen entfremdet, stellt diese eine organischen Welt des Natürlichen gegenüber. Und ordnet sowohl die Staatsmacht als auch die revolutionäre Jugend deutlich zu: Hier die glatte, kühle, funktionale (und faschistoide) Welt der amerikanischen Moderne, dort die naturverbundene Jugend, die sich dem Land, der Natur, dem einfachen Sein wieder annähert, die mit der Erde wieder verwachsen will. Allerdings kann man durchaus fragen, warum Antonioni die Kargheit des Death Valley für den utopischen Moment als Kulisse heranzieht. Welche Symptome für das Syndrom „Kalifornien“ sind in diesem Bild des Kargen und Öden, der Leere, nicht enthalten, also in ihrer Abwesenheit durchaus da? Der Pazifik mit einem atemberaubenden Sonnenuntergang? Die Wälder des Yosemite-Parks oder Big Sur mit seinen Blicken über diese wunderbaren Küstenabschnitte. Antonioni läßt viele Möglichkeiten aus, die gerade die Chiffre „Kalifornien“ zu bieten hätte. Nein, diese Utopie liegt in einer Mondlandschaft, deutlicher hätte man ein „Außen“ oder „außen vor“ nicht symbolisieren können.

Doch Antonionis Analyse dieser Wirklichkeit – in sich schon eine ästhetische  Bewegung, wenn er zu den düsteren Klängen des Songs DARK STAR der psychedelischen Rockband The Grateful Dead Luftaufnahmen des Straßenrasters von Los Angeles zeigt, welches in der Bewegung der Kamera nahezu abstrakt-seriellen Charakter annimmt – ist ebenfalls kritisch. Da steht er durchaus im Kontext seiner eigenen früheren Werke, vor allem in jenem seines Films über die Londoner Gegen- und Künstlerkultur BLOW UP (1966). Und auch im Kontext der Kritik der Studenten und Hippies. Die Moderne hat neben all den vermeintlich wundervollen Neuerungen technischer Natur, die das alltägliche Leben so viel leichter zu machen scheinen, eben auch einen Entfremdungscharakter, der den Einzelnen sich verlieren läßt in den Angeboten und Verführungen dieser schönen neuen Welt. Doch betreibt Antonioni keine politische Kritik an diesen Zuständen, dazu hat er die historische Entwicklung zu genau durchschaut, hat er zu genau kapiert, daß man den modernen Entwicklungen mit ideologischer Kritik nicht mehr wird beikommen können. Sein Widerstand ist ein anderer, ein ebenso theoretischer wie zutiefst ästhetischer. Er läßt die Zeichen tanzen. Er unterminiert die Bedeutung der Zeichen und Label einer konsumistischen Warenwelt. Er dekonstruiert. Er überführt die Entfremdung auf die ästhetische Ebene, er transzendiert sie und entfaltet in den Bildern jener schwebenden Konsumgüter am Ende des Films eine Schönheit eigener Kraft, die die Destruktion, die da stattfindet, vergessen macht. Beziehungsweise uns glauben macht, in tiefem Einverständnis, daß diese soeben, im Akt des Zuschauens, ihrer natürlichen Verwendung zugeführt wird.

Antonioni greift eben die Oberflächen an und sucht sie zu durchbrechen, die ihm in seinen wesentliche Filmen immer als Spiegel gedient hatten. Der Film ZABRISKIE POINT selbst wird zu einem ästhetischen Angriff auf die vermeintliche Realität. Und so greift der Film gegenständlich die Oberflächlichkeit und Kälte einer komplett industrialisierten und technisierten Welt auf und an, als Film widersetzt er sich jedoch sowohl formal als auch inhaltlich einem eindeutigen ideologischen Zugriff. Er entfremdet die vorgefundene Realität einer Gesellschaft unter Hochspannung filmisch derart, daß er die Widersprüchlichkeit nicht nur in der Gesellschaft en Gros, sondern eben auch in den Einzelteilen der Gesellschaft aufbricht und darlegt. Er dekonstruiert nicht nur inhaltlich das Vorgefundene, er dekonstruiert auch formal den medialen Zugriff auf das Vorgefundene. Indem er den medialen Zugriff dekonstruiert, in der Utopie der Liebe ebenso wie in der Dystopie der Zerstörung die narrative Ebene offenbar komplett verlässt – man kann Darias Blick auf die Villa als „Halluzination“ deuten, man kann sie als Einbildung deuten, man kann sie aber auch einfach „unbedeutet“ stehen lassen, wie ein offenes Zeichen, ein Symbol des Widerständigen an sich – , dekonstruiert Antonioni auch die Wirkungsmächtigkeit der Symbole/Zeichen selbst. Die Symbole unseres Lebens, die Luxusgüter (wir sind im Jahr 1970!) werden nicht zweckentfremdet, sondern dechiffriert. Ihrer Bedeutung enthoben, entfalten sie eben jene Ästhetik eigener Kraft, von der oben die Rede war. Und Antonioni zeigt die Dekonstruktion als das, als was ihr Vordenker sie einst gesehen haben wollte: als Bewegung. Erst die Verlangsamung der Bilder scheint den Dingen, die da durch die Luft fliegen, ihre eigentliche Bedeutung zu geben, zugleich werden wir uns bewußt, daß die Verlangsamung, die Zeitlupe aber eben auch eine Unterwanderung, eine Destruktion und Dekonstruktion unserer Sehgewohnheiten ist. Aber nur in der Zusammenkunft DIESER Bilder DIESES Inhalts in DIESER Geschwindigkeit kann die Bedeutung generiert werden, die Antonioni dem einschreibt. So wird das, was wir da sehen, zu einer Bedeutungsebene wiederum eigener Kraft.

Dieses Verfahren korrespondiert u.a. mit den Todesbildern eines Sam Peckinpah, der seine Protagonisten in den Spätwestern, die er in jenen Jahren um 1970 vorlegte, eines unendlich langsamen Zeitlupentodes sterben ließ und dabei eine Ästhetik der Gewalt vorfand und ausstellte, derer sich kein Westernliebhaber je zuvor hatte bewusst werden können. Auch da funktionierte die Dekonstruktion nahezu perfekt.

Antonioni stellt sich nicht in den Dienst der „guten Sache“, er bleibt sich treu als ein Einzelgänger des sogenannten Autorenkinos (weshalb ZABRISKIE POINT trotz seines uramerikanischen Themas und Settings ein durch und durch europäischer Film bleibt, der in Amerika nicht einmal bei den Hohepriestern des ‚New Hollywood‘, wie Pauline Kael, gut ankam). Doch seine Sympathien liegen deutlich bei den Anliegen der Studenten. Er mag deren Strategien nicht teilen, vielleicht hält er den Ansatz der Hippies, sich letztlich unpolitisch dem Zugriff der politischen Wirklichkeit Amerikas im Krieg nach außen (Südostasien) und innen (Kent State, Haight Ashbury) zu entziehen, für naiv – daß man der sich bietenden Wirklichkeit Widerstand entgegen setzen sollte, scheint jedoch auch Antonionis Analyse zu entsprechen. Und so sucht er denn eben doch auch den Schulterschluß mit der gegenkulturellen Szene, wobei hier noch einmal ein etwas ausführlicherer Blick auf diesen Schulterschluß erlaubt sei.

Gemeint ist der Einsatz der Musik. Antonioni nutzt einige Passagen und Songs aus dem Ouvre der frühen, damals noch als psychedelische Band geltende Gruppe Pink Floyd. Zudem setzt er in den oben bereits erwähnten Szenen des Überflugs der Stadt Los Angeles ein Fragment aus dem Song DARK STAR der Grateful Dead ein – ein Stück Musik, das sich schon in seiner Anlage der einheitlichen Struktur eines herkömmlichen Songs entzieht. Während der Szene der sich liebenden Pärchen im Wüstensand, hören wir ein für den Film extra komponiertes Stück des Leadgitarristen der Grateful Dead, Jerry Garcia, das seinem typischen organischen und flüssigem Spiel entspricht. Warm und dem Anlaß entsprechend melodisch schön perlen die Töne und verursachen beim Zuschauer und -hörer eine gute, positive Grundstimmung. Die Grateful Dead galten als eine der Kerngruppen dessen, was sich in San Francisco in den Jahren 1965 – 1969 abspielte und sie hielten die Fahne des Hippiesken, Gegenkulturellen, des Glaubens an die Werte dieser Bewegung noch weitere 30 Jahre hoch. Antonioni verdeutlicht mit der Auswahl dieser Musik und speziell dieses Stückes durchaus die Nähe, die er zu der im Bild symbolisierten Utopie der freien Liebe empfindet. Er verdeutlicht damit aber auch noch einmal den speziellen utopischen Charakter der Szene. Und ‚Utopia‘, jenes Land, das sich vom griechischen „utopos“ ableitet, bedeutet eben – Nirgendwo. Genau diesem Nirgendwo wird die Wüste des Death Valley sehr gerecht. Amerika, diese Traum Europas von einer besseren Welt, wird noch einmal eingesetzt in sein historisches Recht, zugleich aber dekonstruiert der Film die USA selbst. Dieses Land hat seine Unschuld verloren, damit seinen utopischen Charakter und hat somit die in es gesetzten Hoffnungen verraten.

Wenn dann zu den Bildern der Zerstörung, der Destruktion, aus der eine neue Konstruktion der Wirklichkeit – der explodierende Kühlschrank wird jenen, die diese Bilder gesehen haben, nicht mehr aus dem Sinn gehen – entsteht, eben einer Dekonstruktion, eines der eindringlichsten Stücke der sehr britischen (und europäischen) Band Pink Floyd ertönt, ist dies nur folgerichtig. Die Dystopie einer zerstörten Hoffnung scheint sich in CAREFUL WITH THAT AXE, EUGENE und dem im wahrsten Sinne des Wortes wahnhaften Schrei, der seinen Höhepunkt markiert, schon an und für sich auszudrücken. In Verbindung mit Antonionis Bildern wird eine Einheit sichtbar aus Bild und Ton, die aus sich selbst heraus wahrhaftig erscheint. 25 Jahre nach dem Weltkrieg scheint ein Europäer nicht viel anders auf den Warenfetischismus, der mit dem Siegeszug amerikanischer Kultur- und Luxusgüter in Europa, gerade in Italien, Einzug hielt, reagieren zu können. Antonioni verzichtet allerdings auf reale Zerstörung, die mit dem Tod von Menschen verbunden wäre (und markiert damit wiederum eine Differenz zu seinem Landsmann und Kollegen Pier Paolo Pasolini, dessen Analyse zu ähnlichen Ergebnissen kommt, dessen Lösungsansätze jedoch weitaus radikaler sind). Sicher – die Explosion des Hauses und der Gegenstände, die da einen so bizarren Tanz aufführen, hat es real gegeben, sonst hätten Antonionis Kameras sie nicht einfangen können, doch stellt der Film sie als vollkommen abstrakte Vorgänge dar, die keinen physischen Ausdruck in der Wirklichkeit finden. Scheinbar niemand kommt zu schaden, wenn Daria sich die Zerstörung des Hauses betrachtet/vorstellt/ imaginiert. Antonionis Angriff gilt den Zeichen einer Waren- und Konsumwelt, nicht gelten sie den Menschen, die dahinter stehen mögen. Auch das ist ihm seinerzeit vorgeworfen worden.

Das scheinbare Desinteresse des Films an emotionalen Zuständen deutet ebenfalls auf die abstrakte Ebenen des Films hin. Weder der Tod des Studenten, noch der des Polizisten spielen emotional eine wirkliche Rolle im Film. Und auch Marks Tod, den Daria scheinbar so programmatisch beweint, wirkt nicht wirklich dramatisch. All diese Momente markieren in ZABRISKIE POINT eher Wendepunkte in der Geschichte, als in EINER Geschichte. Wenn Daria um Mark weint, dann weint sie wohl auch um das Scheitern eines Traums, eines utopischen Traums einer besseren, einer postmateriellen Welt. Und auch einer postideologischen Gesellschaft. Mark stellt hingegen den Typus eines Draufgängers dar. Er sitzt anfangs, bei der Diskussion, am Rande, abseits, er entzieht sich den ideologischen Argumenten, er will raus, er will machen, etwas tun. Doch da, wo gemacht wird, im Film ist das die Hippieszene, fühlt er sich eben auch nicht zuhause und so steht er stellvertretend für das Gros jener, die irgendwo zwischen den Fronten hingen: Nicht wirklich überzeugt von den radikalen Ideologien des SDS und anderer linker Gruppierungen, aber eben auch nicht bereit, sich den ihre Brücken zur bürgerlichen Welt abbrechenden Hippies, den Freaks anzuschließen. Marks Prinzip – ein männliches Prinzip ? – bleibt dabei ein aggressives. Er legt sich eine Waffe zu, er geht aggressiv mit dem Flugzeug auf Darias Auto nieder (worin man durchaus den Versuch einer Vergewaltigung, zumindest einer Nötigung sehen könnte), er wird im Kugelhagel der Staatsmacht (mit der er aber eben auch symbolisch und stellvertretend den Zusammenstoß sucht) eines gewaltsamen Todes sterben.

Daria steht vollkommen für ein – vielleicht aus heutiger Sicht zu naives, zu einfach beschriebenes – weibliches Prinzip. Sie ist nicht aggressiv, nicht einmal, wenn sie angegriffen wird, an der Tankstelle, von wo aus sie telefoniert. Sie bringt den Jugendlichen, die sie zu necken versuchen, dann immer aggressiver und in ihren Aussagen immer sexistischer werden, immer noch ein spielerisches Interesse entgegen. Sie ist neugierig, sie ist wach, sie hat ein Bewußtsein für das Land und die Einwohner und ein kritisches Verständnis für ihre Zeit. Noch arbeitet sie für eine Firma, noch scheint sie mit dem bürgerlichen Leben verbunden zu sein. Doch schon gegenüber Mark ist sie bereit, dieses Leben aufzugeben und sich ihm – als „Outlaw“ – anzuschließen. Wenn sie schließlich lächelnd, also auch befriedigt ob dessen, was mit der Villa geschieht, davonfährt, könnte es durchaus sein, daß sie sich damit vollends aus der bürgerlichen Welt verabschiedet. Der Blick in einen Sonnenuntergang und diesem den Rücken zu kehren, kann durchaus als ein Symbol dafür gelesen werden, daß sie sich von der Welt des Konsums abwendet und in einer nicht mehr näher beschriebenen Zukunft eine andere Gesellschaft mit anderen, besseren Werten finden wird. Fakt ist, daß Antonioni sie überleben läßt und sie uns mit einem Lächeln am Ende des Films zeigt.

ZABRISKIE POINT ist einer der wesentlichen Filme seiner Zeit. Er wurde angegriffen und ihm wird auch heute noch mangelnde Überzeugungskraft unterstellt. Selbst bei jüngeren Kritikern scheint er Wut hervorzurufen. Es ist ein Kunstwerk aus sich selbst und es steht für einen Künstler, der sich weder dem Bürgertum, noch der Gegenkultur, keiner Idee und keiner Philosophie anbiedert. Es ist die Analyse eines Künstlers, der mit distanziertem Blick auf wesentliche Entwicklungen seiner Zeit blickt und dies in einem ihm fremden Land tut. Man sollte sich sicher sein, daß jeder Moment dieses Films genauestens durchdacht ist und der Regisseur sehr genau wusste, was er da tut. So bleibt der Film ein Zeugnis seiner Zeit ebenso, wie er ein unvergängliches Kunstwerk bleibt, das intellektuell mit einer der wesentlichen philosophischen Bewegungen seiner Zeit – der Dekonstruktion, entwachsen der Semiotik und der Linguistik als Wissenschaften der Zeichen und ihrer Bedeutung – korrespondiert. Und im Ouvre des Künstlers sicherlich eine Sonderstellung einnimmt. ZABRISKIE POINT ist nur an dieser Stelle in der Zeit denkbar, doch gelingt es Michelangelo Antonioni, Momente dieser Zeit zu transzendieren und für die Ewigkeit auszustellen. Er erkennt das Universelle ebenso, wie er das Wesentliche der historischen Vorgänge um sich herum schon im Moment ihres Geschehens erkennt und künstlerisch zu deuten weiß. Es sind die wenigsten Kunstwerke derart fähig, dies zu leisten. So steht der Film sowohl in der Zeit, als auch in Bezug zu seinem Thema und auch als Teil des Werkes seines Regisseurs monolithisch da. Zeitlos, ewig.

 

 

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