NORTHANGER ABBEY

Das Frühwerk Jane Austens: Das Werden einer Meistererzählerin und Sprachartistin

An Jane Austen scheiden sich oft die literarisch interessierten Geister. Den einen bei aller Leichtigkeit des Liebesreigens des englischen Landadels Weltliteratur, ist sie den andern aus denselben Gründen ein Gräuel und gilt gemeinhin sowieso als verantwortlich für Generationen junger Frauen, die hofften, am Ende stünde schon der rechte Gatte zu rechten Zeit am rechten Ort – nämlich vor dem Traualtar. Das sei einmal so dahingestellt, wer die Sprache um ihrer eigen Willen schätzt, wird nicht umhin kommen, zumindest die großen Romane der Autorin als Meisterwerke ironischer Sprachkunst genauer gesellschaftlicher Analyse zu betrachten. Zumal Austen – auch aufgrund der Besonderheiten ihres recht behüteten Lebens in einem südenglischen Pfarrhaus – in ihrer Zeit eine literarische Ausnahme, einen Solitär, darstellt. Eher geprägt vom distanziert seinen jeweiligen Gegenstand betrachtenden 18. Jahrhundert der Aufklärung, denn von der stürmischen Emotionalität ihrer romantischen Zeitgenossen, bietet die Autorin ihrer Leserschaft wenig Fiktives, kaum Aktion oder die Spannung herkömmlicher Romane. Austen bezieht sich gnadenlos auf das ihr bekannte Umfeld, seziert dies jedoch genauestens und legt dabei englische Eigenarten und einige des angelsächsischen Protestantismus offen. Dabei bleibt sie aber immer liebevoll in ihren Beschreibungen, nie wird sie explizit, nie stellt sie ihre Figuren bloß, der Leser ist immer aufgefordert, die Charakteristika in den sprachlich oft elegant versponnenen Beschreibungen und vor allem den Dialogen zu erlesen. So wird Austens Schreiben auch zu einer wesentlichen Chronik einer spezifischen englischen Schicht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die sich Wohlstands und vor allem eines in ihren Büchern nie brüchigen Friedens erfreute. Nichts in dieser Welt wird durch die Zeitläufte bedrängt, alles findet in einem Kosmos ewigen Sommers, ewiger Picknicke und Landpartien mit Liebesreigen einerseits und Heiratsverhandlungen auf knallharter ökonomischer Basis andererseits statt.

NORTHANGER ABBEY nimmt in diesem Kosmos eine Sonderstellung ein. Neben einigen Versuchen in Kurzform, stellt der Text in seinem Kern Austens frühesten Schreibversuch dar, wobei die genaue Datierung variiert. Es ist verbrieft, daß sie ihn wahrscheinlich 1803 erneut überarbeitete, veröffentlicht wurde er jedoch erst 1817, kurz nach ihrem Tod. Die kritische Forschung ist sich weitgehend einig, daß es nur marginale Eingriffe gewesen seien, die sie dem Text habe angedeihen lassen, doch muß man gestehen, daß es Passagen gibt, die doch eher einer reiferen Frau (wobei man hier über einen Zeitraum von maximal 5 Jahren redet) aus der Feder fließen würden. In seiner Handlungskonstruktion, der Beschreibung des Personals und im formalen Aufbau merkt man dem Roman deutlich an, daß sich hier jemand ausprobiert. Wenn auch auf hohem Niveau, bleibt der Versuch doch über die gesamten 300 Seiten spürbar. Gern wird dem Roman nachgesagt, es sei eine Parodie auf die damals so gern gelesenen Schauerromane, deren Titel Austen auch alle ausgiebig zitiert. Doch sollte sich der geneigte Leser nicht täuschen lassen, es gibt eine Szene, die im Verbund des Romans Catherine Morlands manchmal leicht überhitzte Phantasie verdeutlicht, doch weit entfernt davon, Kerninhalt des Buchs zu sein, ist sie nicht einmal wesentlich für die Handlung.

Die nämlich dreht sich in erster Linie um das Werben und Verlieben und Verkuppeln junger Menschen im Städtchen Bath, wo die besagte Miss Morland mit Freunden der Familie weilt. Hier wird sie vom draufgängerischen, aber langweiligen Mr. Thorpe bedrängt, dessen Schwester Isabella mit Catherines Bruder James anbandelt. Catherine selbst verguckt sich in den jungen Mr. Tilney, mit dessen Schwester Eleanor sie sich anfreundet. Schließlich bittet Eleanors Vater, General Tilney, der Catherine unangemessen viel Aufmerksamkeit schenkt, die junge Frau, Sommergast in seinem Haus, der Northanger Abbey, zu sein. Dort verfällt Catherine in der erwähnten kurzen Episode, die durchaus Schauerpotential besitzt, der Idee, der General könne entgegen seines gezeigten Charmes der Mörder seiner Frau sein und kurzfristig liebäugelt sie damit, die Leiche der Abtrünnigen zu suchen. Doch vergehen die Tage und die Wochen in angenehmer Gesellschaft und mehr und mehr hofft Catherine auf Henrys Hand. Doch dann, eines Tages, wird sie unwirsch des Hauses verwiesen und heim geschickt. Zusätzlich gedemütigt dadurch, daß der General ihr nicht einmal eine Reisebegleitung zur Verfügung stellt, kehrt sie heim. Doch schon nach kurzer Zeit findet sich Henry Tilney ein, um gerade zu rücken, was sein Vater, der diversen Tratschereien der Thorpes aufgesessen ist, dabei allerdings ein durchaus räuberisches Gemüt zur Schau stellte, verbockt hat. So löst sich schließlich alles in Wohlgefallen auf – und im ironischen Unterton der letzten Seiten ist auch durchaus ein Seitenhieb auf die bei den Romantikern so beliebten Märchen und Kunstmärchen und ihre glücklichen Enden zu erkennen.

Auf der Ebene eines Entwicklungsromans, in der Beschreibung einer jungen Frau, eher noch eines Mädchens, das nach Aussage der Autorin, die gelegentlich aus ihrem Text hervortritt, keine Eignung zur Romanheldin besitzt, trifft der Roman schon durchaus den Ton, den man aus Austens großen Romanen kennt. Auch die Beschreibung des gesellschaftlichen Treibens in dem Städtchen Bath, Small Talk und Tratsch als gesellschaftliches Bindemittel und Informationssystem, das System der Bälle und Empfänge als Heiratsmarkt – all die typischen Zutaten des Austen´schen Kosmos sind da und bestimmen den ersten Teil des Romans und auch den Abschluß. Der Besuch in der titelgebenden Abtei bildet das Hauptstück des zweiten Teils und bietet der jungen Antiheldin die Möglichkeit, einigen ihrer aus Schauerromanen entnommenen Phantasien nachzugeben. Doch könnte man diesen Ausflug ins Schauerliche, der wirklich kurz ausfällt und auch wirklich nicht mehr bietet, als sich über die Hysterie der entsprechenden Werke lustig zu machen, auch als eine Bestätigung der Intelligenz der Protagonistin verstehen, in der sich Austen, wie sich manches mal der Eindruck aufdrängt, durchaus auch selber portraitiert. Catherine ist eine erwachende junge Frau, die sich den Weg aus einer behüteten Kindheit, geprägt von Unbekümmertheit, Freiheit und eben jenen Geschichten aus den Romanen, in die Welt der Erwachsenen bahnt und lernt, die versteckten Botschaften hinter den lautmalerischen Schönheiten und den schmeichlerischen Boshaftigkeiten realer Menschen zu lesen. Anders, als in den Romanen, sind die Dinge in der Realität eben meist nicht klar, wenn man sie einmal durchschaut hat, ihre Geheimnisse sind weitaus schwerer zu durchdringen, als die alten Ruinen und die Geheimgänge der erfundenen Geschichten. Catherine durchschaut – darin ganz sicher Ohr und Auge ihrer Schöpferin – den Reigen immer besser, der sich da um sie herum ereignet, in den sie hineingezogen wird, manchmal, wie durch den Raubatz Thorpe, gegen ihren Willen, fast mit Gewalt. Und bei aller Zurückhaltung versteht Austen es durchaus, die Not der jungen Frau in mancher Situation sehr verständlich und nachvollziehbar zu machen.

Es ist dennoch deutlich, daß all die Einzelteile kein Ganzes ergeben wollen. Man spürt förmlich die Sackgasse, in die die Handlung in Bath stolpert und folgt mit einem Schmunzeln dem Bruch, wenn ein plötzlicher Besuch bei den Tilneys in Northanger Abbey Bewegung in die Story bringen muß und mit dem Gemäuer neue Möglichkeiten der Entwicklung bietet. Noch verfällt die Autorin in Beschreibungen und Erklärungen, wo sie dem Leser Beispiele bieten sollte für das, was sie meint. Die Figurenzeichnung ist nicht auf gleichbleibendem Niveau, die oft mit viel Verve gezeichneten Geschwister Thorpe entfallen der Handlung zur Mitte vollkommen, um dann passend wieder hervorgeholt zu werden, der zuvor meist blasse, dann in den Dialogen fast aggressive Henry Tilney tritt hervor, verschwindet aber dauernd zu dringenden Terminen und verwischt damit, Eleanor hingegen wirkt wie eine Leerstelle, sie ist reine Funktion und Austen scheint hier auch nicht viel mit ihr anfangen zu können. Schwach nach literarischen Maßstäben ist auch das Ende, das schnell geschnürt wirkt und vor allem etliche Handlungsstränge nachträglich erklärt, wodurch der Eindruck von Stückelung, Uneinheitlichkeit und Konstruktion noch verstärkt wirkt. Auf den Schlußseiten gibt Austen die Haltung einer weitestgehend auktorialen Erzählstimme vollends auf und ihr Personal dann auch ihrer Spöttelei preis. Möglicherweise nimmt hier auch die reifere Autorin ihr jüngeres Ich und dessen schriftstellerische Versuche ein wenig auf den Arm.

All dem muß man nicht das Prädikat „Weltliteratur“ aufdrücken. NORTHANGER ABBEY ist ein Werk, dem man ablesen kann, wie sich eine Autorin entwickelte, die der Weltliteratur vier der leichtesten, vermeintlich der reinen Unterhaltung dienenden Gesellschaftsromane geschenkt hat, die es gibt. Vielleicht bleibt es akademisches Interesse, doch weiß auch dieses Frühwerk schon durchaus zu unterhalten und gibt es durchaus eine Reflexionsebene, die weit über das Level eines reinen Unterhaltungsromans hinausweist. Work in progress, sozusagen.

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