NUR 72 STUNDEN/MADIGAN

3 days in New York City...

Die Polizisten Dan Madigan (Richard Widmark) und Rocco Bonaro (Harry Guardino) geht bei einem vermeintlichen Routineeinsatz nicht nur der Verdächtige Barny Benesch durch die Lappen, sie gehen dabei auch ihrer Dienstwaffen verlustig, die Barny ihnen abnimmt.

Commissioner Russell (Henry Fonda) gibt ihnen 72 Stunden, den Flüchtigen zu stellen und festzunehmen. Er selber hat ein Problem damit, daß sein Freund und Untergebener, Chief Inspector Charles Kane (James Whitmore), offensichtlich auf seine alten Tage korrupt geworden ist und er, Russell, es nicht fertig bringt, ihn zur Rede zu stellen. Russell selbst steht für eherne Ehrlichkeit.

Die Handlung schildert nun die folgenden 3 Tage, bis es Madigan und Bonaro gelingt, Benesch zu stellen, was jedoch zu einer Tragödie führt. Während dieser drei Tage werden wir allerdings ebenso Zeugen des Lebens der Protagonisten, wie der reinen Polizeiarbeit.

Don Siegels Polizeithriller (so man es denn einen Thriller nennen will) MADIGAN (1968) wirkt streckenweise wie eine Folge aus Ed McBains Endlosreihe um das 87. Polizeirevier. Weniger steht die Verbrecherjagd im Fokus der Handlung, als vielmehr die sozialen und moralischen Belange der Ermittler. Korruption, durch die Arbeitszeiten der Polizisten zusätzlich verstärkte Ehedramen, Enttäuschungen und emotionale Kälte sind die äußeren wie inneren Konflikte der Protagonisten und die Triebfedern der Handlung. Geschickt gelingt es Drehbuch und Regie, die Handlungselemente ineinander zu verflechten, der jazzige Soundtrack von Don Costa gibt dem Film einen treibenden Rhythmus, Schnitt und Montage tun das Übrige, um das Timing exakt zu gestalten. So wird man schnell zwischen den Handlungsebenen und -orten hin und her geschoben, mal sitzen wir bei Madigan und Bonaro im Auto, dann sehen wir Madigan daheim mit seiner Frau (die zu früh vergessene Inger Stevens) flirten, den andern – Bonaro – daheim seine Spaghetti essen, schon sind sie wieder unterwegs und wir werden Zeuge eines ernsten Gesprächs zwischen Commissioner Russell und seinem alten Freund Kane. Atemlos wäre – gerade aus heutiger Sicht – vielleicht das falsche Wort, doch gelingt es Siegel durchaus – auch durch die famose Kameraarbeit von Russell Metty, die viel des damals gerade beginnenden „New Hollywood“ aufgreift und uns nahezu schmucklose Bilder von New Yorks Straßen liefert – den Spannungsbogen hoch, den Zuschauer in ständiger innerer Bewegung und die Handlung selbst (die im Grunde nicht viel zu erzählen hat) rasant zu halten und zu gestalten. So werden die gut 100 Minuten Filmzeit nie langweilig, obwohl der Film wenig Action bietet und sich in den wenigen echten Actionsequenzen dezent zurück hält. Hier wird wenig Handlung zugunsten von Verfolgungsjagden oder Schießereien preisgegeben. Es entsteht wirklich der Eindruck, der Film wolle drei Tage herkömmliche Polizeiarbeit beschreiben. Dazu trägt bei, daß er einige Handlungsstränge schlicht offen läßt. Und sich – gerade in der allerletzten Szene des Films – auch genau dazu bekennt.

Im Grunde ein liberaler Film, da er die Polizisten weder als Rassisten darstellt – wie dies Friedkin es in FRENCH CONNECTION (1971) fast denunziatorisch tut (und dabei natürlich bei aller Ambivalenz einen der besten Polizeifilme aller Zeiten abliefert) – noch Verbrecher als zu tötendes Wild – wie Siegel es in seinem eigenen DIRTY HARRY (1971) drei Jahre später dann geradezu lustvoll zelebriert – , gelingt MADIGAN eine interessante und ganz treffende Analyse seiner Zeit: Obwohl man wenig im Film von den Umwälzungen sieht, die gerade die Jahre 67/68/69 mit sich brachten, spürt man diese umso mehr. Madigans Frau, die sich beschwert, daß er ihr nicht zur Verfügung steht – weder als Partner im Bett, noch als Partner auf der Tanzfläche – ist das offensichtlichste Beispiel, doch auch Russellls Zweifel an der eigenen Intoleranz gegenüber Korruption und die sich dahinter verbergende Frage danach, ob ein einmaliger Fehler, individuell betrachtet, verzeihbar ist, deuten auf die Zeichen der Zeit.

MADIGAN ist ein klassischer Polizeifilm, spannend, ohne dem Zuschauer das herkömmliche Spektakel zu bieten, getragen von hervorragenden Schauspielern, einem coolen Soundtrack und Bildern von den Straßen der Stadt, die ihm hohe Authentizität geben. Siegel, ideologisch schwer einzuordnen, allerdings ausgestattet mit einem pessimistischen Blick auf die Welt und einer Vorliebe für brachiale Lösungen, wovon vor allem DIRTY HARRY zeugt, dreht hier fast einen sozialrealistischen Film, der sich gelegentlich sogar ein Augenzwinkern gönnt in der Betrachtung der kleinen menschlichen Schwächen, die aber letztlich die verrottete Gesellschaft definieren, gegen die Harry Callahan später Sturm laufen wird.

Siegel betätigt sich hier als Beobachter einer neu anbrechenden Zeit, die nicht nur neue kulturelle und soziale Entwicklungen mit sich bringt, sondern auch neue Formen erfordert, neue sitlistische Elemente, um sie einzufangen und darzustellen. Auch DIRTY HARRY wird von dem distanzierten Blick geprägt sein, den Siegel hier bereits einübt. Doch wird dort aus der neutral wirkenden Kamera in MADIGAN eine scharf urteilende werden. Sie wird dem abwägenden, kühlen Blick des Protagonisten entsprechen. UNd dieser ist ein Jäger.

Die Distanz der Filme zueinander ist in etwa der Abstand einer Analyse zu ihrer fiktionalen Bearbeitung. In MADIGAN beobachtet Siegel die Mißstände, die er in DIRTY HARRY anprangern wird. Und liefert nebenher einen kleinen, packenden Straßenthriller ab.

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