OWNING MAHOWNY

Ein existenzialistisches Spieler-Drama mit dem großen Philip Seymour Hoffman

Dan Mahowny (Philip Seymour Hoffman) lebt ein unauffälliges Leben in Toronto. Er ist Angestellter einer Bank, der als vertrauenswürdig, zuverlässig und sehr geschickt in seinem Bereich und im Umgang auch mit schwierigen Kunden gilt. Deshalb hat er gerade eine Gehaltserhöhung erhalten und ist in den Vorstand der Bank – als jüngstes Mitglied – aufgerückt.

Dan und seine Freundin Belinda (Minnie Driver), die ebenfalls in der Bank arbeitet, wollen zusammenziehen und haben sich deshalb eine gemütliche, nicht allzu große Wohnung gesucht. Trotz seines guten Gehalts hat Dan im Grunde keine Ansprüche. Er fährt ein uraltes Auto und ist an Luxus überhaupt nicht interessiert. Doch Dan hat ein Laster, er ist spielsüchtig.

Er spielt alles, was sich ihm bietet – Black Jack, gelegentlich Poker, er würfelt, er setzt bei Sportwetten. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit fliegt er nach Atlantic City, wo er im Casino spielt. In Toronto hat er sich auf der Pferderennbahn mit Frank Perlin (Maury Chaykin) eingelassen. Perlin ist ein zwar recht freundlicher, aber knallharter Wettanbieter. Dan hat Schulden bei ihm, die er mal mit Gewinnen aus anderen Spielen ausgleicht, zusehends aber auch mit unterschlagenem Geld aus der Bank.

Dan hat sich ein ganzes System aus Wechseln, Überziehungskrediten und sogar einem komplett erfundenen Kunden ausgedacht. Doch werden die Beträge, die er auf diese Weise einstreicht, immer größer und unverhältnismäßiger.

In Atlantic City ist der Casinobetreiber Victor Foss (John Hurt) auf ihn aufmerksam geworden. Er tut alles, um Dan zu schmeicheln, zumal er begreift, daß Dan ein wilder Spieler ist, ohne System, ohne Limit. Wieviel er auch immer gewinnen mag, er scheint nicht zufrieden, bis er alles wieder verloren hat. Deshalb bietet Foss Dan Limousinen-Service, Essen frei Haus und große Suiten im dem Casino angeschlossenen Hotel, inklusive Damenbesuch. Nur lehnt Dan all diese Vergünstigungen ab. Er will seine Ruhe haben und spielen.

Dan nimmt einmal seinen Freund Bill (Roger Dunn) nach Atlantic City mit. Nachdem er sehr viel Geld gewonnen hat, gibt er seinem Kollegen und Freund 40.000 Dollar. Bill solle sie verwalten, egal was Dan später sage. Doch als Dan das Geld nachdringlich einfordert, händigt Bill es aus. Auch diesen Betrag verspielt Dan komplett, Bill ahnt, daß Dan in Schwierigkeiten steckt.

Belinda weiß um Dans Spielerei, sieht aber nicht das Ausmaß seiner Sucht. Dan nimmt sie mit auf ein Wochenende in Las Vegas. Belinda hält dies für ein gemeinsames Wochenende, insgeheim hegt sie sogar die Hoffnung, Dan würde sie um ihre Hand anhalten. Doch nachmittags verschwindet Dan aus dem Hotelzimmer, spät am Abend findet Belinda ihn am Würfeltisch.

Die Situation zwischen Dan und Belinda spitzt sich zu. Sie wirft ihm vor, sie zu vernachlässigen, zudem konfrontiert sie ihn offen mit seiner Sucht. Dan lehnt den Begriff ab, er habe ein „kleines finanzielles Problem“, er sei aber nicht süchtig.

Foss ist alarmiert, als er erfährt, daß Dan in Las Vegas war. Er setzt alles in Bewegung, Dan wieder nach Atlantic City zu lotsen. Dafür lässt er sich sogar auf ein kompliziertes System von Vollmachten und Geldüberweisungen zwischen Las Vegas, Toronto und Atlantic City ein, damit Dan nicht jedes Mal, wenn er kommt, große Bargeldsummen über die Grenzen schmuggeln muß. Dafür setzt Dan Perlin als seinen Bevollmächtigten ein, der ihm Geld aus Toronto überweisen soll.

Was weder Perlin noch Dan ahnen, ist, daß die Polizei von Toronto lange schon an Perlin dran ist. Sie überwachen ihn, hören seine Telefone ab und beschatten ihn und seinen Adlatus. So gerät auch Dan auf ihren Radar. Nach einer enormen Transaktion, bei der nahezu anderthalb Millionen Dollar transferiert werden, glauben die Ermittler, es mit einem Drogendeal zu tun zu haben.

In Atlantic City erlebt Dan einen nahezu kathartischen Augenblick, als er über 9 Millionen Dollar gewinnt. Bernie (Chris Collins), ein junger Page, den Foss Dan zur Seite gestellt hat, damit der sich um Mahownys Wohl kümmert und der jedes Mal gefeuert wird, wenn irgendetwas mit Dan nicht stimmt, flüstert Dan zu, er solle aufhören, er solle das Geld nehmen und gehen. Doch Dan kann nicht anders, als weiterspielen. Er steckt im Tunnel.

Auf einem Flug in einem Lear Jet, den Foss ihm zur Verfügung gestellt hatte, wurde Dan von einer Casino-Angestellten, die ihn begleitet, gefragt, weshalb er spiele, sie verstehe das nicht. Dan erklärt ihr, daß es um den Moment des Spielens ginge, nicht um Gewinn oder Sieg. Denn in jedem einzelnen Spiel gewinne und verlöre man, das eine ergebe sich aus dem andern.

Genau dieser Philosophie scheint Dan gnadenlos und uneingeschränkt zu folgen.

Als er am Morgen nach seinem Riesengewinn und dessen Verlust zurück nach Toronto kommt, setzen ihn die Ermittler fest. Auch Belinda und dreizehn andere Angestellte der Bank werden festgenommen und von ihrem Arbeitgeber suspendiert. Bei seiner Verhaftung bittet Dan darum, seinen Arbeitgeber anrufen zu dürfen, weil er nun zu spät komme.

Dana Selkirk (Sonja Smits), eine Kundin der Bank, der Dan immer wieder geholfen hat, ihre Kreditlinie auszuweiten, stellt die Kaution für Dan. Dessen Geschichte bestimmt mittlerweile die Schlagzeilen. Kaum einer seiner Vorgesetzten kann sich vorstellen, daß der biedere Dan Mahowny durchgezogen hat, was ihm nun vorgeworfen wird.

Bei einer Therapiesitzung fragt der Therapeut Dan, wo auf einer Skala von 0 bis 100 er sein Glücksgefühl verorten würde, wenn er spielt. Dan antwortet sofort: bei Einhundert. Und wo es bei seinen anderen Tätigkeiten angesiedelt sei? Dan denkt nach und sagt dann, bei zwanzig. Wie er damit zurecht käme, nie wieder diese 100 Punkte zu erreichen. Das sei okay, erwidert Dan, zwanzig sei gut, das reiche ihm.

Eine Tafel informiert darüber, daß Dan nach einigen Jahren Haft entlassen wurde, Belinda, die auch in seiner größten Niederlage zu ihm gehalten hat, heiratete und nie wieder ein Casino betrat.

Richard Kwietnioskis Film OWNING MAHOWNY (2003) kann getrost in die Riege der großen Spieler-Filme eingereiht werden. Ob Norman Jewisons THE CINCINNATI KID (1965) oder John Dahls ROUNDERS (1998) – Kwietnioskis Werk braucht sich hinter keinem dieser Filme zu verstecken.

Basierend auf einer wahren Begebenheit, als welche der größte je von einem einzelnen durchgeführten Bankenbetrug in der Geschichte Kanadas einging, nach einem Drehbuch von Maurice Chauvet, erzählt Kwietnioski von Dan Mahowny, einem unscheinbaren aber vertrauensvollen Bankangestellten in Toronto, der in den Jahren 1980 bis 82 mit gefälschten Bankkonten, Wechseln und Überbrückungskrediten Millionenbeträge in Spielcasinos in Atlantic City, in Las Vegas, aber auch bei lokalen Wettanbietern verschleuderte. Die Polizei kommt ihm schließlich auf die Schliche, weil er im Umfeld von Abhöraktionen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens auftaucht. Eher zufällig wird der Bankbetrug selbst aufgeklärt, eigentlich rechneten die Ermittler mit einem Drogendeal.

Der viel zu früh verstorbene Philip Seymour Hoffman verleiht diesem Dan Mahowny die Aura des Gewöhnlichen, zugleich überzeugt er als ein Mann, der vielleicht süchtig ist (so würde man es nach normalen Kriterien wohl nennen müssen), der sich aber immer gleich bleibt, nie aus der Rolle fällt, höchstens ist ihm anzumerken, wie er am Spieltisch in einen Tunnel abtaucht, aus dem er erst wieder hervorkommt, wenn er alles – auch seine Gewinne – wieder verloren hat. Und wenn dies 48stündige Sitzungen an Black-Jack-Tischen oder Wettbüros bedeutet. Hoffman liefert hier eine weitere bravouröse Leistung in seiner an bravourösen Leistungen so reichen Karriere ab.

Mahowny ist kein professioneller Spieler – die sind meist eben nicht süchtig, sondern kühl kalkulierende Profis, die genau wissen, wo ihr Limit liegt – sondern ein im Grunde unbedeutender Mann, der am Spieltisch ein Abenteuer erlebt – das Leben verdichtet auf das Spiel, ein Mann, dem es nur um den Thrill des Spielens, weniger den des Gewinnens und auch nicht den des Verlierens geht. Er macht seinen Job gut, schnell und genau erledigt er seine Aufgaben, weshalb er hoch angesehen bei seinen Vorgesetzten ist, die sich, mit seinen Betrügereien konfrontiert, nicht vorstellen können, daß ausgerechnet dieser Kerl alle Sicherheitssysteme in der Bank hat überlisten können. Darunter auch einen strengen Revisor. Immer wieder rückt Oliver Curtis´ Kamera Hoffman sehr, sehr nah, zeigt sein Gesicht in Großaufnahmen, leinwandfüllend, manchmal auch nur Detailaufnahmen dieses Gesichts, die Augen, die schwitzende Stirn, den verkniffenen Mund.

Es ist völlig Hoffmans Schauspielkunst – und nicht umsonst hatte er den Ruf, einer der besten Schauspieler seiner Generation zu sein – überlassen, in diesen Einstellungen, manchmal quälend lange Einstellungen, die Tragik dieses Mannes auszudrücken. Und Mahowny ist ein tragischer Mann. In der Figur des Dan Mahowny kommt OWNING MAHOWNY einem Film wie THE CINCINNATI KID sehr nah, denn die Motivation der Hauptfigur Eric Stoner in Jewisons Film ist eine ganz ähnliche: Das Spiel als existenzialistischer Moment, als Metapher für ein Leben, das letztlich sinnlos zu vergehen scheint. Anders aber als der von Steve McQueen in einer seiner besten Performances mit aller Coolness, derer er fähig war, gespielte Profi Stoner, ist Mahowny alles andere als abgebrüht. Er ist ein einsamer Mann.

Er weiß um seine Verfehlungen, er versteht, was mit ihm los ist, doch scheint er auch zu wissen, daß das Spielen das einzige in seinem Leben ist, das ihm Sinn verleiht. Seine Freundin Belinda möchte von ihm geheiratet werden, sie träumt von einer festen, ehrlichen Beziehung zu ihm, die beiden wollen zusammenziehen, doch Mahowny, der nicht verschlagen oder gar zynisch ist, weicht ihr immer wieder aus, verlässt nachts die Wohnung, fliegt nach Atlantic City oder er verlässt bei einem gemeinsamen Las-Vegas-Aufenthalt das Hotelzimmer, um sich am Würfeltisch zu verlieren. Hier – und auch das schafft Hoffman nahezu perfekt zu zeigen – und nur hier kommt Mahowny zu sich selbst, hier kann er sein. Einmal erklärt er einer wirklich interessierten Frau, die nicht versteht, warum Menschen spielen, daß in jedem Spiel, immer, Sieg und Niederlage angelegt sind und er beides immer empfinde, den Sieg und die Niederlage, unabhängig davon, ob er gewinne oder verliere. Näher kommt der Film nie an Dan Mahownys wahren Kern heran.

Kwietnioski macht aus all dem kein Schelmenstück, auch keine Komödie, wenn es auch durchaus satirische Momente gibt. Gerade die Figur des von John Hurt gespielte Casino-Betreiber Victor Foss hat immer wieder Szenen, die fast komisch sind, in welchen er Angestellte willkürlich entlässt und wieder einstellt, in denen er Mahowny durch das Casino hinterherdackelt und ihn hofiert, verliert dieser Mann doch riesige Beträge, die an seinen Spieltischen eingestrichen werden. Er versucht, Mahowny ununterbrochen zu locken, bietet ihm edle Speisen, die teuersten Suiten im angeschlossenen Hotel, lässt dort Prostituierte auflaufen – alles nutzlose Bemühungen, denn Dan Mahowny ist an keinen dieser Vergünstigungen interessiert. Er entspricht nicht jenen typischen Spielern, die es mal ein Wochenende krachen lassen, sondern ist ein Getriebener, der eigentlich in Ruhe gelassen werden will. Kwietnioski zeigt das Casino als einen sterilen, kalten Raum, selbst Las Vegas glitzert hier nicht. Die Straßen, durch die Mahowny durch Toronto fährt, sind trist und oft heruntergekommen, was maximal mit der gediegenen Ausstattung der Bank und vor allem der Vorstandsetagen dort kontrastiert. Die Welt zu Beginn der 80er Jahre, die der Film entwirft, ist eine kalte und recht runtergekommene Welt.

Anders als Doug Liman in AMERICAN MADE (2017), ebenfalls auf der wahren Geschichte eines der größten Drogenschmuggler und Hasardeure der jüngeren amerikanischen Geschichte beruhend, der seinen Helden als echten Schelm, als einen Filou inszeniert, arbeitet Kwietnioski vor allem aber die Tragik dieser Figur, Dan Mahowny, heraus. Folgt man Tom Cruise in Limans Film belustigt bei seinen immer aberwitzigeren Flügen für die CIA und das kolumbianische Drogenkartell, einfach weil die Geschichte an sich schon vollkommen irrwitzig ist, bangt man um Dan Mahwony, wünscht ihm, daß er zur Besinnung kommt. Denn seine Betrügereien wirken nicht wie das ausbaldowerte System eines genialen Trickbetrügers, sondern wie verzweifelte Versuche, den Kopf über Wasser zu halten.

Die Verlorenheit, auch Einsamkeit, die von ihm ausgehen, seine offenbare Schwäche, tragfähige emotionale Bindungen selbst zu Menschen herzustellen, die er liebt, sind evident und lassen diesen Mann völlig abgekapselt wirken. Man nimmt ihm seine Liebe zu Belinda ab, aber sie kann ihn nicht retten. Von solchen Sentimentalitäten ist Kwietnioski weit, weit entfernt. Mahownys Gefühle zu Belinda erscheinen echt, in gewisser Weise ist sie eine Art Rettungsanker, ein Halt, eine Verbindung zu einer Normalität, in die sich Mahowny eingliedert, der er entstammt, die seinem Wesen nach seine eigene Normalität ist. Aber es ist keine Liebe, in der er aufgeht. Auch ist er nicht an Reichtum interessiert, es geht ihm nicht um tolle Autos, große Häuser, um ein Vermögen. Es geht ihm, vielleicht wie einem Borderliner, der sich ritzt, um sich zu fühlen, darum, sich zu spüren, sein eigentliches Selbst zu empfinden. Am Ende des Films sitzt er in einer psychotherapeutischen Sitzung und wird gefragt, wie der Glücksfaktor beim Spielen ist, auf einer Skala von 0 bis 100. Sofort antwortet Mahowny, es seien die vollen 100 Punkte. Und bei allen anderen Dingen in seinem Leben? Mahowny denkt nach, erneut betrachtet die Kamera reglos dieses Gesicht, das ausdrückt, wie da jemand in sich sucht, eine Wahrheit sucht, dann antwortet er: 20. Beide, Mahowny und der Therapeut, schweigen einen Moment, dann sagt Dan Mahowny, daß er denke, 20 sei ein guter Wert, damit könne er leben.

OWNING MAHOWNY ist ein im Grunde stiller Film, ein eher langsamer Film, der seine Protagonisten sehr ernst nimmt, sich ihrer Geschichte mit Respekt annimmt, auch Figuren wie Belinda und Mahownys Kollegen und Freund Bill und den schmierigen Wettanbieter Frank Perlin. Sie alle wirken wie Menschen, die in Leben eingebunden sind, die sie sich nicht ausgesucht haben, die sie mit ihren manchmal offenen, manchmal verborgenen Regeln im Griff halten, denen sie nicht entkommen können. Am Ende des Films werden wir unterrichtet, daß es Mahowny, nachdem er eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt hatte, gelungen ist, nie mehr zu spielen, nie wieder ein Casino zu betreten, daß er zurück in ein bürgerliches Leben an der Seite Belindas gefunden habe. Man freut sich, daß diese ganze Geschichte so vermeintlich glimpflich für Dan Mahowny ausgegangen ist. Zugleich ahnt man aber auch, daß das bürgerliche Leben, das ihm später möglich war, eben nur 20 Punkten auf einer Skala von 0 bis 100 entspricht. Nie wieder wird er sich so gespürt haben, wie in diesen Stunden, die er an einem Spieltisch verbracht hat. Und auch das ist in gewisser Weise tragisch – und traurig.

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