PARASITEN-MÖRDER/SHIVERS
David Cronenbergs Langfilm-Debut bündelt schon viele der Themen, die sein Werk bestimmen sollten
In einem hochmodernen Wohnkomplex in Montréal kommt es zu einem fürchterlichen Vorfall: Dr. Emil Hobbes (Fred Döderlein) ermordet eine junge Frau auf bestialische Weise, öffnet der Toten dann die Bauchdecke, gießt eine Säure hinein und tötet dann sich selbst.
Die Polizei findet schnell heraus, daß der Wissenschaftler mit einem neuartigen Parasiten experimentierte, mit dessen Hilfe es gelingen sollte, Organe nachwachsen zu lassen. So sollten zukünftig Organtransplantationen überflüssig werden.
Der im Haus angesiedelte Arzt Dr. Roger St. Luc (Paul Hampton) wird zu verschiedenen Notfällen gerufen. Unter anderem bittet ihn die junge Janine Tudor (Susan Petrie) um Hilfe, da ihr Mann Nick (Allan Kolman) seltsame Symptome zeigt. Er sei kaum mehr er selbst, beschreibt sie seinen Zustand.
Nick, der Janine mit eben jener Toten betrog, die Professor Hobbes getötet hatte, stellt an sich selbst fest, daß etwas in ihm zu leben scheint. Seine Bauchdecke hebt und senkt sich ohne Unterlaß, ihm ist übel und er erbricht mehrfach seltsame schleimige Bröckchen.
Janine ihrerseits sucht Hilfe bei ihrer Freundin Betts (Barbara Steele), die ebenfalls im Haus wohnt. Diese ist ein Freigeist, zeigt ein gewisses erotisches Interesse an Janine und führt sie unter anderem in die Welt des Yoga und der Meditation ein.
Roger St. Luc bittet seine Assistentin Forsythe (Lynn Lowry), die Praxis den Nachmittag über zu versorgen. Er nimmt Kontakt zu seinem alten Freund und Mentor Rollo Linsky (Joe Silver) auf. Er berichtet ihm von den Vorkommnissen im Haus. Linsky erzählt im Gegenzug, daß er mit Hobbes zusammengearbeitet habe. Er weiß um dessen Experimente, befürchtet aber, daß wahr geworden ist, wovor er Hobbes immer gewarnt habe: Der Parasit sei mutiert, habe sich selbstständig gemacht und sei nun eine Gefahr für die Menschheit. Er befalle seine Wirtskörper durch jede erdenkliche Körperöffnung, dringe in den Organismus ein, befeure die Triebstruktur des Wirtes, woraufhin dieser einen unglaublichen Heißhunger auf Fleisch und eine ebensolche Geilheit entwickle. Die Befallenen fielen über alles und jeden her. Linsky erklärt seinem Kollegen, dieser solle die Stellung halten, er komme zum Gebäudekomplex.
Derweil hat sich die Lage dort zugespitzt. Immer mehr Menschen im Gebäude werden von dem wurmartigen Parasiten befallen, darunter auch Betts. Diese wiederum gibt ihn auch an Janine weiter.
Nick wird inzwischen von dem Parasiten nahezu zerfleischt. Auch Forsythe macht eine unheimliche Begegnung mit dem Tier. Roger merkt bald, daß er der letzte Mensch im Gebäude zu sein scheint, der nicht befallen ist. In den Gängen des Hauses, in den einzelnen Wohnungen, in den Aufzügen und selbst im hauseigenen Schwimmbad finden Orgien statt, die meist in fürchterliche Schlachtfeste ausarten.
Linsky, der abends beim Haus ankommt, findet unter Hobbes´ Sachen den Beweis für seine Vermutungen, wird aber selbst Opfer der zombifizierten Bewohner des Hauses.
Roger versucht, aus dem Haus zu gelangen. Die Eingänge sind versperrt, er flüchtet sich in das Schwimmbad, wo er auf Janine und Betts sowie Forsythe trifft – alle offenbar bereits Opfer des Parasiten. Als er durch einen der Ausgänge in die Grünanlage flieht, rennt er geradezu in eine Armee aus Zombies. Er flüchtet sich wieder ins Bad, wo die Damen ihn in Empfang nehmen.
Im Morgengrauen gleiten die Rolltore der Tiefgarage des Wohnkomplexes auf und in einem langen Korso gleiten die Wagen der Bewohner in den kanadischen Morgen. Mit ihnen der Parasit…
Ist immer so eine Sache mit den Erstlingswerken. Manchmal bekommt man das Debut eines verehrten Regisseurs erst Jahre, nachdem man ihn entdeckt hat, zu Gesicht. Manchmal ist man bitterlich enttäuscht, oft aber glaubt man, hier das Ursprüngliche, die zugrundeliegende Kraft eines Gesamt-Oeuvres schon gebündelt besichtigen zu dürfen. Interessanterweise sind viele Erstlingswerke auch großer Regisseure im Genre-Kino angesiedelt und hierbei oft im Bereich Horror/Science-Fiction oder Fantasy. Das mag an den Stoffen liegen, daran, daß bspw. etwas Unheimliches oft mit vergleichsweise einfachen Mitteln herstellbar ist. Im Horrorfilm kann man sich austoben, Tabus verletzen, man darf aber vor allem seiner Kreativität freien Lauf lassen, da genau diese gefragt ist, um niedrige Budgets und eher bescheidende schauspielerische Fähigkeiten zu kaschieren. Viele Regisseure, die sich hier versucht haben, feierten später aber in ganz anderen Genres oder mit anderen Themen ihre großen Erfolge. Einige aber blieben sich treu, scheinen schon früh gewusst zu haben, was sie wollen und wie sie dorthin gelangen. Sie folgen oft einer Spur, bedienen ein bestimmtes Thema, verschreiben sich einer Philosophie und erreichen doch den Status jener Autoren-Regisseure, die zu den größten der Branche gehören. Zu diesen Ausnahmen gehört David Cronenberg.
Der Kanadier hatte mit zwei Kurzfilmen Aufsehen erregt, bevor es ihm gelang, Mitte der 70er Jahre ein Budget auf die Beine zu stellen, um seinen ersten Langfilm zu realisieren. SHIVERS (1975) sollte er heißen und schon viel vorwegnehmen, was in den folgenden Jahren und Dekaden zu einem Cronenbergs Werk durchziehenden Thema werden sollte: Die Metamorphose des Körpers, seine Reaktion auf destruktive äußere Einflüsse. Body-Horror sollte später der Begriff werden, diese spezielle Spielart des physischen Horrorfilms zu charakterisieren, wobei es auch darum ging, eine Abgrenzung zu jenen Vertretern zu markieren, die unter dem Begriff Splatter-Film subsumiert wurden. Ging es Letzteren darum, Destruktionsorgien am menschlichen Körper zu zeigen, wobei der Effekt grundlegend schwerer wog als Inhalt und Repräsentation, wollte der Body-Horror durchaus auch einen intellektuellen, manchmal philosophischen Zugang zum Thema. Cronenberg selbst lehnt den Begriff ab, bzw. möchte generell nicht als Teil einer Bewegung oder einer bestimmten Schule betrachtet werden, daß seine frühen Filme aber immer wieder auf die grundlegende Veränderung des Körpers als materiellem Ausdruck unseres Da-Seins zurückkommen, ist nun einmal nicht zu bestreiten. Erst Ende der 80er Jahre wendete er sich von diesem Konzept ab und näherte sich mit Filmen wie DEAD RINGERS (1988) oder NAKED LUNCH (1991) der eher psychischen Komponente des Themas zu.
In SHIVERS kann man allerdings sehr genau beobachten, wie der Regisseur noch nach seinem Ausdruck sucht und zugleich schon eine trotz aller boulevardesken Grundthematik ausgeprägte intellektuelle Sicht präsentiert. Seiner Zeit entsprechend – die 70er Jahre waren ein Krisenjahrzehnt, in welchem dem Großteil der westlichen Welt erstmals bewußt wurde, daß sich der Lebensstil, dem man frönte, nicht würde aufrechterhalten lassen, wollte man es mit den Bedrohungen der Zukunft, bspw. der Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, aufnehmen – ist der Film von einer düsteren Atmosphäre geprägt, verzichtet auf ein Happyend und gibt sich nicht nur konsum- und kommerzkritisch, sondern drückt auch eine tiefsitzende Skepsis gegenüber den Errungenschaften der Technik und modernen Technologie aus. Zudem bietet er einen für die Mitte der 70er Jahre doch erstaunlichen Blutzoll und ein gerüttelt´ Maß an Gore-Szenen.
Angesiedelt in einem hochmodernen Wohnkomplex, der dem Zuschauer während des Vorspanns in einer Art Werbefilm vorgestellt wird, einem Gebäude, das derart gut mit allen Vorzügen des modernen Lebens ausgestattet ist, daß der Bewohner es im Grunde sein Leben lang nicht mehr verlassen muß, wird hier eine krude Geschichte um die Ausbreitung eines Parasiten erzählt, der ursprünglich dazu gedacht war, Organtransplantationen überflüssig zu machen, der sich dann aber offenbar selbstständig gemacht hat und nun den Sexualtrieb seiner Wirtspersonen derart steigert, daß diese sich zu dauergeilen Sex-Monstern entwickeln, die ihren unliebsamen Bewohner per Geschlechtsverkehr immer schneller verbreiten. Da die Befallenen eh schon wie geistlose Wesen wirken, also eine gewisse Ähnlichkeit mit den damals gerade in Mode kommenden Zombies aufwiesen, lassen Drehbuch und Regie sie gleich auch noch Menschenfleisch fressen, was für ein paar zusätzliche Ekel-Sequenzen sorgt. Für das Drehbuch zeichnete übrigens – in bester Auteur-Tradition – ebenfalls David Cronenberg verantwortlich.
Gerade anhand solcher logischen Schwächen, von denen der Film einige aufweist, kann man erkennen, wie Cronenberg noch tastet und sucht, Maß und Mitte finden will, ausprobiert, was funktioniert und wo er über das Ziel hinausschießt. Obwohl die Inszenierung im Großen und Ganzen funktioniert, kann man doch durchaus noch Schwachpunkte ausmachen. So weist der Film ein eher gemächliches Tempo auf, manche Anschlüsse geraten etwas holprig, der Film hat definitiv seine Schwierigkeiten, glaubwürdig zu wirken. Es kostet sichtlich einige Mühe, dem Zuschauer die der Handlung zugrundeliegende Problematik zu vermitteln, was, wie so oft in eher mittelmäßigen Horrorfilmen, dann irgendwer übernehmen muß, der entweder ein Rätsel lösen will oder mit der Aufklärung eines Verbrechens beauftragt ist. So auch hier: Nachdem wir sehr unvermittelt einem sich hinziehenden Mord an einer jungen Frau beiwohnen durften, Zeugen werden, wie der Mörder – ein distinguierter älterer Herr, dessen Erscheinungsbild uns zumindest vermuten lässt, es mit einer Autoritätsperson zu tun zu haben – sein Opfer aufschneidet und eine offensichtlich ätzende Säure in ihren Bauchraum gießt, nur um sich anschließend mit einem Skalpell selbst die Kehle durchzuschneiden, erklärt anschließend ein subalterner Polizist seinem Vorgesetzten und damit auch dem Zuschauer, um wen es sich bei den Toten handelt und weshalb der Herr Professor – um einen solchen nämlich handelt es sich – getan hat, was er getan hat. Cronenberg dreht hier immerhin ein wenig am Topos des Mad Scientist, jener Figur des verrückten Wissenschaftlers, der in menschlicher Hybris glaubt, selbst zum Schöpfer werden zu können. Denn dieser Professor hat offenbar selbst eingesehen, daß sein Experiment – er war der Entwickler hinter jenem Parasiten, der Organe nachwachsen lassen sollte – gescheitert ist. Der Mord und die anschließende Verstümmelung des Opfers war der Versuch, das schlimmste zu verhindern: Die Ausbreitung des Parasiten in Form eines phallusartigen Wurms.
Festzuhalten ist, daß die Kreatur, die sich in einer der ekelerregendsten Szenen – und ganz unblutig – durch den Abfluß einer Badewanne der großen Barbara Steele, Ikone des 60er-Jahre-Horrorfilms, unsittlich nähert und in sie eindringt, was sie ebenfalls zu einer Sex-Bestie mutieren lässt, durchaus gelungen ist. Gleiches gilt für die Gore-Effekte. Cronenberg, sich seines begrenzten Budgets bewußt, verzichtet auf Splatter-Szenen, die möglicherweise wenig überzeugend und dann schnell lächerlich wirken, und kapriziert sich eher auf die ebenso blutigen wie schleimigen Folgen der Attacken des Parasiten. Andere Effekte – u.a. die Bauchdecke eines bereits Befallenen, die sich ununterbrochen hebt und senkt, beult und wieder zusammenzieht – sind ebenfalls überzeugend in Szene gesetzt. Doch wirklich gelungen ist die Atmosphäre, die Cronenberg kreiert. Den Gebäudekomplex – gedreht wurde im Starliner Apartment Building in Montréal – setzt er kalt und fast aseptisch in Szene. Lange, leere Gänge, kalte Treppenläufe aus Beton, viel Glas und Chrom, also bereits jene Ingredienzien, die die Architektur der 80er Jahre bestimmen sollten, lassen die Menschen, die sich darin bewegen, entfremdet, ja, wie Fremdkörper wirken. So wenig Bewohner wir zu Gesicht bekommen, solange hier noch alles seinen gewohnten Gang geht, so schnell bevölkern sich die Flure, je mehr dieser Bewohner infiziert sind. Es hat durchaus auch etwas Komisches und den auch satirischen Aspekt des Films Unterstreichendes, wenn sie übereinander herfallen und in wilden Orgien ihren nun überbordenden Gelüsten freien Lauf lassen. Oder einander anzuknabbern beginnen. Wirklicher Schrecken kommt allerdings nur selten auf.
Der entsteht eher, als die Hauptfigur, der Arzt Roger St. Luc, schließlich versucht, dem Gebäude zu entkommen, sich in die umliegende Grünanlage flüchtet und dort einer sich nach und nach aus den Schatten lösenden Armee aus infizierten gegenübersieht, die sich ihm wankend nähern. Es ist ein großartiges Bild, wie sich diese Gestalten aus der Dunkelheit lösen und man nur langsam gewahr wird, wie viele Zombies es eigentlich sind, die auf das Gebäude zustreben. Ein Bild übrigens, daß der Urvater des modernen Zombie-Horrors., George a. Romero, in LAND OF THE DEAD (2005), dem offiziell vierten Teil seiner Zombie-Saga, zitiert, wenn er seine Zombies wie eine Geisterarmee einem Fluß entsteigen lässt. Die Schlußeinstellung in Cronenbergs Film ist ihrerseits eine Reminiszenz an einen wegweisenden Horrorfilm, der ca. zehn Jahre zuvor für Furore sorgte. Denn wie in Roman Polanskis THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (1967) am Ende der „Vampir-Bazillus“ in die Welt getragen wird, so sehen wir hier, wie die Bewohner den hypermodernen Gebäudekomplex in einem langen Autokorso verlassen und den Parasiten so in die Welt tragen. Es gibt für keinen der Betroffenen ein Entkommen.
Mit SHIVERS ist David Cronenberg eine durchaus schon dem Geist des damals aufkommenden Punks entsprechende Dystopie gelungen, die der modernen Gesellschaft, die sich auf Kommerz und Konsum konzentriert, reine Dekadenz unterstellt und zugleich zeigt, wohin Dekadenz in ihrer letzten Konsequenz führt: In reinen Atavismus nämlich. Ein unkontrollierter Trieb, Sex und Gewalt, schlummert direkt unter der Oberfläche des zivilisierten Menschen in seinen eingehegten Räumen und Träumen. Am Ende der Zivilisation finden wir also nichts weiter als uns selbst in Gestalt wieder auferstandener Barbaren. Es ist ein roher, grausamer und sich durchaus auch an seiner Grausamkeit delektierender Film, der deutlich auf das verweist, was da im Werk dieses damals 32jährigen Regisseurs noch kommen sollte. Mal mehr, mal weniger gelungen, entwickelte Cronenberg eine Agenda, ein Lebensthema, durchaus vergleichbar mit Größen der Filmkunst wie John Ford, Ingmar Bergman, Stanley Kubrick oder Jean-Luc Godard, mit dem Cronenberg weitaus mehr gemein hat, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Cronenberg widmete sich in den folgenden anderthalb Dekaden dem Thema des sich wandelnden Körpers, der ungeheuren physischen wie psychischen Kräften ausgesetzt ist. Er wurde subtiler, hintersinniger, auch intellektuell ansprechender und schärfer. Und doch bietet SHIVERS die Blaupause für das Folgende. Und ist zugleich auch einer der überzeugendsten Horrorfilme der 70er Jahre.