PLAY IT AS IT LAYS

Joan Didion berichtet aus der Hölle Hollywood

Der Leser mag geneigt sein, Joan Didions frühen Roman PLAY IT AS IT LAYS (1970; Dt. SPIEL DEIN SPIEL, 1980; hier unter dem Originaltitel in der Neuübersetzung von Antje Rávik Strubel) aufgrund des Umfelds in dem er spielt – Hollywood – und aufgrund einiger der Protagonisten, die darin vorkommen – lässige Typen aus der Filmbranche, die lockeren Sex haben und gern kiffen – für cool zu halten. Tatsache jedoch ist, dass dies einer der kältesten Romane der amerikanischen Moderne sein dürfte. Ob hier der Niedergang einer einsamen und letztlich auch verstörten Frau in eben jenem Umfeld beschrieben wird, oder aber das Umfeld die eigentliche Hauptrolle dieses Romans spielt, ob also die Verfasstheit der Hauptprotagonistin Maria Wyeth unabhängig von ihrem Umfeld entstanden ist oder aber genau dieses Umfeld dafür verantwortlich sein mag – es ist schwer, diese beiden Aspekte voneinander zu trennen. Joan Didion, die ihrerseits genau dieses Umfeld zeitlebens kannte, erzählt hier eine jener klassischen Hollywood-Geschichten, hat einen klassischen Los-Angeles-Roman geschrieben, wie sie so vielleicht nur die 50er, 60er und vielleicht noch die 70er Jahre hervorbringen konnten. Eine Tradition, wenn man so will, die heutzutage ein Romancier wie Bret Easton Ellis aufrecht zu erhalten versucht. Gelegentlich.

Ausgehend von drei kurzen Einführungskapiteln, in denen jeweils eine Person – Maria Wyeth selbst; Helene, die im Umfeld, das der Roman beschreibt, noch am ehesten als so etwas wie eine Freundin bezeichnet werden könnte; Carter, Marias Mann und Vater ihrer Tochter Kate, die aufgrund einer Störung in einem Heim lebt – ein kurzes Schlaglicht auf die Geschehnisse wirft, wird in den dann folgenden 84, oft sehr kurzen, Kapiteln von einer Zerrüttung, einem geistigen Verfall berichtet. Zumindest muss man es aus der Sicht der Umwelt erst einmal so bezeichnen. Und durch sehr, sehr viele Dialoge, in denen Maria immer wieder in Kontakt mit ihrer Umwelt tritt, wird deren Perspektive mehr als deutlich. Ist der Leser allerdings bereit, sich auf Marias Perspektive einzulassen – und letztlich ist es konsequent ihre Perspektive, die der Roman, die Didion als Autorin einnimmt – dann ist Marias „Verfall“ möglicherweise die einzige gesunde Reaktion auf eben diese ihre Umwelt.

Maria Wyeth stammt aus einem Kaff in Nevada, das es zu Beginn der Erzählung bereits nicht mehr gibt, da es im Atombombentestgebiet der Vereinigten Staaten lag. Eine rster Verlust, wenn man so will. Maria ist in jungen Jahren nach New York gegangen, wo sie eine anfangs steil aufsteigende Karriere als Model in der Modebranche begann, dann ihren Mann Carter kennenlernte, einen aufstrebenden Jung-Filmemacher, und in dessen ersten beiden Filmen spielte, wodurch sie nach Hollywood weiterziehen konnte. Nun aber, zu Beginn des Romans, ist ihre Filmkarriere eigentlich schon wieder vorbei. Ein weiterer Verlust. Und gleich der nächste: Die Ehe mit Carter ist zerrüttet, er will die Scheidung, lebt in wilder Ehe mit seiner neuesten Entdeckung und kommt doch nicht von Maria los. Sie wird umsorgt von ihren Freunden – Helene und deren Freund oder Gatten BZ, wirklich deutlich wird deren Verbindung nicht – und ansonsten umschwirrt von Männern, die hoffen, an einem Neustart ihrer Karriere partizipieren zu können. Oder die mit ihr ins Bett wollen. Ihre Tochter Kate – bereits erwähnt – lebt in einem Heim, Maria wird der regelmäßige Zugang verwehrt. Ein letzter und vielleicht der wirkmächtigste Verlust in dieser Reihung.

Durchaus ist es möglich, Didions zweiten Roman als ein Frühwerk des aufkommenden Feminismus, einer emanzipatorischen Bewegung zu lesen. Denn ganz eindeutig und sehr klarsichtig zeigt die Autorin auf, wie eine Frau wie Maria Wyeth mindestens zum Spielball, wenn nicht zum Opfer einer von Männern definierten und dominierten Industrie wird. Und ein wenig erklärt sich die eingangs dieser Zeilen gestellte Frage auch auf diese Weise: Ist ein solches Frauen-Schicksal letztlich nicht auch unmittelbar mit eben dieser spezifisch amerikanischen Showbiz-Industrie verbunden? Man ist geneigt es so zu sehen. Dass Maria selbst durchaus „schwierig“ ist, nach männlichen Maßstäben möglicherweise zu „Hysterie“ neigt, verschweigt Didion dabei keineswegs. Die drei vorangestellten, subjektiv erzählten Kapitel – zu denen der Leser nach Beendigung der Lektüre zurückkehren wird, weil er sie dann erst wird verstehen können – beweisen ja, dass auch eine Frau wie Helene, Marias womöglich einzige Freundin, sie als schwierig und egozentrisch empfindet. Dadurch kommt sie, was den Tod ihres Mannes BZ betrifft, zu einem völlig falschen Schluss: Anders als sie es annimmt, ist dieser nicht das Opfer einer verrückten Frau geworden, als die Helene Maria betrachtet, vielmehr ist er an Marias Seite freiwillig aus dem Leben geschieden. Dieser Blick auf Maria ändert aber nichts daran, dass sie ein Spielball in den Händen vor allem von Männern ist, die sie benutzen, sie in vielerlei Hinsicht – auch sexuell – missbrauchen, sie herumschubsen und über sie zu herrschen, sie zu kontrollieren versuchen. Es läuft dem Leser bei Didions distanzierten Beschreibungen dieser Missbräuche teils eiskalt den Rücken herunter. Marias Widerständigkeit, ihre Art, sich kratzbürstig, trotzig, manchmal pubertär-verweigernd zu geben, wirkt dann zwar durchaus egozentrisch, zugleich aber eben auch wie der hilflose Versuch, dieser Kontrolle zu entkommen. Es ist Notwehr.

Da der Roman zu Beginn der 70er Jahre geschrieben wurde und Ende der 60er Jahre spielt, sollte man sich bewusst machen, dass damals noch weitaus rigidere Gesetze galten. Marias beständige Angst, ihr Kind zu verlieren, das Zugriffsrecht auf ihre Tochter entzogen zu bekommen, ist also sehr reell und für ihren Mann Carter ein hervorragendes Druckmittel, um seine Frau unter seiner Kontrolle halten zu können. Obwohl Didion diesen Aspekt nur andeutungsweise ausspielt, ist er doch wesentlich für Marias Hilflosigkeit und wachsende Paranoia. In diesen Momenten muss der Leser an ein Werk wie Marilyn Frenchs THE WOMEN´S ROOM (1977) denken, das freilich einige Jahre nach Didions Roman entstand und durchaus von diesem beeinflusst sein dürfte. Hier geht es sehr spezifisch um eine Frau, die von Männern beherrscht wird und gleich ob dies in der Glanzwelt Hollywoods spielt oder in einer durchschnittlichen amerikanischen Vorstadtsiedlung – in diesen Punkten gleichen sich die Schicksale.

Didions genaue Beobachtung bezieht sich im Übrigen nicht nur auf das Verhalten ihrer Figuren, sondern auch auf deren Sprache. Der Leser erschrickt immer wieder ob der Verrohung, die in dieser Sprache zum Ausdruck kommt und die uns Heutigen fast schon etwas über unsere Zeit und deren Eskalationen erzählt. Da werden Frauen ununterbrochen und vollkommen unreflektiert und unverschämt mit dem F-Wort belegt, auch in der direkten Ansprache, da wird durchweg davon gesprochen, man wolle nun „ficken“ und die jeweilige Dame solle sich nun mal nicht so haben. Verrohung und Enthemmung kommen hier zum Ausdruck und es mag etwas mit der Dekadenz Hollywoods zu tun haben, die Didion darstellen will und durch welche sie sicherlich jenes „Babylon“ demaskieren will, zu dem Kenneth Anger Hollywood erklärt hatte[1]. Ganz sicher spielen diese Dekadenz und ihre unmittelbare Auswirkung auf die Menschen, die sie ausleben und ihr unterliegen, eine Rolle im Roman. Doch zeigt Didion noch viel weitgreifender die Auswirkungen gerade auf die weibliche Psyche, auf weibliches Selbstwertgefühl, wenn sie diese Sprache immer wieder ausstellt.

PLAY IT AS IT LAYS ist ein Roman, der den heutigen Leser*innen bekannt vorkommen dürfte. Zu oft wurde das Thema – auch spezifisch auf Hollywood und das Showbiz bezogen – durchgekaut, in zu vielen Romanen – man denke an James Robert Bakers BOY WONDER (1988) oder Steve Tesichs ABSPANN (KAROO, 1998) und etliche andere – wurden die Schattenseiten Hollywoods dargestellt. Hollywood selbst liebte das Thema immer schon und begann früh – im Grunde mit der Erstverfilmung von A STAR IS BORN (1937) – damit, die eigenen Grundlagen zu thematisieren. Auch da geht es schon darum, wie sehr Ruhm und Misserfolg einander bedingen, wie sehr das eine nur glänzen kann vor dem Hintergrund des andern. Diese Themen spielen auch bei Didion eine große Rolle: Maria ist nicht nur eine „schwierige“ Persönlichkeit, was einige davon Abstand nehmen lässt, sie für Filme zu buchen, vielmehr sinkt auch ihr Stern am Firmament der Traumfabrik. Und Misserfolg gilt in Hollywood als ansteckender Virus. Man will sich nicht infizieren, also meidet man die oder den Betreffende/n. Und Maria – auch das verklärt Didion nicht, was ihre Protagonistin zu einer solch komplexen und authentischen Figur macht – ist durchaus eitel. Ihr fehlt es, im Rampenlicht zu stehen. Es fehlt ihr, der Mittelpunkt zu sein und zugleich so tun zu können, als ginge sie das alles nichts an, bzw. nerve es sie und öde sie an. Es sind genau diese Ambivalenzen, es ist diese Doppelbödigkeit, die Marias Geschichte so haltlos und letztlich konsequent Schicksalhaft erscheinen lässt.

Allerdings ist dies eben auch ein Buch voller Melancholie, Schmerz und Depression. Wenig bis nichts auf diesen Seiten hellt diese Stimmung auf, gibt Mut, lässt auf bessere Zeiten hoffen. Dass diese Geschichte im Wahnsinn enden muss, das scheint so vorherbestimmt wie das Aufgehen der Sonne und das Erscheinen des Mondes am Firmament in der Nacht. Dadurch wird die Lektüre natürlich nicht gerade einfach oder sonderlich freudvoll. Doch ist dies ein durch und durch spannendes Buch für jeden, die oder der sich für genaue Figurenzeichnung, die oder der sich literaturwissenschaftlich für den Feminismus interessiert und so oder so für alle, die Hollywood und dessen verschiedene Facetten fasziniert.

 

[1] Vgl. Anger, Kenneth: HOLLYWOOD BABYLON. THE LEGENDARY UNDERGROUND CLASSIC OF HOLLYWOOD´S DARKEST AND BEST KEPT SECRETS. Straight Arrow Books 1965/75.

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