RABBIT HOLE

Ein Salut für Nicole Kidman in diesem kleinen großen Film

Es sind bereits 8 Monate, seit Becca (Nicole Kidman) und Howie Corbett (Aaron Eckhart) ihren Sohn Danny zu Grabe getragen haben. Der Junge wurde Opfer eines Autounfalls. Fahrer des Wagens war der junge Jason (Miles Teller), ein Schüler noch, der nachweislich keine Schuld am Unfall trug, den die Eltern des toten Kindes auch nicht dafür verantwortlich machen.

Sie versuchen, ein jeder auf seine Art und Weise, mit dem Verlust fertig zu werden. Während Howie in Selbshilfegruppen geht und dort andere trifft, die ebenfalls nicht mit dem Tod ihrer Kinder klar kommen, flieht Becca in ausladende Koch- und Backsitzungen, die teilweise Tag und Nacht andauern. Ihre Mutter Nat (Dianne Wiest), ebenfalls leidend unter dem Verlust eines damals allerdings schon erwachsenen Kindes, Beccas Bruder Ben, versucht alles mögliche, ihrer Tochter beizustehen, doch führt dies immer weiter zu Verwerfungen zwischen den beiden.

Howie weiß sich kaum mehr zu helfen, je mehr Becca alles aus dem gemeinsamen Haus entfernt, das an Danny erinnert. Schließlich will sie sogar das Haus selbst verkaufen.

Während Howie schließlich gemeinsam mit einer Bekannten aus der Selbsthilfegruppe langsam über den Verlust hinwegkommt, trifft Becca zunächst zufällig, dann immer gewollter, den jungen Jason. Es entwickelt sich eine zarte, vorsichtige Bekanntschaft, an der nach und nach auch die Wunden dieser beiden – vielleicht – verheilen könnten…

Das stille Drama RABBIT HOLE (2010) wurde von Hauptdarstellerin Nicole Kidman maßgeblich mit produziert, ohne ihren Einatz wäre der Film möglicherweise nicht zustande gekommen. Sie beweist hier einmal mehr, daß sie unter den zeitgenössischen Schauspielerinnen Hollywoods eine der besten, der wandelbarsten und mutigsten ist.

Viel passiert nicht in diesem Film. Es wird geredet und manches Mal sehen wir, wie Blicke jedes Wort ersetzen, das gesagt werden könnte. Es kann aber oft nichts mehr gesagt werden, zu eindringlich, zu nah, zu schmerzhaft ist das, was diesen Menschen zugestoßen ist. Daß der Film – basierend auf einem Theaterstück, dessen Autor David Lindsay-Abaire hier auch für die Leinwandadaption verantwortlich war – Monate nach dem Unglück einsetzt und damit dem Zsuchauer – aber auch sich selbst – möglicherweise allzu dramatische, gar melodramatische Szenen von Aus- und Zusammenbrüchen erspart, kommt ihm sehr zugute. Dadurch wird es ein leiser, ein stiller Film, der die Beschädigungen seiner Protagonisten einserseits genau untersuchen und darstellen kann, doch nicht in der Darstellung reinen Schmerzes verhaftet bleiben muß. Diese Figuren sind bereits auf der Suche nach Hilfe, in sich, aber auch im Außen. Es gibt sogar einige Szenen, die den Zuschauer durchaus schmunzeln lassen.

Leicht macht es sich der Film allerdings keienswegs. Er geht keine klischeehaften Wege, die tausendmal erzählt sind. Eine Ehekrise gibt es, aber nicht den unvermeidlichen Ausrutscher oder die Trennung, keine Andeutung einer Liebesgeschichte zwischen der Mutter und dem Verantwortlichen am Tod ihres Sohnes. Diese Menschen wollen zueinander finden, sie wollen sich trösten und auch trösten lassen. Die Stärke des Stücks ist, aufzuzeigen, daß es die einfachen und hilfreichen Antworten nicht gibt. Wahrscheinlich auch einfach nicht geben kann, nach dem Verlust eines Kindes. Und zwar für niemanden. Auch nicht für den unschuldig schuldig gewordenen Fahrer des Wagens, der noch ganz am Anfang seines Lebens steht und den Rest davon so schwer wird tragen müssen.

RABBIT HOLE gelingt es, vollkommen ohne Sentiment auszukommen. Weder wird der Film kitschig, noch ergibt er sich der Möglichkeit, die Gefühle des Publikums – was beim Thema Kindesverlust immer naheliegt – mit dauernden Gefühlsausbrüchen der Protagonisten zu strapazieren oder gar zu manipulieren. Und dennoch ist er nicht kühl oder distanziert, sondern sehr nah an seinen Figuren, vor allem an Becca. Und es sind die Schauspieler, die die Handlung tragen, die Figuren glaubhaft und den Film damit so außergwöhnlich machen. Allen voran – wie erwähnt – Nicole Kidman, die dieser Becca nicht nur überzeugend die Verletztheit gibt, sondern auch deutlich herausarbeitet, wie verletzend sie sein kann. Sie verzichtet dabei auf jedes Überagieren, ihre Bewegungen, die Blicke und Gesten – oft nur Andeutungen, selten voll ausgespielte Physis – erzählen unendlich viel über Schmerz und Leid und den Versuch, den Kopf über Wasser zu halten, egal, was das kostet. Und zugleich macht sie glaubhaft, warum diese Frau schlichtweg nicht will, daß der Schmerz weggeht, warum sie sich dem Schmerz ausliefert und gegenüber ihrer Umwelt darauf beharrt, daß dieser Verlust eben derart einschneidend und absolut ist, daß danach eben „nichts mehr ist, wie es mal war“. Nichts.

Wenn man der Kidman zusieht und weiß, was für Leistungen sie schon vollbracht hat – sei es in Kubricks unterschätztem EYES WIDE SHUT (1999), dem sie einen der aufregendsten Blicke der Filmgeschichte schenkt, sei es in dem jüngeren THE PAPERBOY (2012), wo sie überzeugend eine vollkommene Südstaatenschlampe gibt, oder sei es in Lars von Triers DOGVILLE (2003), jenem Filmexperiment, das eher Theater darstellt und eine Tour de force gewesen sein muß – dann muß man konstatieren, daß sie eine DER Schauspielerinnen ihrer Zeit ist. Eben wandelbar, mutig (hier auch mit Mut zur Hässlichkeit), aber auch und vor allem fähig zu den Zwischentönen, den Gesten und Blicken, die eben mehr sagen, als alle erklärenden Worte es könnten. Fast durchscheinend, fast transparent mutet sie hier manches Mal an. Und dann bricht doch ein Lächeln durch ihre Züge, wenn sie mit Jason auf einer Parkbank sitzt, redet und seinen Comic „Rabbit Hole“ betrachtet, in dem ein Junge in andere, parallele Universen eintauchen kann, Orte, an denen sie, Becca, eine andere Version ihrer selbst vermutet, die glücklich sei – und darin Trost findet.

Der ebenfalls großartige Aaron Eckhart läßt Howie hilflos wirken, wütend gegen ein Schicksal, das er nicht versteht, auch nicht verstehen oder akzeptieren will, das er ausblenden will, indem er alles läßt, wie es ist, ganz so, als käme der tote Danny gleich nach hause – und dennoch gibt er ihm Würde und Tiefe. Manches wird lediglich angedeutet, doch Eckhart versteht es, hinter jeder Andeutung die Beweggründe schimmern zu lassen. Und auch zu erwähnen ist die großartige Dianne Wiest. Ihre Interpretation der Nat, einer ebenfalls schon lange verletzten und auch gebrochenen Frau, die über den Tod des eigenen Kindes – auch wenn dieses, wie wir in einer äußerst schmerzhaften Szene erfahren, ein Junkie und offensichtlicher Tunichtgut war – ebenso wenig hinweggekommen ist, wie Becca über den Tod Dannys hinwegzukommen scheint, ist geprägt von extrem leisen und vorsichtigen Tönen und Blicken. Immer wieder sehen wir, wie sie auf ihre Tochter blickt, gegen deren zwischenzeitlichen Furor sie sich nicht durchzusetzen weiß, deren Schmerz sie nichts entgegenzusetzen hat, und in diesen Blicken sehen wir den doppelten und dreifachen Schmerz derer, die sich selbst nicht zu helfen wissen und erst recht nicht jenen, denen sie so gern helfen würden.

Ein Schauspielerfilm, der es weder sich, noch seinen Figuren und erst recht seinem Publikum nicht einfach macht, der keine letztgültigen Antworten kennt und uns einfach damit entläßt, daß er eine Möglichkeit – lediglich eine Möglichkeit – zeigt, die eine stille Hoffnung auf Heilung in sich birgt. Großartig.

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