SÖRENSEN HAT ANGST
Der erste Fall in Sven Strickers Serie um den angstgestörten KHK Sörensen
Vorweg muss der Rezensent zugeben, Sörensen, wie wahrscheinlich so einige, zunächst aus dem Fernsehen zu kennen. Er sah, wie wahrscheinlich so einige, den ersten, von Schauspieler Bjarne Mädel inszenierten, Film über den – von Mädel auch gespielten – angstgestörten Kriminalhauptkommissar, der im nordfriesischen Katenbüll gelandet ist, wo er Ruhe sucht und, kaum eingetroffen, einen furchtbaren Mordfall zu lösen hat. Sah ihn und war begeistert von dieser seltsamen Mischung aus äußerst trockenem Humor und einer Ernsthaftigkeit, die sowohl den privaten Problemen des KHK als auch dem Fall, der sich als etwas tatsächlich Abgründiges erwies, angemessen war.
Wie es so ist, gelegentlich: Es dauerte eine Weile, bis dem Rezensenten die Bücher auffielen und, da Kriminalromanen nie abgeneigt, einer näheren Prüfung, sozusagen einer Untersuchung, um im genretypischen Jargon zu bleiben, unterzog. Und was soll man sagen? Autor Sven Stricker ist da nicht nur mit seiner Hauptfigur, sondern generell ein rechtes Schmankerl, ein Sonderfall und ein äußerst brillanter Sonderfall der deutschen Kriminalliteratur gelungen. Zumindest wenn man vom Debut ausgeht.
SÖRENSEN HAT ANGST (2016) erzählt von jenen drei Tagen, in denen dieser Kommissar nach Katenbüll kommt, sich dort leidlich einzuleben versucht, eine kleine Kate gleich hinterm Deich bezieht, die Kollegin Jennifer Holstenbeck, den Praktikanten Malte und einige Unikate im Dorf kennenlernt und gleich die Erfahrung macht, dass die Gewalt auch hier nicht haltmacht. Denn kaum eingetroffen, wird er auf den Hof von Bürgermeister Hinrichs gerufen, da selbiger dort tot im Stall liegt. Erschossen, ja geradezu hingerichtet. Und Sörensen wird eingeholt von allem, dem er zu entfliehen suchte, als er Hamburg verließ.
Das ist schon ein kleines Wunder, wie Stricker die Balance auf einem sehr schmalen Grat hält. Denn die Dialoge zu Beginn des Romans lassen die Leser*innen vermuten, es vielleicht doch mit einem dieser Haha-Krimis zu tun zu haben, die sich seit dem Münsteraner Tatortteam um den Kommissar Thiel und den Mediziner und Pathologen Professor Boerne nicht nur im Fernsehen breitmachen, sondern auch in den Regalen einschlägiger Buchläden. Wie sich Sörensen da einen Anhalter, den im Regen stehen zu lassen ihm dann doch nicht einfällt, vom Leibe hält, um ja nicht „quatschen“ zu müssen, bis sie ihr zufällig gemeinsames Ziel – Katenbüll eben – erreicht haben, dann aber doch ein paar Sätze mit Ole Kellinghusen wechselt, das ist einerseits schon schreiend komisch in seiner Lakonie, läuft andererseits aber eben Gefahr, einen Ton zu setzen, aus dem ein Autor dann vielleicht auch nicht mehr herausfindet.
Nicht so Stricker. Er behält das Lakonische bei und entwirft mit Sörensen, dessen Vornamen wir nie erfahren, einen Charakter, der schon bis an die Grenze der Egozentrik mit sich selbst beschäftigt ist – eben getrieben von immer wiederkehrenden Angstattacken, die der Autor durchaus treffend zu beschreiben versteht, aber auch dem Schmerz um den Verlust von Frau und Tochter, hat erstere ihn doch mit zweiterer verlassen – dann aber nicht nur immer wieder eine messerscharfe berufliche Intelligenz aufweist, sondern auch ein Maß an Empathie, welches man ihm zunächst gar nicht zugetraut hatte. Und doch sind da immer wieder diese Dialoge, in denen Stricker das Idiom seiner Heimat – er ist in Tönning geboren, allerdings im Ruhrgebiet aufgewachsen, wo die Menschen allerdings ähnlich direkt in ihren Ansichten, manchmal maulfaul und recht trocken in den Aussagen sind – aufgreift und gelegentlich bis zur Absurdität überzeichnet. Der Gleichmut, mit dem sich hier Leute, die einander eben zum allerersten Mal im Leben begegnet sind, gegeneinander aufziehen, berichtigen, auf Denkfehler hinweisen, wie die allernebensächlichsten Kleinigkeiten dann doch immer wieder Gegenstand längerer Dialogpassagen werden, nur damit irgendjemand feststellen kann, dass das nun einmal so sei, das entwickelt einen ganz eigenen Stil, den Stricker tatsächlich ausbaut und beibehält.
Mit zunehmenden Ermittlungen und je düsterer schließlich der Fall, in den Sörensen, Holstenbeck und Praktikant Malte da hineingezogen werden, wird auch der Ton des Romans düster und tritt der Humor zurück. Und doch lässt Stricker gerade Sörensen auch den schrecklichsten Schrecken, die dieses Kaff am Ende der Welt bereithält, mit dieser Distanz schaffenden Lakonie und Logik des gesunden Menschenverstands begegnen. Das ist dann nicht mehr lustig, das wird dann gerade für einen Menschen wie Sörensen zur Überlebensstrategie in einer Welt, die sich auch in Katenbüll als manchmal vollkommen kalt und mitleidlos darstellt und gerade ihre Schwächsten, die Kinder, gnadenlos aus- und benutzt.
Das ist ein wahres Kunststück, wie Sörensen in dem Mief, in den er gerät, in den Widerwärtigkeiten, die er aufdeckt, den Kopf oben behält und diejenigen in seiner Umgebung zu verachten lernt, die in Selbstmitleid ertrinken – gerade, weil er, wie er an einer Stelle ruhig feststellt, selbst andauernd darin zu ertrinken droht. Es gelingt diesem Mann, der selbst so fehlerbehaftet ist und dadurch so authentisch wirkt, irgendwie seinen moralischen Kompass zu behalten, einerseits, andererseits aber trotz all seines Mitleids mit denjenigen, die so lange Opfer waren, bis sie Täter wurden, nicht seine beruflichen Anforderungen aus den Augen zu verlieren.
Wenn das so weitergeht – und der Rezensent hat vor, auch die weiteren bisher fünf Fälle des KHK Sörensen genauerer Untersuchung zu unterziehen – dann könnte diese Reihe zu einem persönlichen Highlight, ja einer kleinen Kult-Serie werden. Kult, auch so ein Wort, das viel zu häufig verwendet wird und dann ziemlich leer in der Gegend rumsteht. Aber hier könnte es zutreffen.