A SINGLE MAN

Brillant von A bis Z

Er plant minutiös seinen Selbstmord für den Abend des Tages, da er den Unfalltod seines langjährigen Lebensgefährten Jim (Matthew Goode) acht Monate zuvor nicht verwinden kann. Von Albträumen und Ängsten zunehmend in Depressionen getrieben, will George sein Leben beenden. Während er nach außenhin unbeteiligt den Tag angeht – frühstückt, sich wie gewohnt stilsicher kleidet, mit der Haushälterin spricht – wird ihm jedes Detail – das Klingeln des Telefons, gewisse Perspektiven des Hauses, ein Zettel auf dem Schreibtisch – zum Anlaß, sich der Jahre mit Jim zu erinnern. Seine Freundin Charlene (Julianne Moore), die er noch aus alten Londoner Zeiten kennt und die ihn und Jim nach L.A. begleitet hatte, wo sie in einer unglücklichen Ehe zusehends versauerte, lädt George für den Abend des Tages ein. In der Universität bricht George sein Seminar ab und fängt an, frei über die Frage der Diskriminierung von Minderheiten zu sprechen und den aus Angst resultierenden Haß auf Minderheiten zu thematisieren. Dies wird ihm zusehends – morgens im Auto hörte er im Radio die Berichte zur sich zuspitzenden Kubakrise – zu einem Vortrag darüber, in Zeiten der Angst zu leben. Als er danach den Seminarraum verlassen will, wird er von seinem Studenten Kenny (Nicholas Hoult) angesprochen, dem er mit seinen Einlassungen aus dem Herzen gesprochen hat. Später erfährt er, daß Kenny sich nach seiner Adresse erkundigt habe. Zurück daheim, bereitet George seinen Tod vor, doch ist seine Angst davor, wirklich abzudrücken und sich zu erschießen immer wieder zu groß, bis schließlich Charlene anruft und ihn auffordert, endlich zu kommen. Die beiden verbringen einen feucht-fröhlichen Abend, der letztlich jedoch in schmerzhafte Erinnerungen mündet, wie es einst war in ihren Leben, und Vorstellungen davon, was hätte sein können, hätten sie sich einst zusammengetan. George zeigt sich äußerst verletzt, als Charlene offenbart, daß auch sie – eine der wenigen, die von seiner Homosexualität wissen – die Beziehung zu Jim nicht als „echt“ angesehen, sondern für einen Ersatz gehalten hat. George geht heim, rennt dann jedoch nocheinmal los zu jener Kneipe am Fuße des Hügels auf dem er lebt, wo er einst Jim das erste Mal traf. Hier trifft er Kenny, der ihn offenbar gesucht hat. Die beiden verbringen die Nacht gemeinsam und George öffnen sich neue Perspektiven, daß es vielleicht doch möglich sei, über Jims Tod hinwegzukommen und weiterzuleben…

2009 legte der Modedesigner Tom Ford seinen ersten Spielfilm vor – diese Verfilmung eines Romans von Christopher Isherwood aus dem Jahre 1964 – A SINGLE MAN. Allerdings greift die Filmhandlung nur Teile des Romans auf. Angelegt an einem einzigen Tag – dem 30. November 1962 – wird die Geschichte des britischen Literaturprofessors George Falconer (Colin Firth) erzählt, der an einem College in Los Angeles unterrichtet. Allerdings tritt die Handlung des Films fast vollständig hinter die formale Umsetzung zurück. Ford und sein Kameramann Eduard Grau nutzen jede Menge Spielereien und Finten, um die innere Verfasstheit ihres Protagoinisten zu verdeutlichen. Die Gegenwart des Films wird überwiegend in einem monochrom silbrigen Grau gezeigt, das sich in gewissen Momenten emotionaler Erregung – sei es Zuneigung, sei es Wut, sei es Liebe, sei es kalter Zorn (wenn Geroge z.B. von der Nachbarstochter darauf hingewiesen wird, ihr Vater hielte ihn für einen ‚warmen Bruder‘) – durchaus bis zum bunten Kitsch des Technicolors verfärben kann. Zudem setzen sie Reizpunkte, u.a. wenn George auf dem Parkplatz eines Spirituosenladens eine Zigarette mit einem Fremden raucht und sie in ein fast giftig anmutendes fliederfarbenes Abendlicht getaucht werden. Mit der Eleganz der Bilder vollkommen im Einklang stehen die Dekors, in denen sich George und Charlene bewegen (sie sind die einzigen Protagonisten, deren Heime man sieht, in deren Häuser man eingelassen wird). Langsam, fast zeitlupenhaft, gleitet die Kamera durch das avantgardistische Haus, in dem George und Jim lange Jahre gemeinsam verbacht haben; ebenso verfährt sie am Abend, wenn George schließlich bei Charlene ankommt und uns in einer Fahrt von der Eingangstür bis zum Wintergarten das palastartige Heim dieser einsamen und auch ein wenig bitteren Frau vorgeführt wird. Hier sind vielleicht am ehesten kritische Anmerkungen angebracht: In der Schönheit der Dekors geht anfangs und im Mitteldrittel des Films fast ein wenig die Düsternis der Geschichte verloren. Doch weiß Ford genau, was er tut, weiß genau, daß all die Schönheit des kalifornischen Westens und der besseren Viertel dieser Stadt Oberflächen sind, die dem Ästheten zwar Behausung, doch wahrlich selten Heimat sein können. In einer des ruhigsten und auch schönsten Szenen des Films sitzen sich George und Jim gegenüber und lesen jeweils in einem Buch, necken sich, ob des Anspruchs der Lektüre, ihres Alters und der spießigen Nachbarn, die sie umgeben. Und in dieser Szene merken wir überdeutlich, daß diese Beziehung das wahre Heim war, das Haus, in dem George sich sicher fühlen konnte.

Das Klischee vom frauenverstehenden Homosexuellen, der zugleich über ein verfeinertes Sensorium für Ästhetik, Eleganz und Charme verfügt, wird ausgespielt, verfängt jedoch nicht wirklich, denn Ford zeigt wohl die ästhetische Intelligenz, doch ebenso auch die Möglichkeit, in diesen erlesenen Räumen emotional verloren zu gehen. Sicherheit gibt all das Umgebende nicht, wenn der innere Halt abhanden gekommen ist. Geroge Falconer und seine Freundin Charlene sind vollkommen Verlorene, gestrandet in einer verlorenen Stadt, die wenig bietet, sich in ihr willkommen zu fühlen. Und so klammern sich diese beiden aneinander, leben eine Lust aus – Lebenslust wohlgemerkt – die einen europäischen Charme versprüht, abgesetzt von der Steifheit ihrer amerikanischen Gastgeber. Dies ist deutlich Isherwoods Vorlage geschuldet und Colin Firth gelingt es brilliant, eine Mischung aus britischem Understatement – in seinen Gesprächen mit Kenny – und zugleich britischer Blasierheit in diese Figur zu legen.

Überhaupt muß man neben der Kameraarbeit Eduard Graus die Brillanz der Schauspieler hervorheben. Wie leicht wäre es gewesen, hier in Kolportage zu verfallem, Schönheit und Jugend Kennys z.B. gegen die Tristesse des Daseins George Falconers auszuspielen. Doch Firth gibt diesem scheinbar so mißmutigen Mann in seiner Darstellung Würde, Maß und Glaubwürdigkeit, Nicholas Hoult läßt Kenny nie in schieren jugendlichen Übermut kippen. All die Möglichkeiten, die Klischees, die sich momentweise anbieten – von Erpreßbarkeit, emotionaler Abhängigkeit oder Verrat – werden schlichtweg übergangen. Was sich zwischen den beiden Männern abspielt, ist nachvollziehbar zart und dennoch geprägt von der unterschwelligen Herausforderung, die der Jüngere an den Älteren stellt, zugleich von der Härte der Bitternis, die den Älteren momentweise zynisch, jedoch immer zurückhaltend eloquent wirken läßt. Das ist große Schauspielkunst.

Doch das eigentliche Wunder schauspielerischer Wirksamkeit hier ist Julianne Moore. Vielen zählt sie ja eh zu den Besten ihrer Generation (der Rezensent schließt sich da mit ein). Wie es ihr hier mit wahrlich wenig on-screen-Zeit gelingt, dieser Figur nicht nur einfach Leben einzuhauchen, sondern die Tragik, Verletztheit und Bitternis eines gelebten und auch gescheiterten Lebens einerseits, den Willen, dem allen zu trotzen und den Moment zu genießen andererseits glaubhaft werden zu lassen, weist sie einmal mehr als eine der ganz Großen ihres Fachs aus. Und so wird die Szene zu Beginn des letzten Drittels des Films, wenn Charlene und George einfach tanzen und sich daran erfreuen, daß sie tanzen, zu einer der schönsten Szenen jüngeren Filmschaffens. Hier sind zwei zu bestaunen, denen das Leben wahrlich nicht nur gut mitgespielt hat, die aber wissen, welche Knöpfe sie zu drücken haben, um dem Moment sein Bestes abzuringen. Wunderschön.

A SINGLE MAN ist sicher einer der traurigsten Filme, die man lange Zeit auf der Leinwand besichtigen durfte, doch muß man einfach sagen, daß Tom Ford und allen Beteiligten ein großartiger, leiser und sehr, sehr feiner und zarter Film gelungen ist, der seine Geschichte, seine Protagonisten und deren Gefühle ernst nimmt. Anderthalb Stunden, die wahrlich unter die Haut gehen.

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