SLOUGH HOUSE

Der siebte auf Deutsch erschienene Band aus Mick Herrons Serie ist düsterer als die Vorgänger

SLOUGH HOUSE (Original erschienen 2021; Dt. 2024) ist der nunmehr siebte auf Deutsch erschienene Teil in Mick Herrons Reihe um jene Mitglieder des MI5, des britischen Inlandsgeheimdienstes, die aufgrund diverser Verfehlungen in einen Londoner Außenposten abgeschoben wurden und doch immer wieder in halsbrecherische Abenteuer verwickelt werden. Da es mittlerweile auch eine Fernsehserie um die vermeintlichen Versager vom Dienst unter der Leitung des alten Haudegens Jackson Lamb gibt, steigt die Bekanntschaft der Serie zusehends. Es ist sowohl den Büchern und deren Autor, als auch der TV-Serie nur zu gönnen. Tatsächlich ist Herron mit seinen Romanen etwas gelungen, was im Genreroman nicht mehr allzu häufig vorkommt. Denn dies ist intelligente Unterhaltung, die zudem ein hohes literarisches Niveau erfüllt und zudem eine Balance aus Humor – sehr schwarzem Humor allerdings – und einer manchmal ans Philosophische grenzenden Ernsthaftigkeit hält.

Wie in allen Bänden, erzählt Herron nicht nur eine in sich abgeschlossene Handlung, sondern  auch die Geschichte(n) seiner Protagonisten horizontal weiter – neben Lamb sind das vor allem River Cartwright, Catherine Standish, Louisa Guy, Roddy Ho, Shirley Dander im Slough House, sowie Diana Taverner, die Chefin des Dienstes, und Peter Judd, ein gescheiterter und dennoch im Hintergrund immer mitmischender, stark an Boris Johnson angelehnter Politiker. Es ist Herron im Laufe der Romane gelungen, die Genannten mit wirklich einprägsamen Charakteren auszustatten, und man verfolgt ihre Entwicklung, da sie als Figuren einen hohen Wiedererkennungswert haben, mit Spannung. Herron hat sich in der Vergangenheit allerdings auch nie gescheut, einige seiner Leser*innen vor den Kopf zu stoßen und die eine oder andere etablierte Figur aus dem Spiel zu nehmen, indem er sie, meist gewaltsam, aus dem Leben scheiden ließ. Hier nun lässt er jemand Totgeglaubtes wieder auferstehen, was der Handlung tatsächlich einen ungeahnten Drive gibt, zugleich lässt er sein Publikum – wie auch die Kollegen – in Sorge um ein wesentliches Mitglied der Truppe zurück. Man darf gespannt sein, wie es im nächsten Band weitergeht.

Wie bei seinen Vorbildern John le Carré oder Frederick Forsyth, spielt die Handlung bei Herron zwar eine wesentliche Rolle, ist aber wie bei den Meistern, oft auch ausgesprochen verworren. Das ist diesmal allerdings anders. Hier folgt sie einem recht einfachen und nachvollziehbaren Muster. Es geht um die fiktionale Weiterentwicklung jenes Anschlags, den russische Agenten im Jahr 2018 im englischen Wiltshire verübten, als sie mit einem Nervengift insgesamt vier Menschen schwer verletzten, wobei zwei der Betroffenen als sogenannte „Kollateralschäden“ – also unbeteiligte, zufällige Opfer – zu betrachten sind. Diana Taverner sorgt nun für Revanche, da ein Angriff auf britischem Boden nicht unbeantwortet bleiben darf, lässt sich dafür aber auf eine teuflische Allianz mit den falschen, von Judd organisierten Leuten, ein. Ihre Aktion wiederum zieht Reaktionen aus Moskau nach sich. Die sind für einige ehemalige Slow Horses leider tödlich, was Lamb auf den Plan ruft. Zudem hat Taverner Lambs Truppe als Zielobjekt für Auszubildende des MI5 auserkoren, was den Verfolgten – allen voran Louisa Guy – allerdings sofort auffällt. Denn die Slow Horses mögen alle einmal versagt haben, dass sie keine schlechten Agenten sind, haben sie in den Vorgängerbänden hinreichend bewiesen. Doch auch für die Mitglieder von Lambs Truppe bleibt lange unklar, wer sie gerade verfolgt und inwiefern die Observationen der einen und die Anschläge durch die anderen zusammenhängen.

Die Reihe war immer schon immanent politisch, hier nun, in diesem Teil, tritt das Politische – zumindest im ersten von zwei Abschnitten, in die der Roman ziemlich genau in der Mitte getrennt ist – explizit hervor. Und das vor allem in den Gesprächen der Protagonisten untereinander. Herron ist ein hervorragender Dialogschreiber und die Gespräche, die bspw. Lamb mit seinen Untergebenen, aber auch jene, die er mit der ihn hassenden und doch auf ihn angewiesenen Diana Taverner führt, gehören nicht nur zum Besten, was diese Romane, sondern auch, was die britische Literatur in den letzten Jahren zu bieten hatte. Nun wird dieses Spektrum noch erweitert, wenn Taverner – es deutete sich in den letzten Bänden bereits an – sich zusehends mit Peter Judd auseinandersetzen muss. Und obwohl Judd manchmal etwas stark in die Karikatur eines selbstverliebten Upper-Class-Boys abrutscht, machen diese Dialoge einfach Spaß.

Judd spielt gefährliche Spiele in ganz unterschiedlichen Ligen. Und er liebt es in Andeutungen mitzuteilen, was er vorhat und wohin seine Vorhaben ihn und das Land führen sollen. Hier bringt er die bereits erwähnten externen Geldgeber zusammen und holt dabei einen, ein wenig an Elon Musk – jenen Musk, dem seit einiger Zeit das ehemalige Twitter gehört, weniger den Entwickler der Tesla-Autos – erinnernden, Medienmacher ins Boot, der der Meinung zu sein scheint, Regeln oder gar Gesetze hätten für ihn keine Bedeutung. Zugleich bandelt Judd aber auch mit dem Anführer einer als „Gelbwesten“ deklarierten Bürgerbewegung an, in welche er höchstselbst ein paar Agents Provocateurs einschleust. Offenbar ist Judd daran interessiert, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen und seine Machenschaften lassen für kommende Bände auf einiges schließen.

Der Brexit, der hier von allen Beteiligten grundlegend nur der du-weißt-schon-was genannt wird, schwelt hier immer im Hintergrund, seine Auswirkungen werden sowohl politisch, aber auch sozial spürbar. Die Auseinandersetzungen zwischen Taverner und Judd künden durchweg davon, wie sich Großbritannien, wie sich England, wie sich London verändert haben und davon, wie gefährdet eine Demokratie ist, in der wesentliche „Stützen der Gesellschaft“ sich innerlich abwenden und die demokratischen Spielregeln für sich nicht mehr akzeptieren. Auf dieser Ebene wird Herron so politisch wie selten zuvor, zumindest in dieser Reihe.

Der zweite Teil des Romans bietet dann allerdings mehr Action. Auch hier tritt Herrons Witz etwas zurück, denn für einige der Beteiligten wird es auf eine unangenehme Weise ernst: River muss, um eine Kollegin zu schützen, töten. Und er tut dies mit seinen Händen, archaisch, brutal, konsequent. Und das geht nicht spurlos an ihm vorüber. Wie River – und Herron durch diese Figur – den Akt der Vernichtung menschlichen Lebens reflektiert, ist schon höhere Kunst. Und weit entfernt davon, sarkastisch oder gar zynisch zu werden. Zynismus spart sich Herron für Lamb auf, allerdings meist dort, wo es weniger weh tut, wo es allerhöchstens den Stolz seiner direkten Untergebenen verletzt. Die haben allerdings mittlerweile gelernt, damit umzugehen, auf die eine oder andere Art und Weise. Ebenso spürt man diesmal wie zuvor vielleicht noch nie, dass Jackson Lamb etwas an seinen Leuten liegt, die er natürlich auch diesmal in den wirklich komischen Passagen wüst beschimpft und runterputzt. Wie selten zuvor wird er gegenüber Taverner deutlich, als er ihr erklärt, dass sie eine Verantwortung trägt, auch für Mitglieder des Dienstes, die sie vielleicht nicht mag oder gar für überflüssig hält. Solange sie Mitglieder des Dienstes sind, sind die schützenswert. Und Taverner schluckt es, denn sie weiß, Lamb hat recht.

SLOUGH HOUSE endet, mehr als andere Bände der Reihe, höchst nachdenklich und sogar ein wenig verängstigt, denn alle Beteiligten, ob sie es sich nun eingestehen oder nicht, müssen um einen der ihren bangen. Denn auch ein Jackson Lamb, dieses Urviech des Kalten Krieges, der doch mit allen Wassern geheimdienstlicher Tätigkeit gewaschen ist, ist nicht vor den Bedrohungen durch das Unsichtbare, das Versteckte, die Waffen der neuen Zeit gefeit. So sehr er sich auch vor die Seinen stellen mag, wenn das Gift bereits eingedrungen ist, vermag auch seine Protektion nichts mehr auszurichten. Und so müssen auch die geneigten Leser*innen von Herrons wirklich ausgesprochen unterhaltsamen Romanen um diese Agenten mit ihren Helden bangen. Der Diogenes-Verlag sollte sich nicht zu viel Zeit lassen, den Nachfolger zu veröffentlichen. Denn es drängt nach Aufklärung!

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