TABU DER GERECHTEN/GENTLEMAN´S AGREEMENT

Das Gift des Ressentiments schlummert auch in der liberalsten Ecke

Der Witwer Phil Green (Gregory Peck), Journalist und Schriftsteller, kommt mit seinem Sohn Tommy (Dean Stockwell) und seiner Mutter (Anne Revere) nach New York City, wo er einen Job bei einer angesehenen Zeitung antritt. Sein Chef, Mr. Minify (John Dekker) möchte eine große, landesweit beachtete Serie über den auch an der liberalen Ostküste verbreiteten Antisemitismus machen. Minify versteht sich als Hüter des Liberalismus und will seine Landsleute aufrütteln. Green scheint ihm genau der richtige Mann dafür, ist sein Zugriff auf Themen doch ein ebenso emotionaler wie auch mutig Wahrheiten aussprechender, weniger ein Hantieren mit Zahlen und Namen.

Doch Phil findet keinen rechten Zugang zum Thema, zumal er einsehen muß, daß er als Nichtjude nie wird nachvollziehen können, was ein Jude fühlt, der sich massiven Angriffen ausgesetzt sieht. So überlegt Phil, seinen alten Schulfreund Dave Goldman (John Garfield), einen Juden, zu interviewen und findet dann doch auch diese Lösung unbefriedigend.

Während er also versucht, sich seinem Thema zu nähern, ergibt sich eine Romanze mit der Nichte seines Chefs, Kathy Lacey (Dorothy McGuire), die ein ebenso behütetes wie sorgenfreies Leben in der Upper Class führt. Einziger Makel: Sie wurde geschieden, was ihren „Marktwert“ gehörig herabsetzt. Phil ist dies egal. Die beiden verlieben sich ernsthaft ineinander und verloben sich, die Hochzeit ist geplant.

Und dann kommt Phil endlich der entscheidende Einfall, wie er die Serie schreiben kann: Er gibt sich ab nun als Phil Greenberg aus, also als Jude. Und so ziemlich sofort macht er Erfahrungen, die er niemals erwartet hätte: Er wird geschnitten, er wird Opfer kleiner Be- und Anmerkungen – so unterstellt ihm ein Kollege, er sei sicher „clever“ genug gewesen, den Krieg statt auf dem Schlachtfeld in der Etappe zu verbringen – und schließlich muß er die Erfahrung machen, daß sogar das Hotel, wo er und Kathy ihre Flitterwochen verbringen wollten, keine Juden duldet. Dave taucht auf, offiziell noch in der Armee und im Rang eines Oberst, hat er Aussicht auf eine Stelle in New York, muß dafür aber eine Unterkunft für sich und seine Familie finden, was sich in einer boomenden Metropole und als Jude schwierig gestaltet.

Eines Tages kommt Tommy weinend heim: Kinder auf der Straße haben ihn mit antisemitischen Schimpfworten belegt. Kathy – mit der Phil wegen seiner Serie bereits zweimal aneinander geraten ist, findet sie doch, seine Verstellung ginge zu weit – versucht Tommy zu trösten, indem sie ihm sagt, daß er doch gar kein Jude sei, was bei Phil erst recht Zorn hervorruft. Er kann seinen Sohn beruhigen und ihm erklären, daß nicht Juden schlecht seien, sondern grundsätzlich jene, die andere aufgrund derer Religion oder Rasse angriffen.

Dann stellt er Kathy zur Rede. Es kommt zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf Phil feststellen muß, daß sein Verdacht nicht ganz unbegründet war: Kathy ist zwar keine Antisemitin (und beruft sich immer wieder darauf, daß sie ursprünglich den Anstoß zu der Serie gegeben habe), doch sind in ihren Kreisen Juden eben auch nicht gern gesehen. Schon eine Party, die ihre Schwester in Connecticut für die beiden gab, war Anlaß für Streitereien, jetzt brechen die Konflikte offen aus. Es gäbe eben ein Gentleman’s Agreement, daß man in Neuengland unter sich bliebe: Juden, Puritaner, Katholiken. Kathy besitzt ein Haus dort oben und will sich mit Phil dort niederlassen, doch müsse der eben seien Maskerade aufgeben. Für Phil ist dies ein Trennungsgrund.

Phil schließt die Serie ab und teilt seinem Chef mit, daß er zurück nach Kalifornien ginge. Seine Kollegin Anne Dettrey (Celeste Holm), die ihm in ihrer kumpelhaften Art, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, zu einem echten Freund in der Redaktion und der Stadt geworden ist, lädt Phil zu einem Abschiedstrunk zu sich ein und offenbart sich ihm dort: Sie hält Kathy nicht für die Frau an Phils Seite, da sie zu eben jenen Menschen gehöre, die immer klug redeten, nicht jedoch handelten.

Während Anne Phil ihre Liebe für ihn offenbart, trifft sich Kathy mit Dave. Es gelingt ihm, ihr den Unterschied zwischen betroffenem Schweigen und entschiedenem Aufbegehren gegen antisemitische Äußerungen oder Witze verständlich zu machen. Er kommt heim in Phils Wohnung, wo er in seiner Zeit in New York lebt und ruft seinen zukünftigen Arbeitgeber an: Er habe nun eine Bleibe für sich und seine Familie gefunden und könne den Job annehmen: Kathy hat ihm ihr Haus in Connecticut zur Verfügung gestellt und sei bereit, in der Zeit, die er dort mit seiner Familie lebe, sich zur Verfügung zu halten, um ihn gegen etwaige Anwürfe zu schützen.

Phil sieht, daß sie begriffen hat und eilt, sie in seine Arme zu nehmen.

Wir schreiben das Jahr 1947, der Krieg ist seit ca. 2 Jahren vorbei, die Truppen werden nach und nach demobilisiert. Amerika hat den Krieg gewonnen, das kann man so sagen und viele sagen auch, es sei ein gerechter Sieg in einem gerechten Krieg gewesen. Nazi-Deutschland wurde besiegt, das Land besetzt, aufgeteilt und die schrecklichen Gräuel, die die Deutschen in den Konzentrationslagern an den Juden, an Roma und Sinti, Homosexuellen und politischen Gefangenen begangen hatten, waren der Welt entlarvt worden. Die U.S.A. dürfen sich auch historisch auf der Seite der Sieger sehen. Die Nachkriegszeit verspricht eine prosperierende Wirtschaft, dem Land scheint eine lange Periode ökonomischen Aufschwungs bevorzustehen. In diese Atmosphäre – allerdings getrübt von einer politischen Paranoia des Antikommunismus – hinein setzt Elia Kazan mit seinem Film GENTLEMAN`S AGREEMENT (1947) ein massives Zeichen, daß auch die Gesellschaft der Vereinigten Staaten jene verborgenen Kräfte in sich trägt, die sie vergiften können – z.B. den Antisemitismus. Ein Schlag ins Gesicht eines Landes, das sich seines Liberalismus, seiner Offenheit, vor allem den verschiedenen religiösen Gruppen gegenüber, so sicher ist (und natürlich auch an anderer, wesentlicherer Stelle wegschaut, gerade was den Rassismus angeht).

Elia Kazan, dessen eigene Vita sicherlich selbst schon genug epischen Stoff liefern würde, inszenierte dieses recht geschickt konstruierte Drama um Antisemitismus und darüber, wie er bis in die privatesten Bereiche vordringen und sein Gift verbreiten kann, und gewann damit seinen ersten Oscar als Regisseur. Er selbst hat sich später von dem Film distanziert und gesagt, er stelle lediglich eine Art „Lightversion“ von Antisemitismus aus, nicht den wirklich üblen, gefährlichen, eliminatorischen, der zum Holocaust geführt habe. Das ist soweit richtig, es mutet auch etwas seltsam an, daß im ganzen Film, in dem der Krieg auf geschickte Art und Weise gegenwärtig ist, das, was in Nazideutschland geschehen war, nicht erwähnt wird. Allerdings ist anzunehmen, daß der Film mit seinen eher ruhigen und weniger mit einer Moralkeule vorgetragenenThesen weitaus mehr Amerikaner unangenehm zu berühren wusste, als wenn er einen extrem aggressiven und verbrecherischen Antisemitismus ausgestellt hätte. Von dem nämlich wäre es sicher ein Leichtes gewesen, sich zu distanzieren. Dadurch, daß der Film sich ausschließlich auf den leisen, fast nicht spürbaren Antisemitismus der Liberalen und sich aufgeklärt Wähnenden konzentriert, sticht er natürlich mitten in die Wunde.

Und das funktioniert in einer ganzen Reihe von Szenen hervorragend. Sei es jene schon erwähnte, in der Phil Green „Cleverness“ unterstellt wird, die allerdings auch zugleich Feigheit impliziert, und damit ein altes antisemitisches Klischee bedient; sei es jene in dem Hotel, wo nahezu jeder der in der Hotelhalle versammelten hohen Herrschaften innehält, während Phil versucht, seine Zimmer zu buchen und der Manager ihm mehrmals anbietet, ein Zimmer in der Bahnhofsabsteige zu mieten; sei es jene Party in Connecticut, wo Phil nach und nach merkt, daß einige der angesehenen Ansässigen offenbar nicht aufgetaucht sind – das Buch von Moss Hart weist eine ganze Reihe dieser genau beobachteten kleinen Stiche und Verletzungen auf, die in der Summe so schmerzhaft sind. Zugleich werden die Widersprüche, die der Antisemitismus in sich schon beinhaltet – z.B. jener, die Juden seien eine Rasse – aufgegriffen und vorgeführt. Dave, der wie der Phil auf einer Party vorgestellte Professor Liebermann (Sam Jaffe), allen Anfeindungen zum Trotze sowohl seinen Lebensmut als auch seinen Humor bewahrt hat, wird meist in Uniform gezeigt. Er wird also klar ausgewiesen als einer jener Männer, die für Amerika gekämpft haben und dennoch in ihrer Heimat Vorurteilen ausgeliefert sind, die denen der vormaligen Gegner ähneln. Insofern kann man es auch als einen geschickten Zug des Scripts sehen, den Krieg, den Holocaust, die Lager eben nicht zu erwähnen, sondern den Zuschauer die Zusammenhänge und Widersprüchlichkeiten mit dem 1947 noch sehr frischen Bewußtsein um die Schrecken der Nazi-Herrschaft selbst herstellen und ableiten zu lassen.

Es ist wohlfeil, einem Film von 1947 mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts beizukommen und ihm dann seine Ambitionen vorzuwerfen. Ganz sicher ist der Film ambitioniert, möglicherweise sogar überambitioniert. Man merkt dem Buch und der Regie an, daß sie ihr Thema enorm wichtig nehmen und ihm ernsthaft auf den Grund gehen wollen. Dabei entstehen an einigen Stellen inszenatorische Schwächen: Die Exposition ist viel zu lang, der Film braucht fast 30 Minuten, bis Phil Green seine rettende Idee hat, sich selber als Jude auszugeben. Erst danach wird es spannend und der Zuschauer folgt auch erst ab diesem Zeitpunkt bereitwillig. Zuvor hat man es mit einer Romanze zu tun, die eine überkandidelte Neuengländerin und einen unglaublich gut aussehenden Gregory Peck zeigt und zunächst anmutet wie die leichte Version einer Screwballcomedy. Die Romanze war von Kazan so auch nicht gewollt – zumal sie ihn zu einem Happy End zwang, daß er ebenfalls für unangemessen hielt – doch der ausführende (und federführende – wir befinden uns 1947 mitten in den ausgehenden Glanzzeiten des Studiosystems in Hollywood) Produzent Darryl F. Zanuck, dem der Film ein persönliches Anliegen war, setzte die Liebesgeschichte durch. Man kann darüber streiten, ob das eine glückliche Wendung war, auf jeden Fall wird eine weitere Dimension eröffnet, indem der Film durchaus in der Lage ist, das Gift des Antisemitismus auch innerhalb einer Familie darzustellen. Der Hauptkritikpunkt bleibt die Tatsache, daß man sich von allem Anfang der Story an fragt, warum der ach so aufgeklärte, liberale und freigeistige Mr. Minify eigentlich keinen Schreiber jüdischen Glaubens auf die Serie ansetzt? Zwar kann so ein WASP in Reinkultur einmal erfahren, was es bedeutet, ständigen Ressentiments ausgesetzt zu sein, doch hätte Phil nicht die Idee, sich als Jude auszugeben, wäre es genau dazu ja nie gekommen. So bedient sich der Film eines Kunstgriffs, der selbst schon seltsam anmutet.

Man sollte nicht eine gute Sache gegen eine andere, einen guten Ansatz gegen einen anderen ausspielen, doch stellt sich durchaus die Frage, ob es auch 1947 nicht durchaus Themen gegeben hätte – den Rassismus gegenüber Schwarzen beispielsweise – die noch drängender gewesen wären, als der Antisemitismus. Doch in den Grenzen dessen, was in einem Hollywoodfilm im Rahmen der herrschenden Produktionsbedingungen möglich war, muß man doch bewundernd feststellen, wie weit GENTLEMAN`S AGREEMENT geht, wie deutlich er sein Anliegen vorträgt, wie kompromißlos er jene anprangert, die sich liberal geben und die rechten Worte im Munde führen, sich jedoch vornehm aller Taten enthalten. Es ist ein A-Film mit damals neben Peck gängigen Stars, der mit großem Aufwand hergestellt wurde. Daß andere Filme des gleichen Jahrgangs – genannt sei beispielhaft der Noirthriller CROSSFIRE (1947), den Edward Dmytryk mit Robert Young, Robert Ryan und Robert Mitchum drehte – sich ebenfalls des Themas annahmen und dabei möglicherweise weiter zu gehen bereit waren, fällt daneben leider kaum mehr ins Gewicht. Dabei kann man GENTLEMAN`S AGREEMENT durchaus bescheinigen, daß er trotz einiger Nominierungen und der erhaltenen Oscars als bester Film und für die beste Regie, nicht zu Kazans wirklichen Glanzleistungen zu zählen ist. Inszenatorisch hat er nicht die Kraft von A STREETCAR NAMED DESIRE (1951), ON THE WATERFRONT (1954) oder AMERICA , AMERICA (1963). Und anders als zumindest die erstgenannten Filme, hat er die Zeit auch nicht wirklich gut überdauert. Heute würde man sich des Thema vollkommen anders annehmen. Doch bleibt der Film ein gutes Beispiel dafür, daß Hollywood auch in seiner klassischen Ära immer schon ebenso sozial wie gesellschaftlich und politisch bewußte Filme hervorbrachte, die Statements zur Befindlichkeit der amerikanischen Gesellschaft abgaben und durchaus Einfluß hatten.

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