DER BABADOOK/THE BABADOOK

Ein faszinierendes Debut

Amelia Vanek (Essie Davis), lebt mit ihrem Sohn Samuel (Noah Wiseman) in einem großen, düsteren Haus. Amelias Mann verstarb bei einem Autounfall, als er die Hochschwangere zur Entbindung ins Krankenhaus bringen wollte. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist allein aufgrund dieser Tatsache schon angespannt, doch entwickelt Samuel zusehends absonderlichere Eigenheiten. Er ist fasziniert von Monstern, die das Haus bevölkern sollen, im Keller baut er sich ein wahres Sammelsurium an ausgesprochen phantasievollen Waffen zusammen, mit denen er seine Mutter gegen die Ungeheuer zu schützen gedenkt. Eines Abends sucht sich Samuel zum Vorlesen ein Buch aus dem Regal, das DER BABADOOK heißt und von einem ausgesprochen dunklen Mann berichtet, den man – einmal ins Haus gelassen – nicht mehr loswird. In der Folgezeit geschehen immer seltsamere Dinge im Haus, Amelia findet kaum mehr Schlaf und Samuel eckt zusehends bei Gleichaltrigen, aber auch bei Erwachsenen wie Amelias Schwester Claire (Hayley McElhinney) an. Mutter und Sohn sehen sich einer enormen Bedrohung ausgesetzt, zugleich wird das Binnenverhältnis zwischen beiden immer schlechter. Amelia versucht natürlich, nach außen die Fassade einer funktionierenden Mutter-Sohn-Beziehung aufrecht zu erhalten. Samuel hingegen ist kaum mehr in der Lage, sich der auf ihn einstürmenden Eindrücke zu erwehren. Wie zwei Ringer belauern sich Mutter und Sohn, jeder unsicher, was der andere eigentlich für ein Wesen ist? So wächst der Druck zwischen den beiden, ein jeder von ihnen fühlt sich selbst unter Druck gesetzt und irgendwo im Haus wartet der Babadook.

Vor einiger Zeit wurde eine nicht repräsentative Studie aus Israel bekannt, die sich wohl erstmals mit der Frage beschäftigte, wie Mütter zur Mutterschaft stehen. Erstaunlicherweise kam dabei heraus, daß es wohl eine doch signifikante Gruppe an Müttern gibt, die es hassen, Mutter zu sein. Wohl gemerkt hassen diese Frauen nicht ihre Kinder, doch dem Zustand der Mutterschaft konnten sie nichts abgewinnen. Es gibt mehr als einen Moment in Jennifer Kents kleinem Meisterwerk, in welchem man sich in einer Bebilderung eben jener Studie wähnt. Ein Beispiel dafür, wie der schlimmste Horror immer der Realität entwächst. Mindestens der Realität im Kopf.

Jennifer Kent legt mit THE BABADOOK ihren ersten Langfilm vor und erschafft gleich einen Meilenstein des modernen Horrorfilms. William Friedkin, der immerhin THE EXORCIST (1973) schuf – bis heute für viele der schrecklichste Horrorfilm aller Zeiten – gab zu Protokoll, daß THE BABADOOK in seinen Augen einer der grusligsten Filme sei, die er je gesehen habe. Solche Aussagen können einem Film eigentlich nur schaden, wecken sie doch Erwartungen, die sich meist nicht erfüllen. Doch in diesem Fall sei zu gegeben: Auch wenn es nicht der grusligste Film aller Zeiten sein mag, erzielt Jennifer Kent doch mit verhältnismäßig einfachen Mitteln eine verheerende Wirkung. Vielleicht böte THE BABADOOK Anlaß, einmal darüber nachzudenken, auf welch unterschiedliche Art und Weise Frauen und Männer Grauen empfinden und Grauen darstellen? Denn im Vergleich zu all den ultraharten Splatter-, Slasher- und Torturefilmen der letzten anderthalb Dekaden, verzichtet THE BABADOOK nahezu völlig auf Gewalt, wir sehen kein (kaum) Blut, uns werden keine wahnsinnigen Effekte geboten. Stattdessen schleicht sich der Schrecken ausgesprochen still und unmerklich ins Zentrum des Geschehens. Es sind uralte Mittel, die Kent nutzt: Schatten, die nachts an Fenstern entlang gleiten, Stimmen am Telefon, ein lautes Klopfen an der Haustür. Sicher, alles Effekte, die kaum mehr wen hinter dem Ofen hervorlocken – doch ist es eben auch immer die Frage, wie man sie präsentiert, wann und wie man sie einsetzt. Doch der größte Schrecken des Films geht von einem Kinderbuch aus.

Alex Juhasz zeichnet für das Bilderbuch THE BABADOOK verantwortlich, das den Schrecken, der zuvor eher diffus und ungreifbar war, kanalisiert und fassbar macht. Mit den wenigen Seiten dieses Buches, das sich im Laufe des Films allerdings verändern wird, dringt da Grauen in das Leben von Mutter und Sohn Vanek ein. Die abstrakten Zeichnungen eines großen, mit einem schwarzen Umhang bekleideten Mannes, der einen Zylinder trägt und dessen markantestes Merkmal sein weit aufgerissener Mund ist, sind derart eindringlich, daß dem Zuschauer des Films schon mulmig wird, wenn er gemeinsam mit Amelia und Samuel das Buch, von dem beide nicht wissen, woher es eigentlich kommt, wer es ins Haus gebracht hat, betrachtet. Kent und ihre Mitstreiter nutzen eine brillante Volte, wenn sie später, wenn es zum Schwur kommt und man zumindest andeutungsweise sieht, was da durchs Haus (oder doch eher die Köpfe der Protagonisten?) schleicht, auf genau diese Zeichnungen zurückgreifen und wir Schattierungen dessen erkennen, was das Kinderbuch uns zweifelsfrei hat sehen lassen. Da wird eine kindliche Zeichnung mit einem mal zu einer Bedrohung, wie Friedkin sie – polemisch gesprochen – mit all seinem Budenzauber in THE EXORCIST nicht hinbekommen hat. Wenn es in jüngster Zeit ein Beispiel für die alte aber wahre These gab, daß Angedeutetes weitaus schrecklicher sein kann, als die graphisch deutlichsten Widerlichkeiten, dann erbringt ihn THE BABADOOK. Selten, daß dieser Liebhaber des Schrecklichen von einem Film noch in einen Zustand versetzt wird, in dem er momentweise fingerkrallend überlegt, ob er wirklich wissen will, wie es jetzt weiter geht. Jennifer Kent hat es mit diesem kleinen Wunder an Schrecklichkeiten geschafft.

Sie hat dabei allerdings neben Juhasz noch weitere tatkräftige Hilfe gehabt, denn nahezu alle an diesem Projekt Beteiligten scheinen einen grandiosen Job gemacht zu haben. Angefangen bei den Darstellern – allen voran Noah Wiseman, der nie in das für viele Filme tödliche Schema des süßen Kindes verfällt, sondern ein auch dem Betrachter eher fremdes, distanziertes Kind bleibt – , über Kameraleute, Ausstatter – die Location, das Haus, ein seltsames Gebilde aus offenen Räumen und engen Gängen, ist grandios – bis zu den Verantwortlichen für die Soundeffekte, die in diesem Film eine enorme Rolle spielen, hat man es hier mit fabelhaften Leistungen zu tun, die als Gesamtpaket perfekt funktionieren. Mag sein, daß in den entscheidenden Momenten die auch auf diesen Seiten oft geschmähte CGI-Technik exzessive Anwendung findet – so eingesetzt, macht sie Sinn. Eine abstrakte Technik erzeugt abstrakte Schreckensbilder, die uns einen durchaus realen Schrecken einflößen. Manchmal passt das.

Ja, Jennifer Kent schafft ein kleines Wunderwerk des Grauens, einen Horrorfilm, der die Kriterien eines Geisterfilms erfüllt, der sich bei Poltergeistern und anderen Hauserscheinungen bedient, der all das bietet, was klassischen Grusel aumacht: Dunkle Ecken und Gänge; die schon erwähnten Schatten; düstere Kellerräume und quietschende Türen; fürchterliche Geheimnisse in verborgenen Winkeln; ebenso unerklärliche wie furchterregende Erscheinungen. Klassischer Grusel, klassischer Horror…wenn man dies denn überhaupt noch als einen Horrorfilm begreifen will. Möglicherweise hat man es hier mit etwas ganz anderem zu tun? Dem filmischen Ausdruck einer Psychose vielleicht? Was, wenn dies der Schrecken einer Mutter ist, der die Mutterschaft keine Freude bringt, die sich der Verantwortung, der Schwere der Aufgabe nicht gewachsen fühlt, der ihr Kind zunehmend fremder erscheint? Bedrohlich fast. Der Horror einer Mutter, die den Schrecken der Erkenntnis der Abneigung dem eigenen Kind gegenüber nur noch verarbeiten kann, indem sie externalisiert, was sie quält, es auf ihre Umwelt projiziert und schließlich – sich besessen wähnend – nur noch den Kindsmord als gangbaren Ausweg sieht? Und wäre das nicht sowieso der viel größere Schrecken im Vergleich zu all den Schauergestalten, die wir uns in unserer Phantasie vorstellen können?

Der Film nutzt die konkrete Bedrohung durch ein Wesen namens ‚Babadook‘ ausgesprochen subtil, wir können in den Situationen, in denen diese konkrete Bedrohung da ist, stattfindet, nicht unterscheiden, ob wir einen objektiven Blick geboten bekommen oder einen gnadenlos subjektiven – aus der Sicht von Amelia. Daß wir mit den Augen Samuels auf das Geschehen blicken, können wir früh ausschließen, denn es gibt zu viele „objektive“ Szenen, die ihn distanziert und reflexiv zeigen. Zugleich gibt es nur sehr, sehr wenige Szenen, in denen Amelia nicht anwesend ist. Und sie ist immer wach. Sie liegt im Bett, unter der Decke, den Vorgängen im Zimmer lauschend, sie sitzt vorm Fernseher und betrachtet sich Lon Chaney als Phantom der Oper – eben jene Szene, in der Erik die Maske weggerissen wird – , sie gibt Samuel schwere Schlafmittel, um ihn vom Träumen und Wachen abzuhalten. Sie halluziniert, bildet sich eine Bedrohung ein, die von einem Kinderbuch ausgeht. Wie ihr, verschwimmt auch dem Zuschauer zusehends die „objektive“ Realität – die Anwesenheit anderer Menschen, die Realität einer Arbeit (Amelia ist Krankenschwester, da sie ihren früheren Beruf als Autorin seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr ausübt), Probleme und Reibungen mit der Außenwelt in Gestalt der Schule und des Jugendamtes, der Nachbarin Mrs. Roach (Barbara West) – , mit Sicherheit kann man nicht mehr sagen, ob die Erscheinungen, derer man zweifellos ansichtig wird, nur noch Abbildungen des sich verdüsternden Geistes von  Amelia sind. Auf dieser Schwelle balanciert der Film ununterbrochen. Und das gelingt ihm bis zum Ende, was dem Zuschauer einen verstörenden Ausgang aus dem Geschehen bereitet.

Amelia verbindet die Bedrohung durch den Babadook schließlich mit ihrem toten Mann. Ihre Distanz zu Samuel, den sie nicht für den Tod seines Vaters verantwortlich zu machen versucht, der aber in seiner zur Hysterie neigenden Art, mit seinen Ideen, seinen Anfällen, seinen „Waffen“ und immer neuen Ungeheuern natürlich auch unendlich an den Nerven seiner Mutter zerrt, ist von allem Anfang an gegeben. Verstärkt wird sie durch Samuels  Verhalten in der Schule und in Gegenwart anderer Kinder. Der Kampf zwischen einer vollkommen übermüdeten, trauernden Mutter und einem sehr phantasievollen aber eben ausgesprochen anstrengenden Kind als Auslöser möglicherweise psychotischer Zustände, wird durch die formal geschlossene Erzählung  bekräftigt, die jedwede Interpretation zuläßt. Das verdeutlichen sowohl das Drehbuch als auch die Bildsprache, die Regie und Kamera wählen, nahezu perfekt. So bleibt die einzige merkliche Schwäche die (zu) spät vollzogene Wendung hin zu Amelias totem Mann. Obwohl dies die ganze Zeit im Raum steht, gelingt es dem Script nicht, die Verbindung wirklich nachvollziehbar und glaubwürdig zu gestalten. Sie wirkt schließlich etwas plötzlich, gewollt und aufgesetzt. Es entsteht der für neuere Horrorfilme leider allzu oft gültige Eindruck, als müsse zum Ende der ca. 96 Minuten eine Abrundung gefunden, als müsse unbedingt ein Zirkel geschlossen werden. Doch tut das dem Gesamteindruck letzthin keinen Abbruch. Dies ist ein sehr geschickter, ein in seinen Verwinklungen, in seinen Volten und Doppeldeutigkeiten vielschichtiger, gekonnter kleiner Gruselfilm, der dem Zuschauer langsam die Kälte in die Glieder kriechen läßt und ihn daran erinnert, daß wir alle Leichen im Keller haben, daß da immer etwas unter der Oberfläche gärt, das wir ununterbrochen zu befrieden suchen, damit es sich nicht Bahn bricht. Einige nennen es Unterbewußtsein, andere Trieb, wieder andere nennen es Es – warum nicht einfach…Baba-ba…dook…dook…dook…

 

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