DER UNHEIMLICHE GAST/THE UNINVITED
Ein lupenreiner Geisterfilm, einer der besten
Das Geschwisterpaar Roderick (Ray Milland) und Pamela (Ruth Hussey) Fitzgerald findet während eines Urlaubs in Cornwall ihr Traumhaus: Eine alte Villa auf einem windumtosten Kliff hoch über der stürmischen See. Sie kaufen es von Commander Beech (Donald Crisp), der es ihnen zu einem erstaunlich billigen Preis abtritt. Und offensichtlich gegen den Willen seiner Enkelin Stella Meredith (Gail Russell). Diese hat eine besondere Verbindung zum Haus, starb hier doch einst ihre Mutter. Schon bald nachdem sie eingezogen sind, geschehen seltsame Dinge im Haus: Nächtliches Stöhnen und Heulen, schnell verwelkte Blumen und die Weigerung diverser Haustiere, den oberen Stock zu betreten, deuten ebenso auf einen Spuk hin, wie die zunehmende Kälte in bestimmten Räumen und unterschiedlicher, doch intensiver, plötzlich auftretender Geruch in verschiedenen Zimmern. Mit Hilfe des Arztes Dr. Scott (Alan Napier) versuchen die Geschwister dahinter zu kommen, was es mit dem Haus auf sich hat, aber auch, wieso der Commander so unbedingt den Kontakt zwischen ihnen und seiner Enkelin zu unterbinden wünscht. Warum will er sie um jeden Preis von dem Haus fernhalten?
1944 drehte Lewis Allen THE UNINVITED als relativ vorlagengetreue Adaption einer Geistergeschichte von Dorothy Macardle. Es gelang ihm damit nicht nur sein wahrscheinlich bester Film, sondern auch ein wirklich guter Gespensterfilm, eine Subgattung des Horror- und Schauerfilms, die nur selten echte Perlen hervorbrachte.
Anders als der 16 Jahre jüngere THE INNOCENTS (1961), läßt THE UNINVITED keine Zweifel daran aufkommen, daß man es wirklich mit Geistern zu tun hat. Wo in Jack Claytons Henry-James-Verfilmung immer ein Restzweifel erhalten bleibt, ob es wahrer Spuk oder eben doch neurotischer Einbildung ist, die Miss Giddens und also uns, die Zuschauer, so ängstigen, bezieht Allens Film seine Spannung aus der Frage, was es mit dem nun eigentlich Spuk auf sich hat. Doch unterscheidet er sich ebenfalls von einem Film wie Robert Wise` THE HAUNTING (1963), der dem Zuschauer von allem Anfang an seine Schauwerte vorführt und damit zwar keine Zweifel am Spuk aufkommen läßt, den Zuschauer aber eher mit Spektakel denn mit Atmosphäre einzufangen sucht. THE UNINVITED geht da vollkommen anders vor. Zwar scheut er sich nicht, uns genretypische Effekte – das Heulen, flackernde Kerzen, knarrende Türen und sich von Geisterhand umblätternde Buchseiten – zu präsentieren, doch werden all diese Erscheinungen wie nebenbei behandelt. Es sind nicht diese Momente, die den Schrecken ausmachen, den der Film zu vermitteln weiß, sondern es ist die Grundatmosphäre, die uns nach und nach den Schauer im Nacken hinaufkriechen läßt. Wir betrachten oft die in die Tiefe und Dunkelheit sich hinein erstreckenden Räume, die Ecken, die in den Schatten liegen und die in undefiniertem Schummer verschwindenden Treppenfluchten und erwarten – etwas. Erwarten, daß da etwas aus den Ecken kriechen müsste, erwarten, daß etwas nach den Protagonisten greifen könnte, erwarten, daß sich etwas im Bildhintergrund materialisiert. Doch dieses Etwas stellt sich nie ein. Genau das ist es, was den Terror dieses Films ausmacht. Er spielt geschickt mit Erwartungshaltungen, nutzt dafür das hervorragende Dekor und dieses wunderbar in Szene gesetzte Haus und enthält uns in entscheidenden Momenten jedoch vor, was wir erwarten. Wenn der Geist sich dann schließlich zeigt, ist dies keineswegs mehr ein wirklicher Moment des Schreckens, sondern schlicht folgerichtig in der Logik der Geschichte und des Films selbst.
Es ist angenehm, daß der Film eine Grundregel des Geister- und Gespensterfachs ernst nimmt – nämlich die Annahme, daß Geister uns nicht zwangsläufig feindlich gesonnen sind. Geistererscheinungen sind meist Schutzerscheinungen oder aber es möchte uns jemand etwas mitteilen, eine unerledigte Aufgabe zu Ende bringen etc. Genau dieses Element bedient THE UNINVITED auf brillante Art und Weise. Es wurde dem Film vorgeworfen, sich erstens zu ernst zu nehmen und zum zweiten mit Millands Roderick Fitzgerald einen viel zu selbstsicheren Protagonisten zu installieren. Dieser nähme uns die Angst. Doch beide Punkte sind schnell entkräftet. Es gab – gerade in den 30er Jahren – eine Menge Geister- und Spukgeschichten auf der Leinwand, die das Sujet eher komödiantisch behandelten. Umso angenehmer, daß THE UNINVITED seine Geschichte und die Vorkommnisse darin ernst nimmt, unaufgeregt, ruhig und mit der nötigen Zeit, anstatt hysterisch oder schrill. Daß Milland zu selbstsicher auftritt, ist ebenfalls so nicht haltbar. Sicher, Roderick Fitzgerald will sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und dementsprechend sind seine Sprüche einige Male allzu flapsig. Doch ist es – zum Beispiel in jener Szene, in der er nur mit einer Kerze gewappnet erstmals dem nächtlichen Heulen auf den Grund zu gehen versucht – die Inszenierung der Dunkelheit, das Flächige der Räume, durch die er sich bewegt, die seine Sprüche ins Leere gehen lassen. So sehr er sich in Sicherheit wiegen mag – die ihn umgebende Düsternis spricht eine andere Sprache, bzw. sie raunt uns anderes zu. Wenn auch er sich nicht fürchten mag – wie tun es, stellvertretend.
Daß Humor und Grauen nah beieinander liegen, ist eine alte Weisheit des Genres. Die Haushälterin Lizzie Flynn in Gestalt von Barbara Everest ist es in häufigen Dialogwechseln mit Milland, die für einige Lacher sorgt, doch auch dabei bleibt uns eben dieses Lachen durchaus im Halse stecken, je mehr uns bewußt wird, was hinter all den Schrecknissen steckt. THE UNINVITED weiß die Balance gut zu halten zwischen dem Grauen und dem uns erleichternden Gelächter. Dazu trägt nicht nur die Atmosphäre bei, sondern auch eine gut aufgelegte Schar an Darstellern, die ein gut ausgearbeitetes Panoptikum an Figuren vorführen. Zwar wird die Story zum Schluß hin arg kompliziert, doch ermöglichen diese Komplikationen um Stellas Mutter und die Muse ihres Vaters, die beide in oder am Haus zu Tode kamen, einen Schwenk zum Pathologischen, was uns einmal mehr vor Augen führt, daß der Schrecken – selbst wenn die Erklärungen dafür, wieso er sich untot manifestieren kann, unser wissenschaftsgläubiges Wesen nicht befriedigen – letztlich immer menschgemacht, also diesseitig ist. Da hält der Film erneut auf seine ruhige und unaufgeregte Art die Balance, wird nie zur Kolportage oder ergeht sich in reiner Spekulation. Was wir vorgeführt bekommen, ist „glaubwürdig“ und somit umso furchteinflößender. Egal, ob Roderick Fitzgerald nun das Grausen befällt, oder nicht. Daß dem Film dies gelingt, ist allerdings Zeichen großer Könnerschaft.
Dies ist sicherlich einer der besten Geisterfilme, die uns Hollywood je gab – umso unverständlicher, warum der Film oft als ‚Film Noir‘ ausgegeben wird. THE UNINVITED ist ein lupenreiner Geisterfilm, nichts bis gar nichts läßt ihn als ‚Film Noir‘ erscheinen. Nun ist es ja mittlerweile schick geworden, nahezu alles als ‚Film Noir‘ auszugeben, was schwarz-weiß daherkommt und sich gewisser Schattenspiele bedient. Doch selbst wenn man den ‚Film Noir‘ nicht als eigenes Genre bewertet (ohne dann genau zu wissen, was er denn eigentlich sein soll), sondern lediglich als „Haltung“ oder „Stil“, hat man es hier nicht mit einem solchen zu tun. Nicht fatalistisch genug, einerseits, andererseits aber vor allem viel zu tief im Übernatürlichen, handelt THE UNINVITED schlicht keine Noir-Themen ab. Denn dem Noir ist doch letztlich das Menschlich-Allzumenschliche eigen, er handelt mit des Menschen Schicksal, das der sich selbst bereitet, untersucht die conditio humana unter den erschwerten Bedingungen einer sich zusehends feindlich gebärdenden Umwelt und zeigt uns die menschliche Schwäche als Grundmovens unseres Seins. Nichts davon in diesem Film. THE UNINVITED berichtet uns von an sich ganz zufriedenen Menschen, die mit Ereignissen konfrontiert werden, die eben nicht aus den fatalen Bedingungen ihres Seins zu erklären sind. Diese Menschen, sehr im Hier und jetzt verankert, werden konfrontiert mit Geschehnissen, die sie zunächst nicht glauben können, dann schnell zu glauben bereit sind und schließlich aufzudecken wünschen. Und die mit jeder Umdrehung der Schraube mehr begreifen, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde….genau.
So sei der gewarnt, der einen Thriller in Noir-Manier sucht. Hier hat man es mit einem Gruselfilm zu tun. Einem der besten.