THE WIND (2018)

Ein etwas unentschlossener Versuch, Horror und Western zu kreuzen

Elizabeth (Caitlin Gerard) und Isaac Macklin (Ashley Zukerman) haben sich Mitte des 19. Jahrhunderts irgendwo im amerikanischen Westen niedergelassen. Sie bewirtschaften eine kleine Farm. Elizabeth wird schwanger, verliert das Kind aber nach der Geburt. Sie versucht, sich gegen die Einsamkeit der Weite zu wappnen. Isaac konzentriert sich auf die Farm.

Zwischen den beiden kommt es immer mal wieder zu Streitigkeiten, weil Elizabeth überzeugt ist, daß es eine unheimliche Präsenz in der Steppe gibt. Eine Broschüre, die ihr einst auf dem Treck gen Westen ein Reverend (Miles Anderson) gegeben hat und die den Titel „Dämonen der Prärie“ trägt, wirft Isaac ins Feuer, als er sie bei seiner Frau entdeckt. Er befürchtet, daß ihre – wie er es sieht – Hirngespinste auch durch Schriften wie diese gespeist werden.

Eines Tages zieht das Ehepaar Harper in die Gegend. Gideon (Dylan Mc Tee) und Emma (Julia Goldani Telles) beziehen eine verlassene Hütte in der Nähe der Macklins. Isaac lädt die neuen Nachbarn zum Essen ein. Er erklärt Gideon, was dieser noch alles zu erledigen habe, bevor der Winter einbricht. Gideon scheint wenig Ahnung von einer Farm zu haben, sein Wissen scheint vor allem angelesen zu sein und vom Hörensagen zu stammen. Emma fragt Elizabeth, ob es in der Gemeinde bereits eine Kirche gäbe, was Elizabeth verneint. Sie seien noch zu wenige. Auf die Frage, wie viele sie denn seien, antwortet Elizabeth, sie seien nun zu viert, und lächelt.

In der Folge befreunden sich die Familien miteinander. Isaac und Elizabeth helfen den Harpers, die alte Hütte winterfest zu machen, einen Garten anzulegen und die Farm für das Frühjahr vorzubereiten. Zwischen Gideon und Emma scheint es Unstimmigkeiten zu geben, die die Macklins jedoch nicht verstehen.

Emma stellt Elizabeth allerhand Fragen, wobei sie keck wirkt und häufig nicht für das raue Leben in der Prärie geeignet. Allerdings scheint auch sie die von Elizabeth wahrgenommene Präsenz in der Steppe zu spüren. Eines Nachts steht Gideon voller Panik vor der Tür, Emma sei etwas zugestoßen, sie verhalte sich seltsam. Als Elizabeth in die Hütte kommt, findet sie Emma unter dem Bett. Die junge Frau redet wirr und behauptet, etwas sei hinter ihr her, versuche, sie zu „holen“.

Bei dieser Gelegenheit erfährt Elizabeth auch, daß Emma schwanger ist. Sie fürchtet um ihr Kind. Wie Elizabeth müsse auch sie ihr erstes Kind einem Dämon „opfern“. Elizabeth chloroformiert Emma und fordert Gideon auf, sich um seine Frau zu kümmern.

Die Schwangerschaft schreitet voran. Emma ist weiterhin überzeugt, daß etwas da draußen in der Steppe sie und ihr Kind holen will. Sie erzählt Elizabeth aber auch, daß sie das Kind – je nach dem, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird – entweder Isaac oder Elizabeth nennen will. Elizabeth schaudert es bei der Vorstellung.

Eines Tages liegt Emma mit einer Schußwunde im Kopf in der Hütte. Offenbar hat sie sich selbst erschossen. Elizabeth versucht, das Kind per Kaiserschnitt zu retten, doch gelingt ihr dies nicht. Die tote Mutter und ihr totes Kind werden gemeinsam beerdigt. Isaac und Gideon reiten anschließend los in die nächste Stadt – sie wollen den Tod der Frau und des Kindes melden, aber auch Männer holen, die Gideon helfen, seine Sachen zu packen, da er weiterziehen will; Isaac selbst braucht allerhand Dinge für die Farm. Elizabeth bleibt also für einige Tage allein auf der Farm zurück.

Die Paranoia kehrt zurück und erwischt Elizabeth mit voller Wucht. Die Hütte wird von Wölfen angegriffen, wobei unklar bleibt, ob es sich lediglich um hungrige Tiere handelt, oder ob da noch etwas anderes um die Hütte streift. In einem Verzweiflungsakt am nächsten Tag erschießt Elizabeth ihre Ziege, die aber einige Minuten später wieder lebendig auf sie zukommt. Nachts sieht Elizabeth Lichtreflexe in der verlassenen Hütte der Harpers.

Am nächsten Tag geht sie in die Hütte und durchsucht sie. Sie findet u.a. Emmas Tagebuch, dem sie entnimmt, daß Emma eine Affäre mit Isaac gehabt habe und das Kind von ihm sei. Elizabeth reißt die entsprechenden Seiten aus dem Heft und verbrennt sie. Dann wird sie Opfer einer übernatürlichen Attacke, möglicherweise ist es ein Poltergeist, der sie quält. Auch erscheint ihr mehrfach Emma in einer geisthaften Gestalt. Zurück in den eigenen vier Wänden, chloroformiert Elizabeth sich selbst, um sich die Ängste, Zweifel und ihre Wut auf Emma vom Leib zu halten.

Elizabeth wird wach, als es hart gegen die Tür klopft. Es ist der Reverend. Sie bittet ihn herein und bietet ihm etwas zu essen an. Er könne, wenn er dies wolle, in der alten Harper-Hütte schlafen, solle jedoch nach Einbruch der Dunkelheit nicht die Tür öffnen. Nachts steht der Reverend verängstigt vor ihrer Tür, etwas sei hinter ihm her, habe die Hütte attackiert. Elizabeth holt ihn in ihr Haus, merkt aber zu spät, daß sie es nicht wirklich mit dem Reverend zu tun hat, sondern nur mit seiner leeren, offenbar von einem Dämon besessenen Hülle. Elizabeth flieht aus ihrem Haus und verbarrikadiert sich in der Hütte der Harpers. Erneut wird sie Emmas ansichtig, die sie zu warnen scheint – vor was auch immer.

Am folgenden Morgen findet Elizabeth, als sie die Hütte verlässt, die Leiche des Reverends im Staub. Elizabeth nimmt ihr Gewehr und geht zum Grab ihres totgeborenen Kindes. Sie will sich ebenfalls erschießen, um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Da wird sie auf die Geräusche aufmerksam, die der heimkehrende Isaac macht. Als ihr Mann ihr berichtet, daß er unterwegs den Reverend getroffen und sich mit ihm unterhalten habe, verliert Elizabeth fast den Verstand und bedroht nun auch Isaac mit ihrer Waffe.

Die Dinge beruhigen sich ein wenig. Gideon räumt mit der Hilfe der Männer aus der Stadt die Hütte und reist weiter. Er hinterlässt Elizabeth eine Truhe mit Büchern, die Emma gehörten und die Isaacs Frau besser gebrauchen könne als er. Unter den Büchern findet sich auch genau jene Broschüre über die „Dämonen der Prärie“, über die Isaac und Elizabeth auch früher schon gestritten haben. Isaac, der befürchtet, seine Frau könnte vollends dem Wahnsinn verfallen, rennt aus der Hütte. Kaum hat er die Behausung verlassen, wird Elizabeth von einer unsichtbaren Kraft angegriffen und durch den Raum geschleudert. Dabei verletzt sie sich schwer an einer Nähschere.

Als sie zu sich kommt, ist sie ans Bett gefesselt. Isaac hat Emmas Tagebuch gefunden und schlußfolgert, daß die grundlos eifersüchtige Elizabeth Emma erschossen habe, daß es also kein Selbstmord gewesen sei. Elizabeth kann sich befreien und es kommt zu einem Kampf zwischen ihr und Isaac, bei dem sie ihn – unabsichtlich – mit einer Scherbe derart verletzt, daß er verblutet. Am kommenden Morgen stolpert sie, selbst immer noch blutend, in die Prärie hinaus. Während sie von Erinnerungen an die Geburt ihres eigenen Kindes überwältigt wird, starrt sie in die Weite und Leere des Landes…

Hybride gab es und gibt es im Film immer mal wieder. Genrekreuzungen, die mehr oder weniger aufgehen. Die bekanntesten und wahrscheinlich bestfunktionierenden Hybride sind jene zwischen dem Horrorfilm und der Science-Fiction. Dem Western wiederum sind Kreuzungen mit anderen Genres meist weniger gut bekommen. Wenn, waren es meist Komödien, die das Genre aber schlicht parodierten. Gelegentlich gab es Versuche; den Western in die Moderne – oder Postmoderne – zu überführen. Dann tauchten Aliens im Wilden Westen auf und Cowboys kämpften plötzlich gegen gigantische Maschinen. Den Western nun seinerseits mit dem Horrorfilm zu kreuzen, war eine eher seltene Übung. BONE TOMAHAWK (2015) war ein Western, der mit Horrorelementen – eher Elementen des Splatterfilms – arbeitete und dabei gut funktionierte, weil er sich im Großen und Ganzen an die Regeln und Konventionen des Western-Genres hielt, den Zuschauer lediglich mit kannibalistischen Indianern und einigen allerdings äußerst unappetitlichen Body-Horror-Einlagen konfrontierte. Im Kern war und blieb S. Craig Zahlers Film aber ein Western. THE WHITE BUFFALO (1977) ist wiederum ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Ein Monsterfilm im Gewande eines Western, der gern JAWS (1975) sein möchte.

Emma Tammi versucht sich in ihrem ersten Leinwandfilm THE WIND (2018) ebenfalls an einem Hybrid zwischen Horrorfilm und Western. Sehr ernsthaft erzählt sie die Geschichte der Macklins, ein junges Paar, das sich irgendwo in der Prärie des Westens niedergelassen hat. Eines Tages kommt ein weiteres Paar in die Gegend, was vor allen für Elizabeth Macklin eine Erleichterung ist, da ihr sie Weite, die Stille, die Einsamkeit der Wildnis zu schaffen machen. Sie freundet sich mit Emma Harper, ihrer neuen Nachbarin, an. Die scheint, wie sie selbst, Probleme mit der Prärie zu haben. Und wie sie selbst, scheint auch Emma seltsame Begebenheiten, eine Präsenz, wahrzunehmen.

Tammi bedient sich einer komplizierten Komposition aus verschiedenen Zeitebenen, wobei die Geschichte an ihrem Ende einsetzt. Während Elizabeths Mann Isaac mit dem Nachbarn Gideon Harper in die Stadt reitet, was einige Tage dauern wird, beseitigt Elizabeth die Überreste einer schaurigen Nacht: Sie hat der zu diesem Zeitpunkt bereits toten Emma deren Kind aus dem Leib geschnitten, die drei haben es gemeinsam mit der Mutter begraben, da es die Geburt offenbar nicht überlebt hat. In den Tagen, die Elizabeth nun allein auf der Farm ist, wird sie von Assoziationen und Flachbacks heimgesucht, die ihr und damit dem Publikum noch einmal skizzenhaft die Entwicklung seit der Ankunft der Harpers vor Augen führen. Sie erinnert sich, wie die anfangs eher stumme Emma sie immer wieder mit Fragen bestürmt hat, an die Sprachlosigkeit Gideons, den Unwillen Isaacs, die Vorkommnisse, die scheinbar übernatürlichen Charakter hatten, anzuerkennen oder überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. So setzt sich nach und nach eine Geschichte zusammen, die davon erzählt, wie religiöser Eifer zu Wahn werden kann, wie die Einsamkeit Menschen zum Äußersten treiben kann – und doch bleibt offen, ob man es hier nicht mit „Dämonen der Prärie“ zu tun hat und Elizabeths Wahrnehmungen schlicht stimmen. Ein Reverend, der während Isaacs Abwesenheit die Farm aufsucht und der, wie wir spät im Film erfahren, den damals noch auf dem Treck befindlichen Macklins eine Broschüre zugesteckt hatte, die eben diese Titel trug – „Dämonen der Prärie“ – taucht auf und verstärkt Elizabeth in ihren Befürchtungen, daß eben diese Dämonen nach ihr greifen.

Das klingt dahingeschrieben spannend und gut durchdacht. Doch tatsächlich geht in die obige Beschreibung schon jede Menge Interpretation ein. Daß man es u.a. mit religiösem Wahn zu tun haben könnte, muß sich der Zuschauer aus den Namen der Protagonisten – Elizabeth, Isaac, Emma und Gideon, weitestgehend alttestamentarische Namen – sowie des Einflusses, den der Reverend gehabt haben könnte, zusammenreimen. Auch Emmas Frage, ob es bereits eine Kirche in der Nähe gebe, deutet auf die Religiosität der Seidler hin. Allerdings sehen wir Isaac in einer von Elizabeths Rückblicken die Broschüre verbrennen, da er von abergläubischem Zeugs nichts hält.

Daß Einsamkeit eine entscheidende Rolle bei den Entwicklungen spielen könnte, muß man ebenfalls eher annehmen, als daß der Film hier eindeutig wäre. Es ist ein Topos des Westerns, daß das Land hart ist und bekämpft werden muß. Die Natur im klassischen Western ist ein Feind, ein Gegner, etwas zu Überwindendes. Gerade in den Filmen des Altmeisters John Ford wird dieser Aspekt des Siedlerlebens immer wieder hervorgehoben und thematisiert. Tammi und Kameramann Lyn Moncrief fangen die Weite, die die kleine Farm der Macklins umgibt, immer wieder in Bildern ein, die die Endlosigkeit des Landes und des Himmels gut rüberbringen und den Zuschauer spüren lassen, wie verlassen man sich hier fühlen kann. Den Tontechnikern gelingt es, den titelgebenden Wind wieder und wieder als stetes Flüstern im Gras und den wenigen Büschen wiederzugeben. Gegen die Weite der Außenaufnahmen steht die Enge in den Hütten der Macklins und der Harpers – auch wenn diese in ihrer Gemütlichkeit kaum authentisch jenen Siedlerbehausungen entsprechen, die man teils heute noch in Utah oder New Mexico begutachten kann und die eher primitiv und roh sind. Die Weite ist so eher mit etwas Feindlichem konnotiert, während die Häuser Schutz und Geborgenheit versprechen – aber auch eine gewisse Enge im Denken symbolisieren.

Aber ist Enge im Denken wirklich die richtige Beschreibung? Denn ähnlich wie in Robert Eggers THE WITCH: A NEW-ENGLAND FOLKTALE (2015), mit dem THE WIND gern verglichen wird – ein Vergleich dem er, das sei unumwunden eingestanden, nicht standhalten kann – ist es gerade die Möglichkeit, daß die Frauen recht haben könnten, daß da wirklich Dämonen über die Prärien reiten, auch ein Zeichen ihrer höheren Sensibilität, ihrer Wachsamkeit und Offenheit. Sie nehmen wahr, was die Männer nicht wahrhaben wollen oder können. Isaac verwickelt die gerade angekommenen Harpers sofort in ein Gespräch darüber, was sie vor dem heranziehenden Winter noch alles erledigen müssen, sein ganzes Dasein ist pragmatisch auf die Arbeit, auf der Farm ausgerichtet. Ist seine Reaktion auf Elizabeths Lektüre der Dämonen-Broschüre also schlicht Unwille, sich mit den Schrullen seiner Frau auseinanderzusetzen? Oder kann es sein, daß ihm die Vorstellung, etwas könnte da draußen sein, vielleicht selbst zu unheimlich ist und Seiten in ihm berührt, denen er – denen Männer möglicherweise – sich nicht stellen will/wollen?

Ohne dem Film – abgeleitet aus den Produktionsdaten, die viele, viele Frauen in der Crew aufweisen – einen feministischen Ansatz unterschieben zu wollen, wird hier doch in gewisser Weise auch eine Mischung aus patriarchalem Herrschaftsduktus, Religiosität und Geschlechterdifferenz bearbeitet, die sicherlich typisch für die puritanisch geprägte, alttestamentarisch ausgerichtete Siedlergemeinschaft des 19. Jahrhunderts gewesen sein mag. Frauen mögen zivilisiertere, vor allem sozial ausgerichtete, Wesen als Männer sein, der Film postuliert dies nicht explizit, deutet aber in den Reaktionen der Frauen auf die Weite des Landes und seine Bedingungslosigkeit immer wieder an, daß es für sie etwas anderes bedeutet, hier zu leben, als für ihre Männer. So spielt THE WIND mit einigen unterschwelligen Botschaften und Andeutungen, die er jedoch nie wirklich definiert.

Es sind Doppelbödigkeiten wie diese, die THE WIND lange spannend machen und den Zuschauer bei der Stange halten, ihn warten und mitfiebern lassen. Tammi gelingt von Anfang an eine bedrückende und bedrohliche Atmosphäre, wobei sie manchmal auf allzu leicht zu durchschauende Effekte setzt: Elizabeths Erinnerungen sind, solange sie nicht in der Nacht oder im strömenden Regen spielen, oft in ein fast goldenes Licht getaucht, während die gesamte Zeit, die in der unmittelbaren Gegenwart des Films spielt, in einem monochromen Grauton bebildert wird. Anfangs folgt man auch den Zeitsprüngen aufmerksam. Doch hier beginnen dann auch die Probleme des Films. Denn wie so oft, wenn Künstler auf die Technik des a-chronologischen Erzählens, des Vor- und Zurückspringens, setzen, folgt auf Verwirrung Desinteresse. Spätestens, wenn die Sprünge mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu geben, und der Zuschauer sich verschaukelt vorkommt, weil er das Gefühl hat, der Film will ihm immer voraus sein, will immer etwas klüger als sein Publikum sein, wird die Sache enervierend. Es gibt natürlich einige hervorragende Beispiele dafür, wie es funktionieren kann – Terry Gilliams TWELVE MONKEYS (1995) ist vielleicht exemplarisch zu nennen – doch wirklich gelingen kann die Technik meist nur, wenn die Macher sehr genau wissen, wie sie Timing und Anschlüsse setzen müssen. Es ist eine anspruchsvolle Technik.

Tammi beherrscht sie nur bedingt. Irgendwann wird die Geschichte zwischen den Macklins und den Harpers zu konfus, sind die Verhältnisse, die Beziehungen der einzelnen Figuren zueinander, nicht mehr nachzuvollziehen. Sind die Sprünge in den Ebenen uneindeutig und verwirren, da es gelegentlich auch nicht klar ist, ob man es noch mit Erinnerungen oder Phantasien zu tun hat. Ein Tagebuch kommt ins Spiel, das nahelegt, daß Isaac ein Verhältnis mit Emma hatte – andererseits deuten allerlei Hinweise immer wieder darauf hin, daß sich die beiden Paare eben erst kennengelernt haben, es also kaum die Zeit gehabt haben dürfte, sich intim näher zu kommen. Neun Monate – also die Dauer von Emmas Schwangerschaft – scheint die rückblickende Handlung in etwa zu umfassen. Doch entsteht irgendwann der Eindruck, als habe der Film sich in seiner eigenen Konstruktion verloren, wisse selbst nicht mehr genau, was Wirklichkeit, was Einbildung ist – und überließe es schlicht dem Zuschauer, sich seinen Weg durch das Dickicht zu bahnen, gleich, was dabei rauskommt.

Emma wird ein wenig lolitahaft inszeniert, sie ist jung, keck, verführerisch – auch Elizabeth gegenüber. So entsteht eine weitere Ebene der Konfusion, weil wir nicht wissen, was sich da wirklich im Kopf der jungen Dame abspielt. Flirtet sie schlicht mit jedem und jeder? Ist es ihre Angst, die sie hoffen lässt, in Elizabeth eine Freundin zu finden, die sie beschützt? Und wieso sollte sie dann eine Affäre mit Isaac anfangen? Da wir Elizabeth in nahezu jeder Szene auf der Leinwand sehen und die Geschichte radikal aus ihrer Perspektive erzählt wird – Caitlin Gerard verrichtet einen brillanten Job in der Darstellung der Elizabeth Macklin – könnte es sein, daß dies eben schlicht und subjektiv nur ihre Gedankenspiele wiedergibt. Doch dann müssten wir mehr über sie erfahren, müssten besser verstehen, wie sie tickt, welchen Hintergrund sie hat, warum sie überhaupt mit Isaac das Abenteuer, die Mühen eines Trecks, auf sich genommen hat und irgendwo im Nichts ein Leben aufzubauen versucht. Doch das Drehbuch von Teresa Sutherland gibt auf diese Fragen keine Antworten. So, wie alle Protagonisten hier letztlich seltsam geschichtslos, generell losgelöst von jeglichem sozialen Bezugsrahmen erscheinen. So wirken diese Menschen zwar wie Verlorene in einem Ozean aus Gras und Steppe, doch bleiben sie uns zu fremd, um wirklich mit ihnen zu fiebern oder um sie zu bangen. Und Elizabeths wirkliche Einbildungen markieren dann wiederum so eindeutig Schockmomente des Films – Emmas Geisterscheinung sei als Beispiel genannt – , daß das Tagebuch wohl kaum eine Einbildung sein wird – zumal Isaac es findet.

Daß die ganze Geschichte letztlich nur tragisch enden kann, versteht sich fast von selbst. Und wie in seinen meisten Aspekten und Effekten, gleicht THE WIND auch hier eher intelligenten modernen Horrorfilmen, als einem Western. Denn seit der Markt für das Unheimliche wieder boomt, hat es unzählige Werke gegeben, die oft gute Ideen, eine tolle Atmosphäre und über lange Zeit auch fesselnde Spannung bieten, die aber nahezu alle an ein und demselben Symptom kranken: Sie finden zu keinem guten Ende – im Sinne des Films. Die Ideen tragen, aber sie finden keine Conclusio. So verebben viele dieser Produktionen oder überbieten einander in Brutalität und Ekeleffekten, um über die Schwächen des Drehbuchs hinwegzutäuschen. Ein wenig hat man bei THE WIND den Eindruck, daß seine a-chronologische Erzählstruktur genau dazu dient. Denn denkt man sich die Geschichte von vorn nach hinten in einem chronologischen Ablauf, wäre sie möglicherweise fesselnder, weil der Zuschauer nicht die ganze Zeit schon Hinweise im Hinterkopf hat, auf deren Auflösung er geradezu wartet. Warum sind die zwei im Film geborenen Kinder tot? Denn auch Elizabeth hat bereits ein totes Kind zur Welt gebracht, wie uns eine weitere Rückblende zeigt. Wieso wurde Emma der halbe Kopf weggeschossen, wie uns bereits die allererste Szene offenbart? Oft sitzt man mit einer imaginären Liste im Kopf da und hakt die aufzulösenden Rätsel ab.

Mit seinen langen Einstellungen und dem gemächlichen Tempo lädt der Film dann eben auch zu dauernder Spekulation ein. Nicht jede minutenlange starre Einstellung entspricht einem Bild von Tarkowskij. Hier wird generell viel Leerlauf überdeckt. Und von einem Western, soviel sei abschließend verraten, bleibt nicht viel. Dies alles spielt irgendwo im Westen, irgendwann im späteren 19. Jahrhundert. Der Film funktioniert jedoch in seiner inneren Logik und in seinem Aufbau wie ein Horror- oder Geisterfilm. Er verfolgt keine Western-typischen Motive, er befolgt keine Regeln des Genres, er bietet nahezu nichts, was einen Western ausmacht. Er ist lediglich in einem Setting angesiedelt, das einem Western ebenso dienen könnte. Doch nicht jeder Film, der irgendwann im 19. Jahrhundert im Westen der USA spielt, muß zwangsläufig ein Western sein.

THE WIND ist voller guter Ideen und guter Ansätze, die er aber nicht in eine kohärente Story umzusetzen versteht. Atmosphäre macht viel aus in einem sich dem Übernatürlichen widmenden Film, doch ist sie nicht alles, außer man will etwas Surreales erwecken. Zu schwach in der Figurenzeichnung, zu unentschlossen in Richtung und Ziel, bleibt Tammis Film immer wieder stecken und scheitert schließlich an seinen eigenen Ansprüchen, die gerade die ersten zehn Minuten im Zuschauer hervorrufen. Dennoch lohnt sich THE WIND, weil er über eine recht lange Zeit packt und Spannung erzeugt. Es gelingt nur nicht, diese Spannung aufrecht zu erhalten und anzuziehen, da dem Zuschauer irgendwann zwischen zu vielen Möglichkeiten der Interpretation die Luft ausgeht. Vergebene Chancen.

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