THINNER
Tom Holland verdirbt uns den Appetit
Der Anwalt Billy Halleck (Robert John Burke) hat ein hervorragendes Händchen vor Gericht, was ihn u.a. einen Freispruch für den Mafia-Boss Richie Ginelli (Joe Mantegna) erwirken lässt. Der entlohnt den Anwalt fürstlich, bietet ihm aber auch seine Hilfe bei was auch immer an.
Halleck lebt in häuslichem Glück mit seiner Frau Heidi (Lucinda Jenney) und seiner Tochter Linda (Bethany Joy Lenz). Einziger Wermutstropfen ist Billys massives Übergewicht, das Heidi mit allerlei Diätplänen zu bekämpfen versucht. Billy sieht es nicht wirklich ein, warum er abnehmen soll, seiner Frau zuliebe tut er allerdings wenigstens so, als hielte er sich an ihre Vorgaben.
Eines Abends fahren Billy und Heidi nachhause und während Billy den Wagen lenkt, befriedigt Heidi ihn oral. Dadurch ist Billy abgelenkt und überfährt eine plötzlich auf die Straße tretende alte Frau. Es ist eine Zigeunerin, die Tochter von Tadzu Lempke (Michael Constatine) und Großmutter von Gina Lempke (Kari Wuhrer), die in der Nähe der Stadt ihr Lager aufgeschlagen haben.
Vor Gericht ist der Fall schnell erledigt. Halleck ist gut bekannt mit Richter Rossington (John Horton) und dem Polizeichef Hopley (Daniel van Bargen), die die Fakten so drehen, daß Billy sauber aus der Sache herauskommt. Doch kaum dem Gericht entkommen, tritt der alte Lempke an Billy heran und berührt ihn leicht an der Wange, während er etwas Unverständliches murmelt.
Infolge stellt Billy fest, daß die diversen Diäten anzuschlagen scheinen. Schneller als je erwartet, verliert er Gewicht. Allerdings verliert er es laut seiner Frau und seines Arztes, Dr. Mike Houston (Sam Freed), viel zu schnell. Da Billy sich weigert, in eine Spezialklinik zu gehen, will seine Frau mit Hilfe von Houston Billy für verrückt erklären und einweisen lassen. Billy schöpft erstmals Verdacht, daß zwischen Heidi und Houston mehr sein könnte, als reine Freundschaft.
Billy wird zusehends dünner, er versucht herauszufinden, was mit ihm los ist, kann sich aber keinen Reim auf seinen Gewichtsverlust machen. Eher zufällig erfährt er, daß der Richter sich angeblich in einer Klinik im Mittelwesten aufhält, wo er sich erholt. Doch schnell kommt er dahinter, daß auch Rossington seltsame Dinge widerfahren. Er verwandelt sich langsam in eine Eidechse. Auch Chief Hopley ist betroffen: Ihm wachsen überall am Körper eitrige Beulen.
Billy kommt der schreckliche Verdacht, daß Lempke ihn und die anderen am Prozeß Beteiligten verflucht hat. Nachdem Rossington und Hopley Selbstmord begangen haben, geht Billy ins Zigeunerlager und stellt Lempke und dessen Leute zur Rede.
Der alte Zigeuner erklärt, nie würden sie gesehen, sie wären für Weiße unsichtbar. Genau deshalb habe Billy auch seine Tochter nicht gesehen und überfahren. Billy versucht verzweifelt, Lempke zu überzeugen, ihn von dem Fluch zu befreien, doch der weigert sich. Daraufhin gerät Billy in Zorn und verhängt den „Fluch des weißen Mannes“ über die Zigeuner, die darüber nur herzhaft lachen können. Als Billy keine Ruhe geben will, schießt Gina mit ihrer Schleuder eine Stahlkugel durch Billys Hand, der daraufhin das Weite sucht.
Nachdem er sich verarzten ließ, ruft er Ginelli an, der sofortige Hilfe verspricht. Er erklärt Billy, daß er die Sache nun in die Hand nähme und dazu den „Fluch des weißen Mannes“ gebrauche, um die Zigeuner zu verängstigen. Er tötet deren Hunde und bedroht immer wieder verschiedene Angehörige von Lempke. Zwar setzen diese sich zur Wehr, doch schließlich willigt der alte Zigeuner ein, den Fluch von Billy zu nehmen.
Die beiden treffen sich, Lempke schneidet Billys Hand erneut auf und drückt sein Blut in einen Erdbeerkuchen. Dieser müsse nun von jemandem schnell gegessen werden. Wer immer den Kuchen esse, sei der neue Träger des Fluchs. Doch Lempke fordert Billy auch auf, das nicht zu tun, den Fluch wie ein Mann zu ertragen und ehrenhaft zu sterben. Doch Billy weiß schon ganz genau, wem er den Kuchen zu essen gibt: Heidi. Denn die hat er mittlerweile vollends im Verdacht, mit Houston fremdzugehen.
So versucht Billy, Linda dazu zu überreden, abends bei einer Freundin zu schlafen. Er selbst kehrt spät in sein Haus zurück und überredet Heidi, von dem Kuchen zu essen. Als er am nächsten Morgen wach wird, liegt seine Frau tot neben ihm im Bett.
Billy geht in die Küche, wo er Linda begegnet, die ihm erklärt, daß sie doch heimgekommen sei, Sie habe eben ein Stück von dem sehr leckeren Erdbeerkuchen gegessen. Billy verfällt erneut in Verzweiflung, weil er begreift, daß er aus Versehen auch seine Tochter mit dem Fluch belegt hat. Gerade will er selbst ein Stück von dem Kuchen essen, um sich zu bestrafen, da klopft es an der Tür. Es ist Dr. Houston, der sich erkundigen will, ob alles ok ist. Billy bittet ihn herein und bietet ihm ein Stück Kuchen an…
Erfolgsautor Stephen King veröffentlichte sieben Romane unter dem Pseudonym Richard Bachman. Darüber, warum er dies tat, gibt es ganz unterschiedliche Berichte, eine der besseren Begründungen lautet, King habe nach seinen frühen Erfolgen wissen wollen, ob die Leute ihn nur wegen seines Namens läsen, oder ob seine Bücher immer noch die Qualität hätten, ein Massenpublikum aus sich heraus anzusprechen. Wie dem auch immer sei, man kann durchaus feststellen, daß die Bachman-Romane düsterer, oft brutaler sind, als Kings „originale“ Werke. Die Geschichten kommen oft kruder daher und bieten wenig Aussicht auf Hoffnung oder gar ein Happyend. Allerdings sind sie oft auch von einem grimmigen Humor beseelt.
1985 ließ King Bachman sterben, veröffentlichte später jedoch noch einige, angeblich posthum gefundene, Werke unter dem Namen. Der letzte offizielle Roman aus Bachmans Oeuvre zu Lebzeiten war THINNER (erschienen 1984). Eine wilde Geschichte um den Anwalt Billy Halleck, der versehentlich eine Frau überfährt und dank der gütigen Mithilfe eines Richters und des Polizeichefs von aller Verantwortung freigesprochen wird. Doch der Vater der Frau, ein Zigeuner, verflucht den ständig mit seinem Gewicht kämpfenden Täter, der daraufhin dünner und dünner wird.
Betrachtet man sich die mittlerweile schier endlose Liste der Verfilmungen von Kings Werken, derer die meisten keinen sonderlich guten Leumund haben, wundert es natürlich nicht, daß auch THINNER früher oder später unter die Fittiche Hollywoods genommen wurde. Unter der Regie des Schock-Spezialisten Tom Holland (nicht zu verwechseln mit dem jüngsten Spiderman-Darsteller) entstand mit dem gleichnamigen THINNER (1996) ein comichafter, durchaus spannender, mehr aber noch komischer Film über einen Mann, der mit einem Dauerlächeln durch sein von diversen Fressattacken bestimmtes Leben wandelt und den scheinbar kein Wässerchen trüben kann. Es sind vor allem die in der Handlung immer wieder aufgegriffenen Fressorgien, zunächst Ausdruck purer Lust, dann wachsender Furcht, die dem Film seinen ebenso komischen wie ekelerregenden roten Faden verleihen.
Holland, der zuvor vor allem mit CHILD`S PLAY (1988) auf sich aufmerksam gemacht und einen wahren Kultklassiker geschaffen hatte, nutzte die Fallstricke der Handlung, um sein Publikum zu amüsieren, ein wenig zu ekeln und gelegentlich auch zu schocken. Er verzichtet aber weitestgehend auf allzu grelle Schockeffekte oder gar die genretypischen Gore- und Splatter-Einlagen. Heimlicher Held des Films ist letztlich so oder so die Maske, denn es gelingt dieser hervorragend, Hauptdarsteller Robert John Burke in gut 90 Minuten Laufzeit von einem übel Übergewichtigen in einen sterbenskranken dünnen Hering zu verwandeln. Das überzeugt auch ohne jene CGI-Effekte, die heutzutage für solche Effekte genutzt würden.
Holland, der auch maßgeblich am Drehbuch beteiligt war, nutzte die Bachmann/King-Vorlage, um eine hanebüchene Story in einen guten und spannungsreichen, aber eben auch recht witzigen Horrorfilm umzusetzen. Daß gute Horrorfilme meist den Schrecken mit Humor paaren, liegen Schreien und Lachen doch so oder so nah beieinander, hatte er auch in seinen früheren Drehbüchern und Filmen bewiesen, hier allerdings bietet er ein Panoptikum durch und durch böser und verkommener Gestalten, deren keine einzige wirklich sympathisch ist. Sie sind der wahre Horror. Und ihren gar schauerlichen Schicksalen schauen wir umso lieber zu. Anwalt Billy Halleck, den der Fluch des Zigeuners trifft, ist ein selbstgefälliger Mann, der problemlos einen rührigen Mafia-Boss verteidigt und dies vor seiner kritischen Frau unter anderem damit rechtfertigt, daß sie das Geld, das er mit Prozessen wie diesem verdiene, ja auch genieße. Die dem Unfall folgende Verhandlung wird zu einer Farce, haben sich Angeklagter, Richter und Polizeichef doch längst abgesprochen. Man will sich nicht in die Quere kommen. Und ganz unschuldig ist Hallecks Frau auch nicht, da der Unfall in einem Moment geschah, als Billy doch maximal abgelenkt war von dem, was seine Frau gerade unterhalb seiner Gürtellinie trieb. Und außerdem – wer kümmert sich schon um eine Zigeunerin?
Holland baut diese rassistische Ebene recht geschickt in den Film ein. Männer wie Halleck, Richter Rossington oder Polizeichef Hopley sind das, was man in konservativen Kleinstädten gern „Honoratioren“ nannte. Ihr Wort hat Gewicht, ihrer Auslegung der Gesetze folgt man. Daß Männer wie diese sich kaum etwas von Zigeunern – der Begriff ist hier insofern ok, weil er auch in der Darstellung der Betreffenden nur und ausschließlich auf das Klischee des „fahrenden Volkes“ abhebt, nie bewegt sich die Handlung auch nur in der Nähe einer realistisch dargestellten Wirklichkeit – am Zeug flicken lassen, versteht sich geradezu von selbst. Der alte Mann, der die drei dann mit einem Fluch belegt, erklärt es Halleck an einer Stelle des Films explizit: Man übersieht sie. Und genau so hat Halleck auch die Tochter des Mannes übersehen, bevor er sie überfuhr, ganz egal, was ihn gerade ablenkte. Zwar behauptet der Film nie, daß hier symbolisch stellvertretend Vergeltung geübt werde für ein Unrecht, daß den Zigeunern kollektiv angetan wurde, aber eine gewisse Genugtuung kann sich der alte Lempke nicht verkneifen – und wie ihm geht es auch uns als Zuschauern, sind uns Halleck, der Richter und der Chief doch recht schnell recht widerwärtig.
Dazu trägt ganz sicher auch Burkes Dauergrinsen bei, das immer etwas schmierig wirkt, das er auch gegenüber seiner Tochter kaum verändert und das erst mit „zunehmendem“ Erfolg der ungewollten Diät sukzessive und entsprechend der Pfunde, die er auf der Waage verliert, abnimmt, schließlich erstirbt und sich spätestens in jenem Moment, in dem er hilflos und allein im Zigeunerlager steht, in eine nahezu diabolische Fratze der Wut und des Hasses wandelt. Holland versteht es aber klug, uns auch Lempke und seine Leute wie ganz durchschnittliche Leute zu verkaufen, die ihre kleinen Schwächen und Gemeinheiten haben. Denn die Schadenfreude ob des Mißgeschicks des „dünnen Manns“ können und wollen sie sich nicht verkneifen. So wirken sie allzu menschlich und zugleich doch auch wie Opfer einer Gesellschaft, die im Film eindeutig von weißen Herren geprägt ist.
Das, was der Fluch dann mit jenen, die er trifft – während Halleck langsam aber sicher verschwindet, verwandelt der Richter sich zusehends in ein echsenartiges Wesen, das nach Aussage einiger Beobachter viel mehr seinem Charakter entspräche, als sein bisheriges Aussehen, der Polizeichef wird derweil durch eitrige Beulen verunstaltet, beide ziehen die Konsequenz und bringen sich ob ihres Schicksals um – veranstaltet, zelebriert der Film geradezu. Buch und Regie ergötzen sich am Leiden der drei Widerlinge und auch der Zuschauer kann dann eben nicht umhin, deren Schicksal zu begrüßen. Und die Maske ist nicht nur in Hallecks Fall hervorragend, sondern auch die beiden anderen Herren werden mit entsprechend widerlich anzusehenden Veränderungen in Gesicht und an den Körpern gezeigt. Da Holland es aber wie beschrieben auch wagt, den alten Zigeuner, der eher dem Klischee eines alten Indianerhäuptlings entspricht, nicht gerade sympathisch zu zeichnen, bleibt das Lachen über dessen Rache doch eher verhalten. In der Welt von THINNER gibt es eigentlich nur Hinterhalt, Zynismus und Ranküne.
Allzu ernst sollte man das natürlich alles nicht nehmen. Hier geht es um Unterhaltung, nicht um kritische Reflektion. Schon im Buch ist der Rückgriff auf Zigeuner nichts weiter als ein Rekurrieren auf Klischees und Folklore, die sicherlich ein denunziatorisches Moment hat. Doch werden die Zigeuner, wie alle Figuren hier, derart überzeichnet, daß man wahrlich nicht von einem rassistischen Film sprechen kann, zumal ihr Anliegen nachvollziehbar ist. Nur ihre Methoden, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sind halt etwas…eigenwillig. Und alle weißen Mittelschichtler dieses Films, einschließlich des italienischstämmigen, von Joe Mantegna gespielten, leicht sadistischen Mafiabosses Richie Ginelli, sind derart bigotte und egoistische Gestalten, daß man ihnen alles Schlechte dieser Welt nur zu gern an den Hals wünscht.
Der eigentliche Horror besteht dann auch in Hallecks verzweifelten Versuchen, gegen seine neue Schlankheit anzufressen. Darin liegt aber eben auch das komische Moment des Films. Denn natürlich versuchen seine Frau und die gemeinsame Tochter, den fetten Vater zu diversen Diäten zu überreden, die dann, als der Fluch zuschlägt, quasi in ihr Gegenteil gewandelt werden. Selten hat man einen Schauspieler in einem Film derart viel essen sehen – vielleicht vergleichbar mit den Protagonisten in Marco Ferreris LA GRANDE BOUFFE (1973) – und dabei so wenig Appetit verspürt. Wenn Halleck nach einem ausgiebigen Dinner in einem Diner, etlichen Steaks, Hähnchen, Beilagen, eine Schale mit reiner Schlagsahne gereicht bekommt und diese genüsslich löffelt, will man als Zuschauer nur noch wegsehen. Bachman/King und auch Holland erlauben sich ein böses und sehr lustiges Spiel mit dem amerikanischen Diät- und Schlankheitswahn, der vor allem in den 80er und frühen 90er Jahren grassierte.
Ebenso komisch wirken Hallecks verzweifelte Versuche, den Zigeunern mit dem „Fluch des weißen Mannes“ beizukommen und ihnen Angst einzuflößen. Daß Mafioso Ginelli sich dies zunutze macht, um die Zigeuner im Sinne seines Anwalts und Freundes zu manipulieren, mag diese zwar kurz verstören, trägt aber auch nicht dazu bei, Halleck von seinem Schicksal zu befreien. Zwar scheint der alte Zigeuner irgendwann nachzugeben und nimmt den Fluch von Halleck, doch seine Aufforderung, als „ehrlicher Mensch“ zu sterben und den Fluch, wie es sich nun einmal gehört, nicht an irgendwen weiter zu geben, schlägt der Anwalt in den Wind, was letztlich grausige Folgen für seine Familie hat.
Gemessen an dem, was Horrorfilme auch im Mainstream der 90er oft boten, hält THINNER sich mit Gewaltexzessen, Splatter und Ekel weitestgehend zurück. Das Zertifikat „ab 18“ dürfte auch eher auf die sexuellen Anspielungen und Eindeutigkeiten zurückzuführen sein. Es fließt ein wenig Blut, es gibt sicherlich einige Gore-Momente, vor allem wenn Richter und Polizeichef in fortgeschrittenen Stadien ihrer Verwandlungen zu sehen sind, doch Holland setzt ganz auf den subtilen Schrecken und seine Schauspieler, die das Ganze in eine Parodie, eine Farce, eine böse Klamotte verwandeln. Hier wird eine Welkt lebendig, die mit monströsen Gestalten bevölkert ist.
So ist dies einmal mehr eine jener zahlreichen King-Verfilmungen, denen selten Qualität zugestanden wurde, die aber – man vergleiche auch einen Film wie THE MANGLER (1995) – bei zweiter Begutachtung und gebührendem zeitlichem Abstand durchaus Qualitäten aufweisen und überzeugen können. Kleine, dreckige, vergleichsweise billige Produktionen, die aber manches Mal den Geist der Vorlagen auf eine treffende, manchmal hintergründige, oft durchaus gelungene Art und Weise einfangen. Und dabei in hohem Maße unterhaltsam sind.