Von der Meinungsfreiheit
Wider die Verbote! Lasst sie reden, die Leugner und Verharmloser...
Man liest es allenthalben: In Deutschland herrsche Meinungsunterdrückung und Sprachverbot. Natürlich ist das hanebüchener Unsinn, aber es wird derart oft wiederholt, daß es vielleicht doch einmal an der Zeit ist, darauf einzugehen.
Es gibt in Deutschland so ziemlich genau eine Meinung, die unterdrückt wird, das ist das Leugnen des Holocaust, also des organisierten Völkermordes an Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und politisch Andersdenkenden u.a. durch Deutsche und ihre Helfershelfer während des 3. Reichs, also während der Hitlerdiktatur 1933-1945. Man setzt sich meist in die Nesseln, wenn man behauptet, Deutschland sei nicht am Ausbruch des 2. Weltkrieges schuld, doch wird man nicht mit einer Klage rechnen müssen, sondern sich damit zufrieden geben, eben einsam und allein in der Wüste zu rufen, wenn man denn der Meinung ist, dies träfe so wirklich zu.
Was die Kriegsschuldthese zum 1. Weltkrieg angeht, hat sich die Historikerzunft mittlerweile – nicht zuletzt durch Christopher Clarks passend zum „Jubiläum“ erschienenes Buch THE SLEEPWALKERS. HOW EUROPE WENT TO WAR IN 1914 (2012) – weit von Fritz Fischers Kriegsschuldthesen entfernt. Daß es nicht ganz so einfach gewesen ist, hatte man schon geahnt, Clark häuft Beweise über Beweise und ist doch nicht der Erste gewesen, bedenkt man bspw. Barbara Tuchmans THE MARCH OF FOLLY: FROM TROY TO VIETNAM – AB MEDITATION ON UNWISDOM (AS DISTINCT FROM STUPIDITY) AS A FORCE IN HISTORY (1984) oder ihr epochemachendes THE GUNS OF AUGUST (1962). So kann man beobachten, wie vielleicht einmal politisch richtige Thesen, die dennoch arg steil waren, durchaus beharrlich untersucht und schließlich auch widerlegt werden können, ohne daß man dabei komplette Geschichtsklitterung betreiben muß.
Nein, es sind nicht viele „Meinungen“, die man in Deutschland nicht laut äußern darf. Es ist wirklich und exakt nur eine einzige. Und so kann man doch eigentlich getrost damit leben, daß diese verboten ist, denn wenn man in einem Forum, oder wo heute so „diskutiert“ wird, genau das sagt: Meine Meinung wird in Deutschland unterdrückt!, dann hat man damit ja schon deutlich gemacht, welche gemeint ist und was man zum Ausdruck bringen möchte. So gesehen wird die Meinung auch nicht unterdrückt, sondern – im poststrukturalistischen Sinne – ist ihre Abwesenheit das klare Zeichen ihrer Anwesenheit. Ja, das Verbot ist sogar eine gewisse Hervorhebung. Welche Meinung kann sich schon damit brüsten, unterdrückt zu werden? Verboten zu sein? Sicher, wenn man sich in eine Kneipe am Dortmunder Borsigplatz stellt und dort zum Besten gibt, daß die Lüdenscheider den Königsblauen aus Gelsenkirchen das Wasser niemals werden reichen können, könnte es zu einer spontanen Unterdrückung dieser Meinung kommen. Aber lassen wir solcherlei einmal außen vor, muß man doch sagen, daß es dezidiert wenige Meinungen sind, die nicht laut zu äußern wären.
Ein Vorschlag zur Güte: Man sollte alle und sämtliche Meinungen auch in Deutschland erlauben. Wenn jemand meint, sich vollkommen entblöden zu müssen und davon schwadroniert, das mit dem Holocaust sei eigentlich alles ganz anders, ja sogar genau ANDERSRUM gewesen, dann wird man einen solchen Schwadroneur kaum mehr vom Gegenteil überzeugen können. Wenn nun ein solcher Schwadroneur Gehör findet, sollte uns das eher hinsichtlich des schulischen Geschichtsunterrichts zu denken geben. Wir sollten mehr Vertrauen in uns, unsere Bildungssysteme und die Intelligenz der Nachgeborenen haben.
Es wird immer ein paar Figürchen geben, die leugnen, was nicht zu leugnen ist und was mittlerweile ganz anderen Gefahren ausgesetzt ist. Denn die Augenzeugen sterben und eine schleichende Historisierung setzt ein, die sich auch in Mehrteilern wie UNSERE VÄTER, UNSERE MÜTTER aus dem Jahr 2013 ausdrückt. Auf einmal wendet man sich ab von den Opfern des Krieges und der Shoah und betreibt Nabelschau, „endlich“ dürfen Deutsche als Opfer gezeigt werden. Wir werden es nicht verhindern können, auch nicht verhindern müssen, ist es doch letztlich ein freierer und damit gesünderer Umgang auch mit den Unbilden der eigenen Geschichte, aber es wäre auch nicht falsch, zukünftigen Generationen gelegentlich Claude Lanzmanns Jahrhundertwerk SHOAH (1985) zu zeigen. Das, was zwischen 1933 und 1945 in Europa, ausgelöst durch den Größenwahn eines Adolf Hitler und seiner Gesellen und eines Volkes, das diesen Gesellen und seinen Ideen verfallen war, geschehen ist, entschwindet in der Zeit, wird immer fernere Vergangenheit. Doch bleibt es ein besonders Stück Geschichte, das vielleicht auf Dauer andere, hellere Abschnitte der deutschen Geschichte nicht vollends verdrängen sollte, das in seiner Spezifik jedoch immer einen gesonderten Platz im Gedächtnis beanspruchen darf.
Die Deutschen, bei allen Defiziten, die sie auch in seligen BRD-Zeiten aufwiesen und aufweisen, dürfen für sich zumindest in Anspruch nehmen, ihre Vergangenheit exemplarisch und vorbildhaft aufgearbeitet zu haben und dies auch weiterhin zu tun. Wir sollten ein wenig stolz auf diese Leistung sein und selbstbewußt genug, sämtliche Verbote hinsichtlich Abzeichen, Meinungen und Darstellungen aufzuheben und mit Vernunft, gebildetem Wissen und dem Selbstvertrauen dessen, der durchaus Verantwortung trägt ohne schuldig zu sein, jenen entgegentreten, die ernsthaft glauben, sie könnten das Rad der Geschichte zurückdrehen. Sie können es nicht. Sie können uns nicht zwar mit ihren Verdrehungen der Tatsachen ärgern, gefährden aber können sie uns nur, wenn wir das zulassen.
Ein Verbot hilft dabei niemals, nur das Gespräch, wieder, wieder und wieder…und wieder…