ZEILENKRIEG/THE SPOILER
Ein recht gelungener Debutroman einer vormaligen Literaturkritikerin
Gemeinhin heißt es ja, dass, wer als Schriftsteller reüssieren will, zunächst aus Bereichen des Lebens berichten sollte, in denen er oder sie sich auskennt. So mag es also nur nahegelegen haben, dass Annalena McAfee als Sujet ihres Debutromans das Zeitungswesen Großbritanniens wählte. Die Autorin war, bevor sie sich der Prosa zuwandte, jahrzehntelang im britischen Journalismus zuhause, arbeitete als Kunst- und Literaturkritikerin für die Financial Times und gründete die Saturday Review, die Kunst- und Literaturbeilage des Guardian, welche sie sechs Jahre lang leitete.
In ZEILENKRIEG (THE SPOILER, Original 2011; Dt. 2012) ist es die Diskrepanz zwischen dem klassischen Journalismus des 20. Jahrhunderts, der Reportage, und der modernen Boulevard-Variante, die eher auf Emotionalisierung setzt denn auf Fakten, Genauigkeit oder Kenntnis. Gerade in Großbritannien, genauer: in London, spielt die Boulevard-Presse eine enorme Rolle und hat immense Macht auch im Bereich der Politik oder der Kultur. Im Sport sowieso. Und doch wundert es die nahezu 80jährige Honor Tait, als eines Tages mit Tamara Sim eine waschechte Vertreterin eben dieses Boulevard-Journalismus vor ihrer Türe steht um ein Interview mit ihr zu führen. Tait, die von der jüngeren als „Doyenne des britischen Journalismus“ bezeichnet wird, war eine der großen Figuren unter den Auslandskorrespondent*innen und Reporter*innen der britischen Presse. Sie berichtete wenige Tage nach der Befreiung des Lagers aus Buchenwald, sie berichtete aus den Kriegen in Korea und Vietnam, aber auch von den Krisenschauplätzen verschiedener Konflikte in Afrika und Lateinamerika. Auch unter den Reichen und Schönen war sie vernetzt, hatte jede Menge Vertraute in Hollywood – Liz Taylor soll zu ihren engeren Bekannten gehört haben – und war selbst dreimal verheiratet, darunter zuletzt mit Tad Challis, Regisseur etlicher britischer Erfolgskomödien der 50er und 60er Jahre. Tait versteht nicht, weshalb sich eine junge Leserschaft ausgerechnet für sie interessieren sollte? Tamara Sim ihrerseits verspricht sich von diesem Auftrag einen Aufstieg innerhalb des Print-Konzerns, in welchem sie in bisher untergeordneter Rolle angestellt ist. Und sie ist bei all ihren Defiziten bereit, sehr, sehr weit zu gehen, um mit diesem Auftrag zu reüssieren.
McAfee führt diese beiden Antipoden des Journalismus auf den ersten gut Einhundert Seiten als wahre Duellanten während des Interviews ein. Damit nimmt dieser Nachmittag in Honor Taits Wohnung, die die Dame zuvor von etlichen, in ihren Augen verräterischen Details befreit hat und während dieses Vorgangs in Erinnerungen schwelgte – wobei „bitteren Erinnerungen nachhing“ womöglich die bessere Bezeichnung ist – knapp ein Viertel des Romans ein. Das ist teils sehr komisch, manchmal glattweg zynisch, wenn uns die Gedanken der alternden Journalistin hinsichtlich ihres Gegenübers zuteilwerden, die sie keinen Moment ernst nimmt, allerdings ist es auch zäh insofern, als dass McAfee vor allem in der Zeichnung der Jüngeren der beiden nicht viel mehr als Klischees zu bieten hat.
Tamara Sim, wie sie hier dargestellt wird – auch vorgeführt wird, wenn man ehrlich ist – ist einfach nur als dumm zu bezeichnen. Sie trägt ihre Unbildung, wenn auch oftmals nur im Geiste, geradezu stolz vor sich her, missversteht die Äußerungen ihrer Interview-Partnerin am laufenden Band und begreift nicht, wann diese sie auf den Arm nimmt, sich schließlich sogar offen über ihr Unwissen lustig macht. Im Gegenzug entspricht Honor Tait – für die, laut der Autorin, Marguerite Higgins noch am ehesten Pate gestanden hat; definitiv sind aber auch Anteile von einer Fotografin wie Elizabeth Ann Miller in die Figur mit eingeflossen – so dermaßen jenen Kriegsreportern, wie Romane und Filme sie seit dem 2. Weltkrieg beschrieben und verherrlicht haben, dass auch ihr eine gewisse Klischeehaftigkeit nicht abzusprechen ist. Was sich dann zwischen den beiden abspielt, ist nicht originell genug, um die Leser*innen wirklich zu fesseln. Denn auch das, was sich da abspielt – überlegene, gebildete Dame lässt Dummerchen abblitzen – ist zu häufig schon beschrieben worden, ist zu vorhersehbar, als dass es packen könnte.
McAfee bricht dieses Interview dann glücklicherweise noch gerade rechtzeitig ab und geht dazu über, eine weiter ausgreifende Geschichte zu erzählen, bevor das Publikum sich tatsächlich gelangweilt abwendet. Indem sie Tamara einen drogenabhängigen Bruder zur Seite stellt, um den die junge Frau sich sorgt und dem sie helfen will, bekommt diese Figur etwas mehr Tiefe, wird besser verständlich. Doch wirkt diese Wendung arg konstruiert, zumal sie später im Roman eine wesentliche, arg dem Zufall geschuldete Rolle spielt um die Handlung voranzutreiben. Honor Tait hingegen bleibt das, als was sie eingeführt wurde, lediglich wird der Raum um diese Protagonistin erweitert, wenn es Tamara gefällt, ihre Story um eine Räuberpistole zu bereichern, die von jungen Liebhabern und seltsamen amourösen Abenteuern handelt. So wird die Story zunehmend spannender, allerdings fesselt sie auch in den späteren Entwicklungen nie wirklich.
Was hier sicherlich gut gelingt, ist die Darstellung des Journalismus in den 90er Jahren (der Roman spielt um 1996/97) in einer Medienstadt wie London. Wie hier einzelne Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt werden, wie gnadenlos und auch zynisch mit den Träumen und Hoffnungen anderer, meist Untergebener, gespielt und im Grunde gehandelt wird, um zu bekommen, wonach der Leser angeblich lechzt, wie hier alle Register gezogen werden, um andere zu manipulieren, sie sich hörig zu machen, sie auf Spuren zu setzen, die vielversprechend sind und wie diese – eine Nebenfigur wird von Tamara dabei erwischt, wie sie die Mülltonnen des Anwesens durchsucht, in welchem Tait lebt – bereit sind, ihre Würde, ihren Stolz aufzugeben, um irgendwie am medialen Spiel teilzuhaben, das ist schon brutal und grauenerregend. Und schlimmer Weise ist es leider auch komisch. Zwar ist der Witz in McAfees Roman ein sehr bärbeißiger, zwar bleibt den Leser*innen das Lachen doch meist im Halse stecken, dennoch entbehrt das alles nicht einer gewissen Komik. Der Mensch reduziert auf sein kaltes, kapitalistisches Begehren, den anderen hinter sich zu lassen, das zu erreichen, was der andere gerne gehabt hätte, selbst dann, wenn es dem eigenen Ich nichts bringt, außer Ärger. Im Übrigen weitet McAfee diesen Blick auch auf das Verlagswesen aus, denn dass Honor Tait überhaupt in ein Interview eingewilligt hat, ist der Tatsache geschuldet, dass ihr neues Buch – eine Anthologie früher Texte – beworben werden muss.
ZEILENKRIEG ist deutlich ein Debutroman, allerdings einer, der von großer erzählerischer Lust und auch Verständnis für das Metier zeugt. Das ist ja nicht zwingend immer so. Nicht jeder Kritiker, nicht jeder Literaturwissenschaftler ist ein guter Romancier. Doch Annalena McAfee hat mittlerweile mit zwei weiteren Romanen bewiesen, dass sie durchaus das Zeug zum Romancier besitzt. Dies auf jeden Fall ist ein guter, wenn auch noch nicht perfekter Beginn einer schriftstellerischen Karriere gewesen.