BESUCH VON DRÜBEN

Anthologie von Kurzgeschichten und -novellen des Meisters der Spukgeschichte Algernon Blackwood

Deutsche Veröffentlichungen fremdsprachiger Kurzgeschichten als Anthologien – ein Kunststück für sich. Der vorliegende Band BESUCH VON DRÜBEN mit Short Stories und Kurznovellen des Briten Algernon Blackwood enthält acht Texte, zusammengeklaubt aus sechs verschiedenen originalsprachlichen Sammlungen. Hauptsächlich basieren sie auf der Originalsammlung THE  EMPTY HOUSE AND OTHER GHOST STORIES, die 1906 erschien. In der deutschen Fassung jenes Bandes sind dafür Texte enthalten, die wiederum anderen Werken entnommen sind. Es verstehe, wer will…

Hier liegt der Schwerpunkt auf Geistergeschichten, besser: Auf Orten, an denen es spukt. Blackwood, einer jener angelsächsischen Erzähler des Unheimlichen und Übernatürlichen, die etwa eine Generation nach dem Großmeister des Genres Edgar Allan Poe in Erscheinung traten, war, anders als die Kollegen M.R. James oder H.P. Lovecraft, vor allem an der psychologischen Auswirkung von Angst interessiert. Seine Spukgeschichten bieten zwar alles, was dafür notwendig ist und erzeugen – gelegentlich, dazu aber gleich mehr – auch Grauen, doch im Kern beschäftigt sich Blackwood wieder und wieder mit der Disposition des Verängstigten in einer Umgebung, die ihm manchmal als „normal“, oft aber von vornherein als „unheimlicher Ort“ erscheint oder gar als solcher gebrandmarkt wird.

In THE LISTENER ist es ein Mietshaus in London, in welches der Tagebuchschreiber, aus dessen Textauszügen wir erfahren, was sich zuträgt, billig einziehen kann und dessen Erscheinungsbild sowie die Vorgänge darinnen zunächst billigend von ihm in Kauf genommen werden.

In A HAUNTED ISLAND – einer der interessantesten Geschichten dieser Sammlung – ist es eine Insel, auf der der Ich-Erzähler als einziger einer Reisegruppe verbleibt, weil er hier für anstehende Examina lernen will. Er wird Zeuge eines erstaunlichen Schauspiels.

KEEPING HIS PROMISE ist ein wahrlich grauenerzeugendes Kleinod einer reinen Geistergeschichte, ein Lehrstück darüber, wie man auf wenigen Seiten maximale Wirkung erzielen kann. Allerdings ist es eine der wenigen reinen Geistergeschichten, nicht ortsgebunden.

WITH INTENT TO STEAL führt die bei Blackwood gelegentlich vorkommende Figur Shorthouse ein, eine Art Globetrotter des Schreckens, der im gesamten Empire herumgekommen ist und dabei allerhand Abenteuerliches erlebt hat. Er bittet den namenlosen Erzähler der Geschichte, mit ihm eine Nacht in einer angeblich von einem Spuk heimgesuchten Scheune zu verbringen. Beide müssen hier die Grenzen dessen erkennen, was  sie ertragen können.

THE OCCUPANT OF THE ROOM bildet zum einen Blackwoods Vorliebe für das kontinentale Europa ab, zudem jene für die Alpen. Ein junger Mann verbringt eine Nacht in einem Hotelzimmer, das offiziell noch bewohnt ist.

SMITH: AN EPISODE IN A LODGING HOUSE ist hier eine große Ausnahme, erinnert das, was dem Erzähler der Anekdote wiederfährt, doch sehr an jene Experimente, die all die mehr oder weniger verrückten Wissenschaftler bei Blackwoods Kollegen H.P. Lovecraft veranstalten, um mit unvorstellbaren Mächten in Kontakt zu gelangen. Der titelgebende Smith erinnert zugleich auch en wenig an den Hexer Aleister Crowley, eine Celebrity ihrer Zeit und Zeitgenosse von Algernon Blackwood. Möglicherweise eine Hommage?

In THE STRANGE ADVENTURES OF A PRIVATE SECRETARY IN NEW YORK begegnen wir erneut Shorthouse, den es nach Amerika verschlagen hat. Er übernimmt einen Auftrag für seinen Chef, der ihn nach Long Island und in das Haus eines Mannes mit höchst seltsamen Essgewohnheiten führt.

Schließlich scheint der Autor in A PSYCHICAL INVASION zu sich selbst zu kommen: Ein Seelenarzt, der sich mit dem Paranormalen beschäftigt, hilft einem Schriftsteller, der nach dem Genuß allzu wirksamen Haschisch´ in seinem angemieteten Haus mit Kräften in Kontakt kommt, die er weder versteht, noch zu bändigen weiß.

Sieht man einmal von SMITH… und THE STRANGE ADVENTURES… ab – beide sind Ausflüge in an das Spuk- und Geistergenre angrenzende Gefilde wie Science Fiction und Horror – durchdringt Blackwood eigentlich in all den Geschichten das Wesen der Angst. Angst, die uns im Angesicht des Unerklärlichen packt. Dementsprechend enthält sich Blackwood meist aller Erklärungen für das, was er beschreibt. Er lässt langsam das Unheimliche, zunächst rein Atmosphärisch, aufziehen, in die Texte eindringen, der Erzähler oder die Hauptfigur sieht sich seltsamen, unerklärlichen Phänomenen ausgesetzt, denen sie tapfer zu begegnen sucht, die sie aber zusehends in Schrecken versetzen. Während THE LISTENER und auch KEEPING HIS PROMISE schließlich mit Erklärungen aufwarten – ein Kniff der typisch ist für die Geistergeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und aus heutiger Sicht oft aufgesetzt wirkt – bleibt er sie in anderen Fällen komplett schuldig, was das Geschehen umso grausiger wirken lässt. Wie die Figuren dieser Geschichten, muß sich auch der Leser damit abfinden, daß es da draußen Dinge, Begebenheiten, gibt, denen er keine rationale Erklärung entgegensetzen oder abgewinnen kann.

Blackwood zeigt aber auch die mediale Vermittlung, mit der man sich paranormalen Phänomenen annähern kann – seien es Drogen, seien es die damals beliebten „wissenschaftlichen“ Methoden, bei denen u.a. auf tierische Instinkte zurückgegriffen wurde etc. – und greift damit zu Beginn des 20. Jahrhunderts beliebten Mitteln zurück, bzw. beschreibt sie. Daß das Opfer dieser Phänomene gerade ein Schriftsteller ist, der unter Drogeneinfluß besonders sensibel für die Erscheinungen wird, ja, diese sogar von seinem Geist Besitz ergreifen lässt – eine Thematik, die Blackwood auch in anderen Geschichten immer wieder aufgreift – darf gern als selbstironischer Kommentar des Autors gewertet werden. Doch lässt er auch in einer Geschichte wie A PSYCHICAL INVASION, die explizit diesen Themen nachgeht, keinen Zweifel daran aufkommen, daß es sich um übernatürliche Phänomene handelt.

Dieser Aspekt sollte gerade noch einmal in Bezug auf eine Story wie A HAUNTED ISLAND aufgegriffen werden. Wie bereits angemerkt, ist gerade diese Geschichte eine der interessantesten dieser Sammlung. Wie auch in KEEPING HIS PROMISE entwirft Algernon Blackwood nämlich ein Konzept dessen, was Geister sind oder vermögen, die eher abweichend auch von seinen eigenen herkömmlichen Darstellungen daherkommt. Anders als in den meistenn Geistergeschichten generell, tritt der Spuk hier nicht als Angriff auf. Er findet statt – das könnte man noch am ehesten sagen – ohne daß er zwingend in Bezug zu einer äußeren Wirklichkeit steht. Mehr noch als in KEEPING HIS PROMISE, in dem der Geist, so es denn einer ist, als Bote auftritt und so immerhin noch in einer Beziehung zur Hauptfigur steht, wird der Erzähler in A HAUNTED ISLAND lediglich Zeuge. Er ist sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort, doch scheint seine Anwesenheit für das, was sich ereignet, unwesentlich zu sein. Vielleicht ereignet es sich Abend für Abend, vielleicht immer dann, wenn ein Zeuge zugegen ist. Blackwood lässt auch hier die Fragen offen.

Liest man diese Geschichten heute, können sie nicht mehr fesseln, wie sie es vielleicht zur Zeit ihrer Erstveröffentlichung einmal konnten. So sind sie eher für den vom Thema faszinierten Leser von Interesse, zeigen sie doch deutlich einen Schritt in der Entwicklung des Genres. Die Durchdringung psychologischer Prozesse anhand eindeutig außerweltlicher Erfahrungen eröffnete dem Bereich „Spukgeschichte“ neue Dimensionen, die sie dankbar aufgriff. Die Durchdringung paranormaler Prozesse mit psychologischen Erkenntnissen gelang allerdings ebenso. Eine sich gegenseitig befruchtende Entwicklung. Aus der damals noch jungen Wissenschaft der Psychologie und Psychoanalyse wurde so ein fruchtbarer Boden für ein schwieriges literarisches Gebiet. Und genau diese Evolution ist gerade anhand der Geschichten von Algernon Blackwood bestens zu verfolgen.

 

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