BULLITT
Peter Yates Klassiker des Kriminalfilms kann nach wie vor überzeugen
Der Staatsanwalt Chalmers (Robert Vaughn), welcher ehrgeizige politische Pläne hegt, hat einen Kronzeugen gegen die „Organisation“ gefunden.
Der Mafiakiller Johnny Ross ist aus Chicago nach San Francisco geflogen, um dem Syndikat zu entkommen, dem er gemeinsam mit seinem Bruder zwei Millionen Dollar gestohlen und das bereits zwei Mordanschläge auf ihn verübt hat.
Ross soll nun für ca. 40 Stunden in polizeilichen Gewahrsam genommen und geschützt werden, bis er vor einem Senatsausschuss aussagen kann.
Chalmers beauftragt nach Rücksprache mit dessen Chef Captain Bennett (Simon Oakland) den erfahrenen und erfolgreichen Polizisten Frank Bullitt (Steve McQueen) damit, in dem Hotel, in dem der abgestiegen ist, auf Ross aufzupassen und ihn zu beschützen. Bullitt erbittet sich als Assistenten seine Kollegen Delgetti (Don Gordon) und Stanton (Carl Reindel).
Im Hotel teilen die drei Männer die Schichten untereinander auf. Stanton soll als erster bei Ross bleiben. Während dessen Schicht beginnt, vertreibt sich Bullitt den Abend mit seiner Freundin Cathy (Jacqueline Bissett), die mit ihm und einigen Freunden essen geht.
Im Hotel wird Stanton vom Portier angefragt, ob Chalmers mit einem Freund ins Zimmer kommen dürfe. Nach Rücksprache mit Bullitt verweigert Stanton dies. Doch zu spät: Ross hat hinter Stantons Rücken die Tür geöffnet. Ein Killer dringt ein und schießt erst auf Stanton, dann auf Ross.
Als Bullitt vor Ort eintrifft, werden der schwer verletzte Stanton und der mit dem Tode ringende Ross gerade ins Krankenhaus abtransportiert.
Im Polizeirevier wird Bullitt mit Chalmers Vorwürfen konfrontiert, er habe seine Aufgaben vernachlässigt und sei für das Desaster verantwortlich.
Bullitt will sowohl den Killer suchen als auch den dahinterstehenden Gangsterboss finden, um beide dingfest zu machen. Chalmers möchte dies unterbinden – in seinen Augen ist lediglich wichtig, dass Ross überlebt. Weder das Leben von Stanton noch Ross´ Gesundheit scheinen den Mann sonderlich zu interessieren, es geht ihm ausschließlich um seine Karriere, die mit Ross´ Aussage einen mächtigen Schub erhalten soll.
Stanton stabilisiert sich, Ross hingegen ringt weiterhin um sein Leben. Bald tauchen die Killer im Krankenhaus auf, wo Bullitt sie jedoch im letzten Moment stellen kann. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd durch die Klinik und deren Katakomben, doch entkommen die Killer schließlich.
Kurz darauf erliegt Ross seinen Verletzungen. Bullitt entschließt sich, dessen Tod mit Hilfe eines Arztes zu vertuschen. Als Chalmers über Captain Bennett den Druck auf Bullitt erhöht, weil er seinen Zeugen zurückfordert, behauptet Bullitt, er habe ihn in ein Versteck bringen lassen, um ihn aus der Schusslinie zu nehmen.
Bullitt ermittelt derweil mit Hilfe eines Taxifahrers (Robert Duvall), welcher Ross am Flughafen aufgepickt hatte und noch sehr genau weiß, dass dieser mehrfach telefonierte, ein Hotelzimmer im östlich von San Francisco gelegenen San Mateo County, welches eine gewisse Dorothy Simmons angemietet hat.
Als Bullitt von seiner Rundfahrt mit dem Taxi zu seinem Wagen, einem Ford Mustang, zurückkehrt, sticht ihm ein auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartender Dodge Charger auf. Der Wagen folgt ihm. Es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd, bei der Bullitt vom Verfolgten zum Verfolger wird. Die Jagd führt durch halb San Francisco und schließlich aus der Stadt hinaus auf die Freeways, bis sie abrupt in einer Tankstelle endet, in die der Dodge hineinrast. Es kommt zu einer gewaltigen Explosion, der Wagen geht in Flammen auf, beide Killer verbrennen.
Nachdem Bullitt Captain Bennett und Captain Baker (Norman Fell) Bericht erstattet hat – der Druck auf die Polizei wird von Chalmers ununterbrochen erhöht -, will er zu dem Hotel in San Mateo County, um die ominöse Mrs. Simmons zu befragen. Da er keinen neuen Wagen aus dem Fuhrpark gestellt bekommt, bittet er Cathy, ihn zu fahren.
Am Hotel angekommen, muss Bullitt feststellen, dass die Frau eben erst ermordet wurde. Es treffen neben Sergeant Delgetti auch immer mehr Streifenpolizisten ein, wodurch Cathy alarmiert ist. Sie folgt den Beamten in das Hotelzimmer und sieht die tote Dorothy Simmons auf dem Boden liegen.
Cathy flieht aus dem Zimmer, gefolgt von Bullitt, der sie gesehen hat. Sie stellt ihn neben ihrem Wagen zur Rede: Wie er diese Arbeit machen könne, ob er merke, wie abgebrüht und routiniert er mit einem toten Menschen umgehe? Und kann ihre Beziehung Sinn machen, wenn sie in so unterschiedlichen Welten lebten und verkehrten? Bullitt kann darauf nichts erwidern. Wortlos sieht er Cathy davonfahren.
Bullitt und Delgetti wird anhand der Unterlagen der Toten klar, dass diese nicht Simmons mit Nachnamen hieß, sondern Renick. Sie war gemeinsam mit ihrem Mann auf einen Flug nach Rom gebucht, in ihrem Gepäck finden sich jede Menge Reisechecks. Bullitt kann ermitteln, dass Albert Renick der Mann gewesen ist, den Bullitt, Stanton und Delgetti beschützen sollten. Offenbar wurde Chalmers betrogen. Der echte Johnny Ross (Pat Renella) hatte Renick für viel Geld angestellt, seine Rolle einzunehmen. Ross selbst wollte offenbar mit Renicks Pass das Land verlassen. Nachdem die Killer Renick getötet hatten, erledigte Ross Mrs. Renick wahrscheinlich selbst, um seine Spuren zu verwischen. Nun ist er auf der Flucht.
Bullitt rast zum Flughafen. Dort wurde das Flugzeug nach Rom, in dem Bullitt Ross vermutet, bereits auf die Startbahn gelotst. In letzter Sekunde kann Bullitt verhindern, dass es die Starterlaubnis erhält. Er betritt das Flugzeug, in dem Ross durch die Ansagen des Kapitäns aufmerksam geworden ist und ahnt, dass es um ihn geht.
Bullitt verfolgt Ross über das Flugfeld, teils unter den bereits dahinrollenden Flugzeugen hindurch. Ross flieht in die Abfertigungshalle und sorgt mit Schüssen auf einen Wachmann für Panik. Doch Bullitt behält die Nerven und streckt ihn mit mehreren Schüssen nieder.
Als Bullitt am Morgen nachhause zurückkehrt und seine Waffe ablegt, findet er Cathy friedlich schlafend in seinem Bett vor. Offenbar hat sie sich entschlossen trotz seines Jobs bei Bullitt zu bleiben.
Schmökert man sich durch die einschlägige Literatur zu Peter Yates´ BULLITT (1968), ist es einerseits die berühmte, fast zehnminütige Autoverfolgungsjagd – ohne jeden Dialog aber mit Lalo Schifrins treibenden, jazzigen Soundtrack unterlegt – worauf besonders abgehoben wird, andererseits ist es der Star des Films, Steve McQueen, dessen Image als „Mr. Cool“ durch diesen Film noch einmal einen Schub bekam. Natürlich findet auch die außergewöhnliche Rolle Erwähnung, die San Francisco hier spielt, wie die Stadt gleichsam zu einer Protagonistin wird – es wurde ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht – und auch die Tatsache, dass dieser Kriminalfilm ein frühes Beispiel für das ‚New Hollywood‘ ist, jene neu aufkommende, am europäischen Autorenfilm orientierte Stilrichtung im amerikanischen Kino, findet besondere Aufmerksamkeit. Weniger Beachtung findet die Art und Weise, wie hier in einem tatsächlich als reiner Genrebeitrag angelegten Werk die Kamera und mit ihr, indirekt, der Schnitt ebenfalls zu handlungsbasierenden Protagonisten werden. Verantwortlich dafür waren William A. Fraker (Kamera) und Frank P. Keller (Schnitt), die hier wahrlich Außergewöhnliches leisteten.
BULLITT kam im Oktober 1968 in die Kinos und entwickelte sich schnell nicht nur zu einem kommerziellen Erfolg – nicht zuletzt für McQueen, dessen Firma Solar Productions federführend bei der Produktion war – sondern konnte auch die Kritiker überzeugen. Der Brite Peter Yates, ursprünglich hinzugezogen, um das Drehbuch von Alan R. Trustman und Harry Kleiner aufzupolieren und fertig zu stellen, durfte schließlich zum ersten Mal die Regie in einem amerikanischen Film übernehmen. Und das tat er fulminant und schuf einen der großen Klassiker des modernen amerikanischen Kinos, enorm einflussreich und stilbildend.
Im Kern, und schon das war damals eher ungewöhnlich, erzählt BULLITT recht nüchtern und sachlich von reiner Polizeiarbeit. Deshalb ist der geläufige Begriff, es handele sich hierbei um einen Actionfilm, auch irreführend. Sieht man einmal von der rasanten Verfolgungsjagd zwischen McQueens Ford Mustang und dem Dodge Charger seiner Verfolger, bzw. derer, die er schließlich verfolgt und zur Strecke bringt, ab, ist es ein eher bedächtig, fast langsam inszenierter Film, der wenig Action bietet, eher lauernde Spannungsmomente und oft nur genaue und ausdauernde Beobachtungen ohne diese mit vielen Worten zu unterlegen. Frakers Kamera, die sich gelegentlich fast unangenehm nah an die Protagonisten heranpirscht, dann wieder eine enorme Distanz zu Personen und Situationen einnimmt und somit dauernd scheinbar Nebensächliches in Bild rückt, trägt zu diesem Eindruck maßgeblich bei.
Ausgangspunkt des Films ist ein recht gewöhnlicher Auftrag für den von McQueen gespielten Lieutenant Frank Bullitt. Er soll gemeinsam mit zwei Kollegen auf einen Zeugen aufpassen, der gegen das „Syndikat“ aussagen will. „Syndikat“, im Original „The Organisation“, ist natürlich ein Synonym für die im Film als solche nie erwähnte Mafia. Bei dem betreffenden Zeugen handelt es sich offensichtlich um einen Vertreter selbiger. Als der Zeuge umgebracht wird, stellt dies vor allem für den Staatsanwalt und künftigen Politiker Chalmers – von Robert Vaughn mit all der ihm schon damals zur Verfügung stehenden Schmierigkeit und dem Zynismus gespielt, der viele seiner oft zwielichtigen Rollen prägte – ein Problem dar, da er mit dem Zeugen Stimmen als harter Hund, der für Law & Order steht, gewinnen wollte. Frank Bullitt dämmert langsam, dass hier irgendetwas gewaltig schiefgelaufen ist und grundsätzlich nicht stimmt. Es folgen mehrere spannend inszenierte Verfolgungsjagden, deren spektakulärste natürlich die zwischen Bullitts Mustang und dem Dodge der Gangster durch die Straßen San Franciscos und über die Highways rund um die Stadt ist. Doch letztlich sind all diese Verfolgungen ausgesprochen spannend und vor allem durchweg on Location gedreht, wodurch der Film ungeheure Authentizität erhält. San Francisco mit seinen steilen Straßen, den hippen und weniger hippen Vierteln, mit den die Stadt durchkreuzenden Interstates und den, ganze Viertel überspannenden Autobahnbrücken wird so zu einer Protagonistin eigenen Rechts. Die Stadt selbst scheint zu bestimmen, wie sich diese Menschen bewegen, da sie mit ihren Hügeln und ungewöhnlichen Bauten die Räume anspruchsvoller und außergewöhnlicher definiert, als dies andere, herkömmliche amerikanische Städte tun.
Hinzu kommt das Image, welches San Francisco 1968 hatte. Die Stadt galt als das Mekka der Hippies, ein Jahr zuvor hatte hier der vielbesungene „Summer of Love“ seinen Ausgangspunkt und die Szene im Viertel Haight Ashbury, bis dahin ein eher lokales Phänomen, landesweit die Aufmerksamkeit der Medien erregt. Dass Yates all dies nicht zeigt, wo er ansonsten doch so darauf bedacht gewesen ist, ein akribisch genaues, authentisches Bild der Stadt zu bieten, deutet allerdings schon an, dass es mit der Hippie-Herrlichkeit vorbei sein könnte. Auch hier, in der „Stadt der Liebe“, hat das Verbrechen Einzug gehalten, wenn auch auf Umwegen. Yates und Fraker zeigen San Francisco in einem gleißend hellen Licht, unter der viel besungenen Sonne Kaliforniens. Doch ist dieses Licht schon zu grell, es leuchtet all das Arge und Böse aus, das sich hier ansiedelt und das scheinbar so unbeschwerte, jugendliche Leben stetig vergiftet (nicht zuletzt mit Drogen).
Diese Sonne brennt, sie tut weh, sie verätzt die Augen, sie blendet und wirft harte Schatten, in denen sich wiederum allerhand verbergen könnte. Aber das ist die sublime, subversive Dialektik dieses Films: Das, was sich eigentlich verbergen sollte, das Böse, das Arge, das Verbrechen, zeigt sich hier in diesem gleißend hellen Licht, weil es das Versteckspiel nicht mehr nötig hat. Die Mörder werden immer skrupelloser, die Verfolgungsjagd findet mitten im Berufsverkehr statt, hier nimmt niemand mehr Rücksicht, weder die Gangster (sowieso nicht), noch der Polizist. Was sich in diesen zehn Minuten auf den Straßen der Stadt manifestiert, findet, abstrakter, aber die ganze Zeit statt: Korruption und die Verwobenheit von Politik, Geschäft und Verbrechen sind so weit vorangeschritten, dass es nahezu egal ist, ob der gemeine Bürger es wahrnimmt oder nicht – es kann sich verhalten, wie es will. Der Staat, hier in Personam Frank Bullitt, hat keine Einflussmöglichkeiten mehr. Die einzige Möglichkeit, die bleibt, ist es, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, es also zu brechen und so – gewollt oder nicht – selbst Teil des korrupten Kreislaufs zu werden.
Wenig spektakulär gerät die eigentliche Handlung des Films, die etliche Logiklöcher aufweist. Drehbuch und Regie geben sich zwar, wie erwähnt, größte Mühe, sachlich und nüchtern von der Polizeiarbeit zu erzählen, doch gelingt das letztlich nur bedingt. Die Story, die sich hinter dem toten Zeugen verbirgt, ist derart wirr, dass das Publikum sich bald fragt, wie die Dinge hier zusammenhängen. Aber vielleicht ist diese Art der Verwirrung tatsächlich so gewollt. Die Zuschauer*innen verlieren in diesem Plot den Überblick und in gewisser Weise korreliert dies mit der Art und Weise, wie Frakers Kamera die Drehorte einfängt und wie Keller den Film montiert. Orientierungslosigkeit, das Gefühl, in Labyrinthen umherzuirren, ist eine der Grundlagen des Films. Im Krankenhaus, in dem der schwer verletzte Zeuge Ross untergebracht wird und wo Bullitt versucht, den Killer zu stellen, der hier auftaucht, um sein Werk zu vollenden, verlieren die Zuschauer*innen bald jede räumliche Orientierung, während der drei maßgeblichen Verfolgungsjagden des Films ist oftmals nicht wirklich klar, wer eigentlich wen verfolgt.
Die Autoverfolgung wird zudem noch durch allerhand scheinbare Anschlussfehler wirr gestaltet. Viermal überholen die beiden Wagen einen grünen VW-Käfer, der Dodge der Gangster verliert etliche Radkappen, deutlich mehr, als ein Wagen mit vier Rädern sein Eigen nennt, Beulen sind an beiden Wagen zu sehen, bevor die wagehalsigen Stunts überhaupt geschehen sind und die Autos entsprechend malträtiert wurden. Gemeinhin wird dies auf die Produktionsbedingungen zurückgeführt; Yates drehte die Szenen mit mehreren Kameras und lediglich hatte jeweils nur zwei Mustang– und zwei Dodge-Modelle zur Verfügung. Er und Keller hätten schließlich am Schneidetisch mit dem in drei Wochen gedrehten Material arbeiten müssen, gleich, wie sich dies in den Anschlüssen im fertigen Film darstellen sollte. Doch kann man auch zu dem Schluss kommen, dass diese scheinbar „falsche“ Montage lediglich eine weitere Möglichkeit war, einen gewissen Entfremdungseffekt zu erzielen. Denn Entfremdung scheint in diesem Film ein wesentliches, wenn nicht das Thema zu sein.
So sind die Wendepunkte in der Handlung – der Zeuge war gar nicht der erwartete Zeuge, sondern ein vom eigentlichen Zeugen angeheuerter Mann, der ihn lediglich spielen sollte; dabei erschließt sich allerdings nicht wirklich, wieso der ursprüngliche Zeuge so handeln sollte usw. – bald nicht mehr wesentlich für das, was BULLITT wirklich erzählt. Vielmehr wird hier, wie bereits angedeutet, von Polizisten berichtet, die relativ ohnmächtig einem System gegenüberstehen (wobei sie natürlich Teil dieses Systems sind), das sie ausnutzt, welches sie aber nicht mehr verstehen, nicht logisch durchdringen können, was mit den Logiklöchern des Plots korreliert. Hier wird eine Wirklichkeit kreiert, die nicht mehr durchschaubar ist, die sich vom Verständnis des Individuums abzukoppeln scheint. Der Staatsanwalt und angehende Politiker Chalmers ist der Prototyp des eiskalten Polit-Profis, der über Leichen geht, wenn dies seiner Karriere nützt. Vaughn versteht es, die Zuschauer*innen hinsichtlich des von ihm gespielten Charakters zu verunsichern, weil er die Rolle derart gestaltet, dass der Eindruck entsteht, der vollkommen undurchsichtige Chalmers könne selbst in die Machenschaften der „Organisation“ verwickelt sein. Um diesen Eindruck zu erwecken, nutzt der Schauspieler alle Freiheiten, die das Drehbuch ihm zur Interpretation bietet[1].
Bullitt und seine Kollegen wiederum werden als nüchterne, professionelle, teils abgebrühte Typen gezeichnet, für die der Mord an dem Zeugen eine Niederlage ist, die sie zunächst nicht persönlich nehmen. So, wie sie all das Verbrechen, dessen sie ansichtig werden und das sie zu bekämpfen vorgeben, nicht wirklich berührt. Sie können damit leben. Doch als Bullitts Freundin Cathy ihn einmal zu einem Tatort fährt, und sie eher unfreiwillig dessen ansichtig wird, was seinen Job ausmacht, stellt dies für sie die Beziehung zu dem Polizisten grundlegend in Frage. Denn die Welt, in der Frank Bullitt sich bewegt und in der er sich eben äußerst distanziert und professionell verhält, gerade in Anbetracht von Tod und Gewalt, kann nicht die ihre sein. Sie ist entsetzt, wie abgebrüht Frank hinnehmen kann, wovon er tagtäglich umgeben ist. Und ihm fallen keine Worte ein, um auf ihre Anwürfe zu reagieren. Wie ein gescholtener Schulbub steht er da, lässt den Kopf hängen und linst lediglich einmal aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber. Ein Sinnbild für die Verlorenheit dieses Mannes. Und eine komplette Disruption seiner Realität, da Cathy in dieser nichts verloren hat und er seine Arbeit aus der Beziehung heraushält, so gut dies geht. Doch zugleich korrespondiert diese Szene mit einer der wenigen, in denen Frank Bullitt im Privatleben gezeigt wird: Früher im Film geht Bullitt mit Cathy und einigen ihrer Freunde – offenbar Kreative, Künstler und Filmschaffende – in einem Restaurant Essen. Er sitzt mehrere Plätze von ihr entfernt, beobachtet sie und lächelt versonnen vor sich hin. Doch ist bei all seiner Freude über diese schöne Frau, die seine Partnerin ist, die er begleiten darf, offensichtlich, dass er hier nur eine Randfigur ist, eine Nebenrolle spielt. Dieser Mann ist offenbar fremd in ihrer Welt, wie sie in seiner, sobald sie erfährt, wie seine Welt wirklich beschaffen ist. Eine scheinbar unüberwindliche Kluft.
Allerdings gönnen Drehbuch und Regie den beiden ein Happyend. Wenn Bullitt am Ende des Films, nachdem er den wahren Zeugen gestellt und bei einer nächtlichen Verfolgungsjagd – der letzten des Films – auf dem Flughafen von San Francisco getötet hat[2], heim kommt, liegt Cathy in seinem Bett und schläft friedlich. Sie hat sich offenbar für ihn und damit auch für das gemeinsame Leben entschieden. Bullitt legt seine Waffe – einen gewaltigen Colt Diamondback – ab und nähert sich dann dem Schlafzimmer. Die Gewalt gehört hier nicht hin und er wird versuchen, sie aus der Beziehung zu Cathy heraus zu halten, auch wenn sie nun weiß, in welcher Welt er sich bewegt, was er dort sehen und wie er sich dort manchmal verhalten muss.
Dieses Schlussbild wurde von der Filmwissenschaft gern dahingehend interpretiert, dass es Bullitt letztlich nur möglich war, seinem gesellschaftlichen Auftrag – die braven Bürger zu beschützen und das Verbrechen zu bekämpfen – gerecht zu werden, indem er bereit ist, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen[3]. Ein Verweis auf den drei Jahre später erschienenen Polizeithriller DIRTY HARRY (1971), der Clint Eastwood als extrem zynischen und brutalen Cop ebenfalls durch San Francisco streifen und Verdächtige foltern, im Zweifelsfall ohne großes Federlesen erschießen ließ.
Es stimmt schon: BULLITT zeigt eine Welt, die voller Zeichen ist – die Stadt im extrem hellen Sonnenlicht, das sie einerseits warm und gelegentlich sogar schön erscheinen lässt, zugleich aber alles offenbart, was sie ausmacht: Konsum, Werbung, Schilder, Prostitution, Gewalt, Drogen -, welche nicht mehr eindeutig zu lesen sind. Wer verfolgt wen? Wer hintergeht wen? Wer ist gut, wer böse? Diese Infragestellung geschieht aber vor allem auf der formalen Ebene, inhaltlich gibt der Film vor, sich an Konventionen zu halten. So sind es eben Kamera, Schnitt und Montage, Schifrins Soundtrack und die scheinbar distanzierte Inszenierung, die den Film so außergewöhnlich erscheinen lassen. Yates kannte das europäische Autorenkino, das sich in den 60er Jahren mehr und mehr etabliert hatte, er wusste um die Brüche, die Regisseure wie Jean-Luc Godard und andere dem Kino eingeschrieben hatten. Und BULLITT wirkt im Mantel eines herkömmlichen Genre-Films, eines Kriminalfilms, wie ein amerikanischer Ableger der Nouvelle Vague. Das aufkommende ‚New Hollywood Cinema‘ ist hier spürbar, es sticht aus jedem Bild hervor.
Zu dieser Einschätzung gehört auch die Tatsache, dass BULLITT all die Gewissheiten, die noch zehn Jahre zuvor in Hollywoods Kriminalfilmen so eindeutig gewesen sein mögen, exemplarisch in Frage stellt. Der Held, Frank Bullitt, will integer bleiben, will seinen Job möglichst gut machen, ist aber in all seiner Coolness eben auch recht distanziert gegenüber dem, was ihm widerfährt. Erst im Laufe der verworrenen Handlung ergreift ihn der Jagdeifer, schließlich wird die Suche nach dem falschen und dem richtigen Zeugen zu einer Obsession, die, so scheint es, nur in Gewalt münden kann. Damit ist dieser Cop ein Vorläufer nicht nur für „Dirty“ Harry Callahan, sondern auch für Figuren wie Jimmy „Popeye“ Doyle, jenen von Gene Hackman in einer seiner wesentlichen Rollen verkörperten Drogenfahnder in William Friedkins THE FRENCH CONNECTION (1971), der – an einem realen Vorbild ausgerichtet, weitaus realistischer gestaltet als Eastwoods Harry und auch authentischer als Frank Bullitt – keine Grenzen mehr kennt, wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, einen Verbrecher zur Strecke zu bringen. In Sachen Autoverfolgungsjagd wollte Friedkin es übrigens mit Yates aufnehmen und bot eine mindestens gleichwertige, wenn nicht noch aufregendere.
Man kann hier eine deutliche Genealogie hin zu den zynischen und brutalen Polizisten erkennen, die später die Kriminalfilme und Thriller der 70er und 80er Jahre bevölkerten. Frank Bullitt steht also an einer Schnittstelle: Die Welt, in der er agiert, ist bereits von institutioneller Korruption und Gewalt geprägt, er selbst allerdings will noch daran glauben, die Seiten zu verstehen und wählen zu können, auf welcher er agiert. Das Jahr 1968 und San Francisco als Ort, an dem sich all dies abspielt, deuten also schon auch darauf hin, dass es hier noch Hoffnung geben könnte. Konjunktiv.
[1] Auf dieser subtextuellen Ebene, für die Chalmers symbolisch steht, kann BULLITT auch als Vorläufer jener Paranoia-Thriller der 70er Jahre – bspw. THE PARALLAX VIEW (1974), THE CONVERSATION (1974), ALL THE PRESIDENT´S MEN (1976), MARATHON MAN (1976) – betrachtet werden, die immer wieder ein System darstellten, in welchem mächtige, meist geheime Kräfte walten, der Einzelne hingegen keine Macht mehr hat.
[2] Offensichtlicher Referenzpunkt für Michael Mann und das Ende seines Meisterwerks HEAT (1995), wenn am Schluss des Films der Polizist Al Pacino den Bankräuber Robert De Niro am Flughafen von Los Angeles hinter der Landebahn stellt und erschießt.
[3] Vgl. u.a. Kasten, Bettina: BULLITT. In: FILMGENRES KRIMINALFILM. Stuttgart, 2005; S.211-215.