GRUND ZUR AUFREGUNG/CAUSE FOR ALARM

Paranoia in Suburbia

Grund zur Aufregung – CAUSE FOR ALARM – hat Ellen Jones (Loretta Young), als ihr bettlägriger Mann George (Barry Sullivan) ihr eröffnet, daß der Brief, den sie soeben dem Postboten übergeben hat, an den Staatsanwalt gerichtet und des Inhalts sei, daß sie und der Arzt Ranney Grahame (Bruce Cowling) ihn umgebracht hätten. Da er schwer herzkrank ist, sei es seiner Frau ein leichtes gewesen, ihn mit falschen Dosen seiner Medikamente einem baldigen Ende zuzuführen. Als George – der einst mit Ranney befreundet war und erst jetzt, im Endstadium seiner Krankheit, diese Wahnbilder entwickelt hat – kurz darauf stirbt, verliert Ellen die Nerven – es beginnt ein wahnwitziger Wettlauf gegen die Zeit, um irgendwie des Briefs habhaft zu werden, bevor dieser den Staatsanwalt erreicht.

Tay Garnett serviert in diesem kleinen Psychothriller von 1951 ein Menu aus Paranoia, Verletztheit und Bitternis, das es mit jedem Film Noir aufnehmen könnte. Dabei setzt er konsequent darauf, jeglichen Noirstil zu vermeiden, bzw. gegen den Strich zu bürsten, was zu einer beklemmenden Atmosphäre führt. Der ganze Film spielt an einem einzigen, sonnenhellen, heißen Sommertag im gleißenden Licht, selbst die Schatten in diesem Film scheinen nicht, wie im Noir üblich tiefschwarz, sondern ausgebleicht und matt zu sein. Sind es in den klassischen Noirs so häufig die Femmes fatales, die unglückliche und gebrochene Antihelden in den Untergang treiben, ist es hier die paranoide Vorstellung eines kranken Geistes, der der vermeintlichen Femme fatale überhaupt erst zu einer solchen macht und in gehörige Nöte bringt. Komplott andersrum, sozusagen. Und allem noirtypischen Fatalismus zum Trotz, baut das Buch einen hübschen Twist am Ende der Story ein, der den Regeln des MacGuffin folgt. Und dennoch gelingt es Garnett, dem Zuschauer Beklemmendes zu präsentieren.

Einerseits ist da die Ehe der Eheleute Jones, die mit einem aggressiven Werben durch George beginnt, wie uns eine Rückblende gleich zu Beginn zeigt, die uns aber auch erahnen läßt, daß George in einem Punkt recht gehabt haben könnte: Sein Freund Ranney hatte ganz sicher ein Auge auf die junge Dame geworfen. Ein Begehren, über das er, George, sich einfach hinweggesetzt hat, obwohl es ihm durchaus bewußt gewesen ist. Wenn wir in der Gegenwart des Films angekommen sind, präsentieren sich uns die Eheleute Jones im Vorstadttraumparadies der USA am Beginn der 50er Jahre. Saubere Vorgärten führen zu einladenden Haustüren, hinter denen saubere und gepflegte Häuser geordnete Verhältnisse bergen. Oder doch eher unordentlichere Verhältnisse verbergen? Diese Ehe ist nicht glücklich, das ahnen wir, und Ellens Over-Voice bestätigt uns diesen Eindruck; daß sie so unglücklich ist, daß George zu drastischsten Mitteln greift, um seiner Frau zu schaden, läßt uns schauern. Die Beklemmung nimmt zu, wenn wir Ellens verzweifelte Versuche verfolgen, den Brief, dieses Objekt ihrer Begierde, zurück zu bekommen in der Annahme, sich dadurch zu schützen. Und wir fangen an mitzufiebern, wenn Ellen bewußt wird, wie genau George seinen Plan durchdacht hat, wird doch nach und nach alles verdächtig, was sie tut und an diesem Morgen schon getan hat. Der Film nutzt jede Sekunde seiner Spielzeit aus, diese Beklemmung zu steigern. Dazu nutzt er die Schrecknisse des alltäglichen Lebens in den Suburbs, den Vorstädten: Neugierige Nachbarn einerseits, deren Kinder andererseits, der Postbote mit seinen Wehwehchen und die Tante des Gatten mit der Consommé. Und jeder dieser ganz alltäglichen Kontakte wird zur Bedrohung. Der Film präsentiert v.a. in Bradley Mora als Hoppy, der Nachbarssohn, der in seiner Cowboyaufmachung a la Hopalong Cassidy ebenso süß wie verstörend wirkt und Irving Bacons Postmann Mr. Carston Charaktere, die mitreißend gespielt sind und stark zur Wirkung beitragen. Vor allem Mr. Carston wechselt innerhalb von halben Dialogzeilen von der Bedrohlichkeit der Amtsperson zur leicht enervierenden Vertraulichkeit des menschlich-allzumenschlichen Bekannten, dem die Füße wehtun und der froh ist, ein gnädiges Ohr zu finden für seine Beschwerden über das Leben im Allgemeinen und seines im Besonderen.

CAUSE FOR ALARM ist ein recht subversiver Anschlag auf das spießige Vorortamerika der aufkommenden 50er Jahre und der Eisenhower-Ära. Ohne großen Aufwand, ohne Action und mit minimalen Mitteln erzielt der Film eine große Wirkung, die auch heute noch spürbar ist. Loretta Young ist überzeugend in ihrer Rolle einer Hausfrau, die ihrem kranken Mann gerecht werden will, zugleich aber spürt, daß das Leben so, wie sie es leben, längst nicht erfüllend ist. Wenn sie zu George sagt, sie wolle, wenn er erst gesund sei, Kinder und noch einmal von vorn beginnen, spüren wir schon da die Vergeblichkeit. Und doch gelingt es ihr, uns auch im Vagen zu lassen, wir ihre Absichten sich möglicherweise wandeln, im Laufe dieses „schlimmsten Tages“ ihres Lebens. Denn daß sie sich durchaus frei machen kann von den Geschehnisse, zeigt uns das Ende deutlich. Ein Drama, aufgeführt auf der grell ausgeleuchteten Bühne der nachbarschaftlichen Neugier. So wird in diesen Stunden, die der Film uns mit Ellen Jones gemeinsam durchstehen läßt, all das, was gemeinhin Sicherheit verspricht, zur bedrohlichen Hintergrundkulisse eines maximalen Verlusts – und damit ist nicht der des Ehemanns gemeint. Denn dessen Tod, das scheint auch Ellen Jones zu dämmern, bietet bei aller Trauer um den Verstorbenen eben auch ungeahnte Möglichkeiten auf eine Zukunft in genau dem gleichen Milieu, allerdings an der Seite eines anderen – besseren? – Mannes. Und das kann ja nur der Doktor sein…

Es sind oft diese kleinen, fast vergessenen Filme, die das klassische Hollywood hervorgebracht hat, die uns weitaus mehr darüber verraten, wo der spezifische Zauber der Traumfabrik, wo ihr ureigene Kunst lag, als all die „großen“ und teuren Produktionen, die oft nur zynisch ihre Produktionsbedingungen ausstellen. CAUSE FOR ALARM wurde mit bescheidenen Mitteln gedreht, bietet wenig Aufwand und ist daher „straight forward“ in seiner Dringlichkeit, überspielt jeden Zweifel an der Motivation seiner Figuren oder der Logik der Geschichte, indem er uns sofort mitten in die Geschichte stellt und uns zwingt am fürchterlichen Leiden dieser Frau teilzunehmen. Und ab da, also ca. Minute drei, zieht er das Tempo gnadenlos an. Es macht unglaublichen Spaß, sich diesem Film und seinen kleinen Einfällen von Bösartigkeit zu folgen. In diesen kleinen Filmen, die ganz den Drehbuchautoren und ihren manchmal skurrilen Ideen vertrauen, breitet sich die große Kunst des amerikanischen Filmemachens vollkommen aus.

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