CITY OF DREAMS
Teil zwei in Don Winslows Danny-Ryan-Trilogie führt das Publikum nach Hollywood und in ein verwirrendes Spiel mit Fakt und Fiktion
Danny Ryan, einst Handlanger eines irischen Gangster-Bosses in Providence, Rhode Island, mittlerweile Chef seiner eigenen Bande, ist mit eben dieser nach San Diego übergesiedelt. Seine Frau ist an Krebs gestorben, es war ihm nicht einmal möglich, zu ihrer Beerdigung zu gehen. Nun hat er seine Leute darauf eingeschworen, unter dem Aufmerksamkeitsradar zu bleiben, weiß er doch, dass seine Feinde – allen voran die italienische Mafia seiner Heimatstadt, aber auch die dortige Polizei und das FBI – noch lange nicht mit ihm fertig sind. Leider gelingt es nicht allen von Dannys Untergebenen, sich an seine Vorgaben zu halten. So wird er entgegen seiner Vorstellungen eines ruhigen und vor allem sicheren Lebens für sich und seinen Sohn Ian bald in allerlei Hollywood-Machenschaften verstrickt, findet sich in einer heißen Affäre mit einer Schauspielerin und auf der Produzentenliste eines Hollywoodfilms wieder. Dieser Film erzählt genau jene Geschichte, deren Hauptfiguren nicht direkt Danny und seine Leute, allerdings ihre besten Freunde einst gewesen sind: Die Geschichte vom Bandenkrieg in Providence. Es sind exakt die Geschichten, vor denen Danny und seine Leute geflohen sind…
CITY OF DREAMS (2023) heißt der zweite Teil der Danny Ryan-Trilogie, mit welcher Don Winslow sich nach eigener Aussage von der Schriftstellerei verabschieden will, um sich fortan ganz dem Kampf gegen Donald Trump und dessen Jüngern, den Trumpisten, zu widmen. Nachdem er uns im ersten Teil – CITY ON FIRE – das Personal und vor allem die äußerst korrupten Verhältnisse an der amerikanischen Ostküste anhand des Provinznests Providence vorgestellt und vor Augen geführt hat, lässt er Ryan und die Mitglieder seiner Gang nun an der Westküste ins Big Business der Filmindustrie einsteigen. Ein gewisses satirisches Moment darf dabei durchaus erwartet werden, scheint es doch mit eingepreist. Denn der Clou – neben den branchenüblichen Spannungsbögen, ob Danny und seine Leute von ihren rachsüchtigen Häschern der italienischen Ostküsten-Mafia aufgetrieben, gestellt und vernichtet werden etc. – hier ist, dass ein unabhängiges Hollywood-Studio einen Film über exakt jene Vorgänge zu drehen gedenkt, die uns im ersten Teil der Saga erzählt wurden. War es dort die Korruption innerhalb der Institutionen und somit auch in der Politik, war es dort die Analyse, dass die USA, wie sie sich momentan darstellen, ein durch und durch korruptes und von Gangstern bestimmtes Land sind, so erklimmt Winslow nun die Metaebene und verhandelt die Art und Weise, wie all der Dreck, der Unrat, der Verrat, die Korruption et al. in Amerika immer schon kulturell verarbeitet wurden. Nämlich als Epos.
Also als genau das, was er selbst mit seiner Trilogie betreibt. Das ist ein durch und durch selbstreferentielles, ein böses, ein fast zynisches Spiel mit Fakt und Fiktion, mit Wirklichkeit und ihrer medialen Abbildung, wobei sich natürlich die grundlegende Frage stellt, was zuerst da war: Realität oder ihre repräsentative Spiegelung in Literatur, Film und TV? Denn Winslow lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Wirklichkeit, auf die Hollywood in seinem Roman rekurriert und reagiert und deren Referenz sie sein will, selbst schon eine Erfindung ist – nämlich die Erfindung von Don Winslow, der seinerseits etliche, wenn nicht alle Filme, Romane und Serien zum Thema kennt. Gleich ob es sich dabei um die klassischen Gangsterdramen Hollywoods der 30er und 40er Jahre handelt, die GODFATHER-Romane von Mario Puzo und deren filmische Umsetzung durch Francis Ford Coppola, ob es Brian De Palmas Neuverfilmung eines der wesentlichen Gangsterfilme überhaupt – SCARFACE (Howard Hawks; 1932/De Palma; 1983) – betrifft oder die Klein- und Großgangster-Epen eines Martin Scorsese. Und all die Figuren und Typen, die Konstellationen und Verbindungen, die Szenen und Szenerien, die Winslow aus all diesen Werken kennt, bilden die Grundlage für seine Roman-Trilogie. Das ist reines Pastiche, das ist postmoderne Genre-Literatur in Reinkultur.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob das dann noch wirklich gute Krimi- und Unterhaltungsliteratur ist? Denn Winslow erfindet eine Welt, die sich aus den Klischees des Genres speist, welches wiederum von einer reellen Welt beeinflusst war, die sich schon früh, schon in den 30er Jahren und den frühen Gangstern um Al Capone und Konsorten, ein Wechselspiel mit ihrer medialen Repräsentation lieferte. Denn den Gangstern gefiel, was sie auf der Leinwand sahen. So wird Winslows Beitrag eben auch nur ein weiterer Mosaikstein in einem endlosen Spiel gegenseitiger Befruchtung, eine Fußnote, die es darauf anlegt, der Redundanz zu entgehen. Denn redundant ist zumindest der erste Teil der Trilogie. Keine Frage. Er bot zwar spannende, jedoch durch und durch bekannte Krimikost. Da ist CITY OF DREAMS dann schon geschickter konstruiert. Indem Winslow das Wechselspiel zwischen Fiktion und Fakt und Fiktion selbst zum Gegenstand seines Romans macht. Und zugleich nicht vergisst, dass sein Publikum trotz all dem auch etwas erwartet: Action, Spannung, Drama. Und das alles bietet er dann. Verpackt in den Rahmen einer antiken Tragödie, verweist er doch erneut, wie in Teil eins, auf Homer und dessen ILIAS, also den epischen Kampf um Troja.
Hier werden die Verfolger durch das mediale Aufsehen, welches Danny durch seine Beziehung zu einer bekannten Schauspielerin erregt, auf ihren Widersacher aufmerksam, dadurch, dass er sich in Hollywood auch finanziell einbringt, erweckt er das Interesse der einschlägigen Branchenblätter und wird somit zu einem ökonomischen Faktor. Seine Mutter, die lange mit einem ihr verfallenen Großindustriellen verheiratet war, spielt ihre eigenen Spielchen, lässt ihren Einfluss walten, den sie sowohl in der Unterhaltungsbranche als auch in Washington und in wirtschaftlichen Kreisen hat, und wird damit ihrerseits immer mehr zu einem bestimmenden Faktor in Dannys Leben usw. Winslow spinnt dieses Geflecht aus persönlichen, institutionellen und politischen Zusammenhängen mit großem Geschick, lässt das alles hyperreell wirken und weiß doch, dass aufmerksame Leser*innen immer verstehen, dass sich das alles nur auf einer fiktionalen Ebene bewegt. Wobei er uns ununterbrochen die Frage stellt, ob es hinter all der Fiktion denn nun eigentlich eine Realität gibt?
Diese Realität heißt heute Donald Trump. Der wiederum hebt jedwede reelle Einschätzung dessen, was wahr oder unwahr ist, vollends auf, indem er eine Lüge auf die andere türmt und dann einfach leugnet, irgendetwas gesagt zu haben. Selbst wenn er mit seinen früheren Aussagen konfrontiert wird, weil sie aufgezeichnet wurden, sind das im Zweifelsfall alles Fake News, Unwahrheiten, erfunden und ausschließlich in die Welt gesetzt, um ihm und nur ihm zu schaden. Da Trump seinerseits agiert wie ein Mobster, ein Gangsterboss, wie die Typen, mit denen er einst im New York der 80er Jahre Umgang pflegte, bietet sich kaum ein Genre besser an, um das gegenwärtige Amerika zu analysieren und zu beschreiben, als eben das des Gangsters. Und Winslow weiß das sehr, sehr genau und macht es sich zunutze. So gesehen, sollte man die Trilogie um Danny Ryan schon als Teil des Kampfs gegen Trump und den Trumpismus begreifen.
Dass die Trilogie im dritten und abschließenden Teil schließlich in Las Vegas endet, ist da nur folgerichtig. Denn Las Vegas ist der Un-Ort schlechthin, das Utopia einer Realität, die sich selbst ihrer eigenen Wirklichkeit verweigert. Hier, wo ein Tag schon mal in 15 Minuten vergangen ist, wenn man ihn im „richtigen“ Kasino erlebt, hier wo Paris reeller ist als in Paris, Frankreich, hier, wo das Leben dem Soundtrack der Slot Machines folgt, hier kommt nicht nur Amerika zu sich selbst, hier wird es echt, weil es immer schon ein Fake war und ist. Und Trump ist der Meta-Fake in diesem ewigen Spiel des Unechten. Welcome to Hell….