CRANFORD

Elizabeth Gaskells früher Roman - ein Traum vom Matriarchat?

Das Leichte, Komödiantische, Humorvolle gerät leicht in den Verdacht, seicht und oberflächlich zu sein. So könnte man auch Elizabeth Gaskells frühen Roman CRANFORD (1853 erschienen; Dt. hier: 2021 in einer überarbeiteten Fassung der Übersetzung von 1917) leicht als etwas seichte Geschichte über ein paar lustige Damen der englischen middle class des 19. Jahrhunderts abtun. Gaskell legt es geradezu darauf an, ihre episodische Beschreibung der englischen Provinz wie etwas sehr Leichtes und Oberflächliches wirken zu lassen. Der geneigte Leser darf sich allerdings sicher sein, daß dies eine literarische Taktik gewesen sein wird, um ein sehr ernsthaftes Anliegen zu camouflieren.

Gaskell erzählt in ihrem zweiten Roman von einer Freundesgruppe mittlerweile in die Jahre gekommener Damen, wobei die Ich-Erzählerin, erst spät überhaupt namentlich vorgestellt, im beschriebenen Kreis die Jüngste zu sein scheint. Zudem ist sie eine Außenstehende, die immer wieder nach Cranford reist, dem titelgebenden Städtchen irgendwo in der englischen Provinz, um ihre Freundinnen zu besuchen. So kann sie einen leicht distanzierten und reflektierenden Blick einnehmen und ihre Episoden mit einer luftigen Lässigkeit erzählen. Episodenhaft mutet das an: Die Schwestern Deborah und Miss Matty, Pfarrerstöchter, die der Ehe immer abhold waren, die immer mit dem neuesten Tratsch versorgte und andere versorgende Miss Pole, auch sie unverheiratet, Mrs. Jamieson und ihre adlige Verwandtschaft, der man, respektive frau, in Cranford eher skeptisch begegnet und drum herum eine ganze Schar von Nebenfiguren, die ein pittoreskes Portrait der englischen Provinz zur Mitte des 19. Jahrhunderts ergeben.

Die einzelnen Geschichten und Anekdoten, von denen hier berichtet wird, sind eher nebensächlich zu behandeln, meist sind es recht typische Dorfgeschichten. Falsche Vermutungen, als ausländische Gaukler in die Stadt kommen, verletzte Tiere, denen die Gesellschaft in Cranford jedoch Gerechtigkeit widerfahren lässt, Miss Mattys Schwierigkeiten, im Leben ohne ihre Schwester zurechtzukommen, nachdem Deborah gestorben ist, die Suche der Ich-Erzählerin nach dem verschwundenen Bruder von Miss Matty – es sind solcherlei Begebenheiten, von denen Gaskell erzählt. Wichtiger als die Geschichten sind die Protagonistinnen, die ,eist mit einem leicht ironischen Unterton beschrieben werden, wobei die Autorin gerade Miss Matty gegenüber, die in der zweiten Hälfte des Romans zusehends zur zentralen Figur der Erzählung wird, sehr große Sympathie offenbart.

Das eigentlich Wesentliche wird oftmals zwischen den Zeilen, manchmal in Nebensätzen oder einzelnen, scheinbar unwichtigen Dialogpassagen vermittelt. Und da erkennt man dann eben doch die spätere Autorin eines Klassikers wie NORTH AND SOUTH (erschienen 1855). Da wird immer mal wieder über die Ehe als Institution gelästert und all diese Frauen scheinen der romantischen Liebe nicht viel abgewinnen zu können – bis Miss Matty an langen Herbst- und Winterabenden von ihrer frühen Leidenschaft für einen Nachbarn erzählt, der nun, Dekaden nach der frühen Bekanntschaft, noch einmal seine Aufwartung gemacht hat. Nun musste er das Zeitliche segnen, was der einst Angebeteten gewisse innere Konflikte beschert, fragt sie sich doch, ob da nicht eine Möglichkeit, ein ganzes anderes Leben gar, vertan wurde. Doch auch solche Passagen weiß Gaskell mit einer gewissen Leichtigkeit, gar Nonchalance zu erzählen. So wird ihr Werk nie sentimental oder gar kitschig. Vielmehr gelingt es ihr, all diese Frauen durchaus kritisch zu durchleuchten, sie sympathisch zu zeichnen und zugleich ihre Lebenslügen und gelegentlichen Fehlleistungen aufzuzeigen und einzuordnen. Und immer wieder beschreibt sie den Mut der Damen.

Wenn bspw. das Gerücht besagt, mit dem Zauberer Signor Brunoni seien auch die „Zigeuner“ ins Städtchen gekommen und Miss Matty und ihre Freundin Miss Pole Abend für Abend den baldigen Angriff dieser unsichtbaren, ungreifbaren Feinde erwarten, dann beschreibt Gaskell zwar einerseits sehr genau die Wirkmacht von Klatsch und Tratsch, lässt den Leser auch wissen, daß hier zwei mittlerweile ältliche Ladies nicht nur vor Angst schlottern, sondern auch endlich etwas Aufregung im Leben erfahren – zugleich berichtet sie aber auch von zwei Damen, die sich nicht schrecken lassen und sich der Gefahr, auch wenn sie eingebildet ist, stellen. Es ist dieser hier konkrete Mut, der die Lebenseinstellungen dieser Damen definiert und sie so liebenswert macht. Und die Autorin beweist nicht zuletzt in diesen Passagen eine, wenn man so will, frühfeministische Einstellung, die immer wieder hervortritt.

Sicher, kennt man Gaskells der Weltliteratur zugerechneten Romane – das oben bereits erwähnte Werk NORTH AND SOUTH sowie ihren späten, unabgeschlossenen Roman WIVES AND DAUGHTERS (1865) – muß konstatiert werden, daß CRANFORD (noch) nicht die Klasse hat, die diese Werke auszeichnet. Und doch mutet dieser Roman wie eine kleine Sozialutopie an, beschreibt eine Klassengesellschaft, die sich aus eben diesen Fängen zu befreien vermag. Mehr noch aber kommt hier die Idee eines Matriarchats zum Ausdruck, welches zwar nicht ohne Männer auskommt – oder auskommen mag – , welches jedoch eine offensichtlich tolerantere und Neuem gegenüber aufgeschlossenere Gesellschaft hervorbringen könnte.

Mehr noch aber lässt sich sagen, daß CRANFORD ein herrlicher kleiner Sommerroman ist, der sich an heißen Nachmittagen gut im Schatten lesen lässt, durch den die Brise eines lauen, Erfrischung verheißenden Lüftchens weht, der den Leser in eine weit vergangene Zeit zu entführen vermag und schlichtweg gut unterhält. Nach der Lektüre dieser knappen 230 Seiten sind einem die Damen, die Gaskell so lebensecht formt, so sehr ans Herz gewachsen, daß man wünschte, die Autorin hätte auch in ihrer frühen Zeit als Romanautorin schon den Mut gehabt, an die 500 oder 600 Seiten zu füllen.

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