MISS MACKENZIES MUT ZU LIEBEN/MISS MACKENZIE
Ein eher unbekannter Roman von Anthony Trollope
MISS MACKENZIES MUT ZU LIEBEN (MISS MACKENZIE/1865) gehört sicherlich nicht zu den bekanntesten Werken von Anthony Trollope. Dennoch zeigt es viel von all jenen Vorzügen, die den Autor, heute wahrscheinlich nicht mehr viel gelesen, ausmachen. Trollope war neben Charles Dickens oder Thomas Hardy einer der meistgelesenen Schriftsteller im Großbritannien des 19. Jahrhunderts. Sein Witz, der genaue Blick auf die gesellschaftlichen Konventionen des viktorianischen Zeitalters, die er detailliert sezierte und nicht selten auch der Lächerlichkeit preisgab, machten ihn so beliebt.
MISS MACKENZIES MUT ZU LIEBEN erzählt die Geschichte der titelgebenden Dame, die in jungen Jahren erst ihren Vater, dann einen ihrer Brüder bis zu deren Tode pflegt. Sie hat keinerlei gesellschaftliche Erfahrungen, keine Freunde und nicht einmal viele Bekanntschaften. Von der Liebe versteht sie nichts, als ein Bekannter des Hauses um ihre Hand anhält, reagiert sie verstört. Als ihr ein Erbe eröffnet wird, das ihr ein durchaus gutes Einkommen sichert, zieht sie nach Littlebath, einer Kleinstadt nicht weit von London entfernt, wo sie sich eine gesellschaftliche Stellung erhofft. Kaum ist sie in der Stadt eingetroffen, gerät sie in die lokalen Streitereien zwischen den religiös Gefestigten, die sie in ihren Kreis aufnehmen, und jenen, die gern dem Kartenspiel und anderen gesellschaftlichen Vergnügungen frönen. Doch mehr noch wird Miss Mackenzie plötzlich für verschiedene Herren interessant, für die sie, eingedenk ihres Wohlstands und Jahreseinkommens von 800 Pfund im Jahr, eine ausgesprochen gute Partie darstellt.
In der Folge beschreibt Trollope nun das Werben der verschiedenen Herren – er kapriziert sich dabei auf drei: Einen Gentleman, der der Meinung ist, daß das an Miss Mackenzie vererbte Vermögen eigentlich ihm und seiner Seite der Familie zustünde – John Ball, so sein Name, ist ein Verwandter von Miss Mackenzie – , desweiteren Mr. Rubb, ein Geschäftspartner ihres verstorbenen Bruders, und zu guter Letzt Mr. Maguire, ein Hilfsgeistlicher, der sich um Miss Mackenzies Gunst und Geld bewirbt. Trollope, der den Leser als Erzähler immer wieder direkt anspricht, ihn so in das Geschehen hineinzieht und ihn auch immer wieder auffordert, sich ein eigenes Urteil zu bilden hinsichtlich der Protagonisten, macht sich ein diebisches Vergnügen daraus, die Werbungsversuche dieser Herren sowie die allgemeinen Ansichten in der Gesellschaft hinsichtlich dieser Werbungen zu beschreiben. Dann, am Höhepunkt all dieser Versuche, schlägt natürlich das Schicksal zu. Zunächst stirbt Miss Mackenzies verbliebener Bruder, dann erfährt sie, daß das Vermögen, daß sie ihr Eigen nennt, ihr fälschlich vermacht wurde, das Geld steht gesetzlich gesehen eben doch ihrem Vetter John Ball zu, dessen Werben sie abgelehnt hat, als sie Geld hatte, allerdings annimmt, als sie nichts mehr besitzt. Das ruft wiederum den Widerstand von Lady Ball, Johns Mutter, hervor, die Miss Mackenzie so oder so nicht leiden kann und sie natürlich der Berechnung bezichtigt.
Trollope spielt mit den verschiedenen Aspekten von Liebe, Vermögen, Heirat und gesellschaftlicher Konvention. Dabei lässt er die als Figur eher schwach ausgebildete Miss Mackenzie im Laufe der Handlung immer stärker an Kontur gewinnen und immer selbstständiger und auch selbstbewußter auftreten. Sie, die sich ungeschickt verhalten haben mag, weil sie keine Erfahrung im Umgang mit Männern und deren Werben hatte, verfügt über einen sehr genauen moralischen Kompass dafür, was sich gehört und was nicht. Sie hält sich gut im Sturm der verschiedenen Anträge und verschiedenen Schicksalsschläge, geht unbeirrt ihren Weg, erhält hier und da – wohl auch der Dramaturgie geschuldet – Hilfe von plötzlich auftauchenden Verwandten, hat in John Ball einen wahren Gentleman getroffen, der sich sehr bewußt ist, daß er ihr etwas schuldet, der sie aber offensichtlich auch nach und nach wirklich liebt.
Es heißt, daß neben Jane Austen kaum ein Autor des 19. Jahrhunderts so genau auf die Bedeutung von Geld achtete, wie Trollope. Und hier gelingt ihm – ob gewollt oder ungewollt – ein kleines Meisterstück psychologischer Leserbeeinflussung. Denn obwohl wir natürlich wollen, daß Miss Mackenzie und Sir John Ball schließlich zusammenfinden, einander finden, in wahrer Liebe sich zusammentun, bleibt doch ein Restzweifel an den Beweggründen der Protagonisten. Heiratet John Ball seine Cousine aus Mitleid? Oder gar, um sich endlich, mit 50 Jahren, aus den Fängen der eigenen Mutter und deren Regime zu befreien? Hat Miss Mackenzie im Laufe der geschilderten Ereignisse gelernt, daß Liebe und Vermögen derart zusammengehören, daß ihre Eheschließung mit Ball dann doch auch zu einem gewissen Grad Berechnung ist? Und sind all diese an Miss Mackenzie Interessierten letztlich nur hinter ihrem Geld her?
In Mr. Maguires Fall, der schließlich eine öffentliche, in Zeitungen ausgetragene Hetzkampagne gegen Sir John Ball anstrengt, muß man das wohl so sehen. Wobei Trollope hier auch den Mechanismus der öffentlichen Aufmerksamkeit und öffentlicher Empörung, angefacht durch die Boulevard-Presse, thematisieren kann. Auch wenn Mr. Maguires Furor von Trollope durchaus als etwas Manisches, Wahnhaftes gezeichnet wird, kommt dem armen Mann hier die Rolle des Schurken zu. Anders liegt die Sache bei Mr. Rubb, der Miss Mackenzie anfangs sogar belügt, ihr falsche Geschäftszahlen nennt und so ein Leihgeschäft einfädelt, daß der Firma helfen soll – Geld, das Miss Mackenzie nie wiedersehen wird, wie sie und der Leser bald begreifen. Dennoch ist dieser Mr. Rubb nicht gänzlich falsch, besitzt eine warme Seite, ist von echter Zuneigung zu Miss Mackenzie erfüllt. John Ball seinerseits ist eine etwas tragische Figur, ein Witwer von fünfzig Jahren, der mit sieben Kindern ein Auskommen sucht, das seiner gesellschaftlichen Stellung angemessen ist. Und der doch versteht, daß der Streit zwischen ihm und seiner Angebeteten ein Kampf mit ungleichen Mitteln ist.
Trollope beschreibt dem Leser ausführlich, wie wichtig das Geld ist, wie sehr es gesellschaftliche Stellung und Ansehen bestimmt, wie wesentlich es für die Planung der eigenen Zukunft ist. Und er beschreibt ebenso ausführlich, wie sich das Geld für die auswirkt, die es besitzen, bzw. was geschieht, wenn sie es nicht mehr besitzen. Und immer betrachtet er die Gesellschaft, die solche Konventionen hervorbringt. Dabei gelingen ihm Szenen, die den Leser wirklich zu lautem Lachen inspirieren. Eine Abendgesellschaft bei Miss Mackenzies Schwägerin wird durch einen tyrannischen Butler bestimmt, dessen Eigenart, wirklich jeden Teller selbst zu bestücken, dazu führt, daß das Essen ebenso kalt wie ungenießbar ist, als es endlich auf dem Tisch steht. Auch bei den Namen erlaubt sich Trollope einige Freizügigkeiten und Hinweise. Da tritt im Kreis der Kirchentreuen ein Mr. Frigidy auf, Miss Mackenzies erster Verehrer trägt den vielsagenden Namen Handcock, ein Anwalt heißt Mr. Slow – und genauso verübt er auch das Geschäft der Juristerei. Und auch Mr. Rubbs Namen darf getrost als „telling name“ betrachtet werden, sieht es doch zunächst und recht lange Zeit so aus, als wollte der junge Mann Miss Mackenzie lediglich um ihr Geld bringen.
Vielleicht ist MISS MACKENZIES MUT ZU LIEBEN nicht Trollopes bestes Werk, sicher nicht sein bekanntestes. Doch fasst es viel von dem zusammen, was sein Schreiben ausmacht. Hier wird geradezu exemplarisch vorgeführt, wie sein Blick auf die englische Gesellschaft gerichtet war, wie genau er beobachtete, aber auch, daß er eine durchaus Dickens nicht unähnliche Leidenschaft für seine Figuren hat, die er achtet und denen er nichts Arges wünscht. Die genaue Personenbeschreibung, die auch einen Schurken wie Mr. Maguire durchaus vielschichtig zeichnet und in der Lage ist, auch hinter frevlerischem Tun Verzweiflung zu erkennen, macht ein Buch wie dieses auch nahezu 150 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung so lesenswert. Es ist ebenso eine literarische Unterhaltung erster Klasse, wie es ein lebensnaher Einblick in das viktorianische Zeitalter mit all seinen Vorgaben ist, der gesellschaftlichen Enge, voller unterdrückter Sexualität und strikter sozialer Kontrolle. Einen Roman wie diesen heute zu lesen, hat etwas von einer Zeitmaschine – und lässt uns einmal mehr die Kraft und ganze Potenz des Romans des 19. Jahrhunderts spüren.