DARLING
Mickey Keating legt einen überzeugenden Schocker vor
Madame (Sean Young) empfängt ihre neue Hausangestellte, die sie Darling (Lauren Ashley Carter) nennt. Diese soll auf das gediegene New Yorker Stadthaus aufpassen, während Madame abwesend ist. Madame warnt Darling, daß deren Vorgängerin sich vom Dach geschmissen habe. Das Haus habe einen schlechten Leumund. Darling dürfe um keinen Preis das verschlossene Zimmer, ganz oben am Ende des Treppenhauses, aufsuchen.
Darling richtet sich ein. Sie findet ein umgedrehtes Kreuz an einer Halskette, das sie sehr schön findet. Bei einem Einkauf verliert sie es. Ein ihr Unbekannter (Brian Morvant) findet es und gibt es ihr zurück. Darling bekommt eine Panikattacke, da sie den Mann zu erkennen glaubt. Sie folgt ihm heimlich zu dessen Haus.
Darling erleidet zunehmend halluzinatorische Wahrnehmungen. Das Haus scheint von Flüstern und Raunen erfüllt, auch andere Geräusche sind vernehmbar und immer wieder hat sie Visionen fürchterlich zugerichteter Menschen. Sie findet Inschriften sowohl auf jenem Balkon, von dem ihre Vorgängerin sich einst hinabstürzte, als auch neben ihrem Bett. Sie kann sich nicht erinnern, ob sie sie selbst angebracht hat.
Madame ruft an, um Darling zu bitten, die noch ausstehenden Referenzen ihres letzten Arbeitgebers zu besorgen.
Darling sucht den Mann, der ihr das Kreuz zurückgegeben hat, und folgt ihm in eine Bar namens THRILLS! Dort nähert sie sich ihm an und nimmt einige Drinks mit ihm. Dann lädt sie ihn ein, mit ihr heim zu kommen.
Der Mann, der in der Gegend groß geworden ist, erkennt das Haus und berichtet, daß es als verwunschen gilt. Hier habe ein Arzt einst versucht, den Teufel zu beschwören. Darling mixt Getränke, als der Mann seins trinken will, sticht sie mehrfach mit einem Küchenmesser auf ihn ein. Sie bezichtigt ihn, Harry Sullivan zu sein, der habe ihr in „jener Nacht“ Schlimmes angetan und habe kein Recht, weiter zu leben.
Darling stülpt dem noch Lebenden einen Plastikbeutel über den Kopf und erstickt ihn. Dann schleift sie ihn ins Bad und legt ihn in die Wanne. Sie geht sie zu Bett und träumt, der Tote attackiere sie dort.
Als sie erwacht, findet sie die ID Karte des Toten, der ihn als „Harry Sullivan“ ausweist. Darling schneidet ihm den Kopf und die Gliedmaße ab und verstaut alles in Plastiksäcken. Erneut checkt sie die ID des Mannes. Nun wird er als „James Abbott“ ausgewiesen.
Erneut rut Madame an. Sie wirft Darling vor, nie bei Dr. Abbott, den sie als Arbeitgeber angegeben hatte, angestellt gewesen zu sein. Darling erwidert, der Doktor habe ihr gesagt, sie sei nun wieder „in Ordnung“. Madame befiehlt ihrer Angestellten, ihre Sachen zu packen und das Haus umgehend zu verlassen. Darling fragt, ob das Zimmer am Ende der Treppe vielleicht jener Raum sei, wo einst der Teufel beschworen wurde, erhält aber keine Antwort. Darling flüstert in den Hörer, daß sie nun eine von Madames „Geistergeschichten“ werde und legt auf.
Dann erklimmt sie die Treppen und bricht in den verschlossenen Raum ein, der von gleißendem Licht erfüllt scheint. Was immer sie sieht – es löst nacktes Entsetzen in ihr aus. Darling rennt durch das Haus und zerschneidet ihre Kleider, legt schließlich ihre Kette mit dem umgedrehten Kreuz an.
An der Tür machen sich zwei Polizisten zu schaffen, die von einer Nachbarin, die ihrerseits von Madame kontaktiert wurde, begleitet werden. Sie öffnen die Tür und finden in der Eingangshalle die Tüten mit den Überresten des Mannes.
Darling klettert auf den Balkon und springt – wie ihre Vorgängerin – in die Tiefe.
Erneut begrüßt Madame eine neue Hausangestellte und wiederholt exakt jene Worte, mit denen sie auch Darling willkommen geheißen hatte…
Horrorfilme können den Zuschauer schocken, sie können ihn auch erheitern, wenn die Macher begreifen, daß Schrecken und Komik oft sehr nah beieinander liegen. Aber nur den wirklichen Könnern gelingt es, einen Film derart zu gestalten, daß der Zuschauer nicht nur hier und da Spannung erfährt, ab und an vielleicht sogar einen Schock, ansonsten aber bestenfalls geekelt aus dem Kinosaal ins grelle Neonlicht des Foyers torkelt. Einer der wenigen, denen es gelang, nachhaltigen Eindruck beim Publikum zu hinterlassen, einer, dessen Thriller und Horrorfilme zumeist nachhaltig wirkten, weil seine Bilder und Eindrücke in tiefere Regionen der menschlichen Psyche vordrangen, war und ist Roman Polanski. Wenn am Ende von THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (1967) deutlich wird, daß der Schrecken keineswegs gebannt ist, sondern sich wahrscheinlich einem Virus gleich verbreiten wird, wenn in den letzten Sequenzen von ROSEMARY`S BABY (1968) des Teufels erfolgreiches Werk von einer Gruppe freundlicher Senioren gelobtpreist wird, dann hinterlässt dies beim Zuschauer ein schleichendes Grauen, das lange noch wirkt.
Warum einen so deutlichen Rekurs auf Polanski und zwei seiner Welterfolge zu Beginn der Besprechung des Horrorfilms DARLING (2015) von Regisseur Mickey Keating? Nun, es ist dem Film über die Laufzeit von gerade einmal 78 Minuten offensichtlich daran gelegen, als Hommage an den Meisterregisseur Polanski erkennbar zu bleiben. Keating sucht ein Setting – eine großbürgerliche Wohnung, gelegen am Central Park in New York City – das unverkennbar an jene Wohnung erinnert, die Rosemarie und Guy Woodhouse zu Beginn von ROSEMARY`S BABY beziehen, der schwarz-weißer Look und auch weite Teile der Story erinnern überdeutlich an das, was Catherine Deneuve als junger Französin im Swingin´ London der 60er Jahre in REPULSION (1965) widerfährt. Doch darüber hinaus gelingt es dem Regisseur Keating, auf ganz eigene Art und Weise beim Zuschauer ein nachhaltiges Gefühl des Unwohlseins, des Grauens, ja wirklicher Angst zu hinterlassen und erzielt damit eine Wirkung, die nur wenige Horrorfilme heute noch erreichen.
Dazu trägt allerdings bei, daß es Keating gelingt, mit ganz eigenen Formen, Formeln und Stilelemente zu überzeugen. Vor allem der Einsatz von Ton und Musik – Sound wäre wohl der bessere Begriff – sind an den Werken David Lynchs geschult, werden aber nahezu virtuos genutzt, um den Betrachter permanent in eine nervöse, unruhige Stimmung zu versetzen. Tobe Hooper hat es in TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) prägend vorexerziert, wie es gelingt, mit Geräuschen, Soundschnipseln, kreischender Kakophonie mindestens so viel Grauen zu erzeugen, wie mit Bildern, die das Publikum angreifen. In seinem Fall führte das gar soweit, daß man glaubte, Dinge gesehen zu haben – schlimme, brutale Dinge – die im Bild nie gezeigt wurden. Keating treibt den Einsatz seiner Tonspur in ungeahnte Bereiche. Er ersetzt Schreie durch kreischende Geigen, malträtiert das Ohr des Betrachters ununterbrochen mit Geräuschen, Melodieschnipseln, ruhigen Passagen raunenden Geflüsters, die extreme Aufmerksamkeit erfordern, nur um in plötzliche Crescendi auszubrechen, die für sich genommen schon unglaubliche Wirkung erzielen. Zudem spielt er permanent mit Höhenlagen und Lautstärke, die den Zuschauer zusätzlich verunsichern – hat man wirklich gehört, was man zu hören glaubte? Doch ist dies ein Film, kein Hörspiel, und also wirken all diese Effekte mit einer Bearbeitung des Bildmaterials zusammen, die ihnen in nichts nachsteht.
Flackernde Bilder, Ransprünge, unzusammenhängend scheinenden Schnitte, wenige Frames umfassende Einblendungen, die oft schockartige Bilder verstümmelter Gesichter präsentieren, die der Zuschauer aber nie wirklich zu fassen bekommt, die er nie bewußt verarbeiten kann, Doppelungen, gleißendes, die Augen brennendes Licht oder Kamerafahrten durch endlos scheinende Korridore, die labyrinthisch wirken und den Orientierungssinn verwirren, die aber plötzlich durch Einblendungen unterbrochen werden, derer Wirklichkeit man sich nie ganz sicher sein kann, halten den Zuschauer in eben jener nervösen, spannungsgeladenen Stimmung, die bereits erwähnt wurde. Selten ist ein Horrorfilm der jüngeren Dekaden mit so wenig Dialog ausgekommen, selten hat ein Horrorfilm so durch seine Bildsprache und die Toneffekte überzeugt und Wirkung auf sein Publikum erreicht, wie es Keating in DARLING gelingt. Nicht umsonst warnt eine Einblendung zu Beginn des Films, daß hier flackernde und hypnotische Bilder verwendet werden, geht man doch davon aus, daß Schwarzlicht epileptische Anfälle auslösen kann. Da Keating sein Material nicht in Farbe, sondern einem grau chromierten Schwarz-weiß präsentiert, könnte der Effekt also eintreten. Da dies ein moderner Horrorfilm ist, verlässt sich der Regisseur allerdings nicht ausschließlich auf die Wirkung seiner stilistischen Ideen, sondern garniert seinen Film mit einigen wohl gesetzten Schocks äußerster Brutalität und Elementen des Splatter-Films.
Inhaltlich erinnert Keatings Film an Polanskis REPULSION, mit seinem Ende aber auch an dessen LE LOCATAIRE (1976). In sechs klar voneinander abgegrenzten Kapiteln wird die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die einen Job als Hausangestellte antritt und für eine wohlhabende Familie in Abwesenheit auf deren Stadthaus aufpassen soll. Sie bekommt Hinweise darauf, daß in dem Haus Fürchterliches geschehen ist, bringt aber selber eine psychische Disposition mit, für jedwedes Grauen und manche unnatürlichen Eindrücke anfällig zu sein. Wie Polanskis frühes Meisterwerk eben in schwarz-weiß gehalten, setzt auch Keating darauf, den Zuschauer möglichst im Ungewissen darüber zu lassen, ob man es mit realen Vorkommnissen oder den Visionen der Protagonistin zu tun hat, und dort, wo der Zuschauer definitiv weiß, daß das, was vor der Kamera geschieht, der filmischen Realität entspringt, bleibt bewusst unklar, ob die Motivation der Frau reellen Begebenheiten – wurde ihr wirklich Schreckliches angetan von jenem jungen Mann, den sie mit nimmt in das Haus und dort tötet? – entsprechen, oder ob es Halluzinationen, vielleicht die Folgen einer Psychose, sind, die ihr Handeln bestimmen. Wie die besseren Horrorfilme zumeist, versteht es auch DARLING, Entscheidendes nicht zu zeigen, Gründe im Dunkeln oder Ungefähren zu belassen und dem Zuschauer dadurch immer ein Gefühl der Unwägbarkeit zu vermitteln. So deutlich manche Bilder zu sein scheinen, so viel bleibt doch der Phantasie des Betrachters überlassen. Die dadurch entstehende, manchmal surreale Atmosphäre des Films verdankt sich allerdings auch Vorbildern wie CARNIVAL OF SOULS (1962) oder Ingmar Bergmans VARGTIMMEN (1968) – zwei Meisterwerke des ruhigen, eher schleichenden Horrors, die als EInfluß allerdings bei weitem nicht so deutlich spürbar sind, wie Polanskis frühe Filme.
DARLING sticht in Machart, in seinem Stil und der Konsequenz, mit der er sein Material behandelt, unter den Horrorfilmen der vergangenen zwei Dekaden deutlich hervor. So sehr man erkennen mag, daß man es hier mit einer Reminiszenz zu tun hat, so sehr versteht es Mickey Keating doch, seinem Film eine eigene Note zu geben, ihm eine eigene Handschrift zu verpassen. So sollten sie aussehen, so sollten sie sich anfühlen, die modernen Horrorfilme. Filme, die wissen, wie und wann man Effekte und Schocks setzen sollte und die nicht einfach mit brachialer Gewalt und ähnlichen Überwältigungsstrategien arbeiten, um möglichst hohe Ekelquotienten zu erfüllen, sondern auf jenes Element setzen, das die besten Horrorfilme schon immer ausgezeichnet hat – Atmosphäre.
Hinzu kommt in diesem Fall eine ebenso bezaubernde, wie durchaus verunsichernde Hauptdarstellerin. Lauren Ashley Carter versteht es brillant, diese junge Frau zu verkörpern, deren wirklichen Namen wir nie erfahren, die von ihrer Arbeitgeberin „Darling“ genannt wird, und die mal verängstigt und unsicher, dann selbstbewusst und sehr überzeugt von ihrer eigenen Sicht der Dinge wirkt. Schleichend gelingt es Carter – und der Regie – die psychischen Abgründe aufzudecken, die diese Person in sich trägt und die sie, die wir zunächst als bedroht wahrgenommen haben, zusehends bedrohlicher wirken lässt. Auch darin kann man eine Hommage an REPULSION entdecken, erging es doch auch Carole Ledoux so, daß sie im Laufe des Films beschließt, auf das, was sie wahrnimmt, sei es real oder eingebildet, zu reagieren und sich zur Wehr zu setzen – was immerhin zwei Menschen das Leben kostet. Anders als Deneuves Figur im Vorbild, scheint Darling jedoch wirklich fürchterliches zugestoßen zu sein und wie ein Telefonat zwischen ihr und ihrer abwesenden Arbeitgeberin später ergibt, scheint sie sich auch zuvor schon zur Wehr gesetzt zu haben. Unmerklich verschieben sich die Ebenen. War zunächst das Haus und seine Geschichte von Hexerei und Kindestötungen das bedrohliche Element, wird es zusehends Darling. Und schließlich, so deutet es Keatings Regie an, gehen Haus und Angestellte eine böse Symbiose ein, befruchten sie sich gegenseitig. Zumindest, bis das Auftauchen der Polizei die junge Frau zum Äußersten treibt – undd amit in gewisser Weise die Prophezeihung des Hauses erfüllt – Abyssus abyssum invocat.
DARLING erfüllt also eine ganze Reihe von Topoi des Horrorfilms. Eine Geistergeschichte deutet sich ebenso an, wie die Story einer Serientäterin, wie die des verwunschenen Hauses, Satanismus und psychische Dysfunktion usw. Ohne sich festzulegen, gelingt es dem Film, alle diese Felder zu bespielen und dabei einheitlich, wie aus einem Guß zu wirken. Es sind die Eleganz, die Konsequenz und die souveräne Abgeklärtheit, mit der Keating sein Material, die Story, die Effekte und das Timing beherrscht, die DARLING zu einem ebenso überzeugenden wie überwältigenden Film machen. So experimentell das momentweise anmutet, es bleibt jenes Grauen im Zuschauer zurück, das lange nachhallt und einen Film zu jenem Mehr verhilft, das ihn von der Masseware abhebt.