DAS DICKICHT/THE THICKET

Ein Spätwestern aus der Hand des großen Joe R. Lansdale

Ost-Texas an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die Pocken raffen die Bevölkerung nur so dahin, was auch die Eltern von Jack und Lula Parker betrifft. Ihr frömmlerischer Großvater will sie zu sich holen und dann nach Kansas City weiterbefördern, wo eine ihnen vollkommen unbekannte Tante leben soll. Doch auf dem Weg auf die Farm des Großvaters kommt es zu einem Zwischenfall: Der Bandit Cut Throat und seine Männer töten den alten Mann und nehmen Lula mit. Jack versucht gemeinsam mit den Kopfgeldjägern Shorty, einem Liliputaner, und Eustace, einem riesigen Schwarzen, die Verfolgung aufzunehmen und seine Schwester zu befreien.

Joe R. Lansdale erzählt in DAS DICKICHT (THE THICKET, 2013; Dt. 2014/16) einmal mehr von der extrem gewalttätigen und rassistischen Welt jenes Landstrichs, den er selbst nur allzu gut kennt. Wie immer ist es weniger die Story, die packt, als vielmehr der Reigen der Figuren, die er auftreten lässt. Dialoglastiger als in früheren Werken, mit unterschwelligem, gelegentlich sehr galligem Witz, berichtet er von Jacks Suche, aber auch davon, wie aus dem naiven jungen nach und nach ein Mann wird, der hin und hergerissen ist zwischen den religiös geprägten Idealen, die sein allerdings sehr bigotter Opa ihm eingetrichtert hat und der Wirklichkeit, die gnadenlos und brutal ist. Jack gelingt es zwar, sich grundlegend seine Haltung zu bewahren – er will gern ein gottesfürchtiger, ehrlicher Mann sein – doch lernt er eben auch, den Abzug durchzuziehen, wenn es drauf ankommt. Nötigenfalls auch, ohne zuvor zu fragen, ob er das richtige Opfer vor dem Lauf hat. So gesehen hat man es in diesem Fall auch mit einer der härtesten Coming-of-Age-Geschichten zu tun, die man je gelesen hat. Und, das sollte man keinesfalls vergessen, einen Western. Im Grunde sogar einen Spätwestern, bedenkt man, wann und wo die Geschichte angesiedelt ist. Strukturell erinnert die Story gar an Charles Portis´ Roman TRUE GRIT (1968). Dort heuert eine Minderjährige einen alternden Sheriff an, der ihrr helfen soll, die Mörder ihres Vaters zu finden und möglichst zur Strecke zu bringen.

Lansdale entwickelt immer wieder Szenarien, in denen er die amerikanische Geschichte auf dem scheinbaren Niveau von Pulp-Stories abhandelt, was den Leser schnell übersehen lässt, wie präzise und teils hintergründig diese Geschichten konstruiert und komponiert sind. Immer ist der Rassismus ein wesentliches Merkmal dieser Welt, die er schildert. Immer wieder setzt er diesem Figuren und deren Taten entgegen, die sich entweder wehren oder die rassistische Haltung der (meisten) Weißen dadurch konterkarieren, indem sie sie schlicht ignorieren – und im Zweifelsfall die Waffen sprechen lassen. Shorty und Eustace, dieses Paar, das nicht nur an Lansdales eigenes Figurenduo Hap & Leonard, sondern auch an jenes Killerduo erinnert, das John Connolly in seiner Bird-Parker-Reihe dem Helden immer wieder zur Hilfe eilen lässt, sind in ihrem Auftreten anmaßend und fordernd. Eine Zumutung für eben jene, die glauben, diese Welt werde durch sie bestimmt und definiert. Beide, Shorty, der Kleinwüchsige, wie auch Eustace, der immer von einem verwilderten Keiler begleitet wird, sind Außenseiter, verdingen sich in allen möglichen Jobs, jagen Verbrecher und widersetzen sich einer Welt, die sie verachtet und mißhandelt. In den ellenlangen Dialogen zwischen Shorty und Jack, aber auch in den verbalen Auseinandersetzungen zwischen Shorty und Eustace wird deutlich, daß zumindest Shorty viel mehr zu bieten hat, als eine Weltsicht, die ausschließlich auf Gewalt zu beruhen scheint. Er ist belesen, voller Weisheit und schließlich sogar in der Lage, über seinen eigenen Schatten zu springen und Meinungen auch zu revidieren. Vor allem, wenn sie die Liebe betreffen. Aber er ist eben auch immer bereit, äußerste Gewalt anzuwenden, um zu bekommen was er will, sei es Information, seien es Pferde oder sei es Genugtuung.

Lansdale, der auch Science-Fiction und Horror-Romane verfasst, neigt oft zu Schlüssen, die an Märchen erinnern. So auch hier. Seinen Helden gönnt er nicht nur die Freundschaft untereinander und daß sie das Abenteuer fast alle überleben, sondern auch eine kleine Utopie. Da leben Jack, seine Geliebte Jimmie Sue, Lula, Shorty und Eustace mit Keiler schließlich gemeinsam auf einem Stück Land und gründen eine Art Kommune. Diese Literatur ist eben bei allem Trivialen, das sie auszumachen scheint, immer auch ein Kreuzzug gegen die Gewalt und den Rassismus, der sie (nicht allein) hervorbringt. Lansdale ist sich dieses historischen Grunds der amerikanischen Historie, zumindest aus der Perspektive weißer Männer, sehr bewußt und prangert sie wieder und wieder an. Hier, in DAS DICKICHT ist es aber mehr noch die ungeheuerliche Gewalt, die von nahezu jedem ausgeht. Interessant ist dabei, daß in den langen Dialogpassagen oft Hintergründe berichtet werden, die zumindest in Ansätzen erklären, wie diese Männer (und auch einige der Frauen) wurden, was sie sind. Damit wird nichts entschuldigt, beschönigt oder gar gutgeheißen, doch weist Lansdale darauf hin, daß kaum ein Mensch einfach „böse“ ist, daß Gewalt ein Verhaltensmuster (und Kommunikationsmittel) ist, das erlernt wurde. Selbst ein Mistkerl wie Cut Throat hat eine Geschichte. Und auch die wäre erzählenswert.

Vielleicht fällt DAS DICKICHT gegenüber seinen unmittelbaren Vorläufern etwas ab, allein deshalb schon, weil es letztlich eine Variation bereits erzählter Geschichten ist. Vor allem der Vergleich mit DUNKLE GEWÄSSER (EDGE OF DARK WATER, 2012; Dt. 2013) drängt sich auf. Doch liest man Lansdales Stories und Romane nicht gleich hinter einander weg, kann er immer wieder unterhalten, wobei seinen Geschichten eben auch immer mehr innewohnt, als es auf den ersten Blick scheint. Neben Pete Dexter ist Joe R. Lansdale gegenwärtig sicher der führende Autor harter Noir-Thriller in den USA.

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