DAS FINSTERE TAL

Ein Alpen-Western, der es in sich hat

In der Danksagung zu seinem Roman DAS FINSTERE TAL (2010) erwähnt Thomas Willmann Ludwig Ganghofer und Sergio Leone als Schutzheilige. Sie wohl werden die Vorbilder sein, an denen er sich für seine Alpen-Saga orientiert hat. Und die hat es in sich. Durchaus geschult an Ganghofers „Berchtesgardener Geschichten“ ebenso wie an Leones Western, bastelt Willmann sich eine Mischung aus beiden zurecht, die von dem Rachefeldzug eines jungen Mannes berichtet, der in jenes abgelegene Tal zurückkehrt, aus welchem seine Mutter einst floh, nachdem sie sich den perversen Regeln des Herrs dieses Tals – dem alten Brenner – widersetzt und dabei ihren Mann aufs Grausigste verloren hatte.

Willmann nutzt dabei eine gelegentlich den Kitsch streifende, ebenfalls an Ganghofer geschulte Sprache, die sich bewusst gespreizt, schwülstig und überbordend an Adjektiven und Attributen gibt, die oft umständlich recht einfache Gegebenheiten beschreibt, in der der Natur andauernd ein (scheinbar) eigener Wille zugeschrieben wird und die somit äußerst umständlich und (vor)gestrig anmutet. Sicher, das Drama, welches sich da in einem verschneiten, von der Außenwelt abgeschnittenen Tal irgendwo in den bayrischen Alpen abspielt, erhält damit die angemessen dräuende Fallhöhe, man wähnt sich am Ende des 19. Jahrhunderts. Sowohl literarisch als auch in der eigenen Fantasie während des Lesens fühlt man sich in eben jene Zeit versetzt. Da wird eine Atmosphäre geschaffen, die geradezu unheimlich anmutet. In diesem Tal scheint es kein Außen zu geben. Es ist schwer zu erreichen, setzt erst einmal der Winter ein, ist es vor allem nicht mehr zu verlassen. Auf Monate hinaus. Die Ausblicke in die Welt sind dann auch immer nur die Erinnerungen der Protagonisten. So wird das Dorf zur Welt, wird die Herrschaft des alten Brenner zur absoluten, ja totalitären Herrschaft und so wird hier letztlich von einem Befreiungskampf erzählt, der schließlich nicht nur individuelle Rache umfasst, sondern den Sturz der herrschenden Ordnung beschreibt. Mit dem Fremden kommt auch die neue Zeit ins Tal und mit der neuen Zeit kehrt auch Emanzipation von der scheinbar naturgegebenen Ordnung ein. Es muss eine naturgegebene Ordnung sein, denn Gott, das wird dem Leser bald verdeutlicht, ist abwesend in diesem Tal.

An Leones Zerdehnung der Zeit geschult lässt Willmann den Leser nicht nur an den Veränderungen der Natur und den erstaunlich parallel erwachenden Gefühlen junger Mädchen minutiös teilhaben, sondern auch an gewissen, oftmals sehr grausamen Ereignissen. Der Showdown des Buchs zieht sich dann über sage und schreibe 60 Seiten. Dann aber ist auch die letzte Schuld beglichen, ist die Rache vollendet, ist vergolten, was der Brenner, der Alte, sich hat zeitlebens zu Schulden kommen lassen. Und zusammengefunden hat, was zusammenfinden musste. Und der Rächer darf seines Weges ziehen.

Zuvor wird der*die Leser*in jedoch Zeuge einer allerdings düsteren Familiengeschichte, die zeitweilig bis ins ferne Amerika und dort bis an die Westküste führt. Von dort kehrt in einem eisigen Winter ein Ahne des Tals zurück, mietet sich ein, lässt die misstrauischen Talbewohner ein wenig Zutrauen fassen in ihn, der vermeintlich als Zeichner und Maler Impressionen dieser abgelegenen Welt einfangen will, bevor er schließlich zur Tat schreitet. Und gelegentlich – damit wir Lesenden begreifen, was es mit all seinem Hass, der sich hinter einer gleichmütigen Fassade verbirgt, eigentlich auf sich hat – driftet der Mann ab in die Gefilde der Erinnerung, wo die Dämonen seiner Vergangenheit und mehr noch die der Vergangenheit seiner Mutter lauern. So erfahren wir auch, wie sie es einst aus dem Tal hinaus geschafft hatte, wie es sie nach Amerika verschlug und dort durch die Weiten des Westens trieb.

All diese Ereignisse und Geschichten, wie auch die actiongeladenen Momente im Tal, konstruiert Willmann weitestgehend als filmische Szenen. Bei aller literarischen Weitschweifigkeit erkennt man doch immer das cineastische Vorbild. Er schneidet Ereignisse gegeneinander, erinnernd an Filme wie SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD (1968) lässt er einzelne Momente über Absätze und gar ganze Seiten geschehen, lässt seine Protagonisten verharren und die Situation einschätzen. Friert den Moment gleichsam ein. So, wie hier alles unter den Massen an Schnee einzufrieren droht. Dass all das geradezu nach einer Verfilmung schreit, liegt auf der Hand. Und diese Verfilmung hat der Roman dann auch erfahren. 2014 drehte Andreas Prochaska die Filmversion des Stoffs.

Willmanns Roman ist gute Unterhaltung, der Autor hat seinen Stoff im Griff, ordnet ihn gut und spannungsgeladen und konstruiert seine Story zwar nach filmischem Aufbau, aber deswegen nicht weniger gelungen. Allerdings greift er auf beiden Erzählebenen – der Gegenwart des Romans und der der Rückblicke sowohl in die persönliche Geschichte des Rächers als auch dessen Familiengeschichte – tief in die Kiste mit den Klischees. Das wiederum tut er mit solcher Verve, dass man dahinter den Willen dazu erkennt und sich entweder damit abfindet, bzw. damit leben kann, oder besser gleich die Finger von dem Buch lässt. Dies strebt nicht danach, die Literatur neu zu erfinden oder neue Wege in die literarischen Alpen zu ergründen, sondern es soll eine spannende, packende Geschichte erzählt werden, wobei der Autor seine Vorbilder nicht nur nicht verschweigt, sondern ihnen geradezu huldigt. Hier will einer mit genau den Versatzstücken arbeiten, die ihn einst als Konsument dieser Bücher und Filme begeistert haben. Er spielt mit ihnen, kombiniert sie auf seine Art und Weise und schafft damit zwar nichts Neues oder sonderlich Originelles. Aber er schafft etwas sehr Unterhaltsames.

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