DIE FREIMAURER. DER MÄCHTIGSTE GEHEIMBUND DER WELT/THE CRAFT – HOW THE FREEMASONS MADE THE MODERN WORLD
John Dickie bringt seinen Leser*innen einen der geheimsten Geheimbünde überhaupt näher - mit großer Sachkenntnis und einem ordentlichen Maß an Humor
Dass auch in John Dickies letztem Werk DIE FREIMAURER. DER MÄCHTIGSTE GEHEIMBUND DER WELT (THE CRAFT – HOW THE FREEMASONS MADE THE MODERN WORLD, Original erschienen 2020; Dt. ebenfalls 2020) letztlich Italien und der – durchaus speziellen – italienischen Spielart der Freimaurerei ganz besonders viel Raum gegeben wird, mag wohl daran liegen, dass der Autor nicht nur Historiker, sondern auch Romanist ist. Er hat sich sein Berufsleben lang schon immer verstärkt mit der italienischen Kultur und Lebensart, durchaus aber auch mit den dunkleren Seiten Italiens beschäftigt. Seine Werke zur Mafia – der Cosa Nostra, der Camorra und der ´Ndrangheta – zeugen aber auch von Dickies generellem Interesse an Geheimbünden und Geheimgesellschaften. Was läge da näher, als sich irgendwann auch mit der geheimnisumwitterten Freimaurerei, oder, wie sie oft genannt wird, der „Königlichen Kunst“, zu beschäftigen? Zumal beide – der Kreis zu Italien schließt sich – eine gewisse Schnittmenge aufweisen, wenn man die Geschichte einer Loge wie der P2, der Propaganda Due, betrachtet. Doch dazu später.
Es ist vielleicht Dickies britische, speziell schottische Abstammung, die dafür sorgt, dass er sein Sujet zwar ernstnimmt, ihm aber mit einer gehörigen Portion Humor begegnet und dem Thema damit ein wenig die ihm innewohnende Dramatik, die Spitze, das Mythische nimmt. Stattdessen bricht er die Freimaurerei auf das herunter, was sie, historisch gesehen, ist: Ein Männerbund, der, wie alle geschlossenen Gesellschaften – seien es Burschenschaften, Herren- oder Kegelklubs, Heimat-, Karnevals- oder Schützenvereine, Skatrunden oder die Freiwillige Feuerwehr (von denen sich mittlerweile viele auch dem weiblichen Teil der Menschheit geöffnet haben) – Seilschaften hervorbringt, welche ihrerseits informelle, berufliche, monetäre und persönliche Vorteile versprechen. Wer gut vernetzt ist, kommt schneller voran, erhält die entscheidenden Informationen früh genug, um die richtigen Angebote einzureichen oder ist gleich in den lokalen Klüngel eingebunden und weiß, wie die Posten verteilt werden, denn eine Hand wäscht die andere.
So gesehen, sind auch die Freimaurer schlicht ein profaner Verein. Dennoch umweht gerade sie der Hauch des Geheimnisvollen, ranken sich etliche Mythen, Legenden und Geschichten um den Geheimbund, wird ihm immense Macht zugeschrieben, was durch die dreieinhalb Jahrhunderte, die die moderne Freimaurerei nun besteht, immer wieder zu ebenso lustigen wie potentiell gefährlichen, weil für Freimaurer durchaus tödliche Verschwörungsnarrativen geführt hat.
Umso besser, wenn sich nun also mit Dickie ein ebenso versierter wie distanzierter Wissenschaftler und Autor der Sache annimmt und einerseits mit einigen der sich um die Freimaurer rankenden Mythen aufräumt, einiges ins rechte Licht rückt, anderes auf Normalmaß stutzt und dem Bund dennoch Gerechtigkeit widerfahren lässt. Denn bei allem Brimborium, aller Geheimniskrämerei, aller seltsamen kultischen Handlungen, aller Riten und Ränge und der Symbolik, die sie sich gegeben hat, ist die moderne Freimaurerei der vergangenen knapp vierhundert Jahre eben auch ein Kind der Aufklärung und durchaus liberalen, pluralistischen, demokratischen und antiklerikalen Prinzipien und Idealen verhaftet. Sie sah als ihre immer zu befolgenden Grundtugenden Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – also jene drei Prinzipien der französischen Revolution, die bis heute Gültigkeit haben – sowie Toleranz und Humanität. Ebenso verlangte sie nach Religionsfreiheit, wobei sich die Freimaurerei immer schwer tat mit allen Religionen, nicht zuletzt, weil sie sich, wenn auch spielerisch, selbst quasi-religiöse Züge einschrieb. So oder so: Sie wollte, dass „bessere Männer“ aus ihr hervorgehen, besser geworden durch Demut, Selbsterkenntnis und den steten Willen zur Arbeit an sich selbst.
Dickie folgt dieser Geschichte durch die Zeiten und Zeitalter, bemüht sich, eben dieser Historie nachzuspüren, die die Freimaurerei sich selbst gegeben und so gern erzählt hat – jener Glaube an den großen Baumeister aller Welten und Zeiten –, der sie so oft in Konflikte vor allem mit dem christlichen Glauben und den christlichen Kirchen brachte. Er entzaubert ein wenig das Mystische, das die Freimaurerei umgibt, entlarvt die Heimlichtuerei als das, was sie ist: Ein fast kindlicher Spaß an Geheimnis und Versteckspiel, wohinter sich exakt nichts verbirgt. Eine Art McGuffin, jenes Motiv in Thrillern und Kriminalspielen, um das sich alles dreht und welches nie aufzufinden ist, das zumeist nicht einmal existiert. Dickie entlarvt auch die mit diesem Spaß am Vexierspiel einhergehende Eitelkeit, die Lust an der Selbstüberhöhung, daran, sich dann doch wichtiger zu nehmen, als man eigentlich ist. Dem entspricht auch die Organisation in sogenannten Logen, welche wiederum den Groß- oder Mutterlogen unterstellt sind. Diese haben eine Unmenge an Rängen und Hierarchien hervorgebracht, deren Sinn und Zweck sich oftmals nicht einmal denen erschließt, die sie bekleiden. Zumal eine jede Loge prinzipiell befugt ist, den bereits existierenden Rängen weitere hinzuzufügen, und sei es nur, um verdiente Mitglieder zu belohnen. Das kann gelegentlich abstruse Züge annehmen und zu heikler Unübersichtlichkeit führen. Diesen Elementen begegnet Dickie dann eben auch mit dem entsprechenden Humor.
Es wird natürlich eine Menge Historiker geben – vor allem jene, die selbst der Freimaurerei nahestehen – die all das vehement kritisieren, negieren und in Abrede stellen werden. Das zieht ein Buch wie dieses nach sich. Dickie nimmt viel dieser zu erwartenden Kritik vorweg und stellt seinen freimaurerischen Kollegen allerdings nicht immer ein gutes Zeugnis aus. Zu viel Schönfärberei, zu viel Beschönigung gerade in den wirklich dunklen Kapiteln der Geschichte des Bundes, die sie im Laufe der Jahre und Jahrzehnte betrieben haben. Auch darüber wird noch zu sprechen sein.
Doch zunächst untersucht der Autor sehr genau, woher die Freimaurer – eine Lehnübersetzung aus dem Englischen, welche die Freemasons bezeichnet, seinerseits eine Abwandlung des englischen Begriffs Freestone; so erklärt sich auch die gelegentliche Bezeichnung „Masonier“ für die Freimaurer – in ihren frühesten, wahrscheinlich mittelalterlichen Wurzeln stammen; dass sie möglicherweise aus den damals englischen Zirkeln der Steinmetze und Steinhauer hervorgegangen sind, was ihre dementsprechenden Symbole erklären würde. Denn die englischen Steinmetze fanden nicht zur Genüge Beschäftigung – und stellten letztlich auch quantitativ einfach nicht genügend Handwerker – um eine eigene Gilde bilden zu können. Von diesen Anfängen aus durchforstet Dickie die Geschichte des Bundes, erforscht, wie sie sich ihre ganz eigene Mythologie zusammengebastelt hat, wo sie ihre Anfänge nahm – England und Schottland – und wie sie sich, nicht zuletzt durch das britische Empire, langsam über die Welt, zunächst Europa, dann Übersee, schließlich auch den Fernen Osten, Südamerika und auch Afrika, ausbreiten konnte.
Es sind vor allem jene Regionen, in denen die Freimaurerei ihre stärksten Spuren, die größten Abdrücke hinterlassen konnte, denen Dickie dabei naturgemäß die meiste Aufmerksamkeit widmet. Und neben dem britischen Empire und Europa sind dies vor allem die Vereinigten Staaten. Hier konnte die Freimaurerei vorübergehend – wir sprechen vor allem vom 18. Jahrhundert und den Anfängen der Nation unter George Washington und seinen Mitstreitern, von denen wie der erste Präsident der USA viele der Freimaurerei anhingen oder nahestanden – in den Rang einer Staatsreligion aufsteigen. Eine Stadt wie Washington D.C. weist noch heute etliche deutliche Spuren und Abdrücke masonischer Wurzeln auf.
Zugleich ist aber gerade die Geschichte der amerikanischen Freimaurerei – so, wie der der britischen eng mit der des Imperialismus und des Kolonialismus verbunden ist – mit der Geschichte der Sklaverei und des Rassismus verbunden. Und doch erzählt Dickie auch Erstaunliches, wenn er der Entwicklung der schwarzen Freimaurerei breiten Raum gibt und sehr genau hinschaut, wie sie dazu beitragen konnte, Selbstermächtigung, Verbundenheit und Emanzipation jener Teile der amerikanischen Bevölkerung zu fördern, die lange unterdrückt und ihrer Rechte beraubt wurde.
Ebenso interessant sind die Entwicklungen der masonischen Bewegung in Europa während der dunklen Jahre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie bereits beschrieben, stand die Freimaurerei immer schon unter starken Angriffen der christlichen Kirchen, vor allem der katholischen Kirche. Dementsprechend stark wurde sie auch in Spanien angefeindet, sobald dort der General Francisco Franco die Macht übernommen hatte. Dessen Regime – gern auch als „klerikal-faschistisch“ bezeichnet – war bekanntlich eng mit dem Opus Dei und den Jesuiten verbandelt, was der Kirche freie Hand gab, gegen die Freimaurer vorzugehen. Der italienische Diktator Mussolini, an sich kein Freund der Kirche, jedoch klug genug, sich im katholischen Italien nicht gänzlich gegen den Vatikan zu stellen, wetterte schon früh gegen die Freimaurerei, der er grundlegend umstürzlerische Pläne unterstellte. In diesem Fall kann man sogar behaupten, dass dies nicht nur erfunden und herbeifantasiert war, da die italienische Freimaurerei – es wurde eingangs schon erwähnt – immer einen Sonderfall darstellte; im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten des Bundes, der sich bewusst un-, wenn nicht gar antipolitisch gab, war sie dezidiert politisch und hatte im für Italien so bewegten 19. Jahrhundert ganz unterschiedliche Ableger und Richtungen hervorgebracht. In Deutschland schließlich hatte Adolf Hitler die Freimaurer schon früh, noch zu Zeiten seiner Hofbräuhausreden im München der 20er Jahre, neben Juden, Bolschwiken und allem, was er als asozial oder schädlich ausgemacht zu haben meinte, zu Feinden des deutschen Volkes erklärt.
So wurden auch die Freimaurer Ziel der nationalsozialistischen Verfolgung. Allerdings – und an diesem Punkt wird Dickie sehr deutlich in Bezug auf seine masonischen Historiker-Kollegen – ist es anmaßend, sich eine Verfolgungsgeschichte anzudichten, die die Freimaurer auf eine Stufe mit jenen stellt, die zu Hundertausenden und schließlich Millionen Opfer des Verfolgungswahns der Nationalsozialisten wurden. Hier beschönigen wohlwollende Historiker die Geschichte der masonischen Bewegung dann doch etwas zu sehr. Ähnlich übrigens, wie sie es auch in Bezug auf die Geschichte der Frauen, der Schwarzen, in Bezug auf den britischen Kolonialismus oder die teils doch hanebüchenen Verstrickungen mit verbrecherischen Systemen und Vereinigungen zu tun pflegten.
Hier kommt man dann zu der Geschichte um die P2-Loge. Es ist eine faszinierende Episode der jüngeren italienischen Geschichte, nicht zuletzt, weil sie eine Schnittstelle zwischen der Politik, der Mafia, bedeutenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte – u.a. dem Medienmogul und späteren mehrmaligen Ministerpräsidenten Italiens Silvio Berlusconi – und eben einem sehr eigenen Ableger der Freimaurerei darstellt. Das, was mit dem Begriff P2 verbunden ist, ist zudem eine der wenigen wirklichen, vollends aufgeklärten Verschwörungserzählungen, die weitgehend durchleuchtet und recherchiert ist. Ob sie wirklich in ein Buch über die Freimaurerei gehört, sei allerdings einmal dahingestellt.
Folgt man Dickies Beschreibungen, wähnt man sich doch bald in einem seiner Werke über die Mafia, merkt aber auch, dass man es im engeren Sinne nicht mehr zwingend mit der Geschichte der Freimauerei zu tun hat. Sicher – die Geschichte um die Propaganda Due zeigt trefflich, wie ein Bund wie die Freimaurer, gleich, wie hehr seine Ziele, wie hochgesteckt seine Ideale sein mögen, eben durch seine reine Struktur immer auch Gefahr läuft, missbraucht zu werden. Wo sich geheime Seilschaften bilden, wo Kungelei zu einem Selbstzweck erhoben wird, wo kurze Wege schnelle Informationen versprechen, da ist auch immer die Gefahr gegeben, dass sich dies Menschen – in diesem Fall eben und ausschließlich Männer – zu eigen machen, deren Ziele und Pläne alles andere als hehr und idealistisch sind. Selbst, wenn sie glauben, sie stünden auf der „richtigen“ Seite der Geschichte.
Dickie schließt mit einem Ausblick auf die Freimaurerei, die kein sonderlich rosiges Bild zeichnet. Zwar öffnet man sich – moderat – gibt sich Mühe, zu modernisieren, lässt bspw. mehr und mehr Frauen in die herkömmlichen Logen einziehen, öffnet die Archive auch nicht-masonischen Historikern wie Dickie. Doch fehlt es an Nachwuchs. Wie viele Institutionen der vergangenen Jahrhunderte – darunter sind wohl auch Parteien und Gewerkschaften zu zählen, ebenso die Kirchen – haben auch die Freimaurer den Anschluss an die (Post)Moderne verpasst. Vielleicht sind sie aber in all ihrer etwas verschrobenen Art, mit all den Symbolen und Zeichen, ihren Rängen und Riten, schlicht auch nicht mehr zeitgemäß. Die Zeit wird es zeigen.
John Dickie ist jedenfalls ein gut lesbares, süffig geschriebenes, oft lustiges und immer informatives Buch gelungen, das eben nicht nur die Geschichte der Freimaurerei erzählt. Vielmehr führt er noch einmal durch vier Jahrhunderte zumeist europäischer Geschichte, die aber eben auch immensen Einfluss auf den Rest der Welt hatte. Er lässt noch einmal die Ideale der Aufklärung auferstehen und bricht dies alles durch den Spiegel der Freimaurerei, die mit all diesen Entwicklungen eng verbunden war, sie aufgriff, manchmal vorantrieb und doch auch gelegentlich unterminierte. Eben in der Beschreibung dieser Wechselwirkung liegt die besondere Raffinesse und die besondere Wirkung dieses Werkes.